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Kapitel 6
ОглавлениеPaul, 2016
„Du bist ihr also tatsächlich wiederbegegnet, der Frau, bei der ein Blick genügt hat. Und eine Nacht.“
Mein bester Freund Connor sitzt auf der Kante seines geräumigen Büroschreibtischs und sieht mich erstaunt und ein wenig amüsiert an. Abgesehen von mir ist er wohl der Einzige, der versteht, was mir diese Tatsache bedeutet. Denn nur er weiß von meiner Nacht mit Anna, der ich vor ein paar Monaten, als ich ihm davon erzählte, noch keinen Namen geben konnte.
„Das habe ich. Und um genau zu sein werde ich sie schon heute Nachmittag wiedersehen.“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht genieße ich das Gefühl, das dieser Gedanke auslöst. Ich sinke tiefer in die Polster der Couch, die ich irgendwie als meine betrachte, auch wenn wir in Connors Büro sind und ich mich immer noch frage, ob mein bester Freund es mit seiner Liebsten, Cami, nicht doch ab und an darauf treibt. Immerhin arbeiten sie ständig zusammen, in derselben Werbeagentur. Der Gedanke an Sex macht den Gedanken, heute Anna zu sehen, sogar noch erfreulicher.
„Dann wollt ihr also da weitermachen, wo ihr vor fünf Jahren, nach dieser einen Nacht, aufgehört habt?“
Neugierig mustert Connor mich mit seinem stechenden Blick. Selbst wenn er, seit er mit Cami fest zusammen ist, lockerer geworden ist, wird sich an seiner nachforschenden Art wohl nie etwas ändern. Dafür kenne ich ihn zu lange und zu gut.
„Ich wünschte, das wäre der Grund, aber nein. Wie es der Teufel so will, habe ich sie ausgerechnet Arm in Arm mit meinem Bruder wiedergesehen.“ Connors Gesichtszüge entgleiten.
So wie er jetzt aussieht, habe ich mich gefühlt, als ich sah, dass mein kleiner Bruder die Frau meiner Träume zu dieser affigen Party in unserem Elternhaus mitgeschleppt hat. Aber mein Instinkt sagte mir, trotz meines miesen Bauchgefühls bei diesem Anblick, dass sie sich zwar mögen, aber nicht im Bett miteinander waren. Ich kenne meinen Bruder. Würde er es wirklich ernst mit ihr meinen und hätte er sie schon gehabt, wäre er besitzergreifender und würde sie stolz herumzeigen. Eine seiner Schwächen, wenn es um Frauen geht.
Connor sieht nach unten und seufzt ein geplagtes „Scheiße“. Seine Anteilnahme rührt mich.
„Keine Sorge, mein irischer Freund. Ich habe dafür gesorgt, dass das zarte Pflänzchen ihrer hoffentlich völlig platonischen Freundschaft im Keim erstickt wird.“
Fast schäme ich mich für meine boshafte Freude darüber. Aber nur fast.
„Wie das?“
„Ich habe anfangs so getan, als würde ich mich nicht an sie erinnern, weil mich ihr flehender Blick förmlich darum gebeten hat, und dann, als sie dachte, sie könnte so tun, als hätte es diese Nacht nicht gegeben, habe ich ihr deutlich zu verstehen gegeben, wie gut und wie intim ich mich an sie erinnere. Und an uns.“
Connor lacht auf. Wäre er nicht eher der kontrollierte Typ und ein professioneller Agenturbesitzer, wäre er bestimmt nicht abgeneigt, mir dafür ein High-Five zu geben. Vielleicht wünsche ich mir das auch nur, denn er schüttelt den Kopf.
„Und ausgerechnet du warst es, der mir mit Cami geholfen hat … Im Moment fällt es schwer, das zu glauben … Wie alt bist du noch mal?“ Abfällig schnaubt er.
„Alt genug, um es vielleicht besser zu wissen, aber motiviert genug, um es dennoch zu tun. Du hättest ihren Gesichtsausdruck sehen sollen … Unbezahlbar!“ Ich erinnere mich an jede Nuance in ihrem erstaunlichen Gesicht.
„Außerdem weiß ich jetzt, dass sie sich ebenfalls noch erinnert, auch wenn sie anscheinend glaubt, es verbergen zu müssen. Aber das treibe ich ihr schon noch aus.“
„Heute? Wenn du sie wiedersiehst? Moment mal … wieso siehst du sie eigentlich am Nachmittag … und bitte sag mir, dass du nicht ihre Adresse ausfindig gemacht hast, um ihr aufzulauern.“ Warnend blickt Connor mich an. Er war eben immer der Vernünftigere von uns beiden, außer wenn es um Cami geht. Da hört es bei ihm mit der Vernunft auf, worüber ich mich freue. Denn sie ist es, was er immer schon in seinem Leben gebraucht hat. Beneidenswert.
„So dämlich bin ich nun auch wieder nicht, ihr gleich nach unserem Wiedersehen, wo ich gerade erst ihren Namen erfahren habe, derart auf die Pelle zu rücken. Es ist ganz einfach … Schicksal.“ Breit grinsend sehe ich zu Connor hoch.
„Schicksal?“
„Du erinnerst dich an das Buchprojekt, das die Agentur Fiedler Glas vorgeschlagen hat?“
„Ja, klar. Eine Idee, die ich auch gehabt hätte, wenn du mir nicht wegen deines alten Herren strikt untersagt hättest, für den Fiedler-Etat einen Pitch abzuliefern. Aber gut … Was ist mit dem Buch?“
Typisch Connor, obwohl er niemals für meinen Vater arbeiten würde, weil er weiß, wie ich zu ihm stehe, und wir die besten Freunde sind, Freunde mit massiven Daddy-Problemen, ist der Geschäftsmann in ihm dennoch sauer darüber, denn es bedeutet, nicht das Glasimperium Fiedler als Kunden an Land ziehen zu können. Connor lässt sich nur ungern einen großen Etat entgehen. Doch für mich tut er es. Deswegen sind wir auch beste Freunde. Seinem Alten würde ich nicht mal die Hand schütteln.
„Ich habe mich entschlossen, nun doch die Fotos dafür zu machen. Aber nicht, weil David mir deswegen seit Wochen in den Ohren liegt, und noch nicht mal, weil es meinen alten Herrn ärgert, sondern einzig und alleine ihretwegen. Anna schreibt nämlich die Texte dafür.“ Connor schüttelt wieder den Kopf. Nur, dass er jetzt schallend lacht.
„Klingt, als wäre dir diese Frau vor die Füße gelegt worden. Nach was … vier Jahren?“
„Fünf. Und für mich klingt das einfach nach Schicksal. Ich habe ihr damals ja gesagt, man sieht sich im Leben immer zweimal. Und ich für meinen Teil habe vor, diese zweite Chance zu nutzen.“
Ein paar Stunden später sitze ich auf dem trendigen, unbequemen Sofa vor dem PR-Büro bei Fiedler Glas, dem Familienunternehmen, mit dem ich bisher nie etwas zu tun haben wollte, und warte ungeduldig wie ein Schuljunge darauf, dass die Texterin unseres Projektes auftaucht. Zugegeben, ich bin früh dran. Ich behalte den Eingang die ganze Zeit im Auge. Die Minuten kriechen dahin, während ich auf meine schöne Fremde warte, die ich anfangen muss, Anna zu nennen. Als ihr dunkler Schopf auftaucht, wäre ich beinahe grinsend hochgeschnellt. In letzter Sekunde zwinge ich mich jedoch, sitzen zu bleiben und auf sie zu warten. Noch hat sie mich nicht entdeckt. Ein wenig nervös und dennoch selbstbewusst geht sie auf den Empfangstresen zu. Mir fällt auf, dass sie ihr Haar jetzt anders trägt. Es ist nun schulterlang, und auch der Pony, den sie damals hatte, ist nicht mehr da. Aber das dichte dunkle Haar sieht immer noch weich und schön aus. Wie oft habe ich in jener Nacht daran gerochen oder mit meinen Fingern darin gewühlt? In einem besonders intensiven Moment habe ich sogar daran gezogen und es hat ihr gefallen. Von diesen ziemlich erregenden Gedanken abgelenkt höre ich nur einen Teil der Worte, die sie mit der Empfangsdame wechselt.
„Schon in Ordnung. Ich warte.“
Die hübsche Brünette, die, als ich hier ankam, ein wenig mit mir geflirtet hat, deutet auf das Sofa, auf dem ich sitze. Annas Gesichtsausdruck gefriert, als sie mich darauf entdeckt. Binnen Sekunden hat sie sich wieder im Griff und geht mit festen Schritten auf mich zu. Ich muss zugeben, sie strahlt den Stolz einer Königin aus, wenn sie es darauf anlegt.
„Paul“, sagt sie knapp. Ohne mich wirklich anzusehen, setzt sich Anna neben mich, so weit entfernt, wie das Möbelstück es zulässt.
„Anna“, begrüße ich sie gespielt gleichgültig.
Wir verbringen bestimmt zwei oder drei Minuten steif nebeneinander, ehe mir ein amüsiertes Schnauben entweicht.
„Was ist so komisch?“, will sie wissen. Doch ansehen will sie mich noch immer nicht.
„Du siehst mich nicht an, fast so, als hätten wir etwas ausgefressen. Und wir sitzen hier, als ob wir jeden Moment zum Direktor müssten.“ Die Komik dieses Moments und meine Nervosität, in ihrer Nähe zu sein, haben einen merkwürdigen Effekt auf mich.
„Dein Sinn für Humor hat sich offenbar nicht verändert.“ Ihr Flüstern gefällt mir, so als müssten bestimmte Dinge unter uns bleiben, als wären sie intim. Zumindest macht sie sich nicht mehr vor, dass wir uns nicht kennen.
Das ist zumindest ein Anfang.
„Ich für meinen Teil hoffe ja, wir wurden beim Fummeln erwischt.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen grinse ich sie breit an. Ich sehe das Zucken in ihren Mundwinkeln. Sie versucht, es zu unterdrücken. Ganz gelingt es ihr nicht.
„Du bist wohl nie ganz erwachsen geworden.“ Kopfschüttelnd tadelt sie mich, wohl auch, um ihr Schmunzeln zu verstecken.
„Vielleicht … Aber wieso bist du es dann so sehr?“
Ertappt sieht sie zu mir. Es gefällt ihr nicht, dass ich ins Schwarze getroffen habe. Genauso hat sie mich damals in der Bar angesehen, doch jetzt ist nicht nur Erstaunen in ihrem Blick. Ich erkenne auch Angst. Anna ist eine Frau geworden, die nicht will, dass man in sie hineinsehen kann. Etwas daran macht mich traurig und gefällt mir nicht.
Sie gefällt mir dafür umso mehr. War sie damals schon atemberaubend, ist sie jetzt eine erwachsene Frau, mit Vorzügen, die sie sogar noch anziehender machen. Ihre Beine stecken in einem Bleistiftrock, ihre Brüste lugen aus der Bluse hervor und erinnern mich daran, wie zart ihre Haut dort ist. Erregt wende ich meinen Blick ab. Ich möchte hier nicht mit einer Erektion herumlaufen. Schon gar nicht vor der PR-Tussi, die gerade den Kopf durch die Tür steckt, um nach Anna und mir zu sehen.
„Tut mir leid, dass Sie beide warten mussten. Jetzt habe ich endlich Zeit für Sie.“ Ich nicht. Verschwinde wieder!
Die künstlich aussehende, überschminkte PR-Leiterin führt uns in den Konferenzraum. Kaum sitzen wir, labert sie auch schon ohne Punkt und Komma über Fiedler Glas, als würde ich das alles nicht schon seit meiner Kindheit kennen. Anna scheint auch die Geduld auszugehen. Ich sehe die dicke Akte, die vor ihr liegt, und bin mir sicher, dass sie sich auf das Projekt gut vorbereitet hat und mit dieser Litanei genauso wenig anfangen kann wie ich. Hier drinnen ist es stickig und das Dauergerede der Wasserstoffblondine macht es nicht besser. Ich stehe auf, ohne Blondie weiter zu beachten, und öffne das riesige Fenster einen Spalt breit. Dankbar sieht Anna mich an. Sie verdreht gequält die Augen. Zum ersten Mal erkenne ich meine Fremde hinter der Fassade und ich erwidere ihr Lächeln. Da ist wieder dieser Moment des stillen Verstehens zwischen uns, den ich nutze.
„Carmen, das ist sehr nett von Ihnen. Und auch wirklich ausführlich. Aber ehrlich gesagt, hat Frau …“ Scheiße, ich kenne nicht mal ihren Nachnamen.
„Thaler“, hilft sie mir aus und lächelt dankbar.
„Frau Thaler alle relevanten Erstinformationen unserer Firmenhistorie bereits erhalten.“
„Das stimmt“, bestätigt Anna entschuldigend. Carmens Kopf wird daraufhin dunkelrot. „Ich verstehe.“
Offenbar hatte sie gehofft, heute zu glänzen, dabei war ihr nicht enden wollender Vortrag mehr als überflüssig. Aus dem Konzept gebracht sieht sie sich ratlos um.
„Nun gut, wenn das so ist, dann lasse ich Sie alleine, und Sie können dann ja die weitere Vorgehensweise und das Konzept besprechen. Der Raum ist noch bis fünf reserviert.“
„Danke“, sage ich zu ihr und bin erleichtert, als sie den Raum verlässt.
Endlich mit Anna alleine, beiße ich mir auf die Lippe, um nicht wieder etwas zu sagen, das sie zurückschrecken lässt.
„Ruhe. Endlich.“
„Kannst du laut sagen … Ich dachte schon, die hört nie auf“, gibt sie zu und lässt die Luft aus ihren Lungen.
„Ich gehe davon aus, du weißt alles, was du über die Firma wissen musst?“
„Selbstverständlich“, sagt sie und klingt wie ein Profi. Doch irgendetwas sagt mir, dass sie genau wie ich nicht mit dem Herzen an diesem Projekt beteiligt ist.
„Gut. Mein Vater, so hat er mir zumindest über David ausrichten lassen, stellt sich klassische Produktfotos für das Buch vor. Klassisch. Einfach. Langweilig. Und genau das, was ich nicht machen werde.“ Mit einer Falte zwischen den Augenbrauen sieht sie mich an.
„Wieso ausrichten lassen?“
„Wir kommen nicht besonders gut miteinander aus.“
„Das tut mir leid“, sagt sie, und ich höre ihr an, dass sie es ehrlich meint.
„Es ist nicht fair, huh? Die guten Väter, so wie deiner, sterben viel zu früh und die miesen, so wie meiner … tja.“
„Du erinnerst dich daran?“ Erstaunt blickt sie mir direkt in die Augen. Diese wunderschönen blauen Augen sind noch dieselben. Mir bleibt die Luft weg.
„Natürlich erinnere ich mich. Ich sagte dir doch, dass ich nichts vergessen habe.“ Die Luft zwischen uns knistert, als wir uns weiter ansehen, obwohl wir nicht besonders nahe beieinandersitzen.
„Schade, dass du dich mit deinem Vater nicht gut verstehst.“ Sie ignoriert meine Anspielung auf jene Nacht und bricht damit die Verbindung, die gerade zwischen uns entsteht, ab. Tut sie das bewusst?
„Das würdest du nicht sagen, wenn du ihn kennen würdest.“
„Das kann ich nicht beurteilen.“ David hat sie also nicht dem alten Herren vorgestellt. Oder aber er wollte es und etwas kam dazwischen. Etwas wie unser unerwartetes Wiedersehen auf der Party?
„Was hast du dir dann vorgestellt für die Bilder?“
Okay, dann eben Arbeit.
„Ich möchte die Designer mit ihren Glas-Kollektionen abbilden. Für die klassischen Serien von früher können wir alte Fotos nehmen, das wirkt authentischer, aber für die Image-Fotos und die Linien möchte ich Bilder, die menschlich sind, und mehr aus dem kalten, leeren Glas machen. Ich möchte den kreativen Hintergrund und den Nutzen der Gläser in den Vordergrund stellen. Auch wenn mein Vater meint, es geht nur ums Verkaufen und ums Geld, will ich zeigen, was David mit der Firma machen würde, wenn er den Mut hätte, Vater zu widersprechen, und sich nicht nur mit Teilbereichen zufriedenzugeben.“ Sie hört mir aufmerksam zu, und als ich Davids Namen sage, war keinerlei Reaktion ihrerseits zu erkennen. Ich glaube wirklich nicht, dass sie etwas für ihn empfindet außer Sympathie, vielleicht auch Freundschaft.
Oder ich sehe nur, was ich sehen will.
„Das gefällt mir. Wirklich … Ich will ehrlich sein. Eigentlich wollte ich das Projekt gar nicht machen und nicht nur deinetwegen … aber wenn du es so aufziehst, kann ich vielleicht sogar etwas schreiben, das mir Spaß macht.“
Ihre Augen strahlen. So hat sie ausgesehen, als sie damals vom Schreiben geredet hat. Ich frage mich, warum sie keine Romane schreibt.
„Schön, dass du mit an Bord bist … Du machst dir also Sorgen unseretwegen?“ Geradeheraus sehe ich sie an.
„Wie könnte ich nicht bei unserer Vergangenheit!“
Mir gefällt, wie sie das sagt, unsere Vergangenheit. Unsere gemeinsame Vergangenheit … Diese Nacht! Diese unglaubliche Nacht …
„Ich kann mit dir zusammenarbeiten, Anna.“
Um ihr zu zeigen, dass ich auch anders kann, kreuze ich die Arme vor der Brust und werfe ihr einen ersten Blick zu.
„Das freut mich.“ Erleichtert lächelt sie.
„Das heißt aber nicht, dass ich nicht versuchen werde, dich zu verführen.“ Breit grinsend stelle ich fest, dass sie das ziemlich aus der Ruhe bringt.
„Das solltest du nicht tun.“
Ihre Warnung stößt auf taube Ohren. Es wird passieren.
„Und warum sollte ich etwas lassen, das ich unbedingt möchte?“ Die Hitze im Raum steigt erneut, trotz des offenen Fensters. Es könnte auch damit zu tun haben, dass ich meinen Platz verlasse und auf Anna zusteuere, die mich argwöhnisch dabei beobachtet.
„Weil du vielleicht enttäuscht werden könntest.“
„Ich erinnere mich, etwas Ähnliches schon einmal aus deinem Mund gehört zu haben, und ich meine, dich damals vom Gegenteil überzeugt zu haben. Und zwar sehr gründlich.“ Sofort sehe ich sie vor mir, erregt keuchend gegen eine Mauer gelehnt, in dieser winzigen Gasse. Ich habe sie angetörnt, aufgeheizt und bin dabei durch die Hölle gegangen. Denn meine Erektion hatte dabei schmerzhafte Ausmaße erreicht. Doch es war einer der heißesten und erinnerungswürdigsten Momente meines Lebens. Wären da nicht die Stunden jener Nacht, die nach dieser Überzeugungsarbeit folgten.
Jetzt sehe ich den Aufruhr, die Nervosität, aber auch die Angst davor in ihren Augen. Anna weiß noch, wie es war. Es ist ihr genauso ins Gedächtnis gebrannt wie mir. Aber aus einem Grund, den ich nicht verstehe, löst es bei ihr nicht den Wunsch nach Wiederholung aus wie bei mir, sondern es scheint ihr Angst zu machen und sorgt dafür, dass sie sich vor mir zurückzieht. Anna sitzt aufrechter und starrt mich fest an. Plötzlich habe ich eine ganz andere Frau vor mir.
„Vielleicht gelingt es dir ja nochmals, mich zu überzeugen. Aber täusch dich nicht in mir! Ich bin nicht naiv genug, zu glauben, dass es um mehr geht als bloß Sex. Das war es damals nicht und heute würde es auch nicht mehr sein als das.“
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und ziemlich angepisst betrachte ich die wunderschöne Frau mit den erstaunlich blauen Augen, die seit Langem meine Träume heimsucht, und muss feststellen, dass ich nicht weiß, ob sie das wirklich so sieht oder mich damit bloß wegschubst. Mir gefällt nicht, dass sie unsere Nacht so hinstellt. Ganz und gar nicht.
„Bloß Sex?“ Ich atme zornig ein. „Bloß Sex also …“
„Tja, wenn das so ist, wenn du das wirklich glaubst, muss ich mir mehr Mühe geben, dir beim nächsten Mal zu zeigen, dass es mehr ist als das … und Anna, unser Sex damals war vieles, aber das Wort bloß ist eine Beleidigung dafür.“
Wütend, weil sie so fest entschlossen ist, unsere Nacht herunterzuspielen, um mich auf Abstand zu halten, schnappe ich mir meine Akte und lasse Anna in dem muffigen Büro zurück. Keine Ahnung, warum sie so ist. Aber ich werde die Frau jener Nacht wiederfinden. Ich weiß, sie ist noch da, irgendwo gefangen hinter Annas gleichgültiger Fassade.
Und wenn ich sie erst befreit habe, wird sie mir gehören. Noch mal entkommt sie mir nicht.