Читать книгу Im Bann der Mondpilger - A.B. Söhn - Страница 6

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Prolog

Es war Nacht und die Temperatur hatte sich deutlich abgekühlt.

Ferdi legte den Kopf in den Nacken, um an dem Licht der Sterne Orientierung zu finden.

Hier und dort durchdrangen die Lichter der fernen Gestirne das dichte Blätterdach. Sie gaben ihm eine Ahnung von den umgebenden Strukturen des Waldes. Der nächtliche Wanderer hielt eine kleine Öllampe in der Hand, die nicht müde wurde bei jedem Schwenker der Halterung zu quietschen.

Eine Undichtigkeit in der Verglasung sorgte zudem dafür, dass die Flamme immer wieder erlosch.

Mit steifen Fingern kramte Ferdi in seiner Manteltasche, um ein Feuerzeug herauszuholen und den Docht erneut zu entzünden. Ihm war bewusst, dass er optisch und akustisch nicht zu verfehlen war. Der tänzelnde Schein der Flamme, der ihn wie eine helle Aura umgab, glitt tastend an den borkigen Rinden der Bäume entlang. Doch er schenkte ihm gerade so viel Sicht, dass er seine Füße einigermaßen sicher auf den Boden setzen konnte.

Ein Betrunkener würde nicht mehr Lärm verursachen. Hättest ja auch einfach eine Taschenlampe mitnehmen können, dachte er mit einem selbstironischen Lächeln auf den Lippen.

Andererseits würde sich außer den aufgeschreckten Waldtieren oder seiner Zielperson wohl niemand nachts im Wald aufhalten. Achtsamkeit war trotzdem geboten, denn der von Wurzeln durchwobene Untergrund hielt genügend Stolperfallen bereit. Es war kein vergnüglicher Gedanke, die restliche Nacht mit einem verstauchten Knöchel auf dem feuchten Erdboden zu verbringen. Auch wenn Ferdi alles andere als zimperlich war. Allerdings würde er vor dem morgigen Tag nicht mit Hilfe rechnen können. Keiner der Pilger hielt sich zurzeit in seiner Nähe auf. Keiner außer dem mysteriösen Signalgeber, seiner Zielperson, die sich irgendwo in diesem Waldgebiet herumtreiben musste.

Zum Donner, das sollte sie auch! Seit schätzungsweise zwei Stunden war Ferdi ihr dicht auf den Fersen und langsam wollte er Ergebnisse sehen. Immerhin ließ er sich schon eine Woche lang an der Nase herumführen. Der Vorstand hielt sich bisher mit Äußerungen zu diesem Vorfall sehr bedeckt, auch wenn es erste Gerüchte unter den Mondpilgern gab. Offiziell war die Störung durch einen Querschläger aber nicht bestätigt worden. Ferdi wusste es zwar besser, aber für die übrigen Mondpilger war es überhaupt schon unmöglich zu verstehen, wie jemand solche Signale aussenden konnte, ohne ein Mitglied in ihren Reihen zu sein.

Vor zwei Wochen war zum ersten Mal dieser Misston in ihrem sonst so harmonisch klingenden Universum ertönt. Es war eine spätabendliche Zusammenkunft gewesen, als der letzte Mann zu ihnen stieß und mit seinem Eintreten die Zahl „neunundvierzig“ verkündet wurde. Verblüffung war seine Reaktion. Schließlich war er sicher, dass draußen noch jemand herumstreifte. Der rote Vollmond hatte es ihm signalisiert. Rita, die gewissenhafte Vizevorsteherin, war noch einmal ihrem Dienst nachgegangen, indem sie alle Anwesenden, passend zu der Nummer ihres Amulettes, aufstehen ließ.

Tatsächlich waren sie vollständig versammelt.

Für die meisten ein Blitz aus heiterem Himmel, dachte Ferdi.

Plötzlich spürte er rhythmische Energiepulse auf Brusthöhe. Mit einer raschen Bewegung griff er nach seinem Amulett, das er offen über der Jacke trug. Ein helles Glimmen breitete sich aus der Mitte des roten Halbmondes aus. Dieses Signal war es, auf das er die ganze Zeit gehofft hatte. Der Querschläger musste sich also im näheren Umkreis befinden. Genau genommen, von seiner Position gesehen, in nordöstlicher Richtung.

Ferdi spürte wie der Energiestrahl sich zu einer feinen Verbindungslinie aufbaute und ihn vorwärts leitete. Impulsfaden nannten sie es.

Und alles das ohne Zachéli, ärgerte er sich und stolperte weiter.

Ferdi war lange nicht ohne den Schutzschild gewandert. Er hielt es auch nicht für besonders klug. Doch andernfalls würde er nicht den Funken einer Chance haben, den Querschläger zu finden. Ein Funktionsfehler des Amuletts, wie er selbst fand. Denn erst wenn zwei oder mehrere Pilger zusammentrafen, konnten sie gemeinsam den Schutz namens Zachéli bilden. Der Haken war, dass sie damit kein Signal mehr von externen Pilgern wahrnehmen konnten. Einen Impulsfaden konnte das Amulett also nur dann aufbauen, wenn ein Pilger alleine unterwegs war.

Ferdi wurde geradewegs in einen jungen Tannenwald geführt. Der Baumbestand nahm an Dichte zu und verlor gleichzeitig an Höhe. Ferdi registrierte, dass er sich in Ortsnähe bewegen musste. Die Schonung verriet es ihm. Schützend hielt er einen Arm vor das Gesicht. Die nadeligen Zweige stachen ihm entgegen und rafften seinen Filzhut vom Kopf. Ein Fluch entfuhr ihm. Gut, dass er seine langen Haare gegen die eigentliche Gewohnheit in einem geflochtenen Zopf trug. Wenigstens bestand kein Zweifel, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Die Zielperson war zum Greifen nah, denn die Energiepulse konnten deutlicher nicht werden. Mit und mit lichtete sich das kratzige Gestrüpp. Vor ihm eröffnete sich jetzt eine moosige Lichtung, die sich, getaucht in das riesige Scheinwerferlicht des Mondes, wie ein Bühnenbild präsentierte. Ferdi hielt seinen Blick suchend auf diesen mystischen Ort gerichtet, der dramatischer nicht hätte sein können.

Perfekter Auftakt eines Duells, scherzte er in Gedanken. Ferdi rutschte ein wenig aus und sah zu Boden. Im Licht der flackernden Öllampe, das jetzt fast überflüssig war, kamen massige graue Wurzeln zum Vorschein, die zu einer knorrigen alten Eiche zogen. Die Königin der Lichtung, dachte er.

Dann stockte ihm der Atem. Ungläubig riss er die Augen auf und fixierte das, was er über sich auf einem Zweig des urigen Baumes zu sehen bekam. Entweder seine Müdigkeit spielte ihm einen Streich oder das Problem war weitaus größer als bisher angenommen!


Es war stockdunkel.

Nora versuchte sich in ihrem Umfeld zurecht zu finden, aber alles Augenreiben und Blinzeln half nichts. Die Panik darüber blind zu sein, drängte sich ihr auf. Etwas stimmte grundsätzlich nicht. Nora fühlte sich auf eine seltsame Art und Weise bewusst, hatte aber keinerlei Bezug zu ihrem Aufenthaltsort. Eigentlich musste sie schlafen, denn das Letzte, was sie in ihrer Erinnerung fand, war das Knips-Geräusch ihrer Leselampe, dann das wohlige Gefühl sich von ihrer Müdigkeit in den Schlaf treiben zu lassen. Vielleicht träumte sie. Aber Träume waren kein Rätsel, solange man sich in ihnen befand.

Das eigenartige Gefühl, in einer Art Grenzbewusstsein festzuhängen ergriff sie. Verzweifelt fing Nora an, über Umstände nachzugrübeln, die zu solch einem Erleben führen könnten. Nichts als beängstigende Möglichkeiten fielen ihr ein. Schwarz wie die Dunkelheit, die sie umschloss. Aber so schnell wollte sie sich nicht geschlagen geben.

Sie hatte eine Idee. Sie musste ihre Hand sehen! Auf jeden Fall musste sie es versuchen. Jemand hatte mal behauptet, dass kein Traum in der Lage sei, die einzigartigen Linien einer Handinnenfläche realitätsgetreu nachzubilden. Das wäre also ein Anhaltspunkt. Aber keine Chance, so lange sie absolut nichts sehen konnte.

Nora sammelte sich, um sich auf die übrigen Sinne, die ihr noch blieben, zu konzentrieren. Eindeutig saß sie auf etwas Hartem mit rauer Oberfläche. Gerade breit genug, um ihr Halt zu geben. Unter den Füßen spürte sie nichts, was ihren Puls unmittelbar in die Höhe schießen ließ. Mit der rechten Hand hielt sie sich an etwas fest und wagte es nicht, dieses Etwas los zu lassen, denn jede kleine Bewegung führte unter ihr zu einem bedrohlichen Schwanken. Aber die linke Hand war frei. Nora bewegte die Finger der freien Hand in Wellenbewegungen, erleichtert über das differenzierte Empfinden. Kurzentschlossen riss sie ihren Arm hoch, führte die Bewegung aber zu zügig aus und schlug sich vor die eigene Nase.

Schmerz kann ich also noch empfinden, dachte sie weniger erfreut.

Wieder wackelte und raschelte es unter ihr. Sie fühlte sich wie auf einer Schaukel.

Mal sehen, Nora begann den Kopf auf allen Ebenen zu bewegen.

Dann, sah sie es. Ganz zaghaft begann sie über sich undefinierte Schemen zu erkennen. Tatsächlich, weit über ihr schienen Abermillionen kleiner Lichtpünktchen. Vielmehr waren es tanzende, bunte Funken, die so unterschiedlich schillerten, als hätten sie sich aus einem Regenbogen gelöst. Nora war verzückt über diese Entdeckung und zugleich zutiefst beglückt, dass ihr Augenlicht zurückgekommen war.

Ein Geräusch, wie das Bersten trockenen Holzes, riss sie aus ihrer Euphorie. Alarmiert starrte sie hinunter und eine erschreckende Tiefe, aus der nun ebenfalls ein Lichtkegel auftauchte, tat sich unter ihr auf. Nora wurde schlagartig bewusst, dass sich unter ihr eine ringförmige Lichtung befand, umgeben von dichten Tannen. Sie selbst saß auf einem Baum, der alle anderen um einiges überragte. Das fremde Licht schlich sich immer näher, bis es den Stamm ihres Baumes erreichte.

Nora sah eine gespenstige Gestalt, wie eine lebendige Lichtquelle. Direkt unter ihr stand er, groß und schlank. Eine breite Hutkrempe verbarg sein Gesicht, bis er sich aufrichtete und erst ein starkes Kinn, schließlich das ganze Gesicht zum Vorschein kamen. Scharfe Augen peilten sie an.

Instinktiv klammerte Nora sich noch fester an den Baum, versuchte irgendwie in Deckung zu gehen. Doch es war zu spät.

Die Gestalt hob einen Arm, murmelte etwas Unverständliches gegen den Wind und richtete einen rot leuchtenden Stein auf sie.

Ein kräftiger Strahl bündelte sich und zielte auf den Mittelpunkt ihres Brustkorbs. Sofort verlor Nora jegliche Kraft. Sie konnte sich nicht mehr halten. Mit einem lautlosen Schrei stürzte sie in die Tiefe.

Im Bann der Mondpilger

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