Читать книгу David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel - Adam Fuchs - Страница 14

Оглавление

Trudes tote Hühner

Am nächsten Tag packte mich Feist auf dem Nachhauseweg von der Schulstube und raunte in mein Ohr:

"Komm mit, ich zeig dir was!"

Ich ließ mich mitziehen, obwohl ich wusste, dass meine Mutter es nicht schätzte, wenn wir unabgemeldet unserer Wege gingen.

Aber Feistens Ankündigung war zu geheimnisvoll, um ihr widerstehen zu können.

So marschierten wir vom Güntherschen Haus direkt zum Hof von Feistens Vater, der jetzt um die Mittagszeit wie ausgestorben da lag.

"Die sind alle beim Essen", erklärte mir mein Freund.

"Die Knechte und die Mägde auf dem Feld, und meine Eltern sitzen in der Winterstube.“

„Winterstube“ wurde der Raum im Haus genannt, in den noch bis in den Mai hinein keine Sonne durch die Fenster fiel, so dass man dort ungestört durch das Sonnenlicht die Mahlzeiten einnehmen konnte.

In meinem neuen Haus ist das der hintere und der vordere Salon, wobei wir auch immer darauf achten, dass die Sonne nicht in die Fenster fällt, wenn wir uns versammeln.

Feist führte mich auf den Hof seines Vaters, der von der Winterstube aus nicht eingesehen werden konnte.

"Siehst du die Glucken da rumlaufen?"

Natürlich sah ich die Glucken.

"Was ist damit?", fragte ich ihn.

"Weißt du, wie man die schwindelig macht?"

Ich verstand nicht, wovon Feist redete.

"Die Glucken schwindelig machen? Was soll das heißen?"

Feist lachte und kommandierte: "Pass auf!"

Er rannte auf eines der braunen Hühner zu, bis dieses sich in seiner Panik in den Sand duckte.

Dann packte er die Henne mit beiden Händen, ergriff ihren Kopf und drehte ihn unter die Flügel. Dort hielt er ihn fest und schaukelte das Huhn in seinen Händen in Form einer Acht.

Nach einigem Schaukeln setzte er das Huhn mit dem Kopf unter den Flügeln auf die Erde und freute sich.

"Siehst du? Das Vieh ist total besoffen. Das rührt sich nicht mehr!"

Und tatsächlich, die Henne lag da wie tot und ohne Kopf in einer Sandkuhle und bewegte sich nicht.

"Feist, was hast du mit dem Huhn gemacht? Hast du das umgebracht?", fragte ich bestürzt.

Er grinste nur und meinte, ich soll abwarten.

Ich sah ängstlich zur Tür, denn gleich würde Feistens Vater heraustreten und dann Gnade uns Gott.

Mit dem war nicht zu spaßen. Der hatte Hände wie Bratpfannen so groß und mit dem wollte ich keinen Ärger haben.

Während ich noch ängstlich die Tür im Auge hatte, bemerkte ich eine Bewegung von der Seite.

Hein, der uralte Knecht mit nur einem Zahn im Mund, stand am Zaun und rotzte einen Schwall Kautabak auf den Boden.

"Ick hebb di seggt, du schass dat loten", knurrte er in Richtung Feist. Der griente nur und raunte mir zu:

"Dabei hat er's mir gezeigt!"

Während dem nahm ich wahr, dass die braune Glucke in Bewegung kam und ihren Kopf aus dem Flügel holte.

Sie guckte ein bisschen verblödet in die Welt, schüttelte sich, kam wankend auf die Beine und torkelte von dannen.

"Ist das nicht lustig?", freute Feist sich und kündigte an:

"Wir gehen zu der alten Trude unten am Bach und schläfern ihre Hühner ein. Wirst sehen, das gibt einen Riesenspaß!"

Die Trude war eine alte Witwe, die in einem elenden Häuschen von dem lebte, was ihre fünf Hühner und ihr kleiner Garten abwarfen.

Meine Mutter ging jede Woche zu ihr und brachte ihr warmes Essen, weil "das arme Weib sonst verrecken täte", wie sie sagte.

Ich fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken, die Alte heimzusuchen, aber wie hätte ich Feist widerstehen sollen.

Mit strahlendem Gesicht ging er voran und als wir bei dem jämmerlichem Haus ankamen, stellte er fest, dass alle fünf Hühner draußen am scharren und Trude nicht zu sehen war.

Mit für Feist ungewöhnlicher Geschwindigkeit lief er auf das erste Huhn zu, packte es, drückte den Kopf unter den Flügel und schaukelte das arme Vieh hin und her.

Als er es absetzte, blieb es liegen, wie es war.

"Los, los, du auch!", kommandierte er und mir gelang es nach einer längeren Hetzjagd, ein Tier zu erobern und einzuschläfern.

In der Zeit hatte Feist schon die drei anderen Hühner erwischt und "totgelegt", wie er es nannte.

Kaum lagen die fünf Hennen bewegungslos auf dem Boden, als er auch schon losrannte, bei der Witwe an die Tür hämmerte und laut schrie: "Trude, Trude, kömm röber, aal diene Höhner sin doot!"

Trude kam an die Tür geschlurft und hielt ihre gichtige Hand hinter das Ohr.

"Wat häss seggt, min Jung?", krächzte sie.

"Aal diene Höhner sin doot bleven, de levt nich mehr. Kiek mol", brüllte Feist in ihr blaugeädertes Ohr und fuchtelte aufgeregt mit der Hand in Richtung Hühnerhof.

Die alte Frau brauchte eine Weile, bis sie verstand, was sie da sah und dass all ihr Hab und Gut nun verstorben war.

Sie starrte auf die bewegungslosen Gestalten und murmelte:

"Oh min God, aal de Höhner levt nich mehr."

Feist und ich erklärten ihr, wie bedauerlich wir das fänden und dass das ganz schrecklich sei und man da wohl gar nichts mehr machen könne. Trude liefen die Tränen über das Gesicht und sie schneuzte sich in die Schürze.

Von der Hecke aus, die an ihrem Haus entlang führte, konnten wir beobachten, wie sie ins Haus verschwand, um mit einem großen Messer in der Hand wieder in der Tür zu erscheinen.

In dem Moment aber, als sie nach dem ersten Huhn griff, schüttelte dieses sich, reckte den Kopf nach oben, kam auf die wackeligen Beine und ging seiner Wege.

Trude stand da mit ihrem Messer und starrte mit aufgerissenem Mund dem torkelnden Tier hinterher.

Noch von unserem Platz aus konnten wir ihren einen einzigen Zahn erkennen, der einsam in der Mitte des Unterkiefers steckte.

Sie stand da wie versteinert und ich weiß jetzt unbedingt, woher die Vorbilder für diese Hexen auf den Besen kommen.

In dem Moment erhob sich das zweite Huhn, um von dannen zu wanken. Dann das dritte, das vierte und das fünfte, bis sie alle ein wenig verstört wieder auf dem Hühnerhof hin- und herdölmerten.

"Oh, min God, aal de Höhner levt al wedder", murmelte Trude und stand fassungslos mit ihrem großen Messer inmitten der Glucken.

Mit zittriger Hand schlug sie ein Kreuz, wischte sich die Tränen aus den Augen und versuchte mit ihrem knotigen Zeigefinger das Haupt eines ihrer behexten Viecher zu tätscheln.

Feist und ich machten uns davon und liefen in das kleine Wäldchen in der Okerschleife, wo wir in den Überresten einer alten Schanze aus dem Lachen über Trudes Gesicht und ihren einsamen Zahn nicht wieder herauskamen.

David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel

Подняться наверх