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Kapitel 1
ОглавлениеCami
Ich hasse Bewerbungsgespräche.
Besonders dieses hier. Und mehr noch hasse ich meine Nervosität und Unsicherheit. Da hilft es auch nicht, dass ich als Einzige ein Kleid trage, während meine Mitbewerber allesamt in schwarze Anzüge gekleidet sind. Mal ehrlich, wir bewerben uns hier um eine Stelle als Grafiker. Da sollte Kreativität an oberster Stelle stehen. Und für mich spiegelt ein biederer dunkler Anzug so einiges wider, aber bestimmt nichts, das mit einem guten Auge oder mit ungewöhnlichen Designs zu tun hat. Vielleicht bin ich aber auch nur nervös und mir der Tatsache schrecklich bewusst, dass jeder hier ein Profi ist und eine reelle Chance auf diesen Job hat, bloß ich nicht. Um mich ein wenig zu beruhigen, umklammere ich meine Arbeitsmappe und atme tief durch. Doch es hilft nicht. Je mehr ich versuche, meinen Konkurrenten mit einem höflichen Lächeln zu begegnen, desto abwertender werden ihre Blicke mir gegenüber. Sie scheinen mir zu sagen: „Was macht die denn hier? Weiß sie nicht, dass Veith Media die aufstrebende Werbe- und Kreativagentur Wiens ist?“
Das Schlimme daran ist, ich weiß es, und ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass dieser Job eine Nummer zu groß für mich sein könnte. Aber genau deshalb will ich ihn. Unbedingt. Ich will endlich vorankommen, nicht mehr um jeden Auftrag bangen oder als zweite Wahl abgestempelt werden. Dieser Job ist ein Sprungbrett, eine Chance, die so schnell nicht wiederkommt. Schmerzlich spüre ich, wie sich mein leerer Magen regt. Wieso nur gehöre ich zu den letzten Bewerbern, die an die Reihe kommen?
Gerade wird die Tür des schmalen, aber eleganten Flurs aufgerissen, in dem wir links und rechts aufgefädelt wie auf einer Perlschnur sitzen. Ein junger Mann mit dicker Brille und dunklen Haaren kommt herein. Er spricht kurz mit der rothaarigen Sekretärin, die uns vermutlich alle empfangen hat, und setzt sich dann auf den letzten leeren Stuhl mir gegenüber. Vorsichtig lächelt er mich an. Abgesehen von mir ist er der Einzige, der nicht im Anzug gekommen ist. Er trägt eine graue Stoffhose und ein ziemlich auffälliges Hemd mit geometrischen Figuren darauf. Erleichtert erwidere ich sein Lächeln und nicke ihm als Gruß zu, bis ich sehe, dass seine Arbeitsmappe mindestens doppelt so dick ist wie meine. Scheiße, der Einzige, der aussieht, als hätte er Kreativität im Leib, und dann muss er auch noch viel mehr Erfahrung mitbringen als ich. Mir dämmert, dass diese Sache hier wohl gelaufen ist, ehe ich überhaupt eine Chance bekomme. Immerhin bin ich vor ihm dran. Das heißt, ich muss einen bleibenden Eindruck hinterlassen, bevor er mit seiner Mappe protzen kann. Na klar, ich bin ja auch so gut darin, mich selbst zu verkaufen. Genau deshalb habe ich beinahe meine kleine Firma verloren, die auch jetzt nur schleppend läuft. Aber sie läuft dennoch, beruhige ich mich.
Die milchige Glastür, die zu den Firmenbüros führt, geht auf und die letzte Bewerberin, die hineingerufen wurde, kommt wieder heraus. Sie wirkt geschafft. Vorhin noch, als sie hineingerufen wurde, strotzte sie vor Selbstbewusstsein und Zuversicht. Jetzt hingegen atmet sie lange und geräuschvoll aus, schnappt sich ihre Tasche und verschwindet auffällig schnell.
Wenn schon diese Amazone scheitert, wie soll ich dann vor dem Eigentümer glänzen, der als brillanter Profi und geschäftstüchtiger Aufsteiger gilt.
Verdammt! Ich hätte doch mein schwarzes Kleid anziehen sollen, auch wenn ich es langweilig und altmodisch finde. Vielleicht hätte ich dann seriöser und etwas älter gewirkt. Immerhin bin ich erst sechsundzwanzig und sehe leider kein Stück älter aus als Mitte zwanzig, von erfahren ganz zu schweigen. Im Hinterkopf höre ich die Stimme meiner Mutter, die mich mit spitzer Zunge zurechtweist:
„Du hättest dir wenigstens die Haare zusammenbinden können. Schließlich bist du ja kein Hippie!“
Normalerweise würde ich mit ihr über eine derartige Bemerkung streiten, ihr erklären, dass mein Stil mehr Boho ist, was sie natürlich nicht verstehen würde. Doch im Moment bin ich versucht, ihr vollkommen recht zu geben.
Ein erschreckender Gedanke.
„Camilla Johansson?“, dröhnt es aus dem Seitenbüro.
Scheiße. Das bin ich!
„Ähm … ja“, flüstere ich und klinge dabei, als wäre ich mir nicht sicher, ob ich das bin.
Super gemacht. Toller erster Eindruck.
„Sie sind als Nächste an der Reihe. Gehen Sie bitte durch die Büroräume bis zum Ende des Gangs. Dort finden Sie das Büro des Chefs.“ Die Rothaarige, die nicht viel älter sein kann als ich, deutet gleichgültig auf die Tür.
„Danke.“ Ich suche meine Sachen zusammen. Arbeitsmappe, Bewerbungsunterlagen und meine Jacke, die ich hätte anziehen sollen. Da mir gerade der Schweiß ausbricht, lasse ich es lieber sein. Ich öffne die Tür und befinde mich in einem Großraumbüro, in dem hektisch gearbeitet wird. Einige Augenpaare mustern mich beiläufig, wie ich unsicher meinen Weg durch Veith Media finde, jene Agentur, für die ich nur allzu gerne arbeiten möchte. Ein junger Typ sieht von seinem Computer hoch, taxiert mich von oben bis unten, ehe er mit einem amüsierten Grinsen zu seiner Arbeit zurückkehrt. Ist das Kleid wirklich so kurz? Oder hat er bloß eine Schwäche für Beine? Gott, bin ich nervös. Mir ist schlecht, und ein Teil von mir möchte umdrehen und wieder nach Hause gehen, in die kleine Wohnung, die noch nicht einmal eingerichtet ist und die ich vielleicht nicht länger bezahlen kann, wenn ich nicht bald mehr Arbeit finde.
Ich brauche diesen Job, ich will diesen Job, sage ich mir immer wieder, während ich den hellgrauen Teppich mustere, der mich zuerst an ein paar kleinen Büros vorbeibringt und schließlich am Ende des Gangs vor einer weiteren Tür aus Milchglas endet. Auf ihr steht der Name des Agenturinhabers: Connor Veith – Geschäftsführer.
Ich klopfe. Während ich auf eine Antwort warte, fließen binnen Sekunden sämtliche Informationen, die ich über Veith Media recherchiert habe, zusammen mit der Strategie, die ich mir für dieses Gespräch überlegt habe, aus meinem Hirn.
„Herein“, höre ich eine leise Männerstimme.
Mit leer gefegtem Kopf öffne ich die Tür und finde mich in einem Vorzimmer wieder, das geschmackvoll und gemütlich eingerichtet ist. Ein junger Mann in den Dreißigern bittet mich mit einer Geste hereinzukommen und verbeißt sich bei meinem Anblick offensichtlich ein Grinsen. Er wirft einen kurzen Blick auf den Computerbildschirm, ehe er mir wieder seine Aufmerksamkeit zuwendet.
„Camilla Johansson … Ich danke Ihnen alleine dafür, dass ich Ihretwegen zum ersten Mal seit heute Morgen eine Pause von billigen schwarzen Anzügen bekomme.“
Ich mag ihn auf Anhieb. Er erinnert mich an Sascha, einen sehr guten Freund, auch wenn ich ihn erst seit ein paar Monaten kenne. Dankbar lächle ich ihn an, weil er einen Teil meiner Nervosität verscheucht hat.
„Dann finden Sie nicht, dass ich vielleicht etwas unpassend gekleidet bin?“, frage ich sicherheitshalber nach. Er wirkt wie jemand mit Stilbewusstsein. Ein Mann, der als Assistent für einen Werbeprofi wie Connor Veith arbeitet und dann noch aussieht wie ein ehemaliges Calvin Klein-Model mit diesen hellblauen Augen und den langen Wimpern – habe ich erwähnt, dass er kornblonde Haare hat, mit Strähnchen? –, kann nicht danebenliegen, wenn es um Mode oder Stil geht.
„Ich finde, Sie können so etwas tragen“, flüstert er mir verschwörerisch mit einem Zwinkern zu. Leider weiß ich mit dieser Antwort nichts anzufangen. Findet er mich lediglich hübsch genug dafür, oder will er damit andeuten, dass ich ihm mutig genug erscheine, so etwas bei einem Bewerbungsgespräch zu tragen?
„Warten Sie einen Moment. Ich kündige Sie schnell an.“
Elegant erhebt er sich und geht nach nebenan. Die Gelegenheit, während er kurz in das angrenzende Zimmer verschwindet, nutze ich, um mir sein Namensschild anzusehen. Daniel Lorenz. Der Mann mit den längsten Wimpern, die ich je gesehen habe, und der Erste, der heute nett zu mir war.
„Sie können zu ihm.“
Erschrocken drehe ich mich um und blicke in humorvolle Augen. Daniel umrundet mich und setzt sich wieder an seinen Schreibtisch.
„Viel Glück“, wünscht er mir mit einem hintergründigen Schmunzeln, das ich nicht einordnen kann.
„Danke“, antworte ich aufgeregt.
Ohne zu klopfen, öffne ich die Tür und sehe einen dunkelblonden, beinahe schon nussbraunen Haarschopf, der sich über ein paar Papiere beugt. Zurückhaltend trete ich ein, schließe leise die Tür hinter mir und warte in der Mitte des Raums. Doch der Mann mir gegenüber blickt nicht auf. Nervosität und Unbehagen kriechen in mir hoch, da der Mann, für den ich arbeiten möchte, nicht mal zu mir hochsehen will.
Das fängt ja gut an.
Als mir die Warterei zu lange dauert, räuspere ich mich vorsichtig. Ein Ruck geht durch seinen Körper, als habe er eben erst die Anwesenheit eines anderen Menschen in seinem Büro wahrgenommen. Was soll das denn? Immerhin hat sein Assistent mich doch gerade eben angekündigt.
Connor Veiths Blick zuckt nach oben. Als er mir in die Augen blickt, sackt mein Magen direkt in den Boden, einfach so. Keine Ahnung warum, aber seine grauen Augen bringen mich von einer Sekunde auf die andere völlig aus dem Konzept. Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht mit diesem Mann.
Er sieht mich schweigend von oben bis unten an, so als müsse er sich versichern, dass ich tatsächlich aussehe, wie ich nun einmal aussehe, und hier vor ihm stehe. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber bestimmt habe ich nicht erwartet, ausgerechnet bei einem Bewerbungsgespräch dem attraktivsten Mann gegenüberzustehen, dem ich je begegnet bin. Seine Haare sind blond, eigentlich nussfarben, seine Augen erstaunlich grau. In dem leicht gebräunten Gesicht wirken sie eindringlich und fallen auf. Obwohl er sitzt, sehe ich, dass er schlank und durchtrainiert ist. Sein Anzug sieht an ihm nicht wie eine fade Verkleidung aus wie an den Leuten, die vor seiner Tür sitzen und auf diesen Job hoffen. An ihm wirkt er wie eine zweite Haut. Eine sehr elegant aussehende dunkelblaue Haut. Nur die Krawatte hebt sich ab. Sie ist silbern, fast so wie seine Augen, die gerade sehr eingehend meine Beine mustern. Ich bekomme Gänsehaut davon. Die Tatsache, dass er noch kein Wort gesagt hat, macht mich verlegen und unsicher. Außerdem komme ich mir fast schon nackt und bloß vor ihm vor. Und das liegt nicht nur an dem luftigen Frühlingskleid, das ich trage.
Das Schweigen dehnt sich zwischen uns mehr und mehr aus. Es ist nicht das unangenehme Schweigen zweier Fremder, die sich einfach nicht kennen. Es ist ein energiegeladenes, angstmachendes Schweigen, das ich so überhaupt nicht kenne und das mich langsam, aber sicher panisch werden lässt. Deshalb fühle ich den Drang, endlich etwas zu sagen.
„Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“ Vorsichtig trete ich näher, bis ich kurz vor seinem riesigen Glasschreibtisch stehen bleibe. Um meine Nervosität zu überspielen, lächle ich ihn breit an. Leider fällt mir dabei auf, wie schön sein Mund ist, der mein Lächeln aber in keiner Weise erwidert. Immer noch starrt er mich an.
„Camilla Johansson?“, fragt er sichtlich irritiert.
Geradezu geschockt davon, dass er tatsächlich mit mir redet, benötige ich einen kurzen Moment, um zu reagieren. Die Art, wie er meinen Vornamen, den ich eigentlich nicht leiden kann, ausspricht, ist seltsam und irgendwie schön.
„Ja, das bin ich … Aber ich werde Cami genannt“, erkläre ich und versuche nicht darauf zu achten, wie seine Stimme geklungen hat. Ich habe nicht einmal Worte, um zu beschreiben, wie dieser leicht tiefe Ton auf meine Haut und auf meinen Herzschlag wirkt. Das alles ist beunruhigend und es gefällt mir nicht.
Oder etwa doch? Besser nicht darüber nachdenken.
„Gut, Cami also“, murmelt er und wirkt nun völlig gefasst. Mit seiner Hand macht er eine Geste in Richtung des Stuhls neben mir. Als ich mich setze, fällt mir auf, dass meine Bewerbung vor ihm auf dem Tisch liegt.
Hat er etwa darin gelesen, als ich reinkam?
Er lehnt sich in seinem Lederstuhl weit zurück und lässt keine Sekunde die Augen von mir, wie ein Jäger, der auf den noch so kleinsten Fehler seiner Beute wartet. Herrje, kein Wunder, dass die letzte Bewerberin so durch den Wind war, als sie ihm entkommen ist. Was denke ich denn da? Reiß dich endlich zusammen, Cami! Das hier ist ein Jobinterview!
„Wie Sie sicher wissen, bin ich Connor Veith, Inhaber und Geschäftsführer der Agentur.“ Nun klingt seine Stimme ganz anders, beherrscht, kontrolliert, so als könne nichts ihn überraschen oder überrumpeln. Ich nicke.
„Was wissen Sie über Veith Media, Cami?“ Abwartend sieht er mich an. Aus einem unerfindlichen Grund habe ich das Gefühl, trotz dieser unverfänglichen Frage, gerade einer Prüfung unterzogen zu werden.
„Ich weiß, dass Sie im letzten Jahr diverse Preise für Ihre Projekte gewonnen haben und als die Aufsteigeragentur des Jahres in der Branche gelten. Sie haben Veith Media auf eine breite Basis gestellt und bieten nicht nur klassische Werbung an. Sie haben einen guten Ruf in Corporate Design-Erstellung und in Neue Medien“, rattere ich die Informationen, die plötzlich wieder in meinem Kopf auftauchen, herunter.
„Also ein Traum für jeden Grafiker“, schicke ich noch hinterher und versuche mich in einem hoffnungsvollen Lächeln, wie es sich für einen engagierten Bewerber gehört.
„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht“, meint er schlicht und ignoriert meinen Versuch, über den Job zu sprechen.
„Ich möchte ehrlich sein“, beginnt er ernst und sieht mir dabei nicht mehr in die Augen, was mir ein schlechtes Gefühl verschafft. „Ihre Bewerbung unterscheidet sich doch sehr von den anderen.“
Ich habe zu wenig Erfahrung. Er traut mir diesen Job nicht zu. Ich wusste es. Verdammt!
Schnell schlucke ich den dicken Kloß im Hals hinunter, ehe ich fähig bin, darauf halbwegs professionell zu reagieren. Kaum möchte ich dazu etwas sagen, spricht er schon weiter.
„Sie haben nicht gerade viel profunde Erfahrung vorzuweisen. Doch was Ihre Arbeitsproben betrifft … die könnten nicht vielversprechender sein.“
Überrascht sehe ich hoch und entdecke in seinem Gesicht, dass er absolut ernst meint, was er gerade gesagt hat.
„Ich liebe das, was ich tue“, sage ich schlicht. Das ist nicht gerade einfallsreich, dafür aber wahr.
„Das sieht man“, merkt er an und lächelt dabei beinahe, was ihm offenkundig widerstrebt. Connor Veith ist wirklich ein unverschämt attraktiver Mann. Nein, das ist gelogen und sogar untertrieben. Er ist wahnsinnig heiß und so scharf, dass es schwerfällt, ihn nicht ständig anzustarren.
Apropos Starren. Gerade tut er es wieder. Zuerst ist mein Gesicht dran, danach wieder meine Beine. Ich versuche am Saum des Kleides zu ziehen, doch es ist zu kurz. Was ich auch versuche, der Großteil meiner Oberschenkel ist deutlich zu sehen. Was hat mich nur geritten, ausgerechnet dieses Kleid anzuziehen?
„Vielleicht zeigen Sie mir Ihre Arbeitsmappe, dann kann ich mir einen besseren Überblick verschaffen. Mich interessiert ohnehin viel mehr, was nicht in Ihren Bewerbungsunterlagen steht.“ Leider habe ich das Gefühl, dass ich sofort mehr in diese Worte hineindeute, als gemeint war. Etwas eingeschüchtert von seiner männlichen Präsenz und seinem guten Aussehen stehe ich auf und reiche ihm meine Mappe über den Schreibtisch. Während er sich die Ausdrucke meiner Arbeiten ansieht, mustere ich sein Gesicht. Er hat eine deutlich ausgeprägte Kieferpartie und klassisch geschnittene Gesichtszüge. Wenn er nicht Agenturbesitzer und Geschäftsmann wäre, könnte er ohne Weiteres überteuerte Designeruhren oder Anzüge bewerben. Ein Bild von ihm würde so gut wie alles verkaufen. Interessiert blättert er vor und zurück, was mich beruhigt. Doch seine Miene lässt nicht erkennen, was er denkt. Nicht das kleinste bisschen. Als mein Blick von ihm abschweift, fällt mir auf, dass etwas in dem modern und eher männlich eingerichteten Büro nicht passt. Hinter ihm, an der rechten Seite des großen Büros, hängen fantastische Werbefotografien und Schwarz-Weiß-Fotos der Wiener Innenstadt. Zu seiner Linken befindet sich ein sehr großes Bild einer Modeskizze, die ein rotes Abendkleid mit einem folkloreartigen Umhang darstellt. Der Stil kommt mir bekannt vor. Alles in allem finde ich, dass es nicht zu Connor Veith passt, dessen Büro in schwarz und grau gehalten ist, männlich, stilvoll und ohne jeden Schnickschnack. Ich könnte in einem derart ordentlichen Büro nicht arbeiten.
„Sie bewundern den Entwurf?“ Überrascht blicke ich zu ihm. Er hält meine Mappe geschlossen in der Hand, während er auf eine Antwort wartet.
„Ja. Das Motiv kommt mir bekannt vor. Aber ich kann nicht sagen, woher“, gebe ich zu.
„Robyn James“, stellt er klar.
„Natürlich. Die Designerin … Wie sind Sie zu diesem Bild gekommen?“
„Sie ist meine Mutter.“
Verblüfft über diese Tatsache sehe ich ihn an. Das wusste ich nicht. So gut wie jeder weiß, dass er der Sohn des ehemaligen Politikers Julius Veith ist. Aber ich habe nicht einmal geahnt, dass seine Mutter ebenfalls prominent und erfolgreich ist. Wundern sollte es mich nicht. Schließlich sitze ich einem Mann gegenüber, der es mit zweiunddreißig Jahren in die Top-Liga der Agenturen geschafft hat. Als junger Anfänger in der Branche fällt es schwer, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Dennoch mache ich mir lieber meine eigenen Eindrücke von jemandem.
„Dann verdanken Sie Ihre kreative Ader Ihrer Mutter?“, frage ich zurück, weil ich neugierig bin und mehr über ihn wissen will, auch wenn das keine Rolle spielen sollte. Jedenfalls nicht für mich, nicht wenn ich nur für ihn arbeiten möchte.
„Sie ist ein gutes Vorbild“, beendet er das Thema knapp und schnappt sich meine Bewerbungsunterlagen. Es gefällt ihm offensichtlich nicht, dass ich etwas über sein Privatleben wissen möchte.
„Sie haben neben diversen Praktika nur zwei Anstellungen in Ihrer Vita. Wie kommt das? Liegt es an Ihrem Alter?“
„Die erste Festanstellung bekam ich direkt nach meiner Ausbildung, leider nur auf Zeit … Und die zweite habe ich … gekündigt“, gebe ich zu, und die Erinnerung an alles, was mit dieser Stelle zu tun hat, liegt wie ein schwerer Stein in meinem Magen.
„Wieso?“, fragt er verständlicherweise. Und obwohl ich auf diese Frage vorbereitet bin, fällt mir die Antwort schwer.
„Die Wahrheit ist … mein Chef und ich hatten sehr unterschiedliche Auffassungen über meine Arbeit und darüber, wie man eine Frau, die für einen arbeitet, anständig behandelt.“ Finster sieht er mich an, fast schon zornig. Dieser Mann kann einem durchaus Angst machen, wenn er will.
„Wie meinen Sie das? Hat er Sie etwa belästigt?“, verlangt er zu wissen. Er wirkt aufgebracht. Erstaunt über seine Reaktion suche ich nach einer passenden Antwort.
„Er wollte jemanden, der alles so umsetzt, wie er es haben möchte, selbst wenn der Kunde etwas ganz anderes von uns verlangt hat. Deshalb haben wir viele Aufträge und Kunden verloren. Und mein Versuch, Designs nach den Kundenwünschen zu gestalten, hat immer öfter zu Schreianfällen seinerseits geführt. Und in wenig schmeichelhaften Bemerkungen über mich als Frau und den Grad meiner Intelligenz.“ Diplomatischer kann man die Wahrheit kaum verpacken … oder runterspielen.
„Soll heißen, Sie haben fast zwei Jahre für einen Choleriker gearbeitet, der mehr an seinem Ego interessiert war als an der Erfüllung der Kundenwünsche oder dem Erfolg der Firma … Wie schlimm war es für Sie, ehe Sie gegangen sind?“ Er sieht mich mit einem Blick an, der klarmacht, dass er die Wahrheit wissen will. Dieser Zug an ihm gefällt mir und macht mir auch Angst. Denn Lügen liegt mir nicht. Nicht einmal dann, wenn es mehr als angebracht wäre.
Unruhig rutsche ich auf meinem Sitz hin und her. „Sagen wir es so, ich bin gegangen, ehe er mich völlig kleinkriegen konnte.“ Traurigerweise gilt das ebenso für meine letzte Beziehung, die ich kurz nach meiner Kündigung beendet habe.
„Ich denke, ich verstehe.“ Etwas leuchtet in seinen Augen auf, ehe der Geschäftsmann, der gerade eine Bewerberin überprüfen sollte, zurückkehrt, um weiterzumachen.
„Hier steht, Sie haben eine eigene Designfirma. Seit über drei Jahren … Ist das noch aktuell?“
„Ja, ich habe ein Kleinunternehmen und nehme Aufträge an. Ein paar der Sachen in meiner Mappe stammen übrigens von Cami Designs. Wenn ich den Job hier bekommen sollte, werde ich andere Aufträge natürlich nur annehmen, wenn es meine Zeit zulässt“, versichere ich ihm, weil ich weder Cami Designs noch die Chance auf diesen Job aufgeben möchte. Beides bedeutet mir unglaublich viel.
„Ein eigenes kleines Unternehmen erfordert Eigeninitiative, Geschick und Talent. Nicht viele schaffen es, noch während ihrer Ausbildung so etwas auf die Beine zu stellen.“ Seine Worte fühlen sich unbeschreiblich gut an. Wenn jemand seines Formats einen ernst nimmt und das, was man tut, kann man doch kein Versager sein, egal was andere sagen oder man manchmal selbst fühlt, oder?
„Danke. Es ist schön zu sehen, dass jemand diese Art von Herausforderung versteht und respektiert“, gebe ich zu, obwohl ich einfach nur „Danke“ hatte sagen wollen. Dieser Mann bringt mich dazu, zu viel über mich selbst zu verraten. Das ist eine meiner Schwächen. Ich gebe zu viel von mir preis und achte zu wenig auf die Gefahren dabei. Aber ich arbeite daran. Erfahrung macht schließlich klug, besonders dann, wenn sie einen nicht glücklich gemacht hat.
„Das Einzige, was nicht ins Bild passt“, gibt Connor zu bedenken, „ist Ihr Aufenthalt in Berlin und dieses Kunstpraktikum.“ Langsam atme ich aus und sehe ihm direkt in die Augen. Es ist wie verhext. Aus einem mir unbekannten Grund kann ich diesen Mann nicht anlügen, nicht einmal eine kleine Notlüge, um diesen Job zu bekommen, kommt mir über die Lippen.
„Es war eine Möglichkeit, tiefer in den Kunstbereich einzudringen und … ich habe eine Auszeit gebraucht, um zu überlegen, wie es mit Cami Designs weitergeht und was ich eigentlich als Grafikerin erreichen möchte. Weshalb ich heute hier bin. Ich will diesen Job.“ Unbedingt.
Gott, habe ich gerade das Wort „eindringen“ benutzt?
Wie peinlich. Meine Wangen fangen an zu brennen.
Connor lehnt sich zurück. Abschätzend betrachtet er mich. Aber ich kann beim besten Willen nicht erkennen, ob er mich als Arbeitskraft abschätzt oder als Frau. Sein Blick ist widersprüchlich, unmöglich zu deuten. Was geht hinter diesen sturmgrauen Augen vor sich? Was wird dieser Mann, von dem Brancheninsider behaupten, er wäre fordernd und clever, in Bezug auf mich entscheiden?
Ich spüre ein Ziehen im Bauch, während ich warte. Leider steigt dabei auch eine Hitze in mir hoch, weil ich diesen Mann unleugbar anziehend finde. Etwas, mit dem ich nicht sehr vertraut bin und das mich ziemlich nervös macht, da ich nicht damit gerechnet habe. Es trifft mich unvorbereitet. Eigentlich bin ich nicht gerade die Art Frau, die einfach so scharf auf einen Mann ist oder spontane Anziehungskraft auf täglicher Basis kennt. Und schon gar nicht weiß ich damit richtig umzugehen. Merkwürdigerweise genießt ein Teil von mir das Prickeln, das dieser Mann in mir auslöst, wenn seine Augen über mein langes Haar und meinen Körper wandern, so wie jetzt, als habe er vergessen, dass es sich hierbei um einen Geschäftstermin handelt und er mir eigentlich noch eine Entscheidung mitteilen muss.
Ich zucke zurück, als er sich plötzlich erhebt, um hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu gehen. Ein harter Zug überschattet seine attraktiven Gesichtszüge. Und ja, er ist definitiv groß und durchtrainiert.
„Ich verlasse mich im Grunde genommen immer auf meinen Instinkt. Was das Geschäft betrifft, hat er mich noch nie im Stich gelassen. Und mein Instinkt sagt mir, dass Sie genau die Richtige für diesen Job sind. Aber etwas sagt mir, dass ich mit Ihnen ein nicht kalkulierbares Risiko eingehe. Und ich mag keine Risiken, die ich nicht kontrollieren kann.“
Er baut sich förmlich vor mir auf, sieht auf mich herab. Ich muss ein Schaudern unterdrücken, dessen wahre Ursache ich nicht zu ergründen wage.
„Ich werde Ihnen dennoch eine Chance geben, Cami“, verkündet er, und die Art, wie er meinen Namen dabei sagt, ist geradezu intensiv.
„Aber ich werde Sie nicht fest einstellen.“
Überrascht sehe ich zu ihm hoch. Seine Arme hat er vor seiner Brust verschränkt, als müsse er sich vor etwas abschirmen.
„Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen.“ Soll ich mich freuen oder nicht? Habe ich den Job nun oder nicht?
„Sie werden als Grafikerin für mich arbeiten … Doch Sie werden keine Angestellte sein und ich nicht Ihr Boss … Ich biete Ihnen einen Vertrag an als Agenturgrafikerin. Das bedeutet, ich wäre Ihr Auftraggeber und Sie würden mir mit Ihrer Firma exklusiv zur Verfügung stehen. Veith Media kommt dabei immer an erster Stelle. Sie können andere Aufträge annehmen, allerdings dürfen Sie nicht in direkter Konkurrenz zu uns oder einem unserer Kunden stehen. Wir vereinbaren einen Rahmenvertrag und eine Honorarbasis, mit der Sie bestimmt einverstanden sein werden. Danach sehen wir weiter.“ Sichtlich zufrieden mit sich und seinem Angebot setzt er sich auf die Schreibtischkante, direkt vor mir.
„Ich würde also für Sie arbeiten als freie Grafikerin, aber dennoch so bezahlt werden, als wäre ich angestellt. Sie wären mein wichtigster Auftraggeber, aber ich wäre dennoch selbstständig. Wieso sollten Sie das tun?“
„Weil ich Ihnen diese Chance geben möchte, und ich denke, Sie und Ihre Arbeit werden Veith Media einen frischen Touch verleihen und die Agentur weiterbringen. Aber als eine meiner freien Mitarbeiter sind Sie mir nicht als Angestellte unterstellt. Das wird uns Zeit geben, auszutesten, was zwischen uns möglich ist.“ Ein merkwürdiger Ausdruck huscht über sein Gesicht, den ich bis tief in den Unterleib spüren kann, auch wenn ich gar nicht weiß, was das genau bedeutet.
„Sie meinen, welche Art von Zusammenarbeit zwischen uns möglich ist?“, werfe ich ein.
„Ja. Auf diese Weise minimieren wir das Risiko.“ Für ihn. Oder? Darum geht es doch. Er will mit mir kein Risiko eingehen, aber mir dennoch eine Chance geben.
Ich kann es immer noch nicht glauben, deshalb muss ich es noch mal genau wissen.
„Dann habe ich den Job also?“
„Sie haben den Job, Cami. Anders als gedacht vielleicht, aber Sie haben ihn“, stellt er klar und schenkt mir ein umwerfendes Lächeln. Mir bleibt förmlich die Luft weg. Wie soll ich bloß denken können, wenn er mich anlächelt?
Ich stehe auf und weiß nicht so recht, wie ich mich nun verhalten soll, also mache ich einen Schritt auf ihn zu und strecke ihm die Hand entgegen.
„Danke“, sage ich und warte darauf, dass er meine Geste annimmt. Als er seine leicht rauen, warmen Finger um meine schließt, fühle ich das Brennen in meinen Wangen nur allzu deutlich.
„Sie werden es nicht bereuen“, verspricht er mir, während er mich mit einem ernsten und eindringlichen Blick bedenkt.
„Ganz bestimmt nicht. Das ist geradezu ein wahr gewordener Traum“, stammle ich. Nachsichtig lächelt er über meine Begeisterung.
„Wir werden sehen, wie traumhaft Sie es finden, wenn ich Ihnen mehr abverlange, als Sie je für möglich gehalten haben.“ Seine halb ernste Warnung löst bei mir ein seltsames Gefühl aus, das mich fast vergessen lässt, dass er immer noch meine Hand in seiner hält. Langsam und sehr ungern ziehe ich meine Hand aus seiner.
„Die Details wird Ihnen mein Assistent Daniel zukommen lassen … Sie fangen nächste Woche an.“ Er fragt gar nicht erst, ob ich damit einverstanden bin. Er nimmt es als gegeben hin. Daran muss ich mich wohl bei ihm gewöhnen.
„Gut. Dann gehe ich jetzt.“ Ein Teil von mir freut sich schon darauf, an der Anzugparade vorbeizulaufen in dem Wissen, dass ich, die Trägerin des Frühlingskleides, für die alle nur mitleidige Blicke übrighatten, die Stelle habe. Ich schnappe mir meine Sachen und bin froh darüber, dieses Büro zu verlassen, da Connor Veiths Nähe richtiggehend überwältigend ist. Gerade als ich durch die Tür verschwinden will, hält Connors tiefe Stimme mich nochmals zurück.
„Nur für die Zukunft … An Ihrer Stelle würde ich ein nicht ganz so freizügiges Kleid anziehen, wenn Sie in meinem Namen oder im Namen der Agentur auftreten.“
Mit hochroten Wangen drehe ich mich zu ihm um und kann nicht verhindern, dass mein Mundwerk und meine zwanghafte Ehrlichkeit mich erneut in Schwierigkeiten bringen.
„Ich hatte nicht das Gefühl, dass Ihnen mein Kleid missfällt.“
Amüsiert wirft er mir einen Blick zu und schüttelt dabei leicht den Kopf.
„Dennoch … Ein paar Zentimeter weniger Bein das nächste Mal. Ich sage das nur in Ihrem Interesse.“
Wieder schenkt er mir diesen intensiven Blick, den ein Boss – nein, ein Auftraggeber – für seine neue Grafikdesignerin eigentlich nicht übrighaben sollte.
„Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.“
Auch wenn er Connor Veith ist, Geschäftsführer einer erfolgreichen Agentur und der anziehendste Mann, der mir je über den Weg gelaufen ist, lasse ich mir von ihm nicht vorschreiben, was ich trage oder nicht. Zu hart habe ich daran gearbeitet, ich selbst zu sein und dazu zu stehen.
Außerdem hat es mir viel zu gut gefallen, wie er mich in dem Kleid angesehen hat. Aber das würde ich niemals vor ihm zugeben.
„Tun Sie das“, höre ich ihn amüsiert murmeln, als ich die Tür hinter mir schließe.