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Kapitel 1

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Paul, 23. September 2011

Ich kenne die Verliebtheit eines Jungen und ich kenne die Lust eines Mannes.

Aber dieses seltsame Gefühl ist mir vollkommen unbekannt. Dieses brennende Verlangen, dieses beängstigende Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können.

Und all das trifft mich unvorbereitet und heftig.

Genau genommen passierte es im Bruchteil einer Sekunde.

Ich saß hier an der Bar, wie schon den ganzen Abend lang und wie unzählige Abende zuvor, trank mein Bier, dachte an nichts Bestimmtes und dann geschah etwas.

Der Barkeeper drehte sich zu jemandem am Tresen um, beugte sich vor und ich sah sie.

Und seither sehe ich nichts anderes mehr.

Dieses Mädchen mit den erstaunlich blauen Augen und den dunklen langen Haaren. Mein Herz hämmert wie verrückt, ohne dass es dafür einen vernünftigen Grund hat. Mit jeder Sekunde, die ich sie länger ansehe, wächst eine merkwürdige Unruhe in mir. Die Hitze in der überfüllten Bar kommt mir heißer vor als noch gerade eben, bevor ich sie entdeckt habe. Keine Ahnung, was es ist, das mich sie so anstarren lässt, oder warum ich all die anderen schönen Frauen hier nicht ansehen möchte, aber es ist so.

Ich bin Fotograf. Das war ich schon, lange bevor ich eine Linse vor dem Auge hatte. Alles, was ich sehe, was mir auffällt, mir gefällt oder etwas in mir anspricht, sehe ich anders, so als wäre es stärker hervorgehoben, deutlicher als all die banalen Dinge rundherum. Ganz genauso ist es mit diesem Mädchen. Sie sitzt mir gegenüber und hat ein wunderschönes Beinahelächeln im Gesicht, das mich dazu bringt, wissen zu wollen, woran sie wohl gerade denkt.

Sie ist schön, aber nicht auf die herkömmliche oder perfekte Art. Sie hat einfach etwas an sich.

Ihr langes Haar ist ein wenig wild, leicht gelockt, so als hätte es der Wind gestreift und genau so zurückgelassen. Dunkle Fransen fallen ihr in die Stirn, die sie süß aussehen lassen, aber auch frei. Ihr Gesicht ist ausdrucksstark. Mit jeder kleinen Regung verändert es sich. Es ist ein Gesicht, das ich festhalten will. Ich möchte sie fotografieren, so wie sie in diesem Moment aussieht. Ihre wunderschönen Augen niedergeschlagen. Dieses gewisse Lächeln auf den Lippen, das wilde Haar, das ihr wellig bis zur Brust reicht. Die leuchtende cremefarbene Haut, die selbst bei Schummerlicht makellos und streichelzart aussieht, muss ich ablichten.

Ich weiß, dass ich niemals vergessen werde, wie das unbekannte schöne Mädchen in diesem einen perfekten Moment ausgesehen hat. Plötzlich bewegt sie sich und sieht auf, direkt zu mir. Ihre erstaunlich blauen Augen sehen mich an. Meine Brust zieht sich fest zusammen, beinahe schmerzhaft, gleichzeitig drückt mein Schwanz gegen den Reißverschluss meiner Jeans. Wieder ist es nur ein flüchtiger Augenblick, aber der Blick, den sie mir zuwirft, fährt mir direkt in den Magen und hinterlässt ein Brennen auf meiner Haut. Das fremde Mädchen beißt sich auf die Lippe und sieht schnell weg.

Der Moment ist vorbei, aber er hat genügt, um mich anzulocken und zu verführen. Ich will sie, wie ich noch nie etwas gewollt habe.

Ich muss wissen, wie sie sich anfühlt, wie ihre Stimme klingt und wie sie auf mich reagiert, wenn ich direkt vor ihr stehe. Gespielt lässig schnappe ich mir meine Bierflasche und schlenderte auf ihre Seite der Bar zu. Mir ist klar, dass sie mich dabei beobachtet, auch wenn sie so tut, als würde sie es nicht tun. Ihre Finger spielen unruhig mit dem Glas vor ihr. Ich genieße es, dass ich sie offenbar nervös mache. Hunderte von Sprüchen, die ich bei diversen Frauen erfolgreich angewendet habe, gehen mir durch den Kopf, doch ich möchte keinen davon bei ihr versuchen.

Mein fremdes Mädchen ist nichts für eine dumme Anmache. Deshalb werfe ich ihr einen Seitenblick zu, während ich mich neben ihr auf den freien Hocker setze. Das dämliche Grinsen zu unterdrücken will mir einfach nicht gelingen, also nehme ich einen Schluck aus meiner Flasche und genieße dabei die elektrische Spannung, die den schmalen Abstand zwischen unseren Körpern ausfüllt. Eine derartige Anziehung habe ich noch nie gespürt. Pure Hitze und prickelnde Spannung. Es ist kaum auszuhalten. Ich möchte jeden Anstand zum Teufel jagen, sie mir einfach schnappen und an mich pressen, um unaussprechliche Dinge mit ihr zu tun, so lange, bis ich kaum noch atmen kann. Die Heftigkeit meines Verlangens nach ihr erschreckt mich, dabei bin ich weiß Gott kein Chorknabe. Das wirklich Schlimme daran ist, dass ich Nervosität verspüre. Und das ist neu. Es macht aus mir, dem Mann, der eigentlich mit Frauen umzugehen weiß, einen schweigsamen Kerl an der Bar, der neben einem Mädchen sitzt und nicht weiß, wie er es anstellen soll, während das Adrenalin weiter durch meine Adern pumpt.

Einfach nicht zu fassen!

Ich lege meine Hand auf den Tresen, direkt neben ihre schlanken Finger, so nahe, dass ich die Wärme ihrer Haut fühle. Dabei werfe ich ihr einen Blick zu, ohne etwas zu sagen. Sie sieht mich aus veilchenblauen Augen an, als wolle sie sagen: „Warum tust du das? Bist du wahnsinnig?“

Ihre Reaktion genießend grinse ich schief. Sie starrt auf meinen Mund, als sie es bemerkt. Sofort ist die nervöse Unruhe wieder da und mein harter Schwanz zuckt.

Wie macht sie das nur?

„Wir können das ja gerne eine Weile fortsetzen, wenn du willst. Ich finde es … sehr interessant.“

Das fremde Mädchen bringt ihre Finger schnell vor mir in Sicherheit. Stattdessen reibt sie sich den Nacken.

O ja, ich mache sie nervös – und wie!

„Was?“

Verlegen sieht sie nach unten, aber das Funkeln in ihren Augen sagt mir, dass ihre Gedanken nicht so unschuldig und ahnungslos sind, wie ihre Frage vermuten lässt.

„Wie fändest du es, wenn zwei Fremde in einer Bar zur Abwechslung mal ganz ehrlich und direkt miteinander wären?“, schlage ich vor. Mit einer Falte zwischen den Augen starrt sie mich an. Sie versucht wohl aus mir schlau zu werden.

„Ich meine, wir können so tun, als hätte ich dich nicht seit einer ganzen Weile von da drüber beobachtet und als hättest du mir keinen Blick zugeworfen. Oder wir sind einfach ein Mann und eine Frau in einer Bar, die diese ganzen Spielchen sein lassen, und sind einfach ehrlich miteinander.“

Keine Ahnung, wieso ich das gesagt habe, aber es war das Erste, was mir in den Sinn kam, und es ist das, was ich will. Mit ihr will ich, warum auch immer, keine Spielchen spielen. Denn ich weiß genau, was ich von diesem Mädchen will, und ich glaube, dass sie genau dasselbe will. Vorhin habe ich nur sehr schwach ihre Stimme gehört, deshalb bin ich kurz verwirrt, als ich sie jetzt noch mal höre. Sie sieht mich direkt an und sagt: „Okay.“

Keine Ahnung, wer überraschter darüber ist, sie oder ich.

„Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest.“

Sie lächelt mich an.

Scheiße, es ist ein richtig heißes Killerlächeln, das mich umhaut. Selbst ihre Stimme ist eine einzige Versuchung, hell und mit einem feinen, samtenen Unterton.

„Und was möchtest du mir sagen, so ganz offen und direkt?“ Sie dreht den Spieß um, obwohl ihre Wangen rosarot glühen. Meine schöne Fremde hat Feuer und auf den Mund gefallen ist sie auch nicht. Das gefällt mir.

Ich wende mich ihr zu, komme noch näher an sie heran. Sie riecht nach frischer Seife und warmem Regen. Der Duft von warmer nackter Haut. Als wäre ich nicht schon erregt genug.

„Ganz offen und direkt … ich werde es mir nie verzeihen, wenn ich heute Nacht nach Hause gehe, ohne zu wissen, wie du schmeckst … Ist das direkt genug für dich?

Um ihr zu zeigen, dass ich es ernst meine, sehe ich auf ihren geschwungenen Mund, der weich und einladend aussieht, als ich mir über die Lippen lecke.

Gott, ich will sie küssen. Ich will meine Zunge in ihrem Mund!

„Ja, direkt genug für mich“, gibt sie zu und nimmt einen großen Schluck aus ihrem Martiniglas.

„Ich weiß ja nicht, ob du immer so direkt sagst, was du möchtest. Aber ich bin ehrlich gesagt nicht der Typ, der gleich mit einem fremden Mann aus einer Bar auf Tuchfühlung geht.“

„Ich weiß“, sage ich. Grinsend sehe ich sie an.

„Woher willst du das denn wissen?“ Sie schüttelt den Kopf und lässt sich weiter zu mir herüber.

„Keine Ahnung. Ich weiß es einfach. Ich habe ein gutes Gespür für Menschen. Liegt vielleicht an meinem Job … Aber ich weiß einfach, dass du normalerweise jeden, der versucht, dich in einer Bar abzuschleppen, abblitzen lässt … Ich hab doch recht, oder?“

„Ja, hast du … Was für ein Job ist das eigentlich, der dich zu so einem Menschenkenner macht?“ Amüsiert grinst sie mich jetzt an. Ich mochte Sinn für Humor bei Frauen schon immer. Auch wenn die meisten meiner Bettgenossinnen in dieser Hinsicht nicht viel zu bieten hatten.

„Ich bin Fotograf.“

„Im Ernst?“

„Im Ernst.“

Ihre Reaktion ist der Grund, warum ich ihr nicht sagen werde, dass es mich ständig in den Fingern juckt, sie zu fotografieren. Sie würde es garantiert für einen Trick halten oder glauben, ich meine es nicht ernst mit ihr, aber das tue ich, sogar sehr.

„Klingt nach einem interessanten Job.“

„Ja, die meiste Zeit liebe ich, was ich tue.“

Traurigkeit huscht über ihre Miene, die kurz darauf wieder verschwindet. „Was machst du so?“

„Ich bin endlich mit dem Studium durch und auf Jobsuche. Ich hoffe, dass ich bald in einem Verlag arbeiten kann. Als …“ Sie unterbricht sich selbst und sieht mich merkwürdig an. Ich lasse ihr Zeit, warte, bis sie von selbst weiterspricht.

„Huh … Normalerweise sage ich an dieser Stelle, dass ich in einem Verlag arbeiten will, als Lektorin. Aber wir haben uns ja auf ehrlich geeinigt.“

„Ja, das haben wir“, bestätige ich und stupse dabei leicht ihr Knie an. Ich weiß, dass sie dieses Prickeln dabei auch fühlt, denn ich kann es bis in die Fingerspitzen spüren.

„Ich möchte schreiben, das wollte ich schon immer.“

Sobald ihre Worte mich erreichen, weiß ich, dass sie das noch nie offen ausgesprochen oder womöglich nie vor jemandem zugegeben hat. Mir gefällt der Gedanke, dass ich etwas von ihr weiß, das nur mir gehört. Ich trage das Geheimnis einer Fremden in mir, meiner ganz persönlichen Fremden, die ich zum Anbeißen finde.

„Ich kenne das Gefühl. Ich wollte auch nie etwas anderes als Fotograf sein … Du solltest es einfach tun“, schlage ich vor.

„Bei dir klingt das so einfach …“ Ein wenig verloren sieht sie auf das leere Glas vor ihr. Ich wusste, dass sie etwas Besonderes ist.

„Es ist alles andere als das, ehrlich gesagt. Aber du wirst nur mit dir zufrieden sein, wenn du es zumindest versuchst.“ Schnaubend lächelt sie in sich hinein.

„Was ist?“

„Ich hätte nur nie gedacht, dass du so bist, als du dich zu mir aufgemacht hast.“

„Also hast du es bemerkt.“ Ich möchte lieber nicht wissen, was sie sonst über mich gedacht hat, nicht, wo sie sich jetzt anscheinend wohl mit mir fühlt.

„Natürlich, ich habe dich schließlich auch angestarrt.“ Humorvoll zuckt sie mit den Brauen, was mich so zum Lachen bringt, dass die halbe Bar zu uns herübersieht.

„Wenn du ein Versprechen gibst, dann haltest du es auch, oder?“

„Ja. Immer. Ehrlich und direkt … Hatten wir doch gesagt.“ Gottverdammt, kann diese Frau denn noch genialer werden?

„Dann wird es dich – Mädchen in der Bar, dessen Namen ich nicht kenne – freuen zu hören, dass ich auch ein Mann bin, der sein Wort hält. Und vielleicht interessiert es dich, zu hören, dass ich mir selbst ein Versprechen gegeben habe, was dich betrifft.“

„Ich brenne darauf, es zu hören!“, feixt sie gut gelaunt.

„Noch bevor die Nacht um ist, stöhnst du an meinen Lippen. Und geht es nach mir, bist du dabei so was von nackt … Versprochen!“

Diese erstaunlich blauen Augen werden groß. Sie schluckt. Offensichtlich war das doch etwas zu offen und direkt.

„Du sagst wohl immer, was dir gerade durch den Kopf geht.“ Ihre Finger fahren nervös ihren Hals entlang.

„Nur dann, wenn ich es verdammt ernst meine.“ Und das tue ich. Ich will sie. Nackt unter mir. Von mir aus auch über mir. Die Details darf gerne sie bestimmen, Hauptsache, ich kann sie dabei spüren.

„Aber …“ Sie stockt. „… du hast doch selbst gesagt, dass du gemerkt hast, dass ich nicht … nicht so bin.“

„Ja, ich weiß. Aber wenn du mir erst erlaubt hast, dich zu küssen, wird sich das ändern.“

„Du bist aber sehr von dir überzeugt … Und wie genau soll das ablaufen?“

Ich sehe ihr in die Augen, tue so, als wäre ich nicht genauso nervös und erregt wie sie, als ich ihr die Hand aufs Knie lege. Ihre Wärme durchfährt mich. Ein angenehmer Schauer zeigt mir, dass das hier unvermeidlich ist.

„Ich werde nach unten gehen. Gleich neben den Toiletten ist ein kleiner Raum ohne Licht. Dort werde ich auf dich warten. Ich verspreche dir, dass ich dich nur küssen werde, sonst nichts. Und ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst, wenn du nach unten kommst.“

Einen tiefen Atemzug später stehe ich vor ihr und sehe auf sie hinab. Ich möchte sie berühren, aber noch mehr möchte ich, dass es ihre Entscheidung ist. Wenn sie zu mir kommt, weiß ich, dass sie mich will, dass das hier sein soll und die Nacht meines Lebens auf mich wartet.

Ohne mich davon abhalten zu können, fahre ich ihre bloßen Arme entlang. Ihre Haut ist zart und warm.

„Gott, ich hoffe, dass du kommst.“

Sie sieht mir hinterher, als ich die Bar umrunde, um nach unten zu gehen. Ehe sie aus meinem Blickfeld verschwindet, erkenne ich es in ihren Augen.

Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.

Bittersüß - befreit

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