Читать книгу Im Bann der Mondpilger - A.B. Söhn - Страница 13
ОглавлениеEine wahre Freundin
Nora rannte kopflos über die Straße, sie wusste nicht wo sie hinwollte, aber sie wollte weg. Am liebsten irgendwohin, wo sie niemand sah oder kannte. So konnte sie unmöglich in den Bus einsteigen. Tränen verschleierten ihr die Sicht.
Tino war nicht der Erste, der meinte, Veränderungen an ihr festzustellen. Anne hatte die Eskalation auf der Arbeit genutzt, um ihr mitzuteilen, was sie bereits alles auf dem Kerbholz hatte. Sie hielt ihr alle Versäumnisse der letzten Wochen vor, sprach letztlich eine Abmahnung aus. Da sie eine Freundin ihrer Mutter war und von dem Tod der Großmutter wusste, meinte sie Gnade walten zu lassen.
Und das mit den gestapelten Mehlpackungen bin ihrer Meinung natürlich auch ich gewesen!
Auf der Arbeit unterliefen ihr zwar immer öfter Fehler, aber in diesem Fall fühlte sie sich zu Unrecht beschuldigt. Tessas Reaktion ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Nora verdächtigte sie die Ware so unklug gestapelt zu haben.
Aber was ändert das schon? Alles andere bin ja wirklich ich gewesen! Die hundert Kilogramm Salatgurken die ich geordert habe, statt der zehn Kilogramm. Ich werde bescheuert!
Zudem hatte sie ständig Wortfindungsstörungen und der Kundenkontakt bereitete ihr noch mehr Schwierigkeiten als zuvor.
Die Dämmerung war hereingebrochen und der Horizont färbte sich in ein zartes Apricot.
Alles um Nora herum schien sich gegen sie verschworen zu haben! Keiner verstand sie mehr und das Schlimmste war: Selbst wenn sie wollte, könnte sie sich niemandem anvertrauen. Die Häuser und Straßen der Vorstadt tanzten vor ihren Augen. Verzweifelt blinzelte sie gegen die Tränen an, doch den Kampf hatte sie heute schon zu oft geführt und als ihre Nase anfing zu laufen, gab es auch für die Tränen kein Halten mehr.
Ein lautes Schluchzen löste sich aus ihrer Brust. Im Grunde genommen war sie selbst an dem ganzen Dilemma schuld!
Noch vor einer Woche war sie sich so clever vorgekommen, als sie kurzentschlossen vom gesamten Tagebuch ihrer Oma Kopien anfertigte. Sollte Konrad doch ruhig das Original bekommen. Sie hatte noch die Kopien! Doch spätestens nach ihrem Besuch in seinem Antiquariat, hätte sie es besser wissen müssen. Und sie schämte sich. Es war ihr ja ebenso schwer gefallen, sich von dem Amulett zu trennen. Nur die Angst, die sie bei Konrads Worten verspürt hatte, ließ sie keinen Moment mehr zögern, es ihm zu geben. Diese berechtigte Angst hätte sie auch davor warnen sollen, in den Kopien zu lesen! Andererseits waren es doch gelebte Gedanken und gefühlte Momente ihrer Oma. Wie konnte sie das missachten? Wie konnte das wirklich böse sein? Jetzt schnitt ihr Fehlverhalten Nora von ihrem Umfeld ab und ließ sie das Gefühl ohnmächtiger Einsamkeit und Isolation spüren. Strafe genug.
Wie getrieben rannte sie quer über eine Straße und bemerkte dabei nicht das Auto, das sich ihr näherte.
Im letzten Moment trat der Fahrer die Bremse und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Er ließ die Fensterscheibe herunter. »Sag mal, spinnst du?!«, brüllte er mit hochrotem Kopf. »Bist du lebensmüde oder was?!«
Nora blinzelte wie in Trance in die Scheinwerfer seines Fahrzeugs, murmelte eine knappe Entschuldigung, dann lief sie mit rasendem Herzen davon.
Erst als sie auf einen breiten sandigen Weg gelangte, wurde ihr bewusst, wo sie war.
Nora zögerte. Der Stadtpark. Es war fast neun, und sie ging als Frau alleine durch den spärlich beleuchteten Park.
»Nora«, meinte sie eine Stimme in ihrem Nacken wispern zu hören, die dem Klang eines heulenden Uhus glich.
Jetzt fange ich an Stimmen zu hören! Statt sich umzudrehen, beschleunigte sie panisch ihre Schritte, in der Vorstellung, jeden Moment eine Hand auf der Schulter zu spüren. Der Schweiß brach ihr aus.
Nach einigen hundert Metern befand sie sich auf einem schmaleren Pfad, der auf einen Spielplatz zuführte. Nora bemerkte, dass sich dort in dem surrenden Licht einer Laterne ein paar Leute aufhielten. Eine Person hangelte sich auf der obersten Stange des Schaukelgerüstes entlang. Etwas abseits standen zwei weitere Personen mit dem Rücken zu ihr.
Sie war ungewohnt froh auf Menschen zu treffen. Wären das betrunkene Obdachlose, die bedrohlich werden könnten, würden sie kaum an einer Stange turnen! Wenn ich mich in ihre Gesellschaft begebe, wird sich keiner trauen, mir etwas anzutun, überlegte sie.
»Hallo!« rief sie halblaut der Gruppe Jugendlicher entgegen.
Die schlanke Gestalt an der Schaukel vollführte gerade eine Drehung, bei der ihr die Kapuze vom Kopf fiel. Eine dichte Lockenmähne kam zum Vorschein.
Nora stockte.
»Wer ist denn das?«, fragte jetzt einer der beiden männlichen Gestalten, die etwas abseits der Schaukel standen.
»Ach, sieh mal einer an! Wen man hier nicht alles trifft!«, rief der andere aus.
Nora war in den Schein der Lampe geraten, es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorn zu ergreifen.
Mit großen Schritten lief sie auf die Jugendlichen zu, die ihr jetzt entgegen kamen und sich in einer Reihe vor ihr aufbauten.
Das Mädchen sprang von der Stange ab und landete mit einem Satz auf dem sandigen Untergrund. »Nora? Was bitte machst du hier? Du siehst ja wieder grauenhaft aus!«, sagte Vivi.
»Hi Vivi,… ich kam ganz zufällig hier vorbei und wollte einfach mal Hallo sagen.«
Jörn stierte sie unentwegt an und baute sich wie ein Kampfhahn auf.
Nora registrierte, dass er in der Hand eine Bierflasche hielt.
»Bist du jetzt auf dem Grufti Trip oder was sollen die schwarzen Linien unter den Augen?! Wenn du wegen unserer offenen Rechnung hier bist, würde ich dir raten schleunigst zu verschwinden!«
Mist, die Wimperntusche! Nora wischte sich flüchtig durchs Gesicht.
»Ich sag dir mal was, Kleine!« Er kam noch einen Schritt näher. Trotz der niedrigen Temperaturen trug Jörn ein T-Shirt, das seine trainierten Arme frei gab. »Du hast mir sonst wo hin getreten und wenn du nicht willst, dass ich dich hier und jetzt sterilisiere…«
»Hey, hey, warte« , fiel ihm der zweite Junge, den Nora nicht kannte, ins Wort. Selbst im Halbdunkel fiel ihr auf, dass er fuchsrote Haare hatte. »Was willst du dich mit einem Mädchen anlegen? Sieh sie dir doch mal an. Das ist peinlich, Alter! Gehst du dafür zum Training?«
Vivi schmiegte sich an Jörn und begann ihm mit einer Hand den Nacken zu streicheln. »Schatz, er hat Recht. Lass‘ sie einfach. Sieh sie dir doch mal an. Die ist auf irgendeinem Trip.«
Nora fand endlich ihre Stimme wieder. »Ich wollte euch nicht weiter stören. Bin schon weg.«
»Moment, hiergeblieben!«, befahl Jörn. Die Angriffslust, die in seiner Stimme mitschwang, war nicht zu überhören. »Hat meine Freundin vielleicht Recht mit ihrer Vermutung? Warum sonst läufst du so alleine und mit verschmiertem Gesicht hier 'rum? Ey, wie krass ist das denn?! Ich wusste gleich, dass du nicht klarkommst!«
Nora spürte zu ihrer Verwunderung, wie Zorn in ihr aufstieg.
»Als ob du beurteilen könntest, wer klar kommt und wer nicht! Ich habe noch nie in meinem Leben Drogen genommen! Das mag in deiner Welt vielleicht eine Rolle spielen, so wie der Alkohol es tut.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung der Bierflasche. »Mein Blick auf das Leben ist jedenfalls differenziert genug, um nicht alles Unverständnis im Rausch zu ertränken!« Nora zitterte vor Erregung, doch sie hatte gesagt was sie dachte, die Worte waren raus. Jetzt würde sich zeigen, was geschah. Aber es geschah nichts, niemand sagte etwas.
»Lasst sie ziehen, die heult gleich«, murmelte schließlich der Rotschopf.
»Na und?!«, brüllte Jörn. »Ist das mein Problem?! Die hat irgendwas mit der Psyche! So eine kann man nicht frei rumlaufen lassen! Die sollte man einweisen!«
»Hey!«, stach unerwartet eine Stimme durch den Lärm.
Alle drehten sich um.
Nora sah eine Gestalt, gekleidet in einen blauen Kapuzenmantel, die über die Wiese gelaufen kam. In der erhobenen Hand hielt sie mahnend ein Handy. »Lasst sie sofort in Ruhe, aber sofort! Eine falsche Bewegung und ich habe in null Kommanichts die Polizei an der Strippe!«
Nora riss ungläubig die Augen auf. »Esther!« Eine Flut der Erleichterung brach sich in ihr Bahn. Ohne eine Sekunde zu verlieren, rannte sie ihrer aufgebrachten Freundin entgegen.
»So ein Dreck!«, fluchte Jörn und schleuderte kurzerhand seine leere Flasche hinter Nora her, wobei er sein Ziel nur knapp verfehlte.
»Hey, ich warne dich!«, zischte Esther. »Der Abend kann noch ein sehr unangenehmes Ende für dich nehmen, glaub mir!« Dann wandte sie sich ohne weiteren Kommentar ab und zog ihre zitternde Freundin mit sich. »Komm schon, wir verschwinden. Mein Auto steht direkt oben auf dem Parkplatz.«
Nora konnte noch gar nicht glauben, dass Esther da war. »Woher wusstest du, wo ich bin?«, fragte sie mit bebender Stimme.
»Das tut nichts zur Sache«, antwortete sie. »Hauptsache du lebst noch!«, versuchte sie zu scherzen.
Während der Fahrt sprachen sie nicht viel. Esther schielte hin und wieder zu der verweinten Freundin. Stumm reichte sie ihr eine Dose mit feuchten Tüchern. Sie beschloss, Nora mit zu sich nach Hause zu nehmen.
Bei Esther angekommen, wurden sie vom aufgeregten Retromops Felix begrüßt, der ihnen schwanzwedelnd gegen die Beine schlug. »Na, mein Süßer!« Esther tätschelte ihm das helle Fell, woraufhin er ein zufriedenes Wuff verlauten ließ. Dann tapste er voraus Richtung Wohnzimmer, in dem er nur in Esthers Anwesenheit sein durfte.
Seit drei Jahren lebte sie mit dem Hund allein in ihrer Mietwohnung, die sich in dem Souterrain eines Einfamilienhauses befand. Über ihr wohnte ein Ehepaar, von dem sie aber nicht viel mitbekam. Sie lebte nicht weit entfernt von Noras Wohnort.
Esther verschwand sogleich in der Küche, um Wasser für einen Ingwertee mit Honig aufzusetzen. Als sie in Wolldecken gewickelt vor dem knisternden Kamin saßen, taute Nora langsam wieder auf. Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee und spürte, wie sie sich zu erden begann. Esther hatte noch keine Fragen gestellt. Sie wartete auf den richtigen Moment. Erst als Nora sie direkt aus ihren dunklen Augen ansah, fand sie den Einstieg.
»Nora, was genau ist los bei dir? Ich finde, du solltest darüber reden, oder?«
»Schon«, seufzte sie. »Du hast ja gesehen, was los war. Es gibt Leute, die mich abgrundtief hassen.«
»Ja, das habe ich gesehen, und es bereitet mir eine Menge Kopfzerbrechen. Aber das ist doch nicht alles? Was hast du in dem Park gemacht? Ist was mit Tino? Oder hast du immer noch diese furchtbaren Träume?«
Nora dachte nach. »Deine Fragen gehen schon in die richtige Richtung und ich würde sie dir gerne beantworten, aber das geht nicht. Man könnte mich leicht für verrückt halten.« Sie biss sich auf die Unterlippe.
»Du weißt hoffentlich, dass ich dich nicht für verrückt halte? Du kannst mir wirklich vertrauen. Außerdem ist hier niemand außer uns und Felix.«
Felix, der genüsslich alle Viere von sich ausgestreckt vor ihnen auf dem Boden lag, hob träge eine Ohr, als er seinen Namen hörte.
Nora lächelte. »Ja, ich weiß, dass ich mit dir über alles reden kann! Aber es ist für mich selbst alles so fremd und… unheimlich. Du weißt ja, dass ich seit Wochen schlecht schlafe. In den letzten Nächten war es sogar ständig der gleiche Traum. Es ist sehr real.«
»Willst du ihn mir erzählen?«
Nora zögerte einen Moment. Esther saß ihr im Schneidersitz gegenüber und sah sie aufmerksam, aber nicht aufdringlich, an. Der Schein der Flammen spielte über ihre zarten Gesichtszüge. Wem auf der Welt kann ich mich damit anvertrauen, wenn nicht ihr?
»Na gut, ich erzähl es dir. Aber das ist keine Gute Nacht Geschichte“.« Sie räusperte sich. »Der… der Traum fängt eigentlich immer gleich an: Ich gehe durch einen Wald oder eher durch ein Moor. Ringsherum hängt schwerer Nebel. Alles ist wie in einem Standbild… starr und tonlos. Dann gehe ich weiter und komme an einen Tümpel, der umgeben ist von Gräsern und Moosen. Ich blicke auf und sehe ein Tor. Es ist voll mit Verzierungen aus Eisen, glaube ich. Aber es steht einfach so da, mitten im Wald! Ich möchte darauf zugehen, aber an der Stelle taucht irgendwo aus der Ferne immer eine Stimme auf. Sie kommt näher und singt etwas, aber ich verstehe die Worte nicht. Es ist irgendwie so… verwässert. Dann sehe ich wieder zum Tor und es fängt an zu leuchten, sehr schön sogar.«
»Du siehst also ein Licht?«, hakte Esther ein, als Nora eine Pause in ihrer Erzählung machte.
Nora nickte. »Ja, es ist ein helles rotes Licht. Aber nicht bedrohlich rot wie eine Signalfarbe, eher mild. Ich versuche hin zu gelangen, bewege mich aber wie in Zeitlupe, weil ich kaum über den saugenden Untergrund gehen kann. Dann versuche ich wie automatisiert dieses Tor zu öffnen, aber es ist verschlossen. In dem Moment erlischt das Licht. Der Traum bricht ab und die Stimmung verändert sich. Nur Dunkelheit bleibt über.« Nora schloss kurz die Augen, als würde sie so besser in ihre Erinnerung schauen können. »Dann erklingt ein grässliches Lachen. Ich kann dafür echt kein anderes Wort als grässlich finden. Ich höre ein Jaulen. Zu spät, du bist zu spät!, ruft jemand. Dann kann ich das erste Mal wieder etwas erkennen. Aus dem Nebel lösen sich mehrere Kreaturen. Von ihnen stammt das Jaulen und Heulen.« Nora sah in die prasselnde Glut des Kamins. »Dann hört der Traum auf, ich werde wach, atme schwer, mein Herz rast… alles ist klatschnass. Die letzten Nächte saß ich im hell erleuchteten Zimmer, um zu versuchen, wach zu bleiben. Aber irgendwann fallen mir doch die Augen zu.«
Esther schauderte. Schweigend rieb sie sich mit dem Zeigefinger über die Nasenspitze, wie oft, wenn sie nachdenklich war.
»Weißt du, ich denke, das hat alles etwas mit meiner Oma zu tun.«
»Wieso meinst du das? Gibt es denn einen direkten Zusammenhang oder einen Auslöser, der dir bewusst ist?«
Nora errötete leicht. »Ja. Ich fürchte schon, den gibt es. Aber ich darf mit niemandem darüber reden.«
Esther runzelte die Stirn. »Wer sagt dir so was?«
»Zurzeit keiner direkt. Aber wenn er es wüsste, würde er es nicht wollen. Da bin ich mir sicher.«
»Von wem redest du? Wer ist er?«
Nora fühlte sich schlecht, sie wollte Dr. Krey nicht hintergehen. Sie hatte ja schon genug damit getan ihn zu belügen. Andererseits war ihre Lage so verzwickt, dass sie unbedingt jemanden brauchte, der neutral war und mit dem sie reden konnte. Ihr war die Sache über den Kopf gewachsen und Konrad, der sich nochmal bei ihr melden wollte, hatte es bis heute nicht getan.
»Ich rede von Dr. Konrad Krey. Er ist Doktor der Geschichte oder so etwas, leitet aber auf seine alten Tage in der Stadt ein Antiquariat. Er ist ein guter Freund von Oma gewesen.«
Esther überlegte einen Moment.
»Du musst ihn auf der Beerdigung gesehen haben! Der Mann mit dem Schnäuzer und der Melone.«
»Es waren sehr viele Leute da, aber ja« Esther nickte. »Ich meine ich erinnere mich sogar! Aber wieso meinst du, er möchte nicht, dass du über deine Oma redest?«
»Ganz so ist es nicht! Er weiß nichts von meinen Albträumen. Jedenfalls nichts von denen der letzten Woche. Er denkt, sie wären vorbei.«
Esther kniff die Augen zu schmalen Schlitzen. »Mit ihm hast du über deinen Kummer gesprochen?!«
Nora tippelte verlegen auf einem Kissen herum. »Das war so, meine Oma hat ein Tagebuch geführt, das er haben wollte, weil sie es ihm versprochen hat. Ja, ich weiß!«, sagte sie, als ihre Freundin wieder die Stirn runzelte. »Es ist komisch! Aber das Buch ist etwas Besonderes. Es beinhaltet Notizen ihrer… Pilgerschaft oder so ähnlich.«
Esthers Herz setzte einen Schlag aus. »Aber… das klingt doch nett! Sie ist also gerne gewandert?«, fragte sie gespielt munter, doch ihr schwante Übles.
»Nein, dachte ich aber auch erst. Es sind keine gewöhnlichen Wanderungen. Sie war in irgendeiner Gruppe, bei den Mondpilgern und hat Schatten vertrieben. Es klingt nach Science- Fiction.« Nora holte tief Luft. »Er hoffte, dass ich erst gar nicht darin gelesen habe, aber ich habe mir das ganze Buch kopiert, bevor ich es ihm überließ. Auch ein Amulett wollte er haben.«
Esther wurde heiß und kalt im Wechsel. Das Amulett, mit dem sie unbewusst auf Nachtwanderung gegangen ist! Wieso weiß dieser Doktor davon? Hat Marianne es ihm erzählt? Und warum existiert es überhaupt? Reflexartig griff sie auf Höhe des Brustbeins, wo ihre Finger den runden flachen Gegenstand mit seiner rätselhaften Energie ertasteten. Wie ist das alles möglich? Jetzt hat dieser Mann das Amulett und das Tagebuch! Warum in aller Welt hat Marianne bloß über ihre Erlebnisse geschrieben? Es ist strengstens verboten etwas niederzuschreiben, das wissen alle Pilger!
»Was steht in diesem Tagebuch?«, brachte sie endlich einen Satz zustande.
»Meine Oma berichtet von… na ja, fast schon übernatürlichen Erlebnissen. Leider habe ich es nicht von Beginn an ernst genommen und dachte, meine Oma hätte eine blühende Phantasie. Aber langsam zweifle ich daran. Das, was mich in meinen Träumen manchmal quält, hat sie auch gekannt! Sie nennt es Finsterwarte. Auch das Tor, von dem ich träume, hat Oma gesehen. Aber in real, auf einem Gang durch den Wald.« Nora entging nicht, wie aschfahl ihre Freundin wurde.
»Nora… Es tut mir leid«, sagte sie mit tonloser Stimme. » Das dürfte so alles nicht sein, aber ich muss dich zu dem Vorsteher der Mondpilger bringen. Ich fürchte wir sind in ernsthaften Schwierigkeiten!«