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ОглавлениеFestung Wolfenbüttel im Mai 1704
Elf Mal hat es gerade von St. Marien in der Festung geschlagen.
Die gesamte Gesellschaft ist bereits von der Kirche in Groß Stöckheim auf unserem Gehöft eingetroffen, wo die Männer im Hof versammelt sind, um sich ein erstes schäumendes Bier zu genehmigen.
Die Frauen scheint es mehr in die Küche zu ziehen, während die Mägde die langen Tische, welche von den Knechten im Hof aufgebaut wurden, eindecken und schwere Krüge herbeischleppen.
Zwischen den Gebäuden auf dem Hof toben derweil die Kinder herum und oben aus dem Haus hört man durch die weit geöffneten Fenster den Täufling plärren.
Seit mehreren Tagen ist es warm und sonnig, so dass wir es wagen werden, draußen zu sitzen, zu essen, zu trinken und alte Geschichten zu erzählen, wie es bei jeder Tauffeier üblich ist.
Bis die Suppe serviert wird, ist noch ein wenig Zeit.
Die werde ich nutzen, zum Fluss hinunter zu gehen und in aller Ruhe eine Pfeife zu rauchen, denn bis ich dazu wieder Gelegenheit haben werde, kann es eine Weile dauern.
Das Haus ist voller Verwandtschaft und so schnell wird die auch nicht wieder verschwinden.
Wenn ich mich durch die Vorratskammer in den dahinter liegenden Gemüsegarten verdrücke, wird mein Fehlen so schnell nicht bemerkt werden und von dort sind es nur noch wenige Schritte hinunter an die Oker zu der Bank, die ich im letzten Herbst am höher gelegenen Ufer habe aufstellen lassen.
Da kann ich ungestört sitzen, habe einen herrlichen Blick über die Gemeindewiesen am anderen Ufer bis hinüber nach Groß Stöckheim und kann in Ruhe meinen Gedanken nachhängen.
So lieb und teuer mir mein jetziges Weib auch ist, weiß ich doch, dass sie diese müßige Herumsitzerei nicht leiden kann, weshalb die versteckte Bank, auf der man unbeobachtet träumen kann, von großem Vorteil ist.
Wir haben Trinitatis und der Sonntag wartet mit wahrhaft prächtigem Wetter auf.
Die Schneeschmelze ist endlich vorüber, die Oker fließt wieder in ihrem angestammten Bett, ohne die anliegenden Wiesen zu überfluten, die Schwäne und Enten, die sich während der Überschwemmungswochen im Winter auf den großen Wasserflächen angesiedelt hatten, sind verschwunden, das Wasser ist abgeflossen und die Schafweiden auf dem anderen Ufer beginnen sich zu erholen.
Alles in allem haben wir in diesem Winter Glück gehabt.
Es hat mäßig Schnee gegeben, so dass das Wasser zum Frühlingsbeginn lange nicht so hoch gestiegen ist wie in den letzten Jahren.
Die kalte Sophie liegt bereits hinter uns und sobald die Gäste wieder abgereist sind, kann endlich auch der neue Garten angelegt und bestellt werden, der zur Zeit noch etwas nackt und kahl dasteht, während die Büsche und Bäume an der Oker schon kräftig ausschlagen.
Die Pflaumenbäume hinter mir blühen gerade zum ersten Mal, um mit ihrem süßen Duft Scharen von Bienen anzulocken, die brummend hin- und herfliegen, die Butterblumen recken ihre dicken, plustrigen Blüten in den maiblauen Himmel und lachen aus ihren gelben freundlichen Gesichtern mit der Sonne um die Wette.
Die Vögel singen in allen Tonlagen, gemeinsam übertroffen vom Kuckuck, der aus der Ferne beharrlich vorzählt, wie viele Jahre einem Menschen auf dieser Welt noch vergönnt sind, ob dieser das nun wissen möchte oder nicht.
Die sonntägliche Glocke der Apostelkirche in Groß Stöckheim klingt herüber, mal etwas näher, mal etwas ferner, je nachdem, wie der Wind sich bewegt und von der anderen Seite, der Festung her, steuert das satte, volltönende Geläut der Marienkirche seinen Teil zum Sonntagskonzert bei.
Hier von meinem Lieblingsplatz aus kann ich linkerhand noch gerade die Spitze des Marienkirchturmes sehen.
Zur Rechten geht der Blick frei über die Wiesen und Schafweiden hinüber nach Groß Stöckheim bis zum Turm der Apostelkirche, der sich über die Baumkronen erhebt, unter denen die Stöckheimer Häuser und Katen verborgen sind.
Und vor mir ganz im Hintergrund breiten sich die dunstigen Hügel der Lichtenberge aus.
So schön aber der Blick von meinem liebsten Platz auch ist, er wird noch übertroffen von der Aussicht, die sich mir bietet, wenn ich bis auf den Dachboden meines neuen Hauses klettere.
Dann kann ich von dem kleinen Giebelfenster aus die Festung Wolfenbüttel sehen mit dem prächtigen Schloss, wo auf den vielen Türmen die Wetterfahnen sich im leichten Maiwind nur ganz wenig hin- und herbewegen.
Dahinter erkennt man gerade noch die Harzberge, die bei solch einem Wetter gern eine bläuliche Färbung annehmen.
Und auf der anderen Giebelseite schaut man auf das Dörfchen Groß Stöckheim, hinter dem man weiter im Norden manchmal glaubt, am Horizont gerade noch die Turmspitzen der stolzen, einst freien Stadt Braunschweig ausmachen zu können.
Doch, ich muss sagen, mein neues Haus macht schon etwas her.
Groß ist es, komfortabel und vorzeigbar. Und ich habe weiß Gott nicht gespart bei der Ausstattung.
Das hatte ich auch nicht nötig.
Es sollen alle sehen, dass ich mir ein solches Wohnhaus leisten kann, denn ich bin ja schließlich nicht irgendwer:
Ich bin David Voss, Scharfrichtermeister zu Wolfenbüttel.