Читать книгу Gefährlicher Einsatz auf Sylt: Kripow & Kripow Herr Doktor und die Polizei - A. F. Morland - Страница 7
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Grell stach die Sonne ins Zimmer. Kriminalhauptkommissarin Kathrin Kripow öffnete die Augen und blinzelte zum Fenster hinüber. Die Vorhänge waren nicht richtig zugezogen. In der Mitte klaffte ein handbreiter Spalt. Die Sonnenstrahlen erfassten das Bett wie ein Fächer. Staub stand unbeweglich in dem Licht. Kathrin stützte sich auf dem Ellenbogen auf und blickte sich um. Nur langsam setzte die Erinnerung ein.
Sie befand sich gar nicht in ihrem Schlafzimmer in Ewersbrunn bei Hannover, sondern auf Sylt. Ihr Chef, Dezernatsleiter Gerhard Tielich, hatte sie an die hiesigen Kollegen ausgeliehen, um auf der Insel verdeckt zu ermitteln. An drei verschiedenen, teilweise weit voneinander entfernten Stellen waren Rucksäcke mit Kokain gefunden worden. Der Straßenverkaufswert betrug 1,75 Millionen Euro.
Zuerst hatte ein Spaziergänger einen Rucksack mit fast 2,5 Kilogramm Kokain gefunden. In der darauffolgenden Nacht tauchte ein zweiter Rucksack mit fast 20 Kilogramm Kokain auf und am nächsten Nachmittag fand man nochmals mehr als 10 Kilogramm. Weil zwei der drei Rucksäcke direkt an der Wasserlinie entdeckt worden waren, ging die Sylter Kriminalpolizei davon aus, dass das Kokain von einem vorbeifahrenden Schiff geworfen und dann an Land gespült wurde.
Trotz intensiver Ermittlungen fand man keinen Hinweis auf die Herkunft der Drogen. Doch es stand außer Zweifel, dass es bald weitere Funde geben würde. Irgendjemand benutzte Sylt als Drogenumschlagplatz. Weil die Kriminalisten vor Ort bei der Bevölkerung bekannt waren, beschlossen sie, Verstärkung vom Festland anzufordern. Aus diesem Grund hatte sich Kathrin Kripow als Touristin getarnt in der Pension KLEINE MÖWE einquartiert.
Es war ein braunrot verklinkertes Haus mit Reetdach und weißen Fenstern. Und es lag keine zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof Westerland entfernt. Die Besitzerin hieß Wencke Fries. Sie hatte zwei Kindern und war mit einem Anwalt verheiratet, der jedoch die meiste Zeit in Flensburg arbeitete.
Gähnend schwang Kathrin die Beine über die Bettkante. Sie ging ins Bad, erledigte ihre Morgentoilette, kleidete sich an, zog die Vorhänge zur Seite und öffnete das Fenster. Tief atmete sie die frische Seeluft ein. Keine Wolke war am Himmel zu sehen. Es schien ein schöner Tag zu werden. Kathrin verließ das Zimmer und ging leise die Treppe hinunter. Im Haus war es vollkommen still. Die anderen Pensionsgäste schienen noch zu schlafen. Die Haustür war nicht abschlossen.
Kathrin drückte die Klinke herunter und verließ das Gebäude. Es war ein zauberhafter Morgen. Die Luft, das Licht, die Ruhe – alles war zauberhaft. Das Echo ihrer Schritte trappelte neben, vor und hinter ihr die leeren Straßen entlang, an den Fassaden der schlafenden Häuser hinauf und weckte im Garten einer Villa einen Hund, dessen Gebell nun mit dem Echo ihrer Schritte um die Wette lief. Kathrin verließ die Straßen und gelangte an den Strand, der zu dieser frühen Stunde noch sauber und leer war.
Fußspuren im Sand hinterlassend, lief sie nach vorn an die Wasserkante, wo kleine Wellen Purzelbäume schlugen. Über dem Meer schwebten zarte, lilafarbene Dunstschleier, aus denen – weit weg im Norden, weiß gegen den rosa Himmel – einige Segel aufragten. Das Meer war tiefblau mit oxidgrünen Streifen und silbernen Glitzerlichtern. Es war so ungeheuer farbig, dass man es nie hätte naturgetreu malen können, ohne das ein kitschiges Bild daraus geworden wäre – so eines, wie sie in nachgemachten Barockrahmen in Warenhäusern neben Gebirgs- und Heidelandschaften zum Verkauf standen, der Quadratzentimeter für 12 Euro 50 inklusive Mehrwertsteuer.
Die Meeresvögel ließen sich von aufsteigenden Luftströmungen tragen, zogen im Gleitflug vorüber, stiegen auf, flogen wieder nieder und drehten dann um, wobei sie mit einer plötzlichen Bewegung ihren Flug unterbrachen und wild mit den Flügeln schlugen. Kathrin zog die Schuhe aus und wanderte barfuß am Wasser entlang nach Süden. Sie genoss die Ruhe und beobachtete die huschenden Schwärme fingerlanger Fische, die durch das Wasser zogen. Hinter ihr ertönten schnelle Schritte und ein keuchender Atem. Sie drehte sich um. Eine Gestalt in einem blauen Jogginganzug stürmte auf sie zu. Bevor Kathrin ausweichen konnte, erfolgte der Aufprall. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Abrupt blieb der Mann stehen.
Aus großen Augen blickte er sie an. Er wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, doch dann überlegte er es sich anders. Mit zwei Schritten war er bei Kathrin und half ihr auf die Füße. Sein Atem ging keuchend. Schweiß ran über sein Gesicht. Er murmelte etwas, das sie nicht verstand, wandte sich ab und rannte los. Kathrin blickte ihm nach, bis er in der Ferne verschwunden war. Dann kehrte sie über den Strand zur Straße zurück. Mittlerweile war es kurz vor sieben.
Auf den Straßen fuhren erste Lieferwagen, brachten Brötchen oder Milch zu den Hotels. Die Souvenirläden, Boutiquen, Bars, Cafés und Restaurants waren noch geschlossen. Nur vor einem Kiosk, der auch Zeitungen verkaufte, packte eine verhärmt aussehende Frau die ersten Papierbündel aus. Kathrin widmete sich noch eine halbe Stunde den Schaufenstern, in denen wundervolle Kleider und bunte Geschenkartikel zu sehen waren – neben kitschigem Kram aus Schaumgummi und Plastik.
Um halb acht – es fing schon an, warm zu werden – traf sie wieder in der Pension ein. Im Eingangsbereich kam ihr die Besitzerin Wencke Fries entgegen.
„Moin, Frau Kripow, schon so früh unterwegs?“, erkundigte sie sich.
„Ja, ich wollte die morgendliche Stille genießen.“
Wencke nickte. „Wenn Sie möchten, können Sie auch gleich frühstücken.“
„Vielen Dank“, erwiderte Kathrin.
Kathrin ging in den Speiseraum. Sie nickte den Anwesenden zu und setze sich an den einzigen freien Tisch. Das Frühstück war sehr gut, auch in Bezug auf die Buttermenge und die Qualität der Konfitüre. Der Kaffee Melange schmeckte wundervoll. Das Ei hatte genau die richtige Konsistenz. Kathrin ließ sich Zeit. Nach dem Frühstück kaufte sie in einem kleinen Andenkenladen eine Postkarte, die sie Alexander schicken wollte, und kehrte in ihr Zimmer zurück.