Читать книгу Schuldig - Aaron Holzner - Страница 9
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ОглавлениеNachdem die Obduktion auch keine weiteren Erkenntnisse, was die Identität des Opfers betraf, gebracht hatte, blieb den Ermittlern vorerst nur, Klinken zu putzen. Nach der Obduktion war eine Pressemitteilung herausgebracht worden, auf diese hatte sich bisher aber noch niemand gemeldet. Obwohl über den Fall im Radio und im Internet berichtet wurde, dauerte es meist ein paar Stunden, bis sie die ersten Hinweise erhielten.
Am Mittag würde die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit noch eine Pressekonferenz geben. Rene hoffte, dass sie bis dahin weitere Erkenntnisse liefern konnten, glaubte aber, dass sich vor dem Abend nichts mehr ergeben würde.
Auch wenn er den Befragungen in der Umgebung nicht sehr große Erfolgsaussichten beimaß, wollte er nicht im Kommissariat sitzen, solange sie nicht wussten, wer die Tote war. Schließlich hatten sie so immerhin den Typ des Fahrzeuges herausgefunden, mit dem die Leiche transportiert worden war.
„Vielleicht haben wir ja Glück“, fasste Lea seine Gedanken in einem Satz zusammen.
Sie vernahmen die Einwohner in umgekehrter Reihenfolge. Rene hoffte neben der Aufklärung der Identität des Opfers auch immer noch ein wenig darauf, dass jemand den Fahrer des Ford Transits erkannt hatte. Manchmal fiel den Leuten nach einigen Stunden noch etwas ein, aber sie riefen nicht die Polizei, weil sie es für eine Belanglosigkeit hielten.
Rene klingelte an der Tür des ersten Hauses in der Straße, die zu dem Waldstück führte, in dem die Frau tot aufgefunden worden war. Hier wohnte Herr Peters, den sie bei ihrer ersten Befragung zuletzt gesprochen und von dem nur erfahren hatten, dass seine Frau sich vor einem halben Jahr von ihm hatte scheiden lassen. Seitdem war er scheinbar auf alles und jeden schlecht zu sprechen.
Als der Mann ihnen die Tür öffnete, schien er gerade auf dem Sprung zu sein. Er trug Straßenschuhe und hatte sich seine Jacke schon übergeworfen. Sein Blick fiel auf die beiden Beamten und er murrte: „Was machen Sie denn schon wieder hier?“
„Wir haben noch ein paar Fragen“, erwiderte Lea.
„Dann sollten Sie besser zu einer anderen Uhrzeit wiederkommen oder vorher anrufen. Es gibt Leute, die müssen pünktlich auf der Arbeit erscheinen“, entgegnete Herr Peters, als würden die Ermittler nicht auch gerade ihrem Job nachgehen.
„Es ist wirklich wichtig und wird nicht lange dauern“, meinte Rene.
Als der Mann immer noch nicht willens schien, sich die Fragen der Beamten anzuhören, ergänzte Lea: „Wir können Ihnen auch gerne eine Bescheinigung ausstellen, dass Sie mit uns gesprochen haben, wenn Sie eine Entschuldigung für Ihren Arbeitgeber benötigen.“
„Wenn das so ist, kommen Sie doch rein“, erklärte Herr Peters auf einmal viel freundlicher, offensichtlich froh darüber, dass er ein wenig Aufschub für den heutigen Arbeitstag bekam.
Sie setzten sich ins Wohnzimmer, Herr Peters immer noch in der Jacke, als wollte er sichergehen, dass er trotz der Bescheinigung noch pünktlich zur Arbeit erschien.
Lea holte ein Foto hervor. „Ich werde Ihnen jetzt ein Bild von der Frau zeigen, die tot in dem Waldstück aufgefunden worden ist. Bitte erschrecken Sie nicht, sie wurde übel zugerichtet und das Foto wurde am Tatort gemacht. Kennen Sie diese Frau?“
Herr Peters atmete einmal tief durch und nickte dann. Er schaute kurz auf das Bild und wandte sich schnell wieder ab.
Als er nichts sagte, erklärte Rene: „Leider konnten wir bisher ihre Identität nicht feststellen und befragen daher die Anwohner, ob sie die Frau hier schon einmal gesehen haben. Kennen Sie sie vielleicht?“
„Denken Sie denn, dass sie von hier kommt?“
„Möglich ist es.“
„Ich werde Ihnen da nicht weiterhelfen können.“
„Weil Sie die Frau noch nie gesehen haben?“, hakte Lea nach.
„Weil ich allgemein nicht auf Frauen achte. Jedenfalls versuche ich es. Das sind doch alles Hexen. Erst machen sie einem schöne Augen und spielen einem die große Liebe vor, und dann nehmen sie einen aus wie eine Weihnachtsgans.“
„Sie sind sich also sicher, dass Sie die Frau hier niemals gesehen haben?“
Herr Peters schob seine Brille zurecht und schaute sich das Foto noch einmal ganz genau an. „Die wäre selbst mir aufgefallen, ist schon eine Hübsche. Jedenfalls ihr Gesicht.“ Nach diesen Worten sahen sie ihn das erste Mal lächeln.
„Ist Ihnen vielleicht sonst noch etwas eingefallen, was uns in diesem Fall weiterhelfen könnte? Den Wagen betreffend oder etwas anderes Ungewöhnliches?“, erkundigte sich Rene.
„Nein, wie ich Ihnen gestern schon sagte, habe ich einen sehr festen Schlaf. Sprechen Sie lieber mit meinen Nachbarn, die sind schließlich sonst auch immer am Tratschen.“
„Das werden wir, und falls Ihnen doch noch etwas einfallen sollte, haben Sie ja unsere Karte.“
Lea und Rene verließen das Haus, Herr Peters folgte Ihnen eiligen Schrittes und stieg sofort in sein Auto.
„Was ist mit ihm?“, fragte Lea.
„Als mutmaßlichem Mörder?“, erkundigte sich Rene.
„Ja, schließlich sind wir Frauen alles Hexen.“
„Ich bin mir sicher, dass er unser Opfer noch nie gesehen hat. Der fing ja bei dem Foto fast das Sabbern an, und da war sie schon nicht mehr ganz frisch. Wenn er ihr begegnet wäre, hätte er aber wahrscheinlich sofort den Schwanz eingekniffen. Nein, der zahlt immer pünktlich den Unterhalt an seine Exfrau und schaut sich zu Hause Pornos an.“
Lea hob nur eine Augenbraue.
„Was?“
„Lass uns lieber mit den Befragungen weitermachen“, meinte sie.
Im nächsten Haus machte Ihnen die etwa 30-jährige Frau Soler auf. Ihre vierjährige Tochter versteckte sich hinter ihrem Bein.
„Ach, Sie sind es“, sagte sie, als sie die beiden Beamten erkannte. „Mir ist leider nichts eingefallen, Emilie hält mich so auf Trab, da bekomme ich sonst fast nichts mit.“
„Wir hätten leider noch ein paar Fragen, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, sagte Lea. „Ansonsten können wir auch gerne später wiederkommen.“
„Später?“ Frau Soler atmete hörbar aus. „Mein Mann kommt leider erst heute Abend wieder nach Hause. Er bringt immer die Kleine ins Bett. Dann ist es vielleicht besser. Andererseits, wann ist es bei uns schon mal wirklich ruhig. Kommen Sie rein.“
Emilie hielt sich an ihrem Hosenbein fest. Rene zog eine Grimasse, was nur dazu führte, dass sie sich noch enger an ihre Mutter klammerte.
„Sie müssen verzeihen, sie ist ein wenig schüchtern, was Fremde anbetrifft. Im Kindergarten grassieren gerade die Masern. Sie können sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, den ganzen Tag eine Vierjährige zu beschäftigen.“ Mit den letzten Worten spielte sie wahrscheinlich auf das Spielzeug an, das auf dem Boden verteilt lag.
„Kann sich Ihre Tochter vielleicht einige Zeit allein beschäftigen?“, fragte Rene.
„Das wird wohl gehen, ich lasse einfach die Tür zu ihrem Zimmer auf.“ An ihre Tochter gewandt, meinte sie: „Emilie, geh doch schon mal wieder in dein Zimmer und male an dem Bild weiter, das wir gerade angefangen haben.“
Ihre Tochter war davon scheinbar wenig begeistert. Sie verschränkte trotzig die Arme.
„Emilie, Schatz, ich muss mit den beiden Beamten eben was besprechen. Es wird nicht lange dauern, dann hast du wieder meine volle Aufmerksamkeit.“ Sie warf einen Hilfe suchenden Blick zu den beiden Ermittlern.
Lea begriff als Erste. „Nein, überhaupt nicht lange. Wir sind so schnell wieder weg, das wirst du gar nicht merken.“
„Nein!“ Emilie schüttelte energisch den Kopf. Als ihre Mutter auf sie zuging, nahm sie Reißaus. Frau Soler ging ihr hinterher.
Nach etwa zehn Minuten kam die Frau zurück und entschuldigte sich. „Es tut mir leid. Jetzt malt sie. Emilie wollte malen, aber Mama muss ja danebensitzen. Wir haben wahrscheinlich ein paar Minuten Zeit, bevor sie ihren nächsten Aufstand plant. Sie hat so einen Dickkopf, ich weiß nicht, woher sie das hat.“ Die Frau lächelte.
Lea lächelte ebenfalls und versprach: „Wir werden so schnell machen, wie es geht.“ Sie gab Frau Soler das Foto. „Wir würden gerne wissen, ob Sie diese Frau kennen oder ob Sie sie schon mal hier in der Umgebung gesehen haben. Ich möchte Sie vorwarnen, dass das Bild vom Tatort stammt und die Frau einiges durchmachen musste.“
Frau Soler nahm das Foto zur Hand. Nachdem sie es betrachtet hatte, öffnete sie den Mund und hielt ihn sich mit der freien Hand zu. „Oh mein Gott, ist das die Frau, die gestern tot aufgefunden worden ist?“
„Ja. Kennen Sie sie?“, fragte Rene.
Auch Frau Soler betrachtete das Foto noch einmal ganz genau, ehe sie antwortete. „Nein, ich habe sie noch nie gesehen. Aber sie ist noch so jung. Vielleicht in meinem Alter. Müssen wir jetzt Angst haben?“ Sie warf einen Blick in die Richtung, in der sich wahrscheinlich das Kinderzimmer befand.
„Nein, momentan gibt es noch keine Hinweise darauf, dass es sich um einen Wiederholungstäter handeln könnte“, sagte Rene, um sie zu beruhigen.
„Ich würde Ihnen wirklich gerne helfen.“
„Das weiß ich, und ich verspreche Ihnen, dass wir unser Bestes geben, den Täter zu fassen. Machen Sie sich keine Sorgen.“
Als sie sich an der Haustür verabschiedeten, hörten sie aus dem Hintergrund noch Emilie: „Mama, bist du jetzt endlich fertig?“
Auf dem Weg zum nächsten Haus kommentierte Rene: „Ein richtiges Terrorhaus.“
„Ich fand die Kleine süß.“
Ehe sie ihre Befragungen fortsetzen konnten, klingelte Renes Handy.
Er hörte aufmerksam zu und kommentierte: „Okay, danke. Wir machen uns sofort auf den Weg.“
Zu Lea sagte er: „Scheinbar verfolgen doch einige schon morgens aufmerksam die Nachrichten. Wie es aussieht, wurde unser Opfer identifiziert.“