Читать книгу Tödliche Lektüre Berlin 1968 Kriminalroman Band 41 - A. F. Morland - Страница 9

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Lydia Genthin war in einer schrecklichen Verfassung. Sie wurde von Weinkrämpfen geschüttelt, und laute Schluchzer entrangen sich ihrer Brust. Knallrot war ihr Hals, ihr Gesicht wies zahlreiche Schwellungen auf.

»Beruhigen Sie sich!«, sagte Bernd eindringlich.

Franziska brachte ein Glas Whisky mit reichlich Soda. Bernd nahm ihr das Glas aus der Hand und reichte es der blonden Frau. Sie zitterte so heftig, dass sie den Drink beinahe verschüttet hätte.

Bernd hatte ihren Namen nicht richtig verstanden. Senthin oder Menthin oder so ähnlich hieß sie, aber ihr Gesicht schien ihm bekannt zu sein, obwohl er zunächst nicht wusste, wo er die junge Frau schon einmal gesehen hatte.

Sie musste das Glas mit beiden Händen halten, um es einigermaßen ruhig an die Lippen zu bringen.

Sie war misshandelt worden, das war nicht zu übersehen, aber von wem, konnte sie noch nicht sagen. Sie hatte überhaupt noch nicht viel gesprochen, nur herzzerreißend geweint und gestammelt, dass sie Bernd Schusters Hilfe brauche.

Franziska und Bernd bemühten sich um sie, redeten beruhigend auf sie ein und ließen ihr vor allem Zeit, sich zu sammeln. Der Whisky half ihr, die Fassung wiederzufinden.

Franziska nahm ihr das Glas aus der Hand und trug es hinaus. Als sie zurückkam, erzählte Lydia von sich, dass sie in einem Reisebüro in der Motzstraße arbeite, dass ein Kollege namens Fred Manniger sie nach Hause gebracht und in ihrer Wohnung ein Mann auf sie gelauert habe. Jetzt wusste Bernd, woher er die junge Frau kannte – und Franziska bestätigte es ihm sogleich.

„Wir haben sie beide in einen alten Käfer steigen sehen – war das dieser Fred Manniger?“

„Ja, das war mein Kollege. Aber der hat mit dem Überfall nichts zu tun.“

Franziska Jahn dachte zuerst an einen Sittenstrolch. Wenn es heiß war, stiegen die Sexualdelikte stark an, das war eine belegbare Tatsache. Bei Hitze schnappten manche Männer über. Mochte der Kuckuck wissen, mit was das zusammenhing. Vielleicht damit, dass sich die Frauen mehr gehen ließen, wenn es heiß war, den Rock etwas höher schoben, die Blusen weiter aufknöpften. Vielleicht rechneten solche Männer auch damit, dass sich die matten Frauen etwas weniger heftig wehrten, wenn sie über sie herfielen.

»Er ... er stand plötzlich hinter mir«, erzählte Lydia weiter. »Ich sah ihn in der spiegelnden Fensterscheibe. Er hatte sich im Schrank versteckt. Mich traf vor Schreck beinahe der Schlag.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Franziska Jahn schaudernd. Sie versetzte sich gedanklich in die Lage dieses Mädchens. Wie hätte sie wohl reagiert?

»Er packte mich, ich riss mich los und schloss mich in die Küche ein, aber das nutzte nichts, denn die obere Hälfte der Küchentür ist verglast.«

»Er schlug das Glas ein«, sagte Franziska gespannt.

»Ja!« Das Mädchen schluchzte. »Ich wollte das Fenster aufreißen und um Hilfe schreien, doch das ließ er nicht zu. Er würgte mich ...«

»War Ihnen der Mann bekannt?«, unterbrach Franziska. »Haben Sie ihn irgendwo schon mal gesehen? In dem Supermarkt, in dem Sie regelmäßig einkaufen, im Reisebüro ...«

»Er war mir völlig fremd«, erwiderte Lydia. »Als seine Hände so brutal zudrückten, dachte ich, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Die ... die Angst machte mich wahnsinnig. Plötzlich hielt ich ein Messer in der Hand und stach damit zu ...«

Weit waren Lydias meergrüne Augen aufgerissen. Sie starrte vor sich auf den Boden. All die grauenvollen Dinge schienen sich vor ihrem geistigen Auge noch einmal zu ereignen. »Da war ... Blut an der Klinge und mir wurde grausam klar, dass ich einen Menschen getötet hatte. Der Mann lag reglos auf dem Boden - tot, Herr Schuster. Ich bin eine Mörderin!«

Bernd schüttelte den Kopf. »Nein, das sind Sie nicht.«

»Aber ich habe diesen Mann doch erstochen!«

»In Notwehr.«

»Auf jeden Fall ist er tot.«

»Das Gesetz differenziert in solchen Fällen sehr genau«, erklärte Bernd Schuster. »Für das, was Sie getan haben, können Sie nicht bestraft werden. Jeder Mensch hat das Recht, sich zu verteidigen. Haben Sie die Polizei benachrichtigt?«

»Nein, ich stürzte aus der Wohnung und lief einfach davon - ohne zu wissen, wohin.«

»Ich glaube nicht, dass Sie zufällig bei mir gelandet sind«, sagte Bernd.

»Irgendwann fiel mir Ihr Name ein. Ich hatte ihn früher ab und zu gehört.«

»Von wem?«

»Mein Vater erwähnte ihn hin und wieder.«

»Ihr Vater kennt mich?«, fragte Bernd überrascht.

»Nicht persönlich ... zu seinem Glück.«

»Wie war doch Ihr Name?«, fragte Bernd Schuster.

»Lydia Genthin.«

»Und Frank Genthin ist Ihr Vater.«

»Ja, genau.«

»Jetzt geht mir ein Kronleuchter auf«, sagte Bernd.

Frank Genthin war als Verbrecher sehr rührig gewesen. In zahlreichen Geschäften hatte er seine Finger gehabt, mit namhaften Größen der Berliner Unterwelt hatte er zusammengearbeitet, und er war der Polizei, die ihn hinter Schloss und Riegel bringen wollte, immer um eine Nasenlänge voraus gewesen. Aber nicht nur das. Es war auch unmöglich gewesen, ihm eine strafbare Tat nachzuweisen. Man wusste es zwar, aber man konnte die Beweise nicht beschaffen, die nötig gewesen wären, um ihn vor Gericht zu bringen. Ohne Beweise konnte ihn kein Staatsanwalt anklagen und kein Richter verurteilen. Das Wissen der Polizei genügte nicht, um Frank Genthin vor den Richter zu stellen.

Und dieses Häufchen Elend war seine Tochter!

Was Lydia in ihrer Wohnung zugestoßen war, hatte ihr - indirekt - ihr Vater eingebrockt. Frank Genthin war nämlich vor kurzem untergetaucht, von der Bildfläche verschwunden. Spurlos.

Um seine Memoiren zu schreiben!

Wer schrieb mit vierzig Jahren schon seine Memoiren?

Frank Genthin tat es, denn er hatte in seinem Dasein so vieles erlebt, dass sich damit spielend ein dickes Buch füllen ließ.

Allerdings betätigte er sich nicht schriftstellerisch, weil es ihn dazu drängte, sich auf künstlerische Gefilde vorzuwagen, sondern um mit seinen einstigen Freunden, von denen er sich verraten und im Stich gelassen fühlte, erbarmungslos abzurechnen.

Ganz klar, dass die Unterwelt nervös geworden war. Niemandem war bekannt, wo Frank Genthin steckte. Man hatte seine Spuren verloren. Keiner wusste, wann er die Bombe zünden würde, was man selbstverständlich sehr gern verhindert hätte, denn Genthins schonungslose Erinnerungen waren für viele gefährlich - tödlich gefährlich.

»Sie wissen, warum dieser Unbekannte in Ihre Wohnung eindrang«, sagte Bernd Schuster.

»Ich kann es mir denken«, erwiderte Lydia. »Gewisse Leute wollen wissen, wo sich mein Vater befindet.«

»Ist Ihnen sein derzeitiger Aufenthaltsort bekannt?«

»Ja, aber den würde ich niemals preisgeben. Man kann über Frank Genthin denken, wie man will, er ist und bleibt mein Vater. Wir lebten jeder unser eigenes Leben. Er zog mich nie in irgendetwas hinein. Wenn wir uns trafen, war er nur mein Vater, sonst nichts. Er vertraute mir keine Geheimnisse an, die mich in Gefahr gebracht hätten, und sprach niemals über seine Geschäfte. Es gab so vieles andere, über das wir reden konnten.«

Bernd warf Franziska einen bedauernden Blick zu und seufzte. Da saß dieses ramponierte Mädchen und brauchte seine Hilfe. Wie konnte er jetzt noch ohne Gewissensbisse zum Grunewald fahren?

»Franziska ...«

Sie verstand ihn auch so.

»Wir verschieben es.«

»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, sagte Bernd.

»Es gibt noch viele Wochenenden.«

»Du sagst es.« Bernd war froh, dass Franziska so viel Verständnis aufbrachte.

Tödliche Lektüre Berlin 1968 Kriminalroman Band 41

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