Читать книгу Eine illustrierte Erklärung der Menschenrechte in 30 Skizzen - Adrienne Träger - Страница 5
Artikel 2 Verbot der Diskriminierung
Оглавление(1) Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, wie etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen.
(2) Des Weiteren darf keine Unterscheidung gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder irgendeiner anderen Beschränkung seiner Souveränität unterworfen ist.
Der Gast, ein älterer Herr, stellte seinen Koffer an der Rezeption ab und schob der Angestellten seinen Zimmerschlüssel hin. „Ich würde dann gerne auschecken.“ „Sehr gerne.“ Die junge Frau machte die Rechnung fertig und kassierte. „Dann wünsche ich Ihnen noch eine gute Heimreise und ein schönes Wochenende. Ich hoffe, der Aufenthalt in unserem Hause hat Ihnen gefallen.“ „Ja, Danke, und das hier ist für Sie.“ Er schob der Rezeptionistin gönnerhaft ein einzelnes Eurostück über die Rezeption. „Da, wo Sie herkommen, ist das ja viel Wert.“ Die junge Frau strahlte ihn über das ganze Gesicht an. „Das stimmt. Bei uns in Chorweiler bekomme ich da noch vier Brötchen für. Im Rest von Köln nur drei.“ Der Mann wurde puterrot im Gesicht, steckte seinen Euro wieder ein, brummte irgendwas von „Unverschämtheit“ und verließ wutschnaubend das Hotel.
Sie warf einen Blick über die Schulter, denn sie hatte das Gefühl, dass jemand hinter ihr die Szene beobachtet hatte. Gott sei Dank, in der Tür hinter ihr stand nicht die Rezeptionsleitung, sondern nur der Housekeeper, der sehr breit grinste. „Was denn? Soll ich mir das etwa gefallen lassen?“ „Du hast ja recht, Mary, das war auch verdammt rassistisch, aber lass dich bei so was nicht von Lisa erwischen. Das gibt sonst richtig Ärger.“ Sie zuckte mit den Achseln. Und wenn, es war ihr mittlerweile egal. Sie war es leid, ständig wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert und in ihrer Menschenwürde verletzt zu werden. Was konnte sie denn dafür, dass ihre Eltern aus Angola kamen? Seit ihrer Kindheit bekam sie zu spüren, dass sie anders war als andere, nur weil sie nicht weiß war. Früher im Kindergarten hatte es sie einfach nur irritiert, wenn andere Kinder ihr am Arm leckten, weil sie wissen wollten, ob sie nach Schokolade schmeckte. In der Schule hatte es ihr weh getan, dass man ihr unterstellte, sie würde sich nicht waschen, weil ihre Haut braun war und Dreck darauf angeblich nicht auffallen würde. Aber ihre Eltern hatten ihr immer gut zugeredet. Kinder würden vieles nicht verstehen. Erwachsene wären da anders. Wenn sie groß wäre, würde sie das schon sehen. Vor allem, wenn sie einen respektablen Beruf erlernen und studieren würde, dann würde diese Gesellschaft ihr völlig anders gegenüber treten und ihr den Respekt entgegen bringen, den sie auch verdiente. Sie hatte ihren Eltern geglaubt. Eltern glaubt man immer alles, wenn man klein ist. Eltern haben immer recht. Dachte sie.
„Lisa kann mich langsam mal. Hast du das gestern mitbekommen?“, fragte sie den Kollegen. „Nein, was war denn?“ „Ich stand mit Paul hinter der Rezeption, als ein Paar mit zwei kleinen Kindern anreiste und meinte: ‚Oh, guckt mal, zwei Neger! Ja, sind wir denn hier in Afrika?‘“ Leo schüttelte fassungslos den Kopf. „Nicht dein Ernst!“ „Doch.“ „Hast du das Lisa gemeldet?“ „Brauchte ich nicht. Die stand daneben.“ „Und?“ „Nichts ‚und‘. Die hat absolut rein gar nichts dazu gesagt. Und so was nennt sich Vorgesetzte. Ich hätte denen am liebsten gar kein Zimmer, geschweige denn ein Bett gegeben, schließlich muss ich mich nicht beleidigen lassen. Haben Vorgesetzte nicht eigentlich auch so etwas wie eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Angestellten?“ Leo schüttelte nur noch verständnislos den Kopf. Mary und Paul konnten auch immer noch nicht glauben, was sie am Vortag erlebt hatten. So viel zu dem Lösungsvorschlag ihrer Eltern, sie müsse nur einen respektablen Beruf erlernen und studieren, dann würde sie von der Gesellschaft auch anerkannt. Genau deshalb hatte sie eine Hotelfachlehre in einem kleinen Hotel gemacht und anschließend Tourismusmanagement studiert. Ihr Studium hatte sie sich dadurch finanziert, dass sie Teilzeit in einer Hotelkette gearbeitet hatte. Vor einigen Monaten war sie fertig geworden und man hatte ihr eine Stelle in einem großen Vier-Sterne-Haus angeboten mit der Option, irgendwann zur Rezeptionsleitung aufzusteigen, wenn sie sich gut machte.
„Weist du, als ich hier angefangen habe, habe ich gedacht, dass es Spaß machen würde. Vier Sterne. Superior. Ich dachte, das bedeutet Luxus, Menschen mit einer gewissen Klasse, kultiviert und gebildet.“ Leo schaute sie interessiert an: „Und?“ „Und? Du bekommst es doch mit. Ich habe ungelogen noch nie so viele rassistische Kommentare zu hören bekommen wie hier.“ „War das denn in den anderen Hotels anders?“ Sie überlegte. „Ja, irgendwie schon. Zumindest haben mich die Gäste da normal behandelt. Das waren Menschen, wie du und ich, aus der Mitte der Gesellschaft, die sich gelegentlich mal eine Übernachtung im Hotel leisten. Oder Geschäftsreisende, die für kleines Geld übernachten und ihre Ruhe haben wollen. Klar waren die auch anstrengend, zum Beispiel wenn die nicht verstanden haben, dass man bei Low Budget eben keine Minibar auf dem Zimmer hat und nicht den Komfort eines Sterne-Hotels erwarten kann. Aber zumindest haben die mir da nicht das Gefühl gegeben, ich hätte dort nichts verloren, nur weil ich schwarz bin.“
Sie ließ ihren Blick durch die Lobby schweifen und lachte. „Weißt du, was mir neulich passiert ist?“ „Nee, was denn?“ „Während die meisten meinen, eine Afrikanerin hätte hier keinen Platz, hat mich doch glatt einer für zu deutsch befunden.“ Leo sah sie mit fragenden Augen an. „Wieso?“ „Na ja, da war doch diese Messe.“ „Oh, Gott, erinnere mich bloß nicht daran. Die waren doch alle Mister und Miss Oberwichtig und du konntest denen nichts recht machen. Die eine hat mir doch glatt erklärt, ihr Zimmer sei angeblich nicht richtig sauber, aber da könne ich ja nichts für, denn da, wo ich herkäme, gäbe es halt andere Standards.“ „Ach, trifft es dich armen Kosovaren gelegentlich auch mal? Das ist ja sehr beruhigend. Und? Was hast du ihr gesagt?“ „Ich habe so getan, als würde ich nur gebrochen Deutsch sprechen und hab’ mir von ihr zeigen lassen, wie ich das hätte besser machen können.“ Er grinste böse. „Ich will es ja schließlich lernen.“ Mary brach in schallendes Gelächter aus. „Du hast der nicht ernsthaft einen Putzlappen in die Hand gedrückt und die selber putzen lassen?!“ Leo kicherte. „Doch klar. Und ich habe auch immer eifrig genickt, wenn sie mir was erklärt hat. Ich bin ja schließlich ein fleißiger und wissbegieriger Schüler. Immer schon gewesen.“ Mary hatte bei der Vorstellung Tränen in den Augen. „Du bist echt unmöglich.“ „Also, was war jetzt? Wieso bist du auf einmal zu deutsch?“ „Ach so, ja, also da stand zu später Stunde einer vor mir, der nicht reserviert hatte und noch ein Zimmer wollte. Der hatte Glück, wir hatten tatsächlich noch was frei, weil am Nachmittag ein Gast storniert hatte. Aber du kennst ja unsere Messepreise. Da stand der Vogel da und wollte wissen, ob ich was am Preis machen könnte.“ „Berechtigtes Anliegen bei dem was die Zimmer zur Messezeit kosten. Und? Was hast du ihm gesagt?“ „Dass das nicht geht, weil der Preis vom System vorgegeben wird und ich da leider nichts ändern kann. Daraufhin fing er an, zu handeln. Ich ihm wieder erklärt, dass das nicht geht. Da meinte der glatt zu mir, aber meine Landsleute würden doch so gerne handeln, das müsste ich doch von zuhause gewohnt sein. Darauf hab ich nur noch mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, das ginge leider nicht. Entweder der Preis oder kein Zimmer.“ „Und was meinte er dann?“ „Dass das aber eine sehr deutsche Einstellung wäre und was ich denn für eine Afrikanerin sei, dass ich nicht handeln würde? Und überhaupt, ob ich nicht wenigstens ein bisschen Stolz auf meine Herkunft sei?“ Leo grinste. Er konnte sich schon fast denken, was jetzt kam, aber er fragte dennoch: „Und was hast du impulsives Mädchen ihm dann an den Kopf gehauen?“ „Dass ich äußerst stolz darauf sei, eine angolanische Deutsche zu sein und dass man bei uns in Chorweiler nie mit Leuten handelt, mit denen man Geschäfte macht – alles andere wäre nämlich verdammt ungesund...“