Читать книгу Schuldig - Aaron Holzner - Страница 11
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ОглавлениеLea und Rene machten sich auf den Weg zu der Arbeitsstelle von Frau Müller, einer Versicherungsagentur. Sie glaubten den Täter oder zumindest das Tatmotiv im persönlichen Umfeld von ihrem Opfer zu finden. Der Mord schien persönlich motiviert und nicht eine Tat im Affekt. Einen Raubmord konnten sie zwar nicht vollständig ausschließen, da bei der Frau keine persönlichen Sachen aufgefunden worden waren. Doch warum sollte der Täter in diesem Fall noch mehrmals auf sie einstechen.
Die frühere Klassenkameradin von Frau Müller hatte so gut wie nichts über die heutigen Lebensumstände ihres Opfers gewusst, daher hofften sie in ihrem Büro mehr Glück zu haben. Sie hatten den Chef Herrn Deubner kurz telefonisch über ihr Kommen informiert, dabei aber noch nicht den Grund erwähnt. Als die Sekretärin sie angemeldet hatte, führte Herr Deubner sie persönlich in sein Büro.
„Mordkommission, mein Name ist Rene Kettler, meine Kollegin Lea Burckhardt“, stellte sich Rene kurz vor.
„Richard Deubner. Sie sehen mich überrascht. Ich wurde in meinem Beruf natürlich schon mit dem Tod konfrontiert, allerdings nicht im Rahmen einer Mordermittlung. Ich hoffe, dass es sich um keinen unserer Kunden handelt.“
„Ehrlich gesagt, geht es um eine Ihrer Mitarbeiterinnen, Christina Müller, um genau zu sein. Haben Sie sie noch gar nicht vermisst?“
„Nein, warum soll ich sie vermisst haben? Frau Müller hat Urlaub, wir erwarten sie erst nächste Woche zurück. Ihr ist doch hoffentlich nichts zugestoßen! Oder wurde sie in irgendetwas verwickelt?“
„Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Angestellte einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist“, erklärte Lea.
„Zum Opfer? Sie meinen doch nicht etwa, dass … Ich wollte sagen, dass sie tot ist?“
„Leider ja. Wir bedauern Ihren Verlust.“
„Das ist allerdings ein Verlust. Frau Müller war eine so lebenslustige Person, bei allen beliebt. Und ihre Arbeit hat sie immer vorbildlich ausgeführt.“
„Sie sagten eben, dass Frau Müller hoffentlich in nichts verwickelt wurde“, sagte Rene. „Was meinten Sie damit?“
Der Chef von Frau Müller putzte bedächtig seine Brille. Nach einiger Zeit fragte er: „Entschuldigung, ich muss das erst einmal verarbeiten. Was haben Sie eben gesagt?“
„Sie sprachen davon, dass Frau Müller in irgendetwas verwickelt sein könnte.“
„Oh nein, sie hat uns nie Ärger bereitet. Ich habe nur gedacht, weil Sie hier sind, dass etwas vorgefallen ist. Heutzutage muss man vorsichtig sein, wie schnell gerät man zwischen die Fronten. Doch ich sollte nicht so viele Worte verlieren, ich weiß ja gar nicht, was genau ihr zugestoßen ist. Ich will nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen. Frau Müller ist eine vorbildliche Angestellte. Verzeihen Sie mir, war. Und Sie sind sich wirklich ganz sicher?“
„Ja, sie wurde wiedererkannt. Nun ermitteln wir im Umfeld, um ein mögliches Tatmotiv herauszufinden.“
„Das werden Sie hier mit Sicherheit nicht finden.“
Lea erwiderte: „Herr Deubner, es geht nicht darum, hier einen Schuldigen zu finden, sondern eher herauszufinden, ob Frau Müller vielleicht Schwierigkeiten gehabt hat. War sie denn ein Typ, der leicht zwischen die Fronten geriet?“
Herr Deubner räusperte sich: „Wie das in ihrem privaten Umfeld aussah, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Hier haben wir ein sehr gutes Betriebsklima, sodass das Problem nicht besteht. Frau Müller hat sich immer um die jüngeren Mitarbeiter gekümmert. Sie war ein herzensguter Mensch, aber heutzutage liest man ja so viel in den Zeitungen. Ich könnte mir schon vorstellen, dass sie bei einem Streit versucht hat, schlichtend einzugreifen.“
Rene blickte zu Lea und erklärte nach einem kurzen Augenkontakt: „Wir kennen die Hintergründe der Tat nicht, aber es könnte sein, dass sie persönlich motiviert war. Da es in Ihrem Büro keine Probleme zu geben scheint, hatte Frau Müller vielleicht mal Schwierigkeiten mit einem Kunden?“
„Was heißt Schwierigkeiten? In welchem Job gibt es die nicht? Frau Müller hat in der Schadensabteilung gearbeitet, natürlich ist da mal ein Kunde unzufrieden, weil er nicht das bekommt, was er sich vorgestellt hat. Das ist aber ja kein Grund, jemanden umzubringen.“
„Sie glauben gar nicht, was es manchmal für niedere Motive gibt. Gab es denn in den letzten Tagen Schwierigkeiten? Ist Frau Müller vielleicht im Zorn in den Urlaub gegangen?“
„Nein, überhaupt nicht. Den Urlaub hat sie schon vor Wochen eingereicht. Soviel ich weiß, wollte sie umziehen. Sie hat mich gefragt, ob noch etwas ansteht, bevor sie gegangen ist. Wenn es irgendwelche Probleme gegeben hätte, bin ich mir sicher, dass ich davon wüsste. Doch ich kann Ihre Bürokollegin Frau Bundel holen, vielleicht weiß sie Näheres.“
„Das wäre nett. Vielleicht können wir mit ihr unter sechs Augen sprechen“, bat Rene.
„Natürlich, wie Sie möchten. Kommen Sie mit in unser Besprechungszimmer, ich rufe Frau Bundel sofort.“
Herr Deubner führte die Kommissare ins Besprechungszimmer und ließ sie allein. Lea und Rene blieben stehen und mussten etwa zehn Minuten auf die Kollegin von Frau Müller warten. Frau Bundel war eine zierliche Person und Rene konnte an ihren roten Augen erkennen, dass sie gerade geweint hatte.
Frau Bundel streckte ihm die rechte Hand entgegen, in der sich ein zerknülltes Taschentuch befand. Im letzten Moment zog sie die Hand weg und steckte das Taschentuch in ihre Hosentasche.
„Entschuldigung.“ Frau Bundel schluchzte.
Um sie nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, schlug Rene vor: „Setzen wir uns doch.“
Nachdem sich die Kommissare die Stühle zurechtgerückt hatten, nahm auch Frau Bundel Platz.
„Herr Deubner sagte uns, dass Frau Müller und Sie in einem Büro gesessen haben. Ist das richtig?“
Sie nickte nur.
„Hatte Frau Müller in letzter Zeit vielleicht irgendwelche Schwierigkeiten?“, erkundigte sich Lea.
„Was für Schwierigkeiten soll sie denn gehabt haben? Alle mochten sie.“
„Privat vielleicht?“
„Nein, sie wollte gerade umziehen. Christina war voller Tatendrang und so glücklich mit ihrer neuen Wohnung.“
„Dann möglicherweise mit einem Kunden?“
„Ach, es gibt ja immer irgendwelche Nörgler. Doch das war nichts Wildes. Obwohl …“
„Obwohl?“, hakte Rene nach.
„Ein Kunde hat in den letzten zwei Wochen ziemlich oft angerufen. Christina bleibt sonst immer sehr ruhig, aber der hat selbst sie zur Verzweiflung getrieben. Irgendwann ist sie laut geworden und hat seine Akte auf den Boden gepfeffert. Natürlich nicht vor dem Kunden, und so habe nur ich es mitbekommen.“
„Worum ging es denn in dem Fall?“
„Ach, eigentlich nichts Großes. Der Kunde wollte einen kaputten Fernseher ersetzt haben. Den genauen Hergang kenne ich nicht, aber es gab da wohl ein paar Ungereimtheiten in seinen Schilderungen. Da es schon öfter vorgekommen ist, dass der Mann Geld von unserer Versicherung für elektronische Geräte haben wollte, waren sogar schon die Schadensregulierer bei ihm. Bis der Fall abgeschlossen ist, sollte der Mann kein Geld erhalten. Christina hatte die unglückliche Aufgabe, ihm die schlechte Nachricht zu übermitteln. Danach hat er noch einige Male bei ihr angerufen, um sie zu fragen, wann er mit dem Geld rechnen könne.“
„Und fand der Fall einen Abschluss oder kam Frau Müllers Urlaub dazwischen?“, erkundigte sich Lea.
„Soviel ich weiß, ist immer noch die Schadensregulierung damit beschäftigt. Er hatte sich schon einige Tage nicht mehr gemeldet, bevor Christina ihren Urlaub angetreten hat. Und seitdem hat er auch nicht angerufen. Sie war der Meinung, dass er die Sache endlich auf sich beruhen lässt.“
Rene schaute kurz zu Lea und fragte dann: „Wie heißt der Kunde?“
Frau Bundel erklärte: „Da müsste ich in die Akte schauen. Sie glauben doch nicht etwa, dass er etwas mit Christinas Tod zu tun hat. Ich meine, dass er so die Sache beendet hat.“
„Beim momentanen Stand können wir nichts ausschließen und müssen jeder Spur nachgehen.“
„Oh, mein Gott.“
„Ich muss Sie bitten, die Sache diskret zu behandeln.“
Frau Bundel nickte nur.
„Wenn Sie jetzt die Akte holen würden.“
„Natürlich.“ Damit verließ sie das Zimmer.
Einige Minuten später kam sie wieder mit einer dicken Akte in der Hand.
Ihren Blick auf ein Papier geheftet, sagte sie: „Der Name des Mannes ist Christian Stubnick.“
Rene notierte sich die Information.
„Benötigen Sie sonst noch etwas aus der Akte?“, wollte Frau Bundel wissen.
„Wenn Sie das Geburtsdatum und die Adresse hätten, würde uns das sehr weiterhelfen.“
Frau Bundel gab ihnen auch diese Angaben, und danach verabschiedete sich Rene mit den Worten: „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, was uns in dem Fall weiterhelfen könnte, rufen Sie uns bitte an. Lieber ein Anruf zu viel als zu wenig.“
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, verließen Rene und Lea das Büro.
„Es sind schon Menschen für weniger Geld umgebracht worden“, kommentierte Rene.
Lea entgegnete: „So ganz durchdacht wäre das aber nicht. Schließlich hätte Herr Stubnick dann eine neue Sachbearbeiterin bekommen und der Fall läge immer noch bei der Schadensregulierung.“
„Morde haben leider meist sehr wenig mit Logik zu tun, andernfalls würde uns das die Arbeit auch leichter machen. Seine Wut könnte sich über sie entladen haben.“
„Doch er hatte nur ihre Telefonstimme.“
„Die Person dazu lässt sich in der heutigen Zeit leicht über Social Media herausfinden. Interessant, dass ich dir das erklären muss.“
„Facebook ist für mich kein Fremdwort, mein Lieber. Mir ist nur das Motiv noch nicht ganz schlüssig, es war nur ein Fernseher.“
„Es wurden schon Menschen wegen einer Zigarette getötet“, gab Rene zu bedenken.
„Du hast recht. Wir sollten zumindest mal mit Herrn Stubnick sprechen.“
„Ich werde mich kurz über die Leitstelle informieren, ob gegen ihn was vorliegt, dann fahren wir hin.“
Rene gab die Daten durch und als er das Gespräch beendet hatte, erklärte er Lea: „Ein paar Streitereien, Taschendiebstahl, solche Sachen.“
„Dann wollen wir mal schauen, ob er sich einen neuen Fernseher leisten konnte.“
„Ja, fahren wir.“