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Der Sieger Simen Agdestein

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Der 1967 geborene Simen Agdestein ist ein außerordentliches Sporttalent. Als Zwölfjähriger gehörte er zu den besten 800-Meter-Läu-fern Norwegens. Gleichzeitig war er ein ausgezeichneter Skiläufer. Mit elf Jahren begann er ernsthaft, Schach zu spielen, und als Sechzehnjähriger gewann er bei einem Turnier im norwegischen Gjøvik gegen Exweltmeister Boris Spasski. Eine Sensation. Der Junge hatte unerklärliche Fähigkeiten. Mit achtzehn Jahren errang er als damals jüngster Spieler der Welt den Großmeistertitel.10 Bei der Weltmeisterschaft der Junioren erreichte er den zweiten Platz, doch damit nicht genug: Simen Agdestein war der einzige Schachspieler mit Weltklasseniveau, der auch in einer Fußballnationalmannschaft spielte. Leider bekam er Knieprobleme und musste sich einer Operation unterziehen. Die Operation misslang, und Simen Agdestein musste im Alter von zweiundzwanzig Jahren seine Fußballkarriere beenden.

Die meisten Beobachter waren der Ansicht, er würde nun ein noch besserer Schachspieler werden, da er mehr Zeit hätte, sich darauf zu konzentrieren. Doch nach der missglückten Operation begann für Simen Agdestein eine traumatische Phase seines Lebens, er bekam Atemprobleme und war anderthalb Jahre krankgeschrieben. »Diese Zeit war ein gelebter Albtraum«, sagt er. »Ich verstand nicht, was mit mir passierte. Ich musste mich zusammenreißen, um wieder auf die Beine zu kommen, aber im Grunde fühle ich mich seit damals nicht mehr richtig gesund.«

Die große Frage für Simen Agdestein lautete nicht, ob er Fußball oder Schach spielen konnte. Für ihn ging es in erster Linie darum, gesund zu werden. Er fing wieder an, Schach zu spielen, aber er erreichte nicht mehr die Form wie vor der Operation; und es dauerte mehrere Jahre, bis er das Gefühl hatte, wieder auf hohem Niveau Schach spielen zu können. Als Fußball-Nationalspieler und einer der weltbesten Schachspieler war Simen Agdestein in Norwegen unglaublich populär. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein ganzer Haufen Jugendlicher Schlange stand, um ein Autogramm von ihm zu bekommen. Nach seiner Fußballkarriere gelang es ihm jedoch nicht, sein hohes Rating als einer der besten Schachspieler der Welt zu halten. Als Schachlehrer und Organisator machte er aber weiterhin auf sich aufmerksam. Und zweifellos waren seine Lehrmethoden sehr gut für Magnus: »Mir war wichtig, dass ich in Magnus nichts zerstöre, sondern das Talent zur Blüte bringe.«

Im Gegensatz zu den strengen und detaillierten Unterrichtsmodellen, die man von osteuropäischen Schachschulen kennt, ging es bei Agdestein eher lustbetont zu. Spaß zu haben war das Wichtigste. Diese Trainingsform ist umstritten, aber für Magnus war sie perfekt.

»Viele Trainingseinheiten waren kaum vorbereitet, aber ich hatte eine Vision und einen Plan, wie ich ihn zum weltbesten Schachspieler mache«, sagt Simen Agdestein. Diese spielerische, spontane und lebenslustige Trainingsmethode war einzigartig. Trotzdem musste Magnus wie alle anderen Schachspieler auf dem NTG (Norges Toppidrettsgymnas), dem führenden Sportgymnasium Norwegens, ein Programm absolvieren, in dem ihm auch Kenntnisse der Schachtheorie beigebracht wurden. Nach seiner Grundschulzeit ging Magnus auf das NTG in Oslo, dort hatte Simen Agdestein den Schachzweig eingeführt und unterrichtete auch selbst.

Im Mai 2014 gelang ihm bei dem stark besetzten Norway-Chess-Turnier in Stavanger ein Comeback. Dort trat er gegen neun Spieler der Weltelite an. Es gab eine Reihe skeptischer Stimmen wegen seiner Teilnahme, viele meinten, der Unterschied zwischen der Weltspitze und einem längst abgetretenen Schachspieler, der nicht einmal mehr zu den hundertfünfzig weltbesten Spielern gehörte, sei zu groß. Vor der Teilnahme musste sich Simen Agdestein gegen Norwegens zweitbesten Spieler, Jon Ludvig Hammer, qualifizieren. Agdestein gewann. Dennoch hatte auch er Zweifel an der Richtigkeit seiner Teilnahme: »Es wäre normal gewesen, Jon Ludvig einzuladen. Er spielt wirklich professionell und engagiert Schach. Aber dann kam ich auf die Idee, ein kleines Comeback zu versuchen. Den Glauben an die eigenen Fähigkeiten hatte ich nie verloren, und ich hatte auch keine Angst, gegen die anderen anzutreten. Kurz vor Beginn des Turniers fand ich dann mit GM Jewgeni Romanow einen ausgezeichneten Sekundanten, mit dem die Zusammenarbeit gut funktionierte.«

Mit seinem russischen Sekundanten überraschte er alle – nur nicht sich selbst. Judit Polgár, die weltbeste Spielerin, reagierte so: »Simen Agdesteins Partien und seine Ergebnisse in Stavanger waren fast unglaublich.« Romanow, der damals halb so alt war wie sein Schützling, war ebenfalls beeindruckt: »Simen liebt Schach. Das war der Hauptgrund, warum er so gut spielte.«

Simen Agdestein, der sich über zwanzig Jahre lang nicht mehr mit der Weltelite gemessen hatte, war mit den anderen auf Augenhöhe. Er erreichte in neun Runden 3,5 Punkte; in einigen Partien hätte er mehr als ein Remis erreichen können, ja müssen, allerdings übersah er einige recht einfache Gewinnzüge. Kurz vor Schluss lag er auf einem ausgezeichneten Platz im Mittelfeld, da er aber in den letzten beiden Runden leer ausging, landete er in der Schlusstabelle ganz unten. Exweltmeister Vishy Anand, der als einziger Top-Spieler nicht an dem Turnier teilgenommen hatte, war ebenfalls überrascht. »Große Leistung von Simen«, kommentierte der ehemalige Weltmeister.

Dank guter Vorbereitung kam Simen oft besser aus der Eröffnung als seine Gegner. Mit Hilfe seines Sekundanten, der rund um die Uhr für ihn arbeitete, erspielte er sich aussichtsreiche Stellungen. Nach den ersten zehn, fünfzehn Zügen war Agdestein klar, dass er den Vergleich mit den Weltstars nicht scheuen musste. Mit großem Vertrauen in die eigenen Kräfte und seine überragenden Rechenfähigkeiten war Simen Agdestein nahe dran, für eine kleine Schachsensation zu sorgen. Allerdings gelingen Sensationen in der Realität eher selten. Dennoch bestand kein Zweifel, dass Simen Agdestein noch immer auf Weltklasseniveau spielen konnte.

Einige Monate später trat er für den Osloer Schachklub Oslo Schachselskap beim Europacup der Vereinsmannschaften in Bilbao an. Dort gewann er gegen den Bulgaren Wesselin Topalow, der zu diesem Zeitpunkt auf Platz 3 der Weltrangliste geführt wurde.

Magnus Carlsen. Das unerwartete Schachgenie

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