Читать книгу 11 fantastische Horror-Romane zum Fest - A. F. Morland - Страница 103
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Als der Tag anbrach, schlug Tony Ballard die Augen auf. Grenzenloses Erstaunen legte sich in seine Züge. Erstaunen darüber, dass er noch lebte. Erstaunen aber auch darüber, dass er nicht draußen im Moor, sondern in Vicky Bonneys Schlafzimmer lag.
Ein schmerzendes Brummen lähmte immer noch einen Teil seines Verstandes.
Sein ganzer Körper schmerzte schrecklich. Er hatte wahnsinnigen Durst, und seine Zunge klebte förmlich am Gaumen.
Ächzend richtete er sich im Bett auf.
Er trug seine weiße Unterwäsche.
Verdattert stellte er fest, dass sein Körper keine einzige Schramme aufwies. Wie war das möglich? Er konnte sich ganz deutlich an jenes schreckliche Erlebnis erinnern. Die Hexen hatten ihn mit ihren glühenden Ruten so lange geschlagen, bis er zusammengebrochen und ohnmächtig geworden war. Die wahnsinnigen Schmerzen steckten immer noch in seinen Gliedern. Aber äußerlich wies sein Körper keine einzige Verletzung auf. Niemand würde ihm wohl glauben, wenn er erzählte, was ihm dort draußen widerfahren war. Er konnte es mit nichts beweisen.
Die Tür öffnete sich.
Tony warf noch schnell einen Blick auf den Stuhl, der neben dem Bett stand.
Hier hatte Vicky seine Kleider sorgfältig über die Lehne gelegt. Das Hemd, die Jacke, die Hose, alles war unversehrt, so als hätten die Hexen niemals seine Kleider mit ihren scharfen Krallen aufgeschlitzt und ihm vom Leib gerissen.
War er verrückt? Hatte er sich das alles nur eingebildet? Woher kamen aber dann die furchtbaren Schmerzen, die ihn peinigten?
Vicky trat ein, um nach ihm zu sehen.
Als sie sah, dass er wach war, kam sie mit besorgtem Blick auf ihn zu.
»Du machst vielleicht Sachen, Tony!«
»Wieso?«
Vicky setzte sich auf die Bettkante und streichelte gefühlvoll sein Gesicht. Tränen schimmerten in ihren Augen.
»Weißt du nicht mehr, was passiert ist, Tony?«
»Nein«, log er, um zu erfahren, was nach seiner Ohnmacht geschehen war.
»Du kennst doch Bill Warren...«
»Ja.«
»Der Köhler hat dich im Moor gefunden. Bewusstlos. Was hattest du dort zu suchen? Wieso warst du ohnmächtig, Tony? Bist du nicht ganz gesund? Gibt es irgendetwas, das du mir bisher verheimlicht hast?«
Ballard schaute sein Mädchen nachdenklich an. Er überlegte, ob er ihr erzählen sollte, was er erlebt hatte.
Würde sie ihm glauben?
Würde sie ihn verstehen können? Wohl kaum.
»Wieso warst du in der Nacht im Moor, Tony?«, fragte Vicky besorgt.
»Neal Usting hat mich in eine Falle gelockt.«
Vicky erschrak.
»Was hat Usting mit dir zu schaffen, Tony? Warum hat er dich in eine Falle gelockt? In was für eine Falle?«
Ballard begann stockend zu erzählen.
Er berichtete in chronologischer Reihenfolge, ließ nichts aus, erzählte sachlich, mit ernstem Gesicht und versuchte die unglaubliche Geschichte so vorzubringen, dass Vicky sie glauben konnte.
Sie glaubte ihm nicht.
Er sah es an ihrem zweifelnden Blick.
Sie schaute ihn besorgt an, strich ihm das Haar aus dem Gesicht und bat ihn, sich zu beruhigen, obwohl er sich nicht aufgeregt hatte. Sie schien zu befürchten, dass sich sein Geist verwirrt hatte.
Mit salbungsvollen Worten redete sie auf ihn ein.
»Hör auf, mich wie einen Verrückten zu behandeln!«, fuhr Tony sie gereizt an.
Vicky zuckte erschrocken zurück.
»Dr. Williams war heute Nacht hier, Tony. Er hat dich untersucht. Ich habe ihn hierher gebeten, nachdem dich der Köhler zu mir gebracht hatte. Ich war so unglücklich, so besorgt, so ratlos.«
»Der Arzt hat mich untersucht?«
»Ja.«
»Was hat er festgestellt?«
»Eine schwere Erschöpfung.«
»Sonst nichts?«
»Nein, Tony. Sonst nichts.«
»Was hat er weiter getan?«
»Er hat dir eine Spritze gegeben.«
»Und?«
»Er wird im Laufe des Vormittags wieder nach dir sehen.«
Tony zog ärgerlich die Mundwinkel nach unten.
»Den Weg kann er sich sparen.«
Vicky schaute ihn erschrocken an.
»Willst du etwa aufstehen, Tony?«
»Natürlich.«
»Nach dieser tiefen Ohnmacht? Nach dieser schweren Erschöpfung? Du musst dich schonen. Du musst zumindest noch vierundzwanzig Stunden im Bett bleiben.«
»Kommt nicht in Frage!«, knurrte Tony Ballard eigensinnig. Er warf die Decke zurück, ließ die Beine aus dem Bett rutschen, stand auf... und brach stöhnend zusammen.
»Tony!«, rief Vicky bestürzt. Sie schnellte von der Bettkante hoch und half ihm beim Aufstehen. Sie stützte ihn und half ihm, wieder ins Bett zu kommen.
»Warum bist du nur immer so schrecklich eigensinnig?«, fragte sie vorwurfsvoll. »Du kannst in deinem Zustand keine Bäume ausreißen. Finde dich damit ab. Denkst du, Dr. Williams gibt seine Anordnungen zum Scherz?«
»Okay, okay. Ich bleibe im Bett!«, keuchte Tony wütend. Seine Wut richtete sich nicht gegen Vicky. Ihr war er dankbar, dass sie sich um ihn kümmerte, dass sie ihn pflegte, dass sie sich um ihn sorgte. Er war wütend auf den kraftlosen Zustand, auf die Schmerzen, die unter seiner Haut brannten und schuld an seiner Entkräftung waren.
Vicky machte ihm ein leichtes Frühstück. Dann verabschiedete sie sich. Sie musste in die Bibliothek gehen.
Tony ließ sich von ihr noch das Telefon bringen und auf den Nachttisch stellen.
Als sie gegangen war, rief er die Polizeistation an und schickte einige Männer zum Moor hinaus. Sie sollten Neal Ustings Leichnam dort draußen suchen und ihm später Meldung machen.
Dr. Williams kam, wie angekündigt.
Der Mann stand kurz vor der Pensionierung, sprühte aber trotzdem vor Tatendurst, Vitalität, Humor und Nächstenliebe. Für ihn war das Arztsein kein Beruf, sondern eine Berufung.
Williams befragte Tony nach dem Grund für seine Erschöpfung. Ballard belog ihn. Was hätte er dem Arzt sagen sollen? Die Wahrheit? Die hätte er nicht verstanden. Deshalb sprach der junge Inspektor von Überarbeitung, von zu vielen Aufgaben, die auf seinen Schultern lasteten... Er erzählte den Quatsch, den jeder in einem solchen Fall erzählt hätte und den jeder Mensch verstehen konnte.
Kein Wort von Usting. Kein Wort von den Hexen. Von denen schon gar nicht.
Dr. Williams ließ Tony verschiedene Tabletten da. Er sagte ihm genau, wie und wie oft und wann er sie einnehmen sollte, kündigte seinen nächsten Besuch für den nächsten Vormittag an und verließ dann Vicky Bonneys Haus.
Tony nahm die Tabletten. Wenn sie nichts nützten – schaden konnten sie keinesfalls.
Da ihm jede Bewegung wehtat, drehte er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Seite und versuchte zu schlafen.
Das Schrillen des Telefons ließ ihn erschrocken hochfahren. Mit zusammengepressten Zähnen griff er nach dem Hörer.
»Ja?«
»Wir waren draußen beim Moor, Sir, wie Sie es angeordnet haben«, sagte Sergeant Goody. »Wir hatten die Hunde dabei.«
»Und?«
»Nichts Sir.«
»Keine Spur von Neal Usting?«
»Nein, Sir.«
»Wart ihr bei seiner Frau?«
»Ja, Sir. Sie sagt, ihr Mann hätte die Tochter im Nachbardorf besucht, sei von der Tochter so gegen Abend weggegangen, sei aber nicht nach Hause gekommen. Die Frau macht sich verständlicherweise Sorgen.«
»Sie wird ihren Mann nicht mehr wieder sehen« sagte Tony Ballard. Er sagte es leise. Die Worte waren eigentlich nur für ihn bestimmt.
»Wie bitte, Sir?«
»Ach, nichts«, sagte der Inspektor. »Ich kann mich doch darauf verlassen, dass ihr die Gegend gründlich abgesucht habt?«
»Aber natürlich, Sir. Wir haben hinter jeden Grashalm geguckt. Wie kommen Sie auf die Idee, dass Usting dort draußen...«
»Eine anonyme Information!«, log Ballard schon wieder. Er wusste im Augenblick keinen anderen Ausweg.
»Ach so«, meinte Sergeant Goody.
»Nun, man weiß ja aus Erfahrung, was von solchen anonymen Anrufen zu halten ist.«
»Nachgehen muss man ihnen trotzdem.«
»Das ist klar, Sir.«
Tony bedankte sich für den Anruf und wollte auflegen.
Da rief Sergeant Goody: »Sir!«
»Ja?«
»Sir...« Goody wusste nicht recht, wie er beginnen sollte.
»Was ist denn, Sergeant?«
»Na ja... Es ist doch bestimmt kein Wunder, wenn man in einem Dorf wie diesem abergläubisch ist ...«
»Ich verstehen nicht, Sergeant Goody!«
»Vorhin bin ich Mr. Bennett begegnet.«
»Meinen Sie den Tankstellenpächter?«
»Ja, Sir. Mr. Norton Bennett.«
»Was ist mit ihm?«
Sergeant Goody räusperte sich laut.
»Er hat mir eine recht seltsame Geschichte erzählt, Sir.«
»Was für eine Geschichte denn?«
»Mir fällt es selbstverständlich schwer, zu glauben, was Bennett sagt – andererseits... Wenn man bedenkt, was Van Hall und Ross Kane zugestoßen ist ...«
»Sagen Sie, Sergeant, können Sie nicht klar und deutlich sagen, was Bennett Ihnen erzählt hat?«, brauste Tony ungeduldig auf.
»Doch, Sir. Doch.«
»Warum, zum Henker, tun Sie es dann nicht?«
Wieder räusperte sich Goody geräuschvoll.
»Also, Bennett will sieben Hexen über das Dorf fliegen gesehen haben. Auf glühenden Besen. Ich sagte ihm, er müsse geträumt haben. Er sagte, er wäre hellwach gewesen. Darauf meinte ich, vielleicht hätte er zu tief ins Glas geguckt. Darauf er: Nein, das wäre nicht der Fall gewesen. Keinen Tropfen hätte er gestern Nacht getrunken. Sieben Hexen hat er gesehen, Sir. Doch damit nicht genug. Die Hexen, die mehrmals über seiner Tankstelle gekreist sein sollen, hatten einen Menschen bei sich. Einen Mann. Sir... Norton Bennett schwört Stein und Bein, dass dieser Mann Neal Usting gewesen ist!«