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Kapitel 4

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Cami

Die Zeit vergeht wie im Flug. Heute ist mein vierter Tag in der Agentur, und mir schwirrt der Kopf von all den neuen Eindrücken, den Brandbooks der Stammmarken, die wir betreuen, und von den vielen Namen, die ich mir kaum alle merken kann.

Bereits am zweiten Tag habe ich ein paar kleinere Arbeiten erledigt, die einer der Art-Direktoren überprüft und einer der drei Grafiker namens Marco mit mir besprochen hat. Da es gut gelaufen ist, waren die ersten Tage zwar anstrengend, aber zufriedenstellend. Ich fühle mich wohl und versuche zu ignorieren, dass ich Connor seit meinem ersten Tag, als ich ihn kurz dabei ertappt habe, wie er mich beobachtet, nicht mehr gesprochen habe. Ehrlich gesagt habe ich ihn kaum zu Gesicht bekommen und wenn, dann ging er nur an mir mit einem knappen Nicken vorbei und wirkte stets sehr beschäftigt. Daher bin ich umso nervöser, dass ich heute ein paar Plakate und eine kurze Präsentation für einen Pitch nicht mit David, einem der leitenden Art-Direktoren, durchgehen soll, sondern direkt mit ihm. David versuchte mich zu beruhigen, es sei so üblich. Aber die Nervosität, wieder in Connors Nähe zu sein, bleibt.

Ich habe noch eine Stunde, ehe der Termin beginnt. Ich möchte sie nutzen, um mir einen Kaffee zu machen und mir Mut zuzusprechen. In der kleinen Teeküche begegne ich Charlotte, einer der Texterinnen, mit der ich mich bisher gut verstehe. Sie ist nett und sehr neugierig, was zur Folge hat, dass sie viel über die Leute hier weiß und auch sehr viel über den Boss zu erzählen hat. Ich glaube, sie tratscht ganz gerne. Da sie es aber nie auf eine unangenehme oder gar gehässige Weise tut, stört es mich nicht, ganz im Gegenteil. Ihre braunen Augen strahlen mich an, als ich mich mit dem Kaffee zu ihr setze.

„Na, läuft es immer noch gut?“, fragt sie mich.

„Ja. Auch wenn ich mich nie an diese komische Vorgabe gewöhnen werde, dass wir uns siezen und gleichzeitig beim Vornamen anreden sollen.“ Sie lacht und ihre rotbraunen Locken wippen dabei vergnügt.

„Keine Sorge. Das geht allen so. Außerdem …“, beginnt sie zu flüstern, „… hält sich kaum jemand daran, wenn er länger hier ist. Connor sieht darüber hinweg, obwohl es seine Vorgabe ist. Nur gegenüber den Kunden verlangt er es strickt … Das ist so typisch für ihn!“ Kopfschüttelnd pustet Charlotte auf ihren Tee.

„Wie meinst du das?“,

„Na ja, diese ganze Mischung aus beinahe lockerer Nähe und professioneller Distanz.“ Nachdenklich kaue ich auf meiner Lippe. Sie hat recht. Mein erster Eindruck untermauert das. Da wir gerade beim Thema Connor sind, versuche ich ihr noch mehr aus der Nase zu ziehen, weil ich verdammt neugierig bin, was ihn betrifft.

„Mal ehrlich, es ist schon ungewöhnlich, dass ein männlicher Geschäftsführer einen männlichen Assistenten hat. Bisher ist es mir noch nie untergekommen. Nicht gerade typisch hier in Wien.“ Sie schmunzelt und schluckt meinen Köder.

„Das hat gute Gründe … Die Agentur gibt es jetzt seit über drei Jahren und bisher hat er es mit drei Assistentinnen versucht. Es endete immer auf dieselbe Weise …“

Anzüglich hebt sie die Augenbraue. Sofort fühle ich ein ungutes Gefühl im Bauch. Sie will doch nicht andeuten, dass Connor mit jeder etwas hatte! Das glaube ich nicht. Nein, schlimmer. Ich will das nicht glauben. Unbewusst halte ich die Luft an und lasse sie erst wieder raus, als Charlotte weiterspricht.

„Sie kommen, werden eingestellt, verlieben sich in ihn und sind nicht einmal in der Lage, es zu verbergen. Anfangs ignoriert er es genervt. Irgendwann langt es ihm und dann gehen sie. So war es jedes Mal.“

„Daher Daniel.“

„Daher Daniel“, bestätigt sie mit einem Augenzwinkern.

Die Erleichterung, die ich darüber empfinde, dass Connor den eindeutigen Avancen seiner bisherigen Assistentinnen keine Beachtung geschenkt hat, gibt mir zu denken. Schließlich ist sie fehl am Platz, absolut unangebracht.

„Schön zu wissen, dass er nicht dem typischen Klischee eines erfolgreichen Mackers entspricht.“

Als ich ein Räuspern hinter mir vernehme, trifft mich fast der Schlag, und ich bete, dass ich mich irre und Connor Veith nicht hinter mir steht und gehört hat, was ich gerade von mir gegeben habe. Doch als ich in Charlottes aufgerissene Augen sehe, ist jede Hoffnung dahin.

„Gut zu wissen, dass Sie so eine hohe Meinung von mir haben. Obwohl ich es begrüßen würde, wenn Sie mich hinter meinem Rücken nicht unbedingt als Macker bezeichnen würden.“

Mir sackt das Herz in die Hose, als ich mich langsam umdrehe und Connor im Türrahmen entdecke, der mich mit einer Mischung aus Heiterkeit und Missbilligung ansieht. Oh Gott! Wieso konnte ich nicht die Klappe halten? Ich möchte im Erdboden versinken und senke meinen Blick genau dorthin, so peinlich ist mir das Ganze.

„Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass mein Termin nicht erschienen ist und wir unseren deshalb schon jetzt abhalten können. Wenn Sie dann so weit wären“, lässt er mich wissen, dreht sich um und verschwindet einfach.

„Ich glaube, ich bin gerade vor Scham um Jahre gealtert“, gibt Charlotte mit großen Augen von sich.

„Was denkst du, wie es mir geht. Ich muss ihm jetzt eine halbe Stunde gegenübersitzen und meine Entwürfe besprechen.“ Mit eingezogenem Kopf erhebe ich mich und stelle fest, dass meine Beine mich kaum noch tragen. Jetzt bin ich nicht nur nervös, sondern auch noch starr vor Angst. Perfekt!

Wie ferngesteuert gehe ich zu meiner Workstation und hole den USB-Stick mit den nötigen Daten. Ich schlucke, als ich an Daniels Tür klopfe und eintrete. Offenbar ist er gar nicht da, was zumindest erklärt, weshalb Connor selbst gekommen ist, um mich zu holen. Nicht gerade ein Bündel voller Selbstvertrauen klopfe ich an die Tür und betrete sein Büro, nachdem ich ein leises „Ja“ vernommen habe.

„Connor, lassen Sie mich nur kurz erklären, was Sie da glauben, gehört zu haben“, beginne ich nervös und stockend. Als er mich mit unbeeindruckter Miene ansieht, werde ich sogar noch nervöser. „Es war nur eine dumme Bemerkung über ein Missverständnis, eine unachtsame Dummheit meinerseits, ich …“ Ich rede Mist und kann nicht damit aufhören! Hilfe!

„Schon gut“, stoppt er mich knapp. Mit offenem Mund starre ich ihn verständnislos an. Schon gut? Ist das sein Ernst?

„Wir wollen nicht mehr daraus machen, als es ist … Schließlich habe ich Sie ein wenig bloßgestellt und Charlotte hatte wohl den Schock ihres Lebens. Vielleicht gelingt es ihr, eine ganze Woche ohne Tratsch auszukommen. Zumindest wäre ich beeindruckt, wenn dem so wäre“, sinniert er. Connor scheint seine Angestellten gut zu kennen. Ich kann immer noch nicht feststellen, ob er nun erheitert ist und die Sache locker nimmt oder ob er bloß seine Verärgerung hinter einer gleichgültigen Maske verbirgt. Connor ist schwer einzuschätzen. Er lässt sich jedenfalls nicht in die Karten sehen.

„Das ist sehr großzügig von Ihnen“, sage ich und hoffe, dass die Sache damit erledigt ist.

„Wollen wir dann anfangen?“, ist das Einzige, was er dazu zu sagen hat.

„Ja, gern.“

Connor erhebt sich und deutet auf den Besprechungstisch.

Ich setze mich und nehme den USB-Stick aus meiner Tasche. Heute bin ich ausnahmsweise einmal sehr froh darüber, Jeans zu tragen. Denn auch dieser Tisch ist aus Glas. Connor öffnet elegant sein Jackett und setzt sich mir gegenüber. Bei seinem Anblick schlägt mein Herz ein wenig schneller. Ich schiebe es auf die Nervosität und die ganze Situation.

„Lassen Sie mich sehen“, murmelt er und nimmt mir den USB-Stick ab, den meine leicht zitternden Finger halten. Er steckt ihn in ein großes Tablet, das vor ihm liegt. Damit wir beide alles gut sehen können, legt er es zwischen uns auf dem Tisch ab und ruft die erste Datei auf. Es handelt sich dabei um ein Plakat für eine Sonnenschutzcreme. Die Kampagne soll schon im Mai starten. Die Linie steht bereits fest und ich habe zwei verschiedene Entwürfe vorbereitet. Einer davon soll ausgewählt werden. Stumm und eingehend betrachtet er meinen ersten Entwurf. Um mich zu beruhigen, klemme ich meine unruhigen Hände zwischen den Schenkeln fest.

„Wie ich von David bereits weiß, setzen Sie sehr schnell die Vorgaben einer Marke in Standarddesigns um und haben dabei die Fähigkeit, sie dennoch neu und frisch zu interpretieren. Das sollte Sie freuen. David ist hier nicht gerade für seine freigiebigen Komplimente bekannt. Deshalb lasse ich auch immer ihn die Arbeiten der Neuen überprüfen. Meine anderen Art-Direktoren, die kreativen Direktoren und auch die meisten Betreuer neigen dazu, oft zu nachgiebig zu urteilen. Sie sind häufig eingeschüchtert von mir oder haben Probleme damit, direkt zu sein. Also wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich weiterhin an David.“

Ich nicke. „Es freut mich, dass ich seinen Anforderungen gewachsen bin. Ich habe überhaupt keine Probleme mit seiner direkten Art, sie hilft mir viel eher.“ Ich versuche ein Lächeln zusammenzubringen. Es gelingt mir nicht ganz. Dafür bin ich zu angespannt. Ständig muss ich mich davon abhalten, Connor anzusehen, und zwinge mich stattdessen, mich auf das zu konzentrieren, was er sagt. Er hingegen wirkt völlig konzentriert und absolut professionell. Es fällt mir schwer, zu glauben, dass derselbe Mann vor mir sitzt, der über mein zu kurzes Kleid gescherzt hat.

„Das freut mich zu hören. Wie kommen Sie mit den anderen Grafikern zurecht?“, will er wissen und reibt dabei nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger seine Kieferpartie. Bei dem Anblick muss ich sofort daran denken, wie kratzig sich sein Bartschatten wohl anfühlen muss.

Mist aber auch!

„Ähm … mit Marco habe ich bisher die meiste Zeit gearbeitet. Er ist gut und auch ein guter Lehrer.“

Wenn er es schafft, mir nicht auf die Beine zu starren!

„Und wie läuft es mit Anne und Hannah?“

„Anne kenn ich kaum, da sie ja nur halbtags hier ist und bisher zu beschäftigt war. Hannah ist sehr ehrgeizig, was ihre Grafiken betrifft, was ich verstehen kann, und sie hat eine etwas schroffe Art, vermutlich weil sie mich als Konkurrenz ansieht“, sage ich so ehrlich wie möglich. Die Wahrheit ist: Anne ist nett, aber sie versucht einfach, in ihren zwanzig Stunden alles zu schaffen, was sie zu tun hat. Und Hannah kann mich nicht leiden, weil ich vermutlich zu jung bin. Ihr ausgeprägtes Revierverhalten richtet sich auch gegen Marco, der darüber lediglich in regelmäßigen Abständen die Augen verdreht. Da ich aber ja nicht ständig hier sein werde, wird es schon gehen.

„Und alle anderen, die ich die letzten Tage kennengelernt habe, haben einen freundlichen und kompetenten Eindruck hinterlassen.“

„Gut, das freut mich zu hören. Ich möchte, dass in meiner Agentur die Zusammenarbeit gut läuft. Freie oder nicht, wenn man persönliche Probleme miteinander hat, wirkt sich das auf die Arbeit aus, und daran habe ich kein Interesse“, lässt er mich wissen. „Der Kunde kommt zuerst. Eine gute Zusammenarbeit untereinander begünstigt das.“ Ich nicke, denn im Grunde sehe ich das genauso. Nur gehe ich nicht derart stur und kontrolliert an die Dinge heran. Aber das behalte ich besser für mich. Connor wäre bestimmt nicht dort, wo er heute ist, wenn er nicht die Zügel in der Hand halten würde. Knallhart ist nicht mein Ding, aber mir dämmert, dass er es sein kann, wenn es sein muss.

„Ihr Plakat gefällt mir“, wechselt er das Thema. „Nur etwas stört mich noch … hier.“ Nachdenklich deutet er auf eine Seite.

„Meinen Sie den Leerraum oder den Hintergrund?“, frage ich nach und zeige auf die Stelle, wobei mein zittriger Finger unbeabsichtigt seinen berührt. Es ist, als spüre ich für eine Sekunde eine Art elektrischen Schlag, einen prickelnden Funken. Sofort zieht er seine Hand zurück und legt sie zusammengeballt auf den Tisch neben sich ab. Wir starren einander an. Etwas in seinen grauen Augen blitzt auf und verschwindet dann wieder, so schnell, dass ich mir gar nicht sicher bin, ob es überhaupt da war. Bei mir hingegen brennt und prickelt jeder Quadratzentimeter Haut. Um mich davon und von ihm abzulenken, rede ich einfach weiter, wobei ich mich zwinge, fest zu klingen.

„Wenn es der Hintergrund ist … Ich habe auf dem zweiten Entwurf einen anderen benutzt. Wenn es der Leerraum ist, kann ich das Model noch etwas versetzen. Eigentlich habe ich mich an den goldenen …“

„Nur weiter, Cami. Ich weiß, was der goldene Schnitt ist“, sagt er belustigt und bedeutet mir, weiterzumachen.

„Wie gesagt, ich habe mich an den goldenen Schnitt gehalten, aber manchmal wirkt es dynamischer, wenn man ihn etwas bricht.“

„Das sehe ich auch so. Passen Sie den Entwurf dementsprechend an und schicken Sie ihn David zur Freigabe. Sagen Sie ihm, dass für mich alles andere okay geht.“

Ich nicke, noch immer verblüfft darüber, dass ein Geschäftsmann wirklich Ahnung von der kreativen Seite seines Geschäfts hat. Das entspricht nicht meiner bisherigen Erfahrung.

„Sie sehen mich an, als wäre ich gerade einbeinig übers Wasser gelaufen, nur weil ich eine altbekannte ästhetische Theorie kenne. Immerhin ist meine Mutter Künstlerin. Denken Sie nicht, dass ich dafür gesorgt habe, davon zu profitieren?“ Sichtlich interessiert an meiner Antwort sieht er mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an.

„Wenn Sie es so sagen, klingt es einleuchtend. Es … Es ist nur nicht das, was ich bisher gewohnt bin“, gebe ich zu.

„Ihr letzter Boss hat anscheinend nicht viel von dem verstanden, was er getan hat.“

„Das haben Sie jetzt gesagt“, schmunzle ich.

Wir besprechen noch die Grafiken, die ich in die Präsentation für einen Pitch eingebaut habe. Er will sie sich in Ruhe noch mal ansehen und wird sie selbst an den zuständigen Kreativ-Direktor schicken, aber alles in allem ist er zufrieden mit dem, was ich entworfen habe. Dabei haben mir die Texter und Betreuer heute schon den ganzen Tag gesagt, ich solle mir nichts daraus machen, wenn er allzu streng und kritisch mit meiner Arbeit ist. Daher auch meine Nervosität. Doch bis auf den Ausrutscher mit der unachtsamen Berührung und bedenkt man meinen peinlichen Ausrutscher vor dem Termin, lief alles gut und professionell. Ich bin erleichtert. Doch es gibt einen kleinen Teil von mir, der enttäuscht ist, weil ich vermute, dass ich von nun an sehr wenig mit Connor zu tun haben werde.

Als wir fertig sind, bringt er mich zur Tür, hält sie für mich auf und führt mich aus seinem Büro. Zuerst fällt es mir gar nicht auf, doch als ich eine deutliche Wärme in meinem unteren Rücken spüre, merke ich, dass Connor mich mit seiner Hand im Kreuz führt. Meine Wangen brennen wie Feuer, und ich muss zugeben, dass ich den Gedanken, dass er mich gerade berührt, aufregend finde. Als er mich vor Daniels Tür aufhält, blickt uns Paul, einer der Fotografen, die für die Agentur arbeiten – und laut Bürotratsch sein bester Freund –, entgegen. Sein Blick zuckt nach unten an die Stelle, wo Connors Hand sich befinden muss. Sofort merke ich, dass Connor sie zurückzieht. Paul hat ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht.

„Cami“, begrüßt er mich schlicht.

„Hallo, Paul.“

„Ich hoffe, er hat Sie nicht zu hart rangenommen?“, fragt er mit gespielt besorgter Miene. Dieser Mann sollte definitiv erwachsen werden. Ich werde dennoch rot.

„Paul“, warnt ihn Connor, ehe er ihm einen vernichtenden Blick zuwirft.

„Danke für das Gespräch“, würge ich hervor und flehe dabei, dass sich meine Wangen heißer anfühlen, als das Rot aussieht.

„Gleichfalls.“

Als ich so schnell ich kann in die Büroräume zurückgehe, höre ich Pauls amüsiertes Lachen hinter mir nur allzu deutlich.

Bittersüß - berührt

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