Читать книгу Schuldig - Aaron Holzner - Страница 7
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ОглавлениеDie Stunden bis zur Obduktion nutzten Rene und Lea dazu, die Menschen aus der näheren Umgebung zu befragen. Momentan hatten sie außer den Reifenspuren keinerlei Anhaltspunkte. Bis die Auswertung des Profils der Reifen vorliegen würde, dauerte es noch eine längere Zeit. Und dann wussten sie auch nur, um welche Reifen es sich handelte, und noch lange nicht, um welches Fahrzeug. Sie konnten vielleicht einen Klein- von einem Lastwagen unterscheiden, aber wenn das ihre einzige Spur bliebe, würde dieser Mordfall einer ihrer ungeklärten bleiben. Und Rene hasste Fälle, in denen der Mörder ungesühnt blieb.
Der Fundort der Leiche war zwar ein Waldstück, aber vielleicht hatte in der Nähe ein auffälliges Auto geparkt oder jemand hatte bei einem Spaziergang etwas gesehen. Oftmals waren sich Zeugen gar nicht klar darüber, dass sie etwas Entscheidendes gesehen hatten, ehe die Ermittler sie darauf stießen. Oberste Priorität hatte es, herauszufinden, wer das Opfer war. Sofern sich dies nicht durch die Zahn- oder DNA-Analyse herausfinden ließ, würden sie später eine zweite Haus-zu-Haus-Befragung durchführen und ein Foto der getöteten Frau herumzeigen.
Sie begannen mit dem Haus, das dem Waldrand am nächsten war. Es stand ein wenig abseits der anderen Häuser. Efeu wuchs die Häuserwand hoch, die Dachziegel waren verdreckt und der Garten wucherte vor sich hin. Es wirkte so, als würden sich die Bewohner bewusst von der Außenwelt abgrenzen, was für ihre Befragung nicht sehr vielversprechend war.
Rene klingelte und nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass die Gardine in einem Zimmer beiseitegeschoben wurde. Es dauerte nicht lange, da wurde sie wieder zugezogen. Rene blickte zu Lea, aber die zuckte nur mit den Schultern.
Er wollte schon erneut klingeln und seinen Ausweis ans Fenster halten, da wurde die Tür geöffnet, zumindest einen Spaltbreit. Von dem Bewohner trennte sie nach wie vor eine Kette, und der Hausbesitzer machte auch keinerlei Anstalten, diese zu entfernen. Es blickten ihnen zwei misstrauische Augen entgegen, so weit zusammengezogen, dass nur noch Schlitze zu erkennen waren. Das Gesicht selbst war von Falten durchzogen, sodass man sich vorstellen konnte, dass der Mann schon einiges erlebt hatte.
Es schienen keine positiven Erlebnisse zu sein, denn er moserte sofort: „Was schleichen Sie hier draußen rum?“
Rene zog eine Augenbraue hoch und zeigte seinen Dienstausweis vor. Der ältere Mann machte nach wie vor keine Anstalten, die Kette zu entfernen und die Kommissare hereinzubitten.
Rene schaute auf das Klingelschild und fragte: „Herr Ruper?“
„Wen dachten Sie denn anzutreffen?“
„Mein Name ist Rene Kettler von der Mordkommission, das ist meine Kollegin Lea Burckhardt. Wollen Sie uns nicht vielleicht hereinbitten?“
„Ich muss Sie nicht in mein Haus lassen. Bisher weiß ich nicht einmal, worum es geht.“
„Sie haben vielleicht das erhöhte Polizeiaufkommen heute Morgen mitbekommen.“
„Ich gehe nicht so oft vor die Tür, aber das konnte selbst ich nicht übersehen. Dabei bin ich extra hergezogen, um meine Ruhe zu haben. Sonst stört die Nachbarn ja ständig etwas.“
„Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“
„Mir? Was geht mich Ihr Polizeieinsatz an?“
Rene schluckte seinen Ärger herunter. „Es wurde eine Frau tot im Wald aufgefunden, vermutlich ist sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Ihr Haus steht am nächsten zum Wald. Daher würden wir gerne wissen, ob Ihnen irgendetwas aufgefallen ist.“
„Wie gesagt, ich gehe nicht viel raus.“
„Aber Sie schauen aus dem Fenster. Da könnte es ja sein, dass Sie etwas Ungewöhnliches gesehen haben. Jemanden, der in der Nähe herumgeschlichen ist und den Sie hier noch nie gesehen haben. Ein ungewöhnliches Auto, alles kann uns weiterhelfen.“
„Da stand ein Wagen halb in meiner Einfahrt.“
„Zu welcher Uhrzeit war das?“
„Keine Ahnung, irgendwann heute Nacht. Unsereins schläft nicht mehr so gut. Als ich aufgestanden bin, habe ich den Wagen gesehen. Ich wollte den Fahrer zur Rede stellen und hatte den Baseballschläger schon in der Hand.“
„Und der Fahrer?“
„War nicht da. Jedenfalls konnte ich keinen sehen, sein Glück.“
„Und er ist auch nicht wiedergekommen?“
„Scheinbar schon, jedenfalls war der Wagen weg, als ich heute Morgen aufgestanden bin.“
„Sie haben gar nicht gewartet, um ihn doch noch zur Rede zu stellen?“
„In meinem Alter muss man die Stunden ausnutzen, die man noch schlafen kann, bevor man nicht mehr aufwacht.“
„Wissen Sie noch, was für ein Modell es war?“
„Glauben Sie wirklich, dass der Wagen in Zusammenhang mit dieser Frau steht?“
„Wie gesagt, alles kann uns weiterhelfen.“
„Ja, ja, das habe ich verstanden. Aber das Modell weiß ich nicht, irgend so was Größeres, so ein Kastenwagen halt.“
„Und was für eine Farbe hatte er?“
„Keine Ahnung, es war ja dunkel und ich habe nur durchs Fenster geschaut.“
„Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“
„Wollen Sie noch die Farbe meines Urins wissen?“
„Nein, vielen Dank. Sie haben uns schon sehr geholfen.“ Rene gab Herrn Ruper seine Visitenkarte. „Falls Ihnen noch etwas einfällt, können Sie uns jederzeit anrufen.“
„Ich will nur meine Ruhe haben, ich hoffe, damit ist die Angelegenheit für mich beendet.“
„Das kann ich Ihnen leider nicht versprechen.“
Bevor sich die Ermittler richtig verabschieden konnten, hatte der Mann die Tür zugeschlagen.
„Sympathischer Zeitgenosse“, kommentierte Lea auf dem Weg zum nächsten Haus. Rene schüttelte nur den Kopf, sodass sie hinzufügte: „Ich dachte, er geht gleich mit dem Baseballschläger auf uns los.“
„Der hat doch nur großspurig getan. Aber du hättest uns ja beschützt, die Hand hattest du schließlich schon an der Waffe.“
„Man muss auf alles vorbereitet sein“, sagte Lea mit einem Augenzwinkern. „Außerdem wäre es doch was, wenn ich mal deine Beschützerin wäre.“
„Wir sind ein Team. Aber ansonsten behalte ich doch gerne selbst die Kontrolle.“ Rene blickte sich um, wollte Lea schon an sich ziehen, aber in dem Moment kam ihnen ein Spaziergänger mit einem Hund entgegen.
Als sie aufeinandertrafen, zog Rene seinen Dienstausweis hervor und fragte gleichzeitig: „Haben Sie einen Augenblick Zeit?“
Der Mann, der um die 40 war, eine Brille trug und schon leicht schütteres Haar hatte, schaute auf seinen Hund. „Charly, Platz.“ Dann richtete er seinen Blick wieder auf die Beamten. „Natürlich, wenn es nicht zu lange dauert. Ich nutze meine Mittagspause, um mit dem Hund rauszugehen.“
Als Rene seine Personalien aufgenommen und ihn über seine Rechte belehrt hatte, deutete Herr Zikowsky zum Wald, wo zwei Polizeiwagen mit eingeschaltetem Blaulicht und zwei weitere zivile Wagen standen. „Ist dort etwas passiert?“
„Es wurde eine Frau tot aufgefunden.“
„Das ist ja schrecklich. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Waren Sie heute Morgen auch schon mit dem Hund draußen?“
„Ja, meine Frau hat das damals zur Bedingung gemacht, wenn ich schon unbedingt einen Hund kaufen muss. Aber inzwischen kommen sie und Charly ganz gut klar. Manchmal geht sie sogar auch, aber nur bei gutem Wetter.“ Herr Zikowsky lachte.
„Um wie viel Uhr war das in etwa?“
„Das kann ich Ihnen sogar ganz genau sagen. Das war ein paar Minuten nach sechs. Um diese Zeit drehe ich immer meine erste Runde, damit ich es vor der Arbeit schaffe.“
„Ist Ihnen da vielleicht etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
Herr Zikowsky legte seinen Zeigefinder an das Kinn. Nach einer Weile des Nachdenkens erklärte er: „Da war tatsächlich etwas. Mir kam ein Wagen entgegen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, auch um die Uhrzeit nicht. Es hat mich nur gewundert, weil der Wagen aus der Richtung von Herrn Ruper kam, der da hinten wohnt. Der bekommt sonst nie Besuch, und dann noch über Nacht. Meine Frau und ich haben schon so oft versucht, ihn einzuladen. Na ja, mehr meine Frau. Ich sage immer, dass man Eigenbrötler einfach in Ruhe lassen sollte. Aber meine Frau lässt da nicht locker. Sie ist einfach ein Engel.“
„Und Sie sind sich sicher, dass der Wagen von Ihrem Nachbarn kam?“
„Ja, dahinter ist ja nur noch der Wald.“
„Können Sie sagen, welches Modell es war?“
„Oh ja, ein Ford Transit. Solche haben wir auch bei uns in der Firma.“
„Und die Farbe?“
„Da muss ich überlegen. Grau vielleicht oder war er doch farbig? Meine Frau meint immer, ich wäre farbenblind, aber ich will nicht zugeben, dass sie recht hat.“ Herr Zikowsky lachte erneut.
„Konnten Sie den Fahrer erkennen?“
„Darauf habe ich gar nicht so geachtet. Wenn ich gewusst hätte, dass das noch einmal wichtig werden würde, hätte ich genauer hingeschaut. Meine Frau hätte es Ihnen mit Sicherheit sagen können. Wenn unser Nachbar schon mal Besuch bekommt.“
„Kein Problem, Sie haben uns wirklich schon sehr weitergeholfen. Hier ist meine Karte, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte.“
„Ich hoffe, wir werden nie so“, wandte er sich an Lea, als sie wieder unter sich waren.
„Warum nicht? Mir gefällt der Gedanke, dass ich einmal mehr weiß als du.“
„Ich werde immer älter und weiser sein als du, mein Schatz.“
„Und grauer.“ Lea spielte auf ein paar graue Strähnen an, die sich durch sein Haar zogen.
Rene schaute sie nur empört von der Seite an, sodass sie schnell das Thema wechselte. „Seine Aussage deckte sich ziemlich gut mit der von Herrn Ruper.“
„Wir müssen zwar noch den Todeszeitpunkt abwarten und wann die Frau voraussichtlich im Wald abgeladen wurde, aber wenn man bedenkt, wann sie aufgefunden wurde, könnte es gut sein, dass sie mit diesem Fahrzeug in den Wald geschafft wurde.“
„Hoffen wir mal, dass auch noch jemand den Fahrer gesehen hat. Denn der Wagen allein wird uns wahrscheinlich nicht weiterhelfen.“
Leas Hoffnung wurde nicht erfüllt. Die weiteren Befragungen brachten nichts ein, niemand konnte sich an das besagte Fahrzeug erinnern oder hatte etwas Auffälliges beobachtet. Daher beschlossen sie, erst einmal auf die Dienststelle zurückzukehren.