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Kapitel 8
ОглавлениеCami
Hektisch suche ich alle Sachen für mein Abendtäschchen zusammen. Der Wagen, den Daniel für mich bestellt hat, wartet seit fünf Minuten vor meiner Wohnung, um mich zur Gala zu bringen. Ich habe so lange gebraucht, um fertig zu werden, dass ich nun spät dran bin. Bevor ich gehe, werfe ich noch einen kurzen Blick in den Spiegel. Frisur und Make-up sind okay und das Kleid ist ein Traum. Ich bin fertig. Doch bin ich bereit?
Die Antwort ist nein.
Schon den ganzen Abend lang habe ich Magenschmerzen, bin aufgeregt und nervös wegen dem, was Daniel und Paul mir da eingebrockt haben. So schnell es meine hohen Schuhe zulassen, husche ich durch den Hausflur und winke dem Fahrer entgegen. Der ältere Herr sieht nicht gerade erfreut aus. Schließlich habe ich ihn warten lassen. Als ich einsteige, achte ich besonders darauf, mein Kleid nicht zu zerdrücken. Es ist einfach zu schön. Ich bin regelrecht verliebt. Es ist schulterfrei und spannt sich gerade über meine Brust. Der Grundton ist ein kräftiges Smaragdgrün, übersäht mit unzähligen Pfauenaugen. Der Stoff ist leicht und luftig. Deshalb habe ich meine Haare bloß an den Seiten hochgenommen und mit einer Pfauenspange am Hinterkopf befestigt. Wenn ich etwas trage, das mich und meinen Stil derart gut widerspiegelt, fühle ich mich dadurch besser und selbstbewusster. Beides kann ich gebrauchen.
Der Fahrer fädelt sich in den zähen Abendverkehr ein und braust mit typischer Stop-and-go-Fahrweise durch Wien. Von meinem Teil des Bezirks ist es lediglich ein Katzensprung bis zum Museum für angewandte & moderne Kunst, in dem die Gala stattfinden soll.
Der Fahrer hält direkt vor dem Haupteingang und fragt im typisch patzigen Wienerisch, ob ich eine Quittung brauche. Als ich nicke, hält er mir den Zettel entgegen. Ich bin verdammt froh, dass ich zwar hier aufgewachsen bin, aber dem derben Dialekt größtenteils entkommen bin.
Connor spricht keinerlei erkennbaren Dialekt, sein Deutsch ist klar und kaum zuzuordnen. Ich habe einmal gehört, wie er mit jemandem in Daniels Büro, das nicht weit von der Küche entfernt ist, englisch gesprochen hat. Zu sagen, ihn mit dieser Stimme und dem weichen Klang seines englischen Akzents zuzuhören, hätte mich nicht kaltgelassen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Ich weiß nicht, ob es an seiner teilweise irischen Abstammung liegt, aber ich habe noch nie so ein heißes Englisch gehört.
Nervös kneten meine Finger die Gala-Karte, die Daniel mir mitgegeben hat, und ich steige dabei vorsichtig die Treppe hoch. Ein bodenlanges Kleid und hohe Riemchensandaletten sind nichts für lange Treppenaufgänge. Oben angekommen sehe ich schon das Banner, das in puristischem Schwarz-Weiß gehalten über dem Eingang zum Museum hängt.
„Wirtschaft – Heute & Morgen: Gala 2015“
Ich hätte eine andere Schriftart genommen, geht es mir durch den Kopf, als ich meinen Namen höre. Sofort drehe ich den Kopf, aber ich sehe nichts außer einer Menschentraube, die den Einlass zum Event blockiert.
„Cami! Cami! Camilla!“, ruft ein Mann lautstark. Jetzt erst, als er sich durch die Masse an gut gekleideten Menschen drängt, erkenne ich Daniel, der auf mich zusteuert.
„Guten Abend“, begrüße ich ihn mit einem Lächeln. Er sieht in seinem schwarzen Smoking wirklich gut aus.
„Ebenfalls … Und wie ich sehe, bleiben Sie Ihrer mutigen Kleiderwahl treu“, gibt er heiter mit einem Blitzen in den Augen von sich.
„Wieso …“, stammle ich, ehe ich mich selbst unterbreche. Denn ich habe den Grund für seinen belustigten Kommentar gerade entdeckt. Jeder der Herren vor mir hat einen schwarzen oder weißen Smoking an und jede Dame trägt ebenso schwarze oder weiße Abendkleidung.
„Bitte sagen Sie mir nicht, dass das eine Schwarz-Weiß-Gala ist.“ Das Grauen in meiner Stimme kann man kaum missverstehen. Hinter mir ertönt ein dunkles Männerlachen. Paul. Natürlich. Wie könnte es anders sein.
„Das ist keine Schwarz-Weiß-Gala. Der Hinweis auf der Einladung ist bestimmt nur ein Druckfehler.“ Pauls Sarkasmus geht mir langsam auf den Kecks. Deshalb werfe ich ihm den finstersten Blick zu, zu dem ich fähig bin, der aber laut Sascha nicht einmal ein Kätzchen einschüchtern könnte. Zudem bin ich nur seinetwegen hier und werde mich bald schon bis auf die Knochen blamieren. Einige der Gäste sehen mich bereits komisch an.
„Wollen wir?“, fragt Daniel, um eine versöhnliche Stimmung bemüht.
„Was soll’s! Ich war bereits als einzige Frau in einer Schwulenbar. Dann schaffe ich auch das hier.“
Daniels schallendes Gelächter lässt die zwei Damen am Empfang stutzen.
„Karten?“, bittet die jüngere mit der abgemagerten Figur.
„Hier“, sage ich und gebe ihr die Karte mit hochroten Wangen, während sie mich dreist von oben bis unten mustert und dabei auch noch die Frechheit hat, geziert den Kopf zu schütteln.
„Neidisch?“, fragt Paul und wirft ihr einen gespielt mitleidigen Blick zu.
„Wie bitte?“ Empört starrt sie ihn an und nimmt seine und Daniels Karte dabei an sich.
„Offensichtlich beneiden Sie unsere Begleitung um ihre weiblichen Kurven. Schließlich ist Ihnen dieser Vorzug gänzlich unbekannt.“ Ernst mustert er sie mit schüttelndem Kopf. Daniel tut es ihm gleich. In dem Moment schließe ich Paul ins Herz. Er mag zwar pubertär und ein wenig zu direkt sein, aber im Grunde seines Wesens ist er ein loyaler Freund. Vielleicht vergebe ich ihm irgendwann sogar, dass ich durch seine Schuld hier bin. Daniel kann ich nicht böse sein. Vor allem jetzt nicht, da er, genau wie Paul, mir seinen Arm anbietet. Als ich den Saal zusammen mit den beiden gut aussehenden Männern am Arm betrete, fühle ich mich gleich sicherer. Bis ich die vielen Blicke sehe, die sich mir aufdrängen. Heute Abend wird mich wohl niemand übersehen. Frustriert stöhne ich auf.
„Keine Sorge, Cami. Morgen steigen oder fallen irgendwelche Aktien oder ein Promi wird schwanger, dann interessiert sich niemand mehr für die Frau im Pfauenkleid“, tröstet mich Daniel, als wir nach unserem Tisch suchen.
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, murmelt Paul in seinen Bart. Er starrt etwas vor ihm mit offenem Mund an. Ich folge seinem Blick und plötzlich ist mein unpassender Aufzug vergessen. Ein Teil von mir hat sogar vergessen, wie man atmet, als ich Connor in einem umwerfenden Smoking entdecke, eine Frau am Arm, die meine lang verschollene Schwester sein könnte.
Niemand sagt etwas. Es ist, als wären alle Anwesenden verstummt, obwohl jeder sieht, was der Grund dafür ist, sagt niemand auch nur ein Wort.
„Guten Abend. Ich bin heute während der Gala für Ihren Tisch verantwortlich“, verkündet ein Kellner, der Gott weiß wo hergekommen ist. Erst als ich mich blinzelnd auf ihn konzentriere, kehren all die Geräusche um uns herum wieder zurück und ich schlucke erst mal.
„Guten Abend“, entkommt es mir, und ich höre genau, wie schwach es klingt.
„Guten Abend, Cami“, begrüßt Connor mich, ohne mich dabei wirklich anzusehen. „Paul. Daniel.“
„Wenn ich euch vorstellen darf, das ist meine Begleiterin: Karin.“
Ich höre, wie die anderen diese Karin begrüßen, und fühle den Drang, etwas sagen zu müssen, obwohl ich es nicht will.
„Ähm … ebenfalls sehr erfreut“, würge ich hervor.
„Wollen wir uns nicht setzen?“, fragt Connor in die Runde, woraufhin alle Platz nehmen. Automatisch mache ich es ihnen nach. Ich kann mich kaum von dem Schock erholen. Aber am meisten geht mir Connors sachlicher Tonfall an die Nieren.
Gottverdammt noch mal! Er bringt eine Frau mit, die mein Filmdouble sein könnte. Wieso macht er so etwas?
„Sie haben heute Abend ein sehr interessantes Kleid gewählt“, beginnt dieser Mistkerl mich süffisant anzusprechen. „Wie es scheint, war mein Hinweis zu diesem Thema vergebliche Liebesmüh!“
Karin wirft ihm einen fragenden Blick zu, fängt sich jedoch schnell wieder. Was man von mir nicht behaupten kann.
„Man hat mir nicht mitgeteilt, dass diese Gala eine besondere Kleiderordnung hat“, bringe ich durch zusammengebissene Zähne hervor. Derart angriffslustig erkenne ich mich selbst kaum wieder. Aber der Abend hat erst angefangen und ich bin jetzt schon am Limit.
„Ich für meinen Teil finde, dass du hervorragend aussiehst. Niemand trägt Pfau so wie du.“ Erstaunt darüber, dass Paul eine Lanze für mich bricht und dabei Connor herausfordernd anfunkelt, trägt nur noch mehr zu meiner Verwirrung bei.
Bevor ich mich für sein Kompliment bedanken kann, hat Connor bereits eine Erwiderung für ihn parat.
„Seit wann seid ihr beide schon beim Du?“ Der Klang seiner Stimme verbirgt nicht, wie sehr ihm das missfällt.
„Mit wunderschönen Frauen bin ich immer per du“, erwidert Paul mit einem erzwungenen Grinsen.
Connor hat dafür nur ein Schnauben übrig, ehe er sich seiner Begleitung, alias meiner Doppelgängerin, zuwendet.
Was zur Hölle soll das alles?
Als der Kellner uns Sekt überreicht, kann ich mich nicht beherrschen und trinke mein Glas in einem Zug aus. Alkohol ist zwar keine Lösung, aber im Moment die einzig mögliche Alternative. Daniel beobachtet mich besorgt und seinen Boss irritiert, wir alle tun das. Besonders was seinen weiblichen Umgang betrifft. Als wir den Rednern lauschen, die das Magazin für die Gala bestimmt hat, beobachte ich dabei die meiste Zeit die Frau mir gegenüber. Sie hat beinahe genauso langes goldblondes Haar wie ich, nur dass sie ihres offen und in leichten Wellen trägt. Ihr Kleid ist in der Farbe angemessen – ganz im Gegensatz zu mir –, doch die schwarzen und weißen Blockstreifen nehmen ihm das Konventionelle. Hätte ich gewusst, dass ich heute Abend in Schwarz-Weiß erscheinen muss, hätte ich wohl ein ähnliches Kleid gewählt. Der Gedanke ist beinahe schon unheimlich. Als sie einen kurzen Schluck aus ihrem Glas nimmt, fällt mir auf, dass wir nicht nur die Gesichtszüge, die helle Hautfarbe, – ja, so gut wie alle Anzeichen meiner schwedischen Herkunft – teilen, sondern auch einige meiner Gesten und meinen Körperbau. Je länger ich sie betrachte, desto mehr fühle ich mich um etwas betrogen, auch wenn ich nicht genau benennen kann, um was. Als Connor meinen Blick auf Karin bemerkt, hat er wenigstens den Anstand, beschämt wegzusehen.
Ich möchte nur eins: diese Nacht so schnell wie möglich hinter mich bringen und von hier verschwinden.
Dass der Saal so herrlich dekoriert und das Ambiente des Museums wunderschön ist, macht alles eigentlich nur noch schlimmer. Unruhig rutsche ich auf den schwarzen Thonet-Sesseln hin und her und bearbeite das schneeweiße Tischtuch voller Ungeduld mit meinen trommelnden Fingern.
„Es tut mir leid. Ganz ehrlich“, flüstert Paul mir zu und lehnt sich dabei weit zu mir, damit nur ich ihn hören kann.
„Das macht es auch nicht besser … Aber danke.“ Selbst meinem kontrollierten Flüsterton ist anzuhören, dass ich mühsam Tränen zurückhalten muss. Ich fühle mich bloßgestellt und kann gar nicht sagen, wie verwirrt ich im Inneren wirklich bin.
Voller Mitgefühl drückt er meine Hand, die vor uns auf dem Tisch liegt. Dankbar ringe ich mir ein gequältes Lächeln ab, das ich Paul schenke. Als ich wieder auf die Bühne sehe, kreuzt mein Blick den von Connor. Seine Augen bohren sich zornig in meine, bevor sein Blick zu Pauls Hand zuckt, die immer noch auf meiner liegt. Erst als ich langsam meine Hand unter der seines Freundes wegziehe, sieht er wieder weg. Danach lehnt er sich so nahe an Karin, dass er bestimmt ihr Parfum riechen kann. Der Anblick verursacht einen Stich in meiner Brust.
Mit starrer Miene flüstert er ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie ihm einen Blick zuwirft, den man im besten Fall als erwartungsvoll und im schlimmsten Fall als unanständig bezeichnen würde. Kurz darauf erheben sie sich, ohne sich zu verabschieden, und gehen in Richtung des Gangs mit den Waschräumen.
„Unfassbar“, stöhnt Daniel neben mir, als hätte er es die ganze Zeit zurückgehalten.
„Ich kann dir nur zustimmen“, grollt Paul neben mir und zerrupft eine Serviette, als müsse er einfach etwas in Fetzen reißen.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, gebe ich zu und lehne mich erschöpft in meinem Stuhl zurück. Jeder hier amüsiert sich prächtig. Nur wir sitzen am Trauertisch der Verwirrten.
„Es liegt doch nicht an mir, oder? Sie sieht doch tatsächlich fast genauso aus wie ich?“ Ungläubig starre ich auf Karins leeren Platz.
„Nein, es liegt bestimmt nicht an dir. Man müsste schon blind sein, um es nicht zu sehen.“ Paul wirft die Serviette in die Mitte des Tisches. Offenbar ist er fertig damit.
„Und was soll ich nun machen? Kann mir einer von euch das bitte sagen?“ Verzweifelt sehe ich die beiden Männer an. Daniel zuckt bedauernd, aber ratlos mit den Schultern.
„Du hast zwei Möglichkeiten. Es ignorieren und von nun an so tun, als wäre es nie passiert … Oder du stellst diesen Idioten, der sich mein bester Freund schimpft, zur Rede und lässt es darauf ankommen“, rät mir Paul, der den Anstand besitzt, sauer zu sein, weil Connor sich unmöglich benimmt.
Während der Kellner unser Essen vor uns hinstellt, denke ich über Pauls Worte nach. Die vernünftigste Entscheidung wäre, es zu vergessen und einfach weiterzumachen. Aber das wäre nicht ehrlich und feige noch dazu. Und ich bin ein ehrlicher Mensch. Außerdem habe ich zwei Jahre meines Lebens verschwendet, Dinge gut sein zu lassen, und mit meiner Mutter mache ich das schon mein halbes Leben lang, nur weil mein Vater abgehauen ist zurück nach Schweden und sie nicht damit zurechtkommt. Es gut sein lassen, kommt nicht infrage. Nicht mehr.
„Entschuldigt mich“, sage ich. „Aber ich habe ein wichtiges Gespräch zu führen.“ Entschlossen stehe ich auf und marschiere zügig durch die Halle, ignoriere die vielen Blicke, die sich mir in den Rücken bohren.
Die Frau mit dem Pfauenkleid hat ein Hühnchen mit ihrem Beinahe-Boss zu rupfen!
Bei den Toiletten angekommen, kann ich sie nirgends entdecken. Wäre auch komisch, wenn sie nach der ganzen Zeit noch dort wären. Wo können sie sonst sein?
Suchend gehe ich den schmalen Gang entlang, sehe aber nur eine Treppe, die nach unten in die schwach beleuchtete Dunkelheit führt. Dort steht auf die Glaswand gesprüht: „Kein Zutritt für Besucher!“ Als ich deshalb schon gehen möchte, höre ich ein lautes Ausatmen. Es klingt nach einer Frau. Langsam und vorsichtig gehe ich die ersten Stufen nach unten bis zur Plattform. Anscheinend führt die Treppe zu den Garderoben der Angestellten oder der Caterer hinab. Ich sehe mich um und bemerke, dass eine Eisenkette an der Seite baumelt. Sie soll offenbar verhindern, dass Gäste diesen Bereich betreten. Doch etwas sagt mir, dass Connor sich wohl nicht darum geschert hat und mit Karin hier unten ist. Meine innere Stimme, die mich warnt, noch weiterzugehen, ignorierend gehe ich bis zum Ende der Treppe. Hier unten ist es wesentlich unspektakulärer als oben. Sogar unverputzter Beton ist zu sehen und das Stöhnen einer Frau zu hören. Mit einem komischen Gefühl im Bauch gehe ich weiter den halb dunklen Flur entlang, bis ich an seinem Ende vorsichtig um die Ecke spähe. In einer Art Kellerbüro sehe ich die Umrisse einer Frau und eines Mannes. Karin und Connor. Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren. Doch egal wie sehr ich versuche, mich umzudrehen, meine Beine tragen mich nicht und meine Augen bohren sich förmlich in den Anblick vor mir.
Die Frau, die aussieht wie ich, geht vor Connor in die Knie und reibt über seinen Schritt. Flach atmend genießt er seine Erregung dabei. Auch wenn ich es nicht einmal ansatzweise denken sollte, geschweige denn beobachten, sehe ich die Schönheit an Connors männlicher Lust. Seine geschlossenen Augen und sein angespannter starker Körper, der gegen einen Tisch lehnt, sind ein überaus aufreizender Anblick. Gleichzeitig möchte ich diese Frau von ihm losreißen und sie auf den Boden werfen. Ich atme heftiger, je länger ich sie beobachte. Ihr Kopf verschwindet im Schatten seines Schoßes. Es braucht keine Fantasie, um zu wissen, was sie gerade tut.
„Sag es – jetzt!“, verlangt Connor von ihr. Die Art, wie fordernd und erregt seine tiefe Stimme klingt, verursacht bei mir eine Gänsehaut und ein Ziehen in meiner Scham.
„Ich will nur dich! Nur dich“, haucht sie und sieht dabei von unten zu ihm auf. Fest packt Connor sie unter den Achseln, dreht sie herum und beugt sie dann über den Tisch. Ich sehe nur noch seinen breiten Rücken und seinen Hintern, den die enge Hose fest umspannt.
Mein Herz rast.
Ich sollte das hier nicht sehen! Ich will das hier sehen! Oder doch nicht …
Geh doch endlich!
Aber ich kann nicht. Also sehe ich weiter dabei zu, wie Connor ihr Kleid anhebt, unter dem sie anscheinend keine Unterwäsche trägt. Schnell und ohne Zögern zieht er ein Kondom aus seiner Tasche, streift es sich über und ist mit einem einzigen heftigen Stoß in ihr. Der tiefe Brummlaut, der ihm dabei entkommt, ist das Erotischste und gleichzeitig Verstörendste, das ich je zu Ohren bekommen habe, bis … ich meinen Namen höre.
Erschrocken starre ich ihn an, wie er diese Frau auf dem Tisch vögelt und dabei immerzu meinen Namen stöhnt. „Cami!“
Mir bricht der Schweißt aus, und ich muss mich regelrecht an der kalten Betonecke festkrallen, um nicht in die Knie zu gehen. Connor hat Sex mit dieser Frau, die aussieht wie ich, und ruft dabei meinen Namen! Was zur Hölle bedeutet das und wieso empfinde ich dabei einen dumpfen Schmerz, weil er Sex mit ihr hat und nicht mit mir? Und auch Aufregung, bar jeder Vorstellung, weil er dabei offensichtlich an mich denkt. An mich! Verstörend trifft es nicht einmal annähernd. Und noch mehr verwirrt mich, dass es dieser Karin gar nichts auszumachen scheint. Sie genießt offensichtlich, dass Connor sie hart nimmt, und stört sich kein bisschen daran, dass ihr Liebhaber dabei den Namen einer anderen Frau benutzt.
Ich muss hier weg. Sofort. Ich drehe mich um und versuche den Weg zurück zu erspähen, doch als ich den ersten Schritt mache, hallt mein verdammter Absatz viel zu laut in meinen Ohren. Angsterfüllt drehe ich mich um und sehe in Connors Gesicht, das sich gleichsam nach mir umdreht. Mein Puls rast, und mein Körper produziert Adrenalin in rauen Mengen, als ich flehe: Bitte lass ihn mich nicht sehen! Bitte lass Connor mich nicht erkennen!
Doch ich fühle, dass er mich trotz der Dunkelheit sieht. Ich sehe es an der Intensität seines Blicks, der starr in meine Richtung blickt. Sofort wendet er sich um, tritt einen Schritt zurück und schließt eilig seine Hose, während Karin schwer atmend ihren anscheinend bereits erfolgten Höhepunkt genießt.
Als ich erkenne, dass Connor sich schnell in meine Richtung aufmacht, nehme ich ebenfalls die Beine in die Hand und stürze regelrecht die Treppen hinauf. Kaum im Saal angekommen, kneife ich die Augen zusammen, weil ich zu schnell aus der Dunkelheit ins grelle Licht gekommen bin. Ich entdecke unseren Galatisch und steuere direkt darauf zu. Knapp bevor ich ihn erreiche, packt jemand mein Handgelenk und zerrt mich zurück. Connor. Ein sehr derangiert aussehender Connor, der Panik in den Augen hat. Beinahe erkenne ich ihn nicht wieder. Seine kontrollierte Ruhe geht ihm völlig ab, und zum ersten Mal ist er es, dessen Wangen rot glühen. Wenn ich nicht gerade gesehen hätte, was er mit wem gemacht hat, fände ich ihn umwerfend und anziehend. Doch im Moment starre ich ihn in Grund und Boden.
„Lass uns tanzen“, stößt er außer Atem hervor. Ohne meine Antwort abzuwarten, zerrt er mich auf die Tanzfläche und beginnt sich mit mir zur Musik zu bewegen. Mein Körper folgt automatisch seinen Bewegungen, während ich kein Wort über die Lippen bringe. Mir schwirrt der Kopf, und was ich dabei empfinde, wenn er mich so fest hält, möchte ich im Moment nicht empfinden, aber es ist da. Ich fühle die Nähe zu ihm und spüre die verräterische Reaktion meines Körpers darauf. Dieser wahnsinnige Verräter!
„Lass es mich erklären“, fleht er und blickt mir dabei sichtlich um Vergebung bemüht in die Augen.
„Wie willst du das, was ich gerade gesehen habe, denn erklären?“, fahre ich ihn aufgebracht an, während ich fühle, wie fest er meine Hand drückt, so als wolle er um jeden Preis verhindern, dass ich weglaufe, ihm entkommen kann.
„Ich fürchte, es ist genau so, wie es ausgesehen hat“, gibt er zu und blickt kurz nach unten. Connor schluckt und sieht mich dann wieder an.
„Du hattest Sex mit einer Frau, die wie ich aussieht“, flüstere ich, und damit es niemand hört, schmiege ich mich dabei enger an ihn. Sein herrlich männlicher Geruch verwirrt mich nur noch mehr. Aber als ich den schwachen Parfumduft an ihm ebenfalls wahrnehme, ziehe ich mich so weit zurück, wie ich kann. Daraufhin verstärkt sich sein Griff um mich. Ich hasse es, dass mich diese Berührung ausgerechnet an meinen letzten Traum mit ihm erinnert. Mir ist wirklich zum Heulen. Schweigend tanzen wir eine Weile langsam, wobei er mich nicht aus den Augen lässt. So lange, bis ich den Fehler mache, ihn wieder anzusehen. Seine grauen Augen haben einen Ausdruck, den ich noch bei keinem Mann gesehen habe. Deshalb ist es mir unmöglich, zu sagen, was er bedeutet.
„Ich gebe es zu. Ich habe sie benutzt … Aber in beiderseitigem Einverständnis. Sie wusste von dir und ihrer Rolle.“
„Ihrer Rolle?“, wiederhole ich, doch Connor ignoriert meine Worte und redet einfach weiter auf mich ein.
„Und ja, ich habe deinen Namen benutzt, als ich mit ihr … Weil ich dabei an dich gedacht habe, nur an dich!“, zischt er mir entgegen, fast als wäre es meine Schuld. Im Moment verstehe ich gar nichts mehr. Mir kommt es vor, als hätte sich die Erde auf den Kopf gestellt, und niemand hat es mir gesagt.
„Wieso? Wieso denn nur?“, frage ich ihn beinahe lautlos.
„Weil ich dachte, es würde helfen.“
„Herrgott, wobei denn?“
„Dabei, dich aus meinem Kopf zu bekommen. Dabei, die Finger von dir zu lassen. Ich dachte, wenn ich jemanden ficke, der aussieht wie du, würde diese Besessenheit nach dir vielleicht verschwinden.“ Müde schließt er die Augen.
„Es tut mir leid. Ich schäme mich in Grund und Boden. Dass du das mit ansehen musstest, ist unverzeihlich.“
Er ist besessen von mir. Connor Veith ist besessen?
Von mir!?
„Ich kann das kaum glauben“, gebe ich verlegen zu.
„Glaub es!“, stöhnt er. „Du hast doch auch gespürt, dass etwas zwischen uns ist, seit wir uns begegnet sind … Die Spannung … Die Anziehung, die zwischen uns herrscht, jedes Mal, wenn wir uns näherkommen.“
Stumm nicke ich. Denn selbst nach allem, was geschehen ist, bin ich nicht fähig, ihn anzulügen. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren.
„Ich weiß ehrlich nicht, wie ich das finden soll.“
Der Tanz ist längst zu Ende, doch wir stehen immer noch auf der Tanzfläche und starren einander an. Ich nehme meinen Mut zusammen und frage ihn etwas, das mir verdammt schwerfällt.
„Wenn … Wenn du mich willst, wieso hast du nicht …“
„… versucht, dich zu verführen? Dich um ein Date gebeten?“
Ich nicke und schlinge dabei schützend den Arm um mich, damit er mir nicht mehr so verdammt nahe ist, weil ich das im Augenblick viel zu verwirrend finde.
„Cami“, sagt er sanft, und noch immer geht mir die Art, wie Connor meinen Namen sagt, durch Mark und Bein.
„Das mit uns würde nie funktionieren, glaub mir. Ich bin nicht der Richtige für dich. Aus tausend Gründen … Abgesehen davon führe ich keine romantischen Beziehungen.“ Verständnislos sehe ich ihn an. Ich habe keine Ahnung, worauf er hinauswill. Wieso sollte er nicht der richtige Mann für mich sein können? Woher will er das überhaupt wissen? Und was soll das heißen, er führt keine Beziehungen?
Müde schließe ich die Augen und lasse meine Arme fallen.
„Ich bin müde, Connor. Bring mich einfach nach Hause.“ Sofort, als die letzten Worte meinen Mund verlassen, bereue ich sie. Bin ich denn völlig wahnsinnig geworden?
„In Ordnung. Warte draußen. Ich hole deine Tasche und gebe den anderen Bescheid.“
Mit klopfendem Herzen und einem drückenden Magen sehe ich zu, wie er zu unserem Tisch geht. Schnell flüchte ich nach draußen und sehe mich nach einem Taxi um, um meinen dummen Fehler von vorhin wieder zu bereinigen. Gerade jetzt sind alle Taxis weg. Frustriert schimpfe ich vor mich hin. Ich kann es spüren, als Connor hinter mir auftaucht. Stumm gehe ich an seiner Seite die Treppe hinab und folge ihm zu seinem Wagen, der in der Nähe parkt. Er ist genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Schwarz, teuer und schnittig. Aber im Moment interessiert mich das nicht. Wie ferngesteuert steige ich ein, als er mir die Tür aufhält, und nehme meine Tasche entgegen.
Die Fahrt zu meiner Wohnung, deren Adresse er offenbar bestens kennt, verläuft schweigsam. Diese mit Spannung geladene Stille beruhigt meine Nerven kaum, die ohnehin blank liegen.
Connor hält an und sieht kurz zu meinem Altbau hinüber, ehe er mir wieder seine Aufmerksamkeit zuwendet.
„Und was machen wir jetzt?“, frage ich nervös.
„Wir gehen zurück an die Arbeit und bemühen uns, wir reißen uns weiterhin zusammen, so gut es geht.“
„Und das kannst du?“, frage ich ihn ungläubig, denn mir erscheint das nach heute Abend geradezu lächerlich.
„Nein“, gibt er zu. „Aber ich tue, was ich tun muss.“
Ich weiß nicht wieso, aber er macht mich rasend vor Wut damit.
„Ach ja! Viel Glück damit“, schnauze ich ihn an und steige aus dem Wagen.
„Cami, warte!“ Doch ich werde den Teufel tun. Ich drehe ihm den Rücken zu und gehe zum Eingang. „Jetzt warte doch!“, ruft er und packt wieder meinen Arm, genau wie vorhin.
„Es ist nicht das, was ich will. Du glaubst es mir vielleicht nicht, aber es ist besser so … Auch wenn jede Faser meines Körpers sich nach dir sehnt.“
Wir starren einander an. Die Worte, die er gesagt hat, hängen zwischen uns. Plötzlich drängt er mich langsam an die Wand, und ich lasse es geschehen, weil ich gefangen bin von seinen brennenden grauen Augen.
„Denk ja nicht, dass es mir leichtfällt“, warnt er mich. Langsam hebt er seine Hand und legt sie an meine Wange. Meine Atmung ist so heftig, dass sich meine Brüste gegen seinen Brustkorb drücken, der sich fest und warm anfühlt. Ich kann nicht glauben, dass das hier geschieht, dass ich das zulasse und dass ich mich derart lebendig dabei fühle.
Sein Daumen befindet sich direkt über meinen offenen Lippen, aus denen mir schneller und heißer Atmen entweicht. Ganz sanft streift er damit über meine Lippen und sieht dabei fast gequält auf meinen Mund.
Wird er mich jetzt küssen? Ich will, dass er mich küsst.
Dieser Gedanke erschreckt mich, denn schließlich war er heute mit einer anderen Frau intim. Was ist nur los mit mir? Wie kann es mich derart erregen, nur von ihm angesehen zu werden, als wolle er mich verschlingen, und seine zarte Berührung an meiner Lippe zu fühlen.
Von einem Moment auf den anderen, so als falle ihm wieder ein, wer er ist und was er hier tut, lässt er seine Hand sinken und entfernt sich von mir. Connor sieht mich an, als habe er gerade etwas Unverzeihliches getan, während er sich rückwärtsgehend immer weiter von mir entfernt. Ich sehe um Atem ringend dabei zu, wie er in sein Auto einsteigt und davonfährt.
Was zur Hölle geht bloß in Connor Veith vor?