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Kapitel 4

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Ava war wirklich eine Bereicherung für mein Leben. Sie war eine so herrlich unkomplizierte Frau, genoss einfach jeden Augenblick stets so, wie er kam und hatte für jedes Problem eine Lösung parat oder zumindest den passenden Spruch auf den Lippen. Aus einem anfänglich netten Chatgespräch über die Schönheit von Regenwetter wurden ganze Tage, in denen wir uns die Nachrichten hin und her schickten und aus den Tagen wurden schließlich bald Wochen. Es machte ganz den Anschein, als würde mich diese Frau tatsächlich so mögen wie ich war und all meine angeblichen Schwächen und Fehler, die mir jeder vorhielt, sehr liebenswert und nett an mir finden. Durch die Unterhaltungen mit ihr fühlte ich mich in meiner eigenen Art schließlich so bestärkt, dass ich Maria eines Tages anrief um ihr zu sagen, dass ich sie zum nächsten Speed - Dating begleiten würde. Sie war sichtlich überrascht und fragte immer wieder, ob ich mir sicher sei diesen Schritt gehen zu wollen und dass ich es nicht bloß ihr zuliebe tun müsse. Aber ich wollte, ich war fest entschlossen an meiner Lage endlich etwas zu ändern. Auch Ava hieß mein Vorhaben gut, sie fand es durchaus positiv, wenn man im Stande war, alte Gewohnheiten ablegen und neue Ziele verfolgen zu können. Dass ich neben ihr auch andere Frauen kennen lernen wollte war für sie glücklicherweise gar kein Problem. Mit so viel Rückendeckung konnte gar nichts schief gehen!

Ich berichtete Ava einen Abend vor dem Dating – Marathon, dass ich wirklich und wahrhaftig daran teilnehmen würde und schon ganz aufgeregt war, was mich dort erwartete. Sie gab mir Tipps, welche Gesprächsthemen ich ansprechen könnte, welche Komplimente Frauen hören wollten und was ich zu Anfang besser für mich behalten solle. Themen wie meine tote Mutter oder mein herum hurender Vater waren also tabu. Sollte das Gespräch darauf hinaus laufen, wer meine Eltern sind, würde ich also Ava zufolge einfach antworten, dass ich aus einem gut behüteten Elternhaus stamme und meine Eltern mich stets sehr liebten. Und dann wäre es am besten, einfach wieder die Frauen reden zu lassen, das täten sie ohnehin am liebsten.

Der große Abend war gekommen und ich lief umher wie ein aufgescheuchtes Huhn. Mit Ava schrieb ich an diesem Tag nicht, sie war mit einer Freundin unterwegs, das war für mich völlig in Ordnung, sie hatte mich mit ihren Worten vom Vortag bereits genug ermuntert. An ihrer Stelle beriet mich Maria. Sie kam wie immer auf den letzten Drücker, gerade noch rechtzeitig, um mit mir mein Outfit durchzugehen bevor wir los mussten. Aber wie es aussah, hatte ich wohl ausnahmsweise nichts verkehrt gemacht.

„Nur die Brille muss noch ab.”, sagte sie. „Sonst siehst du aus wie einer dieser Hippster und dann quatschen dich nur Kerle an.” Nein, das wollte ich natürlich nicht ein weiteres Mal riskieren. Also verzichtete ich lieber auf meine Sehhilfe, was nicht weiter schlimm war, denn die Frauen würden mir heute direkt gegenüber sitzen, so würde ich sie auf jeden Fall gut erkennen, auch ohne Brille.

Maria und ich zogen los. Wir fuhren mit der Bahn in die Bonner Innenstadt, von da aus war die Bar nur wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Mit jedem Schritt, den wir uns der Lokalität näherten, wurde Maria sichtlich nervöser, was mir im Zug noch gar nicht aufgefallen war. Sie hatte sich bei mir eingehakt und ich spürte, wie sich ihre Fingernägel immer tiefer in den Stoff meines Pullovers krallten. „Du weißt, was du heute zu tun hast?”, fragte sie und starrte auf den Boden. Ich brüstete mich auf: „Frauen aufreißen!” Sie schmunzelte und auch ich konnte mein Lachen kaum verkneifen. „Hör zu, wenn du da nicht hin willst, ist es gar nicht schlimm. Wir können auch einfach was trinken gehen oder ins Kino oder so. Du hast gar keine Verpflichtung.”, begann Maria von Neuem. Aber ich war mir sicher. Ich wollte es einfach mal ausprobieren. „Hast du etwa Angst, dass ich uns beide dort blamiere?”, fragte ich ironisch und merkte dank Marias betretenem Schweigen schnell, dass ich wohl voll ins Schwarze getroffen hatte. Also versuchte ich sie zu beruhigen.

„Ich habe dir doch von Ava erzählt, dem Mädel, das ich im Internet kennen gelernt habe und sie hat mir wirklich sehr gute Tipps gegeben. Heute Abend wird alles glatt laufen, versprochen. Und wenn nicht, dann ändere ich meinen Namen und verlasse die Stadt, damit du dich hier noch blicken lassen kannst.” Marias Hand lockerte sich allmählich und sie lächelte.

„Erzähl mir mehr von dieser Ava. Ist sie nett?”, fragte sie schließlich. Ich nickte kurz und begann von den vergangenen Abenden zu schwärmen, die ich mit ihr verbrachte – wenn auch nur virtuell. Maria lief neben mir her und starrte noch immer auf den Asphalt. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir überhaupt zugehört hatte oder irgendwo in Gedanken versunken war, aber sie nickte hin und wieder. Das reichte mir.

Wir erreichten die Bar und eilten schnell in den gut beheizten Raum mit gedämmtem Licht. Es erinnerte mich ein wenig an ein Bordell wie es gern in Filmen dargestellt wurde. Die Wände waren dunkelrot gestrichen, mächtige schwarze Kronleuchter hingen von der Decke herab und die wenigen Stühle, die nicht mit schwarzem Leder bezogen waren zierte Leopardenfell – Imitat.

Nach und nach betraten die Singles des Abends den Raum und je mehr von ihnen kamen, desto mehr fühlte ich mich etwas fehl am Platz. Viele von ihnen waren bunt, gepierct und tätowiert. Mit Nasenringen und riesigen Ohrlöchern. Die Männer mit langen zotteligen dunklen Haaren und vollem Bart, die Frauen mit aufwendig toupierten Frisuren, mehr als nur hochgepuschtem Dekolleté und absolut überschminkt. Ich saß da mit meinem braunen Pullover, den Maria mir geschenkt hatte und dachte erst, ich sei mit dem bisschen Haargel schön völlig überstylt gewesen.

Maria saß auf der anderen Seite des Raumes an einem Tisch zunächst noch alleine. Nachdem sie ihre Jacke abgelegt hatte, wusste ich, warum sie auf dem Hinweg so fror. Außer einer sehr eng geschnürten Korsage und einem Lederstückchen, das als Rock herhalten sollte, trug sie nichts unter ihrem Mantel.

Ich stand an eine Wand gelehnt und betrachtete all diese bunten Menschen und wie ihre Blicke mich von allen Seiten musterten. Jetzt wusste ich, warum Maria sich wegen mir in dieser Bar nicht so sicher war. Ich war wie immer der Außenseiter gewesen, derjenige, der sich durch seine eigene Art völlig von der Masse abhob und damit schnurstracks ins Aus katapultierte. Dennoch ließ ich mich von den Musterungen nicht abschrecken. Ava mochte mich so wie ich war, dachte ich unentwegt, dann würden auch die anderen es können.

Das Getuschel im Raum wurde von einer netten jungen Frau unterbrochen. Sie trug wie ich ganz legere Kleidung, Jeans und Pullover. Nichts Aufreizendes, nichts Obszönes und bunt war sie auch nicht. Mit erhobener Stimme und lockerer Haltung stand sie zwischen den Tischen und begann mit ihrem Willkommenstext. Sie erklärte den Ablauf und die Regeln, dann ging es auch schon los. Jede Frau nahm an einem Tisch Platz und jeder Mann hatte pro Tisch genau fünf Minuten Zeit, sich interessant zu machen.

Maria knetete nervös ihre Hände und sah unruhig zu mir herüber. Eigentlich sollte sie mein erstes Dategespräch für den Abend werden, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass das keine gute Idee war. Was genau nicht stimmte, wusste ich nicht, aber irgendwas schien ihr mächtig gegen den Strich zu gehen. Deshalb setzte ich mich zu einer platinblonden Frau und wartete das Startsignal ab, bevor ich zu sprechen begann.

„Hey, ich bin Rolf.”, stellte ich mich vor und die Frau mir gegenüber runzelte die Stirn. „Ernsthaft?”, fragte sie skeptisch und ich lachte. „Nein, eigentlich heiße ich Rodrigez, meine Mutter kommt aus Spanien. Wäre es nach meinem Vater gegangen, so hätte ich Rolf heißen sollen. Aber gegen spanisches Temperament kann ein ordentlicher und kleinkarierter Deutscher eben nicht viel ausrichten, nicht wahr?”

Die Frau löste sofort ihre steife Haltung mir gegenüber und lachte. Dann reichte sie mir die Hand und sagte: „Hi, ich bin Becky!” Weil ich davon ausging, dass hier jeder nur über seine Tattoos sprechen würde, sprach ich ihr meine Bewunderung für ihre tolle Frisur aus und dass es sicher ewig gedauert haben musste, bis sie die Locken so hinbekommen hatte. Nicht, dass mich Frisuren in irgendeiner Weise auch nur annähernd interessiert hätten, aber das Eis war gebrochen und wir redeten und redeten. Naja, sie redete und ich hörte zu, während meine Augen immer wieder heimlich durch den Raum wanderten und sich der Kopf Gedanken darüber machte, mit welchen Komplimenten ich die anderen Frauen um den Finger wickeln könnte. Der Charmeur in mir war geweckt!

„Du bist ganz anders als die meisten Typen hier, die nur über die Tinte unter ihrer Haut reden wollen, glauben, dich damit beeindrucken zu können und davon ausgehen, dass ihr Äußeres ausreicht, um mit ihnen nach Hause zu verschwinden. Ich glaube, du bist ein netter Kerl und wenn es dir nichts ausmacht, können wir hiernach ja gern noch was zusammen unternehmen, wenn du verstehst, was ich meine.” Ich nickte, denn ich glaubte sie richtig verstanden zu haben. Gegen ein ausführlicheres Gespräch mit dieser Dame hatte ich zu späterer Stunde gewiss nichts einzuwenden. Aber erst einmal musste ich zu den anderen Tischen.

Eine Frau nach der anderen unterhielt sich angeregt mit mir über Gott und die Welt, jede von ihnen überhäufte mich mit ehrlich gemeinten Komplimenten und ich fühlte mich schon fast wie ein König!

Maria hatte ich in der ganzen Zeit völlig aus den Augen verloren, so sehr war ich damit beschäftigt zu flirten was das Zeug hielt. Der letzte Tisch war der, an dem sie saß und ich war schon beinahe erschrocken darüber, dass sie überhaupt noch da war.

„Und?”, fragte ich völlig entspannt. „Wie läuft’s bei dir?” Sie lächelte und schob eine Strähne hinter ihr Ohr. „Alles bestens und bei dir?” Ich lehnte mich zurück und grinste zufrieden. „Könnte nicht besser sein!” Sie schmunzelte, dann beugte sie sich nach vorn und auch ich lehnte mich vor. „Hör zu”, flüsterte sie halb laut. „Dreh dich jetzt nicht um, aber der Typ hinter dir, der mit der Mütze, das wird meiner für heute Nacht. Oder hast du was dagegen, wenn ich hiernach verschwinde?”

„Nein, nein! Überhaupt nicht! Ich wünsche dir viel Spaß!” Und ich meinte meine Worte ernst. Maria bat mich eindringlich, niemandem auf der Arbeit davon zu erzählen, dass sie sich hier regelmäßig ihre One – Night – Stands aussuchte und ich gab ihr mein Wort, dass ich darüber schweigen würde wie ein Grab, wenn sie im Gegenzug auch nicht verriet, dass ich nach der Veranstaltung noch etwas mit Becky unternehmen würde. Sofort schmiss Maria sich zurück in den Stuhl und grinste: „Wer ist denn dieser Casanova auf einmal?” Ich glaube, ich wurde ziemlich rot und in dem Moment und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich gar keine Ahnung hatte, was ich mit Becky anfangen sollte. Aber uns würde da sicherlich schon etwas einfallen.

Zwei Stunden später wartete Becky schon vor der Tür auf mich, während ich mich in der Bar noch von Maria verabschiedete. Ava würde platzen vor Stolz, wenn sie von meinem erfolgreichen „Aufriss“ erfahren würde! Da war ich mir ganz sicher.

Kaum hatte ich die Bar verlassen, trat Becky mit ihren hohen Absatzschuhen ihre Zigarette auf dem Boden aus und während sie sich in jedem Lokal, das wir danach aufsuchten, ein paar Kurze genehmigte, hielt ich brav ihre Jacke, wenn sie tanzen wollte und stützte sie, als sie kaum noch geradeaus laufen konnte.

Wahrlich, den Abend hatte ich mir etwas anders vorgestellt und immer wieder musste ich unweigerlich an Ava denken. Sie würde sich bestimmt nicht so voll laufen lassen. Mit ihr könnte man sich auch garantiert besser unterhalten. Aber ich war nun mal mit Becky unterwegs und Gentleman genug, sie nicht einfach stehen zu lassen. Auch wenn sie es gewiss nicht anders verdient hätte, als hilflos und völlig besoffen den Weg heim finden zu müssen. Allein.

Nachdem sie sich in der letzten Bar übergeben hatte, beschloss ich, dass es Zeit war nach Hause zu fahren. Unauffällig suchte ich in ihrer Tasche nach ihrer Geldbörse, in der Hoffnung, so an ihre Adresse zu gelangen, damit ich sie getrost im nächsten Taxi absetzten konnte. Aber ich fand außer ein paar Visitenkarten und unzähligen Fotos nichts, das mir in dieser Situation hätte helfen können, sie loszuwerden. In meiner Verzweiflung rief ich Maria an, vielleicht kannte sie das Mädel gut genug um zu wissen, wo sie hin gehörte oder konnte mir zumindest sagen, was ich tun sollte. Doch Maria ging nicht ans Handy, ich sprach also auf die Mailbox und wartete eine Weile auf einen Rückruf. Nichts. Sie war wohl mit ihrer Bekanntschaft schwer beschäftigt. Also half nur noch Plan Z – ich nahm Becky mit zu mir nach Hause.

Dort angekommen legte ich sie in mein Bett, stellte ihr eine frische Zahnbürste bereit mit einem kleinen Zettel, auf den ich so leserlich wie möglich schrieb „Für Becky” und auf dem Nachttisch platzierte ich ein Glas Wasser, auf den Boden einen Eimer. Sicher war sicher. Nachdem ich sie zugedeckt hatte, nahm ich meinen Pyjama, griff nach der Wolldecke und machte es mir im Wohnzimmer auf der Couch bequem. Nur wollten meine Augen nicht zufallen, obwohl ich eine Portion Schlaf dringend gebraucht hätte. Ava ging mir nicht aus dem Kopf. Allein ihretwegen wäre ich gar nicht im Stande gewesen die jetzige Situation mit einer halbnackten, volltrunkenen und besinnungslosen hübschen Frau in meinem Schlafzimmer auszunutzen. Das ist nicht meine Art und ich war überzeugt, Ava würde das gut heißen, wenn sie wieder online war. So sehr ich auch hoffte, noch in dieser Nacht mit ihr schreiben zu können, sie war nicht da. Mir blieb wohl nur der Fernseher als einzige Unterhaltung, bis ich endlich einschlief.

Schade, tot

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