Читать книгу 11 fantastische Horror-Romane zum Fest - A. F. Morland - Страница 88
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Man schrieb bereits das Jahr 1974.
Inspektor Ballard befand sich im Haus des Weinhändlers Van Hall.
Hall war habgierig, geizig, dick und hatte ein tomatenrotes Gesicht. Er war kurzatmig und japste heftig nach Luft, wenn er aufgeregt war.
Im Augenblick glühte er geradezu vor Aufregung.
»Zwei Fässer hat man mir gestohlen, Inspektor Ballard. Vom besten Wein seit vielen Jahren. Ich verlange, dass Sie die Diebe fassen.«
Tony Ballard schlug lächelnd die Beine übereinander.
»Es ist Ihr gutes Recht, das zu verlangen, Mr. Hall. Aber es steht auf einem anderen Blatt, ob ich Ihren Wunsch auch tatsächlich zu erfüllen in der Lage bin.«
»Na, hören Sie!«, brauste Van Hall ärgerlich auf. »Sie sind dazu da...«
»Aber ja. Ich bin für alle Leute im Dorf da, Mr. Hall. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich nichts für Sie tun will. Es fragt sich nur, ob ich auch wirklich etwas für Sie tun kann.«
»Lassen Sie doch die Wortspielereien, Inspektor. Ich kann nicht, heißt, ich will nicht.«
»Da muss ich Ihnen leider widersprechen. Wir haben keinerlei Anhaltspunkte...«
»Ich habe Ihnen doch den Keller gezeigt.«
»Und was habe ich da gesehen?«
»Dass die beiden Fässer fehlen.«
»Ich habe in Ihrem Keller lediglich einen leeren Fleck gesehen, wo Fässer in der Größe, wie Sie sie beschrieben haben, Platz hätten. Das ist ein großer Unterschied, Mr. Hall.«
»Was wollen Sie damit sagen, Inspektor Ballard?«
Tony grinste.
»Ich will damit lediglich sagen, dass ich die Fässer nie gesehen habe. Ich muss Ihnen glauben, dass sie da gestanden haben...«
»Also, ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll, Inspektor. Sie reden so, als glaubten Sie, ich würde Sie belügen.«
Tony Ballard zuckte die Achseln.
»Ich habe nichts dergleichen behauptet.«
»Man kann es zwischen den Worten hören.«
»Die Fässer waren doch bestimmt versichert, nicht wahr, Mr. Hall?«
»Klar. Heutzutage darf man kein Risiko eingehen.«
»Wenn Sie wollen, dass die Versicherung das Geld rausrückt, müssen Sie also Anzeige erstatten.«
»Das habe ich getan.«
»Damit ist aber nicht bewiesen, dass die Fässer auch tatsächlich gestohlen wurden.«
Hall explodierte beinahe vor Zorn.
»Unterstellen Sie mir etwa, dass ich die Fässer beiseite geschafft habe, um die Versicherung zur Kasse zu bitten, Inspektor Ballard?«
»Das unterstelle ich Ihnen selbstverständlich nicht, Mr. Hall. Das wäre nämlich glatter Betrug, und für einen Betrüger halte ich Sie keinesfalls.«
»Was soll das Gerede also?«
»Ich wollte Ihnen nur beweisen, dass ich mir über diese Sache so meine Gedanken mache, Mr. Hall. Falls die Fässer irgendwann mal auftauchen sollten, rufen Sie mich an, damit ich die Ermittlungen stoppen kann, ja?«
»Falls die Fässer auftauchen sollten, werde ich anrufen, Inspektor Ballard!«, knurrte Van Hall mit zusammengekniffenen Augen. »Ich würde Ihnen aber nicht empfehlen, die Hände in den Schoß zu legen und auf diesen Anruf zu warten.«
»Sondern?«
»Ich würde Ihnen empfehlen, Ihre Pflicht zu tun, Inspektor. Sonst werde ich Mittel und Wege finden, Sie zu zwingen, dass Sie diesem Diebstahl nachgehen. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt, Inspektor Ballard.«
Tony nickte gleichmütig.
»O ja. Das haben Sie. Darf ich einer Hoffnung Ausdruck geben, Sir? Ich hoffe, Sie denken nicht, Sie hätten mir jetzt Angst gemacht, denn da befänden Sie sich gewaltig auf dem Holzweg. Guten Tag.«
Tony Ballard verließ das Haus des Weinhändlers. Er hatte den Mann noch nie gemocht. Nun, da er aufsässig wurde, wurde er ihm richtiggehend widerlich.
Für Ballard war klar, dass Van Hall hier einen raffinierten Versicherungsbetrug abwickelte. Der Weinhändler hatte schon mal solche Drehs gemacht. Mit Erfolg. Deshalb versuchte er es nun erneut, obwohl ihm die versicherten Weinfässer kaum viel Geld einbringen konnten. Es war eben namenlose Gier und der penetrante Geiz, die Van Hall zu solchen Machenschaften verleiteten.
Als Tony die Haustür hinter sich zugeknallt hatte, sprang Van Hall auf und lief zum Fenster.
Er schaute dem Inspektor nach.
Ballard ging die Dorfstraße entlang, grüßte einige Leute, sprach mit einer alten Frau und verschwand dann hinter einem Haus.
Van Hall grinste.
»Es wird klappen. Klar wird es klappen. Er wittert zwar etwas, aber er kann nichts beweisen. Er muss mir glauben, was ich sage. Die Versicherung muss es mir auch glauben, und muss den Zaster ausspucken.«
Kichernd rieb sich Hall die fleischigen Hände. Er fuhr sich über das rote Gesicht, wandte sich vom Fenster ab und begab sich in seinen Weinkeller.
Schwerfällig stieg er die Steinstufen hinunter. Er machte Licht. Links und rechts bildeten große und kleine Weinfässer ein Spalier. Dazwischen waren Zweiliterflaschen zu einem wahren Berg aufgeschichtet.
Ein Vermögen lagerte in diesem Keller.
Stolz stapfte Van Hall durch sein Reich. Ganz hinten, am Ende des Kellers, war Platz für zwei Fässer. Für die gestohlenen Fässer. Grinsend ging Van Hall darauf zu.
Ein schriller Pfiff ließ ihn erschrocken zusammenzucken.
Was war das gewesen?
Es hatte sich angehört wie der Pfiff einer Ratte. Doch konnten Ratten so laut und so schrill pfeifen?
Hall schüttelte unwillig den Kopf.
Blödsinn. In seinem Weinkeller gab es keine Ratten, dafür hatte er gesorgt. Er hasste diese Tiere. Deshalb hatte er alle Rattenlöcher ausgeräuchert, hatte sie mit Beton zugegossen, hatte zusätzlich Rattenfallen aufgestellt und überall Rattengift ausgelegt.
Hier konnte es keine Ratten geben.
Er ging weiter.
Wieder ein schriller Pfiff. Unwillkürlich fuhr Van Hall herum. Er kniff die Augen zusammen und lauschte angestrengt, während er den Atem anhielt.
Nichts.
Was waren das für Pfiffe? Wer stieß sie aus? Tiere? Menschen?
»Ist da jemand?«, fragte Hall nervös.
Ängstlich stand er da. Unschlüssig. Er wusste nicht, ob er weitergehen oder lieber umkehren und den Keller verlassen sollte.
Es war ihm hier unten auf einmal nicht geheuer.
»Ist da jemand?«
Er bekam keine Antwort.
Aufgeregt ließ er seine rosige Zunge über die trockenen Lippen huschen. Sein rotes Gesicht wurde dunkler. Angst schlich sich in seine Brust und krallte sich mit eiskalten Fingern um sein Herz.
»Ist da... jemand?«
Sein Blick fiel auf eine Eisenstange. Er griff sofort nach ihr. Solcherart bewaffnet, fasste er wieder einigen Mut.
Furchtsam ging er weiter.
Da entdeckte er sie. Ein furchtbarer Schreck fuhr ihm in die Glieder. Angewidert verzog er das Gesicht. Würgender Ekel zwängte sich in seinen Hals.
Sieben fette Ratten saßen da, wo die beiden Fässer gestanden hatten.
Ratten, die viel größer waren als gewöhnliche Nager. Ihre Augen funkelten feindselig. Sie reckten Hall ihre spitzen Schnauzen entgegen und bleckten die langen, ekelhaft gelben Zähne, während sich ihr Fell zu sträuben begann.
Van Hall starrte angewidert auf die Nagetiere, deren Krallen messerscharf waren.
Zorn packte Van Hall.
Ratten in seinem Weinkeller. Das durfte es nicht geben. Noch dazu solche Brocken.
Mit einem wütenden Schrei lief er auf die hässlichen Tiere zu. Er schwang die Eisenstange über dem Kopf. Es hätte ihm zu denken geben müssen, dass die Tiere vor ihm keinen Zoll zurückwichen.
Ihr dunkelgraues, fast schwarzes Fell sträubte sich mehr und mehr. Sie schienen in dieser Sekunde noch größer zu werden. Ihre Nagezähne zuckten nervös, und ihre Augen waren starr auf den anstürmenden Mann gerichtet.
Als Van Hall sie erreicht hatte, schlug er zu.
Die schwere Eisenstange sauste auf eines der Tiere herab.
Die riesige Ratte machte einen wilden Sprung nach vorn und hackte ihre langen Zähne blitzschnell in Halls Bein.
Der Mann stieß einen heiseren Schmerzensschrei aus.
Pfeifend und quietschend sprangen ihn nun die anderen Ratten an. Sie sprangen ihm ins Gesicht, bissen ihn in die Arme, verbissen sich an seinem Hals, schnellten an ihm hoch und schlugen ihm immer wieder kraftvoll die langen hässlichen Zähne ins Fleisch.
Schon nach dem zweiten Biss hatte Van Hall die Eisenstange fallen lassen.
Brüllend tanzte er jetzt wild um die eigene Achse, schlug angewidert mit den Armen um sich, strampelte mit den Beinen und versuchte die schrecklichen Biester wild abzuschütteln. Verzweifelt wehrte er ihre ungestümen Angriffe ab.
Er blutete bereits aus unzähligen Wunden. Die Tiere sprangen ihn immer wieder von neuem an. Sie kletterten auf die umstehenden Weinfässer und sprangen ihm von da mitten ins Gesicht. Sie zerkratzten ihm mit ihren scharfen Krallen die Wangen, die Stirn, bissen ihn in die Nase.
Heulend drehte sich Van Hall verzweifelt im Kreis. Plötzlich begann er zu rennen.
Zwei Ratten hatten sich in seinem fetten Bauch verbissen. Er schlug schreiend nach ihnen. Die eine fiel herab.
Er packte den Leib der anderen. Abscheuliche Übelkeit würgte ihn, als er das scheußliche Fell des Tieres berührte. Er packte die Ratte und riss sie von sich weg.
Ein heftiger Schmerz durchraste seine Körpermitte. Er hatte sich mit dem Tier ein Stück Fleisch aus dem Bauch gerissen.
Entsetzt schleuderte er den Nager gegen die Wand. Dann keuchte er die Kellertreppe hoch. Die Ratten verfolgten ihn quietschend und pfeifend. Sie bissen ihn in die Füße, bissen ihn in die Waden, sprangen ihm in den Rücken.
Er schüttelte sich, stürmte die Treppe schnaufend hoch, rannte schreiend aus dem Haus, durch den Garten, sprang über den niedrigen Zaun, der sein Grundstück von dem des Nachbarn trennte. Er glitt auf dem Rasen aus und fiel hin.
Schon waren die schrecklichen Ratten über ihm. Sie fielen über ihn her, bissen immer wieder zu. Kreischend schlug er um sich. Er wälzte sich auf dem Boden hin und her, schrie, schrie, schrie!
Blutüberströmt und halb blind vor Angst gelang es ihm, noch einmal auf die Beine zu kommen. Röchelnd rannte er auf die Terrasse des Nachbarhauses zu.
Eben trat Peter Young, der Nachbar, aus dem Gebäude.
»Hilfe!«, schrie Van Hall in höchster Bedrängnis. »Hilfe, Peter!«
Young handelte schnell.
Er erfasste die Situation zum Glück mit einem einzigen Blick.
Der schwere Van Hall kam angeschnauft und fiel ihm erschöpft und erledigt in die Arme.
Young fing ihn auf und schleppte ihn in rasender Eile in sein Haus. Er schleuderte die Terrassentür zu und sperrte die sieben Riesenratten damit aus.
»Peter...«
»Schon gut, Van!«
»Peter...«
»Du bist in Sicherheit, Van!«
»Die Ratten...«
»Sie können dir nichts mehr anhaben, Van!«
»Erschieße sie, Peter! Erschieße sie!«
Young holte eine schwere handgearbeitete Flinte aus dem Gewehrständer. Er lud die beiden Läufe mit Schrotpatronen.
Die Ratten hockten frech auf den kalten Steinen der Terrasse und starrten mit gefährlich funkelnden Augen auf die geschlossene Tür. Ihre spitzen Schnauzen waren mit Blut besudelt. Ihr Fell war ebenfalls mit Van Halls Blut verklebt.
Einen Augenblick lang zögerte Peter Young.
Er war ein hagerer Mann mit knorrigen Armen. Sein Gesicht war das eines Asketen. Sein Haar war schwarz. Silberne Fäden durchzogen es.
Er griff nach der Türklinke.
Seine Backenmuskeln spannten sich.
Er empfand furchtbaren Ekel vor diesen Tieren, die so groß waren, dass man sie fürchten musste. Young hätte es nicht für möglich gehalten, dass es so große Ratten gab.
Entschlossen hob er die Schrotflinte.
Knapp hintereinander feuerte er zweimal auf die Biester. Die Schüsse kamen brüllend aus dem Gewehr. Zweimal kurz hintereinander verspürte Peter Young den kraftvollen Rückschlag der Waffe.
Pulverdampf legte sich ätzend auf die Schleimhäute.
Da drohte Peter Young ein furchtbarer Schrecken umzuwerfen. Die sieben hässlichen Ratten waren verschwunden.
Deutlich war zu sehen, wo die Schrotladungen eingeschlagen hatten. Doch keines der Tiere war verletzt worden. Sie schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.
Plötzlich hörte Young über sich ein wildes Brausen.
Und dann schien ihn ein vielstimmiges fürchterliches Gelächter zu verhöhnen und zu verspotten.
Entsetzt ließ er das Gewehr sinken. Er wusste, was das zu bedeuten hatte.
Die sieben Hexen vom Galgenbaum.
Sie waren in das Dorf zurückgekehrt.