Читать книгу Schade, tot - AeNNiE Rupp - Страница 11
Kapitel 6
ОглавлениеIch hatte die Wohnung den ganzen Sonntag über nicht verlassen. Von Becky war nach wie vor keine Spur. Eigentlich hatte ich ja gehofft, sie würde irgendwann zurückkommen und wenigstens ihre Sachen holen, denn keine Frau lässt einfach ihre Schuhe zurück. Aber sie kam nicht. Und ich verbrachte notgedrungen den ganzen Tag damit, auf sie oder ein Lebenszeichen von ihr zu warten.
Immer wieder suchte ich sporadisch meine Wohnung ab, ob sie sich im Suff eventuell irgendwo anders hingelegt hatte und jetzt vielleicht nicht mehr heraus kam. Doch auch diese Suche blieb ohne Ergebnis. Sie war weder in der Badewanne, noch im Waschkeller, nicht im Kleiderschrank oder sonst wo im Haus. Die Vermutung lag also nahe, dass sie irgendwann in der Nacht wach wurde, sich erschreckte, nicht wusste, wo sie war und dann schnell Reißaus genommen hatte. Die Version klang in meinen Ohren am plausibelsten und gefiel mir auch besser als die Vorstellung, ich hätte mir in der vergangenen Nacht etwas zuschulden kommen lassen, an das ich mich jetzt nicht mehr erinnerte.
Erst viel später fiel mir ein, dass das Warten auf sie pure Zeitverschwendung war, denn ich glaubte kaum, dass sie sich in ihrem Zustand den Weg zu meiner Wohnung merken konnte. Dann noch etwas Nützliches aus dem Tag zu machen, dafür war es zu spät. Klar, sie kannte mich überhaupt nicht, woher sollte sie dann wissen, wo sie ihre Kleidung abzuholen hatte? Auch glaubte ich kaum, dass sie nach ihrem Saufgelage überhaupt noch wusste, dass sie mit mir unterwegs war. Das machte alles Sinn und deshalb befasste ich mich auch nicht weiter damit. Immerhin war sie eine erwachsene Frau, die sich nicht erst abmelden musste, bevor sie nach Hause ging. Obwohl ein kleiner Zettel mein Gewissen von Vornherein garantiert beruhigt hätte.
Dennoch beschloss ich am frühen Abend Maria anzurufen, vielleicht konnte sie mir weiter helfen. Eigentlich wollte ich sie nicht stören bei ihrem kleinen Abenteuer mit dem Typ vom Speed – Dating und ging davon aus, sie würde sowieso nicht ans Telefon gehen. Doch zu meiner Überraschung hob sie sofort nach dem ersten Klingeln ab und versicherte, gleich vorbei zu kommen.
„Das sind aber ein paar hübsche Treter!”, stellte Maria als allererstes fest, als sie mein Schlafzimmer betrat. „War das Fenster offen, als du heute hier das erste Mal rein gekommen bist?” Ich überlegte. „Nein.”, sagte ich schließlich. „Ich habe es erst geöffnet, nachdem ich das Bett frisch bezogen hatte. Hier roch es fürchterlich nach Kneipe.”
Für Maria war der Fall damit klar. Becky musste in der Nacht ausgebüchst sein, ganz normal durch die Tür und ich habe wohl zu tief geschlafen, um es bemerkt zu haben. „Das kann jedem passieren, dass das Date plötzlich abhaut!”, versuchte Maria mich aufzumuntern, aber das war gar nicht nötig. Ich war nicht wirklich traurig über das Verschwinden einer notgeilen Alkoholleiche oder sauer oder enttäuscht oder welche Emotionen sie sonst von mir erwartet hätte. „Soll ich ihre Sachen mitnehmen und ihr beim nächsten Dating – Treff zurückgeben? Sie ist da mindestens genauso oft wie ich, es wäre gar kein Problem. Obwohl die Schuhe so schön sind, die würde ich am liebsten einfach für mich selbst behalten.” Ich sah Maria eindringlich an und sie erwiderte den Blick schuldbewusst. „Ist ja gut!”, seufzte sie. „Ich gebe ihr die Schuhe nächsten Samstag zurück. Versprochen.”
Wir verließen das Schlafzimmer und machten es uns auf der Couch gemütlich. Ich fragte sie, wie es noch mit Eric lief, aber sie winkte nur genervt ab. „Ach der … Mit dem läuft immer wieder mal was. Das ist so ... Ich kann nicht mit ihm und nicht ohne ihn. Auf der einen Seite bin ich froh, wenn er weg ist und auf der anderen Seite vermisse ich ihn dann schrecklich und werde fuchsteufelswild, wenn ich sehe, wie er mit einer anderen spricht oder eine andere nur ansieht. Dann würde ich ihm am liebsten die Augen auskratzen!” Eine seltsame Art von Beziehung oder Nicht – Beziehung, die die beiden führten. Naja, jeder so, wie er es mag. Nur für mich wäre das ganze Hin und Her definitiv zu hektisch. Und wenn man Maria so darüber reden hörte, schien sie auch nicht wirklich glücklich darüber zu sein. Ich fand sie immer so atemberaubend, so klug und hübsch, dass ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie jemand sie so zu behandeln vermochte. Verdient hatte sie es jedenfalls nicht, aber vielleicht gehörte sie zu der Sorte Frauen, die sich gern unter Wert an den Nächstbesten Macho verkauften aus Angst, anderenfalls einsam zu sein.
Dann lenkte Maria das Gespräch auf Ava, bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, dass einer wie dieser Eric so viel Glück gar nicht verdient hatte. „Wie läuft es denn mit deiner kleinen Internet – Freundin?”, fragte sie schmunzelnd und schlug mir leicht mit der Faust gegen den Oberarm. Ich zögerte. Natürlich wollte ich von Ava erzählen, aber nicht zu viel. Maria sollte mich nicht für einen Spinner halten, der sich in eine Unbekannte aus dem Netz verguckt hatte. Das klang für mich schon seltsam, wie würde es dann erst in ihren Ohren klingen? Also erzählte ich ihr nur kurz von den Gesprächen, die wir in der vergangenen Zeit führten und dass ich froh war, eine derartige Seelenverwandte gefunden zu haben. Ich musste wohl ziemlich ins Schwärmen geraten sein, denn Maria kicherte leise vor sich her, während ich nach den passenden Worten suchte, um Avas faszinierende Art zu beschreiben.
„Hast du sie denn mal vor der Kamera gesehen?”, fragte Maria schließlich. Ich schüttelte den Kopf. „Woher weißt du dann, dass es sie wirklich gibt oder dass sie so aussieht wie auf dem Bild oder ob sie überhaupt eine Frau ist?”
„Das ist mir egal.”, antwortete ich, zornig darüber, dass mir meine eigentlich beste Freundin meine Liebelei schlechtzureden versuchte. Maria setzte sich aufrecht und riss die Augen auf.
„Es ist dir egal, wem du da deine geheimsten Geheimnisse anvertraust? Es ist dir egal, ob es Ava wirklich gibt und wer sich dahinter verbirgt? Ernsthaft?”
„Ja.”, sagte ich zu meiner Überraschung in einem besonders ernsten Tonfall und musste feststellen, es war mir wirklich nicht so wichtig, denn ich war einfach froh über einen so tollen Gesprächspartner wie Ava. Da machte es für mich im Endeffekt keinen Unterschied, wer sich tatsächlich hinter dem schönen Namen verbarg.
Bei Maria stieß meine Einstellung auf völliges Unverständnis. „Hast du denn gar nicht den Drang, sie eines Tages kennen zu lernen? Mit ihr zu sprechen von Angesicht zu Angesicht?”
Wieder brauchte ich nur kurz zu überlegen, bevor ich Antwort gab: „Nein, ich bin mit einer Mailfreundschaft völlig zufrieden. Ich finde es sogar ganz spannend, so vertraut mit einer fremden Person zu werden, die ich vielleicht niemals im realen Leben treffen werde.” Blankes Entsetzten machte sich in Marias Gesichtsausdruck breit: „Nicht mal das Verlangen nach Sex? Du kannst einfach so darauf verzichten?”
„Um ehrlich zu sein habe ich mir nie vorgestellt, mit ihr intim zu werden. Ich habe gar nicht das Bedürfnis, sie in meiner Nähe haben und spüren zu wollen. Ich will einfach nur mit ihr reden. Mehr nicht. Einfach nur über alles reden.”
Maria schüttelte energisch den Kopf als wolle sie mir damit zu verstehen geben, dass das so nicht gehe zwischen zwei Menschen. Dass es nicht richtig war bei einer Frau, die man mochte, NICHT an Sex zu denken. Aber so war es. Vielleicht würde der Wunsch nach Nähe im Laufe der Zeit wachsen. Doch das lag in weiter Ferne. „Du bist komisch!”, knallte Maria mir an den Kopf und klang dabei sogar beinahe beleidigt und eingeschnappt. Mich überforderte der Verlauf des Gesprächs ein wenig, deshalb lenkte ich das Thema auf Tee und sofort verflog die eisige Stimmung wieder, die sich zwischen uns aufzubauen schien.
Erst spät am Abend machte Maria sich auf den Heimweg und verabschiedete sich mit einem breiten Grinsen, gefolgt von einem weiteren Kopfschütteln über meine Auffassungen. Ich erwiderte es mit einem Lachen, denn auch ich war mir nicht ganz im Klaren darüber, warum sie so verquere Ansichten hatte, wenn es um Beziehungen ging und meine doch völlig legitimen und nachvollziehbaren Ansichten als völlig unverständlich und idiotisch auffasste. Aber ich konnte mir Maria auch gar nicht anders vorstellen als so und war wie immer verblüfft darüber, wie sehr sie mich auch nach all den Jahren die wir uns kannten, noch faszinierte.
Polizeibericht
Betrifft: Todesfall
Verstorben: weibliche Person, Identität unbekannt
Beschreibung: blond gefärbte halblange Locken, helle Haut, etwa 1, 72 cm groß, ca. 62 kg, besondere Merkmale: Tattoos am ganzen Körper
Ort: Brohltalbrücke
Fundzeit: 06.05.2012, 9.03 Uhr
Todeszeit: 24 – 36 Stunden
Meldung: Spaziergängerin hat Leiche an Brückenpfeiler entdeckt, als sie mit Hund spazieren war.
Art: Mehrere Schläge mit einem spitzen Gegenstand von 0,5 mm Durchmesser auf den Kopf und den Brustbereich. Hände und Füße des Opfers wurden abgetrennt und waren bislang nicht auffindbar. Tatwaffe nicht am Tatort gefunden.