Читать книгу Tödliche Lektüre Berlin 1968 Kriminalroman Band 41 - A. F. Morland - Страница 12
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Der »Leiche« ging es gut. Klaus Berger hatte wieder einmal großes Pech gehabt. Als Lydia ihn mit dem Messer am Oberarm verletzte, löste sie einen Reflex aus, der ihm das Gleichgewicht raubte. Er kippte nach hinten, schlug mit dem Hinterkopf auf die Hartholzkante der Arbeitsplatte, und ihm wurde schwarz vor den Augen.
Deshalb hatte ihn Lydia für tot gehalten, tatsächlich aber war er nur ohnmächtig.
Als er zu sich kam, war er allein, und da er nicht wusste, was Lydia in ihrer Panik anstellen würde, hatte er sich aus ihrer Wohnung verzogen.
Er war nach Hause gefahren, hatte die Wunde, die ihn nur unwesentlich behinderte, verarztet, sich umgezogen und sich anschließend zu Samuel Varresco begeben, um ihm mitzuteilen, dass er auf Lydia Genthin noch etwas warten müsse.
Der Verbrecher wohnte wie ein Filmstar - und sah auch so aus. Er war groß und schlank, hatte schwarzes Haar und himmelblaue Augen. In jungen Jahren hatte er als Dressman gearbeitet, doch bald war ihm klargeworden, dass er mit seinen Fähigkeiten auf der anderen Seite des Gesetzes mehr Geld einsacken konnte - und auch schneller.
Bis zu Frank Genthins Verschwinden hatte er ein unbekümmertes Leben geführt. Es hatte für ihn kein Problem gegeben, das er nicht aus der Welt zu schaffen wusste - entweder mit Geld oder mit Mord.
Hohe Bäume standen auf dem großen Grundstück und spendeten angenehmen Schatten.
Als Berger aus seinem Wagen stieg, tobten die Hunde im Zwinger, zwei Tigerdoggen und drei Deutsche Schäferhunde, auf den Mann dressierte Killerhunde.
Obwohl sie hinter Gitter waren, fühlte Klaus Berger ein starkes Unbehagen bei ihrem Anblick. Sie knurrten und kläfften wie verrückt, als hassten sie nichts mehr als ihn, und das zeigten sie ihm mit hochgezogenen Lefzen, die ihre Reißzähne frei gaben.
Berger schluckte trocken und beeilte sich, das Haus zu betreten.
»Du kommst allein?«
Samuel Varresco saß in seinem großen, geräumigen Arbeitszimmer hinter einem klobigen Schreibtisch und musterte ihn kalt.
Zwei seiner Leibwächter befanden sich bei Varresco.
Berger nickte ihnen scheu zu. Sie waren ihm nicht geheuer. Mit unbewegten Mienen sahen sie ihn an, als sei er Abfall.
»Du bist allein?«, knurrte Varresco.
»Ja, Boss, jetzt, aber ...«
»Ich habe dich zu Lydia Genthin geschickt. Warst du noch nicht bei ihr?«
»Doch, Boss, natürlich, nur ...«
»Verdammt noch mal, ich habe dir aufgetragen, sie zu mir zu bringen!«, schrie Varresco und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Berger zuckte zusammen, als hätte der Verbrecherboss eine Pistole auf ihn abgefeuert. »Wo ist sie?«
»Das ... das weiß ich nicht.«
»Das weißt du nicht?«, fragte Varresco, und eine Zornader schwoll an seiner Stirn.
»Lass mich das bitte erklären«, sagte Klaus Berger hastig. »Ich war in ihrer Wohnung, sie kam nach Hause, und ich schnappte sie mir in der Küche. Mit beiden Händen habe ich sie gewürgt. Ich wollte, dass sie das Bewusstsein verliert. Danach hätte ich sie zum Wagen geschafft und hierhergebracht.«
»Na gut, und warum hast du es dir dann anders überlegt?«, fragte Samuel Varresco grimmig.
»Sie erwischte ein Messer und stieß es mir in den Arm. Na ja, und dann - ich muss irgendwie die Balance verloren haben -, knallte mit dem Schädel irgendwo gegen und trat kurz weg. Als ich zu mir kam, war das Mädchen nicht mehr da.«
»Was hast du erwartet? Dass sie bei dir bleibt, bis du die Augen wieder aufschlägst?«
Berger warf den Leibwächtern einen unsicheren Blick zu. Wenn der Boss jetzt einen Wutanfall kriegte, würde Blut fließen.
»Dir ist doch noch bewusst, dass das eine Bewährungsprobe war«, sagte Varresco gefährlich leise.
»Ich bringe dir das Mädchen, Boss, kein Problem.«
»Kein Problem? Du schaffst es ja nicht mal, ein schlafendes Baby aus ’ner unbewachten Wiege zu klauen. Verdammt, ich dachte, du würdest dich diesmal zusammenreißen, weil du einiges aufzuholen hast, aber du hast wieder versagt.«
Berger hüstelte.
»Versagt - so würde ich das nicht direkt nennen, Boss.«
»Wie denn sonst?«
»Na ja, es ging bloß der erste Versuch daneben, aber im zweiten Anlauf kriege ich die Kleine, darauf kannst du dich verlassen. Und ich bringe sie dann auch gleich hierher.«
»Es gibt keinen zweiten Anlauf mehr für dich, Klaus.«
»Aber Boss ...«
»Du bist raus aus dem Geschäft. Ich kann es mir nicht leisten, mit einer solchen Niete zu arbeiten. Lydia Genthin ist bestimmt zu den Polypen gerannt, und die werden sich jetzt mit großem Eifer dafür interessieren, wer der Trottel war, der sie in ihrer Wohnung überfiel - und wer ihn zu ihr geschickt hat. Wenn du dich dort noch mal blicken lässt, läufst du den Polizisten direkt in die Arme, aber das geht ja in deinen Holzkopf nicht hinein.«
Berger leckte sich aufgeregt die Lippen. Er bangte nicht so sehr um seinen Job als um sein Leben.
»Boss, gib mir noch eine Chance!«, flehte er.
»Die hattest du«, erwiderte Varresco kalt. »Und nun will ich von dir nichts mehr wissen, also verzieh dich, bevor ich die beiden hier bitte, dass sie sich um dich kümmern.«
Die bulligen Leibwächter grinsten breit. Es wäre ihnen eine Freude gewesen, Klaus Berger zu erledigen.
»Tritt mir ja nicht mehr unter die Augen!«, warnte Varresco den Gefeuerten. Das Dienstverhältnis war damit beendet, und der Verbrecherboss ließ Berger wissen, dass ihm heute eine große Gnade zuteilwurde. »Wenn ich schlecht gelaunt wäre, hätte ich dich von meinen beiden Freunden hier abservieren lassen.«
Berger wusste, dass man Varresco niemals umstimmen konnte. Wenn der sich einmal eine Meinung gebildet hatte, konnte ihn nichts und niemand mehr davon abbringen. Deshalb war es vernünftiger, statt eines langen, sinnlosen Palavers den Rückzug anzutreten. Es war tatsächlich Glück im Unglück, dass Varresco ihm das Leben ließ. Schließlich wusste er einiges, mit dem er dem Verbrecher hätte schaden können.
Wenn Varresco ihn laufenließ, ging er ein Risiko ein, das nicht abzuschätzen war. So gnädig war Samuel Varresco sonst nie, deshalb wollte Berger diesen günstigen Wind nutzen und mit vollen Segeln abrauschen.
Es war nicht so schlimm, dass Samuel Varresco nichts mehr von ihm wissen wollte. Es gab andere Leute, denen er seine Dienste anbieten konnte. Er musste nicht unbedingt für Varresco arbeiten.
Wortlos drehte er sich um und ließ den Kopf hängen wie ein geprügelter Hund. Das war Show, so zerknirscht war er gar nicht, aber Varresco sollte es glauben.
Schwitzend verließ er das Haus. Er zog sein Taschentuch heraus und trocknete sich die Stirn.
Im Haus fragte einer der Leibwächter: »Lässt du ihn wirklich laufen, Boss? Was ist, wenn er quatscht?«
»Ich denke auch, dass es besser wäre, ihm mit einer Kugel das Maul zu stopfen«, sagte der andere.
Samuel Varresco grinste wölfisch.
»Ich fürchte, er wird nicht weit gelangen.« Er griff unter den Tisch, und seine Finger tasteten nach dem Knopf, der dort verborgen war.
Jetzt grinsten auch die beiden, denn sie wussten, welche Funktion dieser Knopf hatte: Damit konnte Varresco die Zwingertür öffnen.
Berger schob das Taschentuch in die Hosentasche. Die Hunde im Zwinger spielten gleich wieder verrückt.
Im Zwinger?
Himmel, die Tür war offen!
Die Hunde waren frei!
Berger traf vor Schreck beinahe der Schlag. Er stieß einen heulenden Schrei aus und wollte ins Haus zurückspringen, doch das war nur möglich, wenn Varresco drinnen die automatische Verriegelung öffnete. Schreiend warf sich Berger gegen die Tür.
»Boss, lass mich rein! Die Hunde ...!«
Pfeilschnell schossen die vierbeinigen Bestien heran. Es war ein Wettrennen, die Trophäe war Klaus Berger. Er schlug mit den Fäusten gegen die Tür, seine Schreie wurden immer schriller. Der Boss hatte ihn belogen, das begriff er in diesem entsetzlichen Augenblick.
Wie sollte er sich jetzt noch in Sicherheit bringen? Die Hunde waren schon so nahe. Er hörte das Kratzen ihrer Pfoten auf den Stufen, ihr Hecheln und Keuchen.
Obwohl es keinen Sinn mehr hatte, versuchte er seinen Wagen zu erreichen. Wenn er das Unmögliche schaffte, wenn es ihm gelang, sich einzusperren, konnten ihm die gefährlichen Bestien nichts anhaben.
Er flankte über eine Steinbrüstung, landete in weichem Gras, ging in die Knie, schnellte sofort wieder hoch und hetzte auf seinen Wagen zu.
Die Hunde kehrten um. Schnell wie der Blitz waren sie. Dennoch schaffte es Berger, sein Fahrzeug zu erreichen. Es gelang ihm sogar noch, die Tür aufzureißen, aber dann ...
Als der erste Hund zubiss, wusste er, dass er verloren war.