Читать книгу 11 fantastische Horror-Romane zum Fest - A. F. Morland - Страница 100
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Neal Usting wählte die Abkürzung, die am Moor vorbeiführte, um schneller zu Hause zu sein. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Ein unangenehm kühler Wind strich vom Moor her über die Landschaft. Gespenstische Nebelschwaden stiegen aus dem nassen Erdreich und schwebten dem Mann bizarr geformt entgegen. Wie schreckliche Ungeheuer sahen sie manchmal aus, und ab und zu fuhr Usting erschrocken zusammen, wenn es den Anschein hatte, als würden diese durchsichtigen Nebelgestalten mit kalten milchigweißen Händen nach ihm greifen.
Usting hatte seine Tochter im Nachbardorf besucht. Sie war da mit einem Kerl verheiratet, der brutal war und sie des Öfteren schlug. Heute hatte Neal Usting dem Schwiegersohn mal gründlich die Meinung gesagt. Ob es geholfen hatte, würde die Zukunft erweisen.
Nun war der Mann auf dem Heimweg.
Seine Frau wartete sicherlich schon mit dem Abendessen auf ihn.
Neal Usting ging schnell. Er schwitzte und schnaufte, blickte sich manchmal beinahe gehetzt um und ging dann schnell weiter.
Normalerweise mied er diese Gegend.
Der Anblick des Moores war schon unheimlich genug. Die Geschichten, die man sich darüber erzählte, waren noch zehnmal unheimlicher.
Der schmale Pfad führte direkt auf den Sumpf zu. Die Gräser waren hoch und bogen sich im Wind, der über sie hinweg strich.
Ein gespenstisches Raunen lag über dem Gelände. Es schien vom Sumpf her zu kommen, klang irgendwie nach menschlichen Stimmen. Doch Neal Usting war sicher, dass sich zu dieser Stunde niemand mehr in dieser schaurigen Gegend herumtrieb.
Der Weg machte vor dem Moor einen scharfen Knick nach rechts und führte nun in einigen Windungen zum Dorf.
Dunkel lag das Moor da. Wie viele mochte es schon verschlungen haben?
Zahlreiche Menschen aus dem Dorf waren hier schon wegen ihrer Sorglosigkeit und Unachtsamkeit versunken. Niemand hatte sie jemals wieder gesehen.
Neal Usting blickte ängstlich nach der breiigen, schmutzigen Oberfläche des tödlichen Sumpfes. Luftbläschen stiegen hoch und platzten fast lautlos. Usting blieb verwirrt stehen. Hatte sich der Sumpf nicht eben bewegt? So als wäre jemand vor wenigen Augenblicken erst darin versunken.
Wieder platzten Bläschen. Diesmal mehrere zugleich. Und nun sah Usting ganz deutlich, dass sich die Oberfläche des Moors bewegte. Die breiige Masse warf Wellen, wurde unruhig, begann zu schaukeln.
Neal Usting schluckte benommen, während sich seine Augen erschrocken weiteten. Was sollte er davon halten?
War wirklich ein Lebewesen in den Sumpf gefallen? Ein Lebewesen, das sich nun verzweifelt herauszustrampeln versuchte und doch nur noch tiefer hineinsinken würde?
Die Nebelschwaden wurden zu hässlichen Geistern mit grinsenden Fratzen.
Usting wollte weitergehen, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Irgendetwas zwang ihn, auf die Stelle zu schauen, die unaufhörlich und immer schneller Blasen aufwarf.
Er dachte an seine Frau, dachte daran, dass er hier nicht bleiben durfte. Der Wind fuhr ihm ins heiße Gesicht und machte ihm noch mehr Angst.
Immer heftiger bewegte sich die Mooroberfläche.
Und plötzlich glaubte Neal Usting, den Verstand verloren zu haben.
Eine Hand tauchte aus dem Moor auf.
Eine weiße dünne Hand. Noch eine.
Noch eine. Viele Hände. Vierzehn Hände zählte er schließlich. Lange Krallen verjüngten sich an den zuckenden Fingern.
Mehr und mehr wuchsen die Hände aus dem Moor. Arme folgten. Schultern.
Dann folgten Köpfe. Sieben Köpfe. Und schließlich kamen sieben Körper zum Vorschein. Mädchenkörper.
Das Moor klebte an ihren Gestalten.
Ihre Gesichter waren bildhübsch. Meergrüne Augen funkelten Neal Usting böse an.
Der Mann schüttelte benommen den Kopf und wich ächzend vor den schrecklichen Erscheinungen zurück. Sie stanken nach Verwesung, obwohl sie jugendliche Gesichter hatten.
Wahnsinn! Es war wahnsinnig, was Usting da mit eigenen Augen sah.
Die sieben Hexen stiegen aus dem Moor. Der Schlamm fiel von ihnen ab. Sie kamen auf den entsetzten Mann zu, ohne dass ihre Füße den Boden berührten. Sie schwebten. Höhnisch grinsten sie ihn an.
Er wollte fortlaufen, doch sie hatten ihn mit ihrem Bann belegt. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr.
Die Hexen umringten ihn.
Ihr schrecklicher Modergeruch drehte ihm den Magen um. Er war nahe daran, sich zu übergeben, so penetrant stanken die Hexen nach Verwesung.
Sie schlossen den Ring immer enger um ihn. Usting starrte sie verzweifelt an.
Er wusste, dass er verloren war.
»Gnade!«, jammerte er händeringend, während der kalte Angstschweiß in Bächen über sein Gesicht floss. »Habt Mitleid mit mir!«
»Mitleid!«, kicherten die Hexen. »Mitleid? Was ist das? Wir kennen dieses Wort nicht!«
»Habt Erbarmen?«
»Erbarmen? Was heißt erbarmen?«
»Ich flehe euch an...«
»Du willst nicht sterben, wie?«, fragten die Hexen höhnisch.
»Nein! Nein! Lasst mich leben! Ich habe euch nichts getan!«
»Du wohnst in diesem Dorf!« Es klang wie eine schreckliche Anklage.
Usting fiel vor den Gespenstern auf die Knie und flehte, heulte und bettelte um sein Leben. Sein Gesicht war von grenzenloser Verzweiflung verzerrt. Klatschnass klebte das Haar an seinem Kopf.
»Leben! Ich will leben!«
»Er will leben!«, schrien die Hexen schrill durcheinander und kicherten amüsiert. Sie weideten sich an der Angst ihres Opfers.
Sie streckten ihm geifernd ihre Krallen entgegen. Schreiend wich er vor ihnen zurück, doch die Bestien standen auch hinter ihm. Als ihn mehrere Hexenhände berührten, glaubte er, einen elektrischen Schlag bekommen zu haben.
»Gnade!«, wimmerte er verzweifelt.
»Du willst nicht sterben!«, schrien die Hexen aufgeregt.
Er schaute in panischer Angst zu ihnen auf und schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Du weißt, dass du verloren bist, nicht wahr?«
»Gnade! Gnade!«, winselte Usting.
»Wir schenken dir dein schäbiges Leben, wenn du uns einen Dienst erweist!«
»Einen Dienst?«, fragte Neal Usting schnell. Das war die Rettung. »Ja! Ja!«, schrie er. »Jeden Dienst. Ich erweise euch jeden Dienst, wenn ihr mich leben lasst!«
»Gut!«, kicherten die stinkenden Hexen.
»Was soll ich tun?«
»Du gehst jetzt ins Dorf...«
»Ja.«
»Du gehst zu Tony Ballard.«
»Ja.«
»Du gehst zu ihm und bringst ihn hierher, verstanden?«
»Ja! Ja! Ja!«
»Wenn du bis Mitternacht immer noch nicht zurückgekehrt bist, kommen wir in dein Haus, um dich zu töten.«
»Ich werde zurückkommen. Ganz bestimmt. Ja, ich werde zurückkommen! Ihr könnt euch auf mich verlassen!«
»Du musst mit Tony Ballard hier herkommen! Wenn du ohne ihn kommst stirbst du ebenfalls!«
»Ich werde mit ihm kommen«, nickte Neal Usting aufgeregt. »Habt Dank für die Gnade! Dank! Dank!«
Die Hexen traten zurück. Neal Usting sprang hastig auf die Beine. Durfte er nun gehen? Würden sie ihn ziehen lassen, ohne ihn zu behelligen? Er wagte nicht den ersten Schritt zu machen.
»Geh jetzt!«, sagten die Hexen scharf.
Er begann zu rennen, schaute sich nicht um, rannte mit brennenden Lungen so lange, bis er das Dorf erreicht hatte.