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Kapitel 1

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Es war mein achtundzwanzigster Geburtstag, als die ganze Misere ihren Lauf nahm. Ich hatte ein paar Freunde und meinen Vater in ein hübsches Café zu Kuchen eingeladen, um ein bisschen den Tag meiner Geburt in kleiner Runde zu feiern. Da mein Geburtstag auf den 29. Februar fällt, können Sie sich sicherlich denken, dass Grillabende und Gartenpartys unvorstellbar für meine Feier sind. Was ich angesichts der Tatsache, wie solche Abende meistens verlaufen, auch nicht weiter tragisch fand. Ich kann mir Besseres vorstellen, als irgendwann umgeben von Besoffenen zu sein, die den besonderen Tag, meinen Geburtstag, nur noch mit lautem Gegröle und Herumgemache zu würdigen wissen. So habe ich mich eben für ein hübsches kleines Café entschieden.

Mein Vater erschien an jenem Tag mit seiner neuen Lebensgefährtin, der fünften, seitdem meine Mutter vor zwei Jahren verstorben war. Und auch mein bester Freund und Arbeitskollege Eddy – der eigentlich Edgar hieß – kam in Begleitung einer hübschen, vollbusigen Brünetten. Frauen wie sie waren allem Anschein nach der Lohn für stahlharte Muskeln und makellose, weiße Zähne, denn Eddy war nie mit einer weiblichen Begleitung erschienen, die nicht die perfekten Maße hatte.

Zu guter Letzt kam noch Maria zur großen Sause. Sie kam allein, was niemanden verwunderte, denn ihr Äußeres gepaart mit ihrer ehrlichen, groben und direkten Art machte vielen Männern (und Frauen) mächtig Angst. Aber genau deshalb mochte ich sie. Sie war der Kerl, der ich immer sein wollte. Sie war so etwas wie mein eigenes Ich in einem Paralleluniversum, wenn es denn eins gab.

Der Nachmittag im engen Kreis war ... nett. Die Frauen verschlangen ein Tortenstück nach dem anderen und schwärmten mit sahneverschmierten Mündern davon, wie traumhaft doch das Gebäck schmecke und wie viel Sport sie die nächsten Tage machen müssten, um die Kalorien wieder loszuwerden. Dann kicherten sie und schoben sich die nächste volle Gabel in den Mund. Maria hingegen blieb bei Kaffee und Kalorien zählte sie auch nicht, was sie in meinen Augen noch sympathischer machte, obwohl das eine oder andere Gramm mehr an ihrem Körper sicherlich nicht schlecht ausgesehen hätte.

Die Geschenke in jenem Jahr waren die Gleichen wie immer, allesamt bezogen auf mein Singledasein. Es mutierte mit der Zeit zum Running Gag, dass ich noch nie eine wirkliche Freundin hatte, noch nie zum “Schuss” gekommen war. Aber um ganz ehrlich zu sein, mir stand auch nie der Sinn danach. Ich mochte Frauen und ich hätte gern eine Freundin gehabt, aber ich war dem weiblichen Geschlecht einfach nicht attraktiv genug und ich konnte es ihnen auch wahrlich nicht verübeln, dass keine von ihnen mehr wollte als bloße Freundschaft. Darum habe ich mich nicht nur mit der Rolle des Kumpels abgefunden, ich habe mich mit ihr angefreundet und muss sagen, dass es Vieles leichter macht zwischen Männern und Frauen, wenn keine Gefühle mit im Spiel sind, zumindest trifft diese Erkenntnis auf mich zu.

Ich war immer überzeugt davon, eines Tages würde ich der Richtigen schon begegnen und sie wäre dankbar dafür, dass ich vor ihr nicht schon mit 30 anderen im Bett war. Meine Gäste allerdings sahen das ganz anders. Sie, vor allem Eddy und mein Vater, zogen mich vor allen Leuten damit auf, dass ich mit meiner Ideologie klingen würde wie ein kleines Mädchen. Man müsse endlich mal einen richtigen Kerl aus mir machen, Maria wäre dafür doch die perfekte Braut! Immerhin hatte sie allem Anschein nach die dicken Eier in der Hose, die mir ohne Zweifel fehlten. Haha.

Ich ließ alle noch ein wenig witzeln, bis ich die Rechnung schließlich bezahlte, die Gummipuppe und den Sexratgeber für Selbstanleger unter den Arm klemmte (wirklich sehr originelle Geschenke), mich verabschiedete und den Heimweg antrat. Die anderen blieben noch an ihren Tischen sitzen und man konnte ihr Gelächter bis nach draußen hören, was mich nicht weiter kümmerte, ich war für den Tag mehr als bedient.

Wie ich mich an jenem Tag fühlte, brauche ich hier wohl nicht weiter erläutern. Ich freute mich einfach nur noch auf meine kleine Kellerwohnung und einen gemütlichen Fernsehabend – allein. Doch daraus wurde nichts, denn Maria kam rufend und keuchend hinter mir her gerannt. „Warte! Bleib doch mal stehen!”, rief sie und holte mich schließlich völlig außer Atem ein. „Warte, du hast doch MEIN Geschenk noch gar nicht bekommen!” Ich sah sie an und wusste nicht, was genau ich jetzt erwarten sollte. Einen Ratgeber, wie man am effektivsten gegen Regelschmerzen vorgeht? Einen BH? Nein, den bekam ich im vorigen Jahr schon von Eddy. Er wusste damals nicht mehr, welcher Frau er gehörte, da hat er ihn einfach mir mitgebracht, um zu zeigen “Hier, ich habe auch eine aufgerissen” oder zum selbst anziehen. Die Optionen hat er mir gnädigerweise frei überlassen.

Ich stand also da und wartete auf Marias Präsent. Aber sie zog nichts aus ihrer Tasche, sondern lächelte. „Ich will dir helfen”, sagte sie. „Ich will dich dabei unterstützen, dein erstes Date zu bekommen. Was hältst du davon?” Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wusste nicht genau, was ich dazu sagen sollte. Dass es vergebene Müh war? Dass sie ihre Zeit sicher besser nutzen könnte? Dass sie selbst keine Beziehung hat und ich ihre Ratschläge deshalb nur bedingt ernst nehmen können würde? Ich sagte einfach nur „Okay” und fragte, wann wir mit dem großen Projekt beginnen sollten. Sie grinste freudig und ihre Antwort war mir irgendwie schon im Vorfeld klar: „Jetzt!”

Es würde also nichts werden aus meinem Vorhaben, einen ruhigen Abend in aller Einsamkeit zu verbringen. Stattdessen begann Maria sofort nach Betreten meiner Wohnung alles umzuräumen, die Lampen neu auszurichten und zu dekorieren. Sie hatte sogar Pflanzen mitgebracht, keine echten, aber sie sagte, auf Fotos würde das keiner sehen. Sie wühlte in meinem Kleiderschrank herum, fand aber wohl nichts Ansprechendes, denn sie ging zurück zu ihrer monströsen Handtasche und warf mir ein paar Pullover hin. „Hier, zieh mal einen von denen an!”, befahl sie und winkte mich ab zum Bad. Als ich die Tür hinter mir schloss, rief sie noch: „Und mach dir die Haare!”

Ich stand vorm Spiegel und betrachtete mich. Strubbelige blonde Haare und ein leichter Bartansatz. Mit einem Kleks Gel versuchte ich alle Schönheit aus mir heraus zu holen, die möglich war, aber das Ergebnis machte kaum einen Unterschied zu vorher. Es sah jetzt nur etwas nasser aus als sonst.

Als ich das Wohnzimmer wieder betrat, erkannte ich es kaum wieder. Es sah alles ganz anders aus. Aufgeräumter, wohnlicher. Mir gefiel es sogar, obwohl ich es eigentlich nicht mochte, wenn sich jemand an meinen Sachen zu schaffen machte, aber Maria war da die große Ausnahme.

Sie hielt eine Kamera in der Hand und kam auf mich zu. Sie zubbelte an einigen Strähnen, zog den Pullover zurecht und betrachtete mich eingehend. „Nichts, das man mit Photoshop nicht hinbekäme.”, nuschelte sie und wich einen Schritt zurück. „Okay, setz dich auf den Sessel und sieh zum Fernseher.”, forderte sie mich auf. Ehrlich gesagt wusste ich nicht so recht, was das sollte, der Fernseher war aus, aber ich tat wie mir geheißen. Vor dem Sessel stand ein kleiner Tisch, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag und heißes Wasser dampfte aus einer Tasse. Ich nahm Platz. „Die Brille muss noch ab!”, dirigierte Maria hinter ihrer Kamera. „Leg sie am besten neben das Buch und lehn dich nach vorn, als würdest du gleich nach einer der Sachen auf dem Tisch greifen wollen.“ Eigentlich war mir dieses ganze Getue zu blöd, aber ich machte es einfach – Maria zuliebe. Sie würde schon wissen, was sie da tat, hoffte ich zumindest.

Mein Blick war auf die Uhr gerichtet. Die Sendung, die ich unbedingt sehen wollte, hatte vor sechs Minuten und 23 Sekunden begonnen. Noch weitere vier Minuten und 16 Sekunden bis zur ersten Werbeunterbrechung. Und ich saß hier und musste den Genuss eines leckeren Heißgetränks simulieren.

Schließlich war Maria fertig. „Perfekt!”, sagte sie und legte die Kamera auf meinen Schreibtisch. „Kann ich jetzt aufstehen?”, fragte ich vorsichtig und sie nickte bloß eifrig, während sie die Speicherkarte in meinen Laptop steckte. Dann zog sie einen Zettel aus ihrer Hosentasche und begann zu tippen. Ich stellte mich neugierig neben sie. Was hatte Maria nur wieder vor? Allmählich dämmerte es mir und ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Insgeheim hatte ich gehofft, ihr Geschenk würde nichts mit meiner Lebenssituation zu tun haben, aber da lag ich falsch. Sie wollte mich auf diversen Singleportalen im Internet anmelden und offenbarte mir, dass sie mich bereits für das nächste Speed- Dating in ihrer Lieblingsbar angemeldet hätte. Da wären überwiegend Leute anzutreffen, die keine Tabus kennen und ich mit meiner männlichen Unschuld wäre sicher ein gefundenes Fressen für die dort anwesenden Frauen, davon war Maria überzeugt. Naja, gut. Bis zur nächsten Woche konnte ich es mir ja noch überlegen, ob ich wirklich als Frischfleisch von gierigen Nymphomaninnen verzehrt werden wollte. Aber meine Sendung lief und die wollte ich mir ansehen. Die Datingseiten waren morgen sicherlich auch noch da. Also vertröstete ich Maria auf ein anderes Mal, sagte, ich sei müde und müsse morgen wieder früh raus. Sie nickte, wusste genau, dass ich mich völlig überrumpelt fühlte von ihrer Aktion und sagte, sie würde die Speicherkarte und die Liste einfach hier lassen. Ich könne ihr die Karte am Montag einfach wieder mit zur Arbeit bringen. Der Pulli, meinte sie noch im Rausgehen, sei ebenfalls ihr Geschenk an mich. „Ich wusste, er würde dir gefallen!” Dann stieg sie die Kellertreppe hinauf und verschwand nach draußen.

Endlich konnte ich den Abend genießen und schaltete den Fernseher an. Aber immer wieder schielte ich herüber zum Schreibtisch. Wie die Bilder wohl aussahen, die sie von mir gemacht hatte? Und was das genau für Seiten waren, von denen Maria glaubte, sie könnten mir gefallen? Ich war einfach zu neugierig! Den Anfang meiner Sendung hatte ich ohnehin verpasst und so würde es nur wenig Sinn machen zu versuchen, jetzt noch in den Handlungsablauf reinzukommen. Also ging ich an meinen Laptop und öffnete den Ordner mit den Bildern. Maria hatte Talent, das musste man sagen. Auf den meisten Fotos sah ich überraschenderweise ganz akzeptabel aus und das sogar ohne digitale Nachbearbeitung. Genauso wie der nette Kerl, der ich war, nur attraktiver als im realen Leben.

Fotos sind weniger unscheinbar, als würde man mir auf der Straße begegnen, man betrachtete sie genauer, bevor man sich entschloss, dass es keinen weiteren Blick wert war. Das ist im wirklichen Leben anders, man sieht jemanden an, beschließt, er sieht scheiße aus und geht. Beim Betrachten von Bildern macht man sich wenigstens die Mühe, genauer hinzusehen, etwas hineinzuinterpretieren und sich zu fragen, welche Geschichte wohl hinter dem interessanten Gesicht steckt.

Genau das ist wohl auch der Knackpunkt. Begegnet man jemandem auf der Straße, ist es die Optik, die zählt. Sieht man hingegen eine Person auf Fotos, kommt es einzig und allein auf die Wirkung an. Ich könnte also online durchaus Erfolg bei Frauen haben, vorausgesetzt, ich würde auf eine Frau treffen, die ganz offensichtlich Interesse daran hat, auf eine Art Forschungstour zu gehen!

Ich suchte im Internet nach den Datingportalen, die auf Marias Liste standen. Zuerst die kostenlosen, denn so verzweifelt war ich nicht, für die Suche nach der passenden Frau Unmengen an Geld auszugeben, zumindest noch nicht. Gleich bei der ersten Seite meldete ich mich an, denn sie schien seriös zu sein und ja, ich war sogar ein wenig aufgeregt, was mich dort erwarten würde. Anstürme interessierter Damen, die mich treffen wollen, viele anregende Gespräche und prickelnde Treffen. Die Seite versprach wirklich viel! Aber der Anfang war alles andere als leicht. „Geben Sie einen Namen ein” Gut, dachte ich und tippte „Rolf”. Sofort erschien mit lautem ´Pling´ die Fehlermeldung „Der von Ihnen gewählte Name ist zu kurz”. Ich setzte mich. Das würde wohl doch etwas länger dauern.

Nach kurzer Überlegung tippte ich erneut. „Rolf der Wolf”. Das passte. Und es reimte sich. Darüber hinaus klang mein Name mit diesem Anhängsel nur noch halb so dämlich. Weiter ging es. Die Eintragung der persönlichen Daten ging fix. Alter, Nichtraucher, Büroangestellter, auf der Suche nach fester Beziehung. „Geben Sie einen Profiltext ein” war das vorerst letzte Feld. Die Finger glitten von der Tastatur. Ich überlegte. Eigenwerbung war nie meine Stärke, aber ich brauchte einen guten Text, um überhaupt wahrgenommen zu werden, schließlich warb die Seite mit über 300.000 zufriedenen Singles. Na, so zufrieden konnten sie scheinbar nicht sein, sonst wären sie längst unter der Haube. Aber was sollte es. Ich brauchte einen Text und entschied mich schließlich für die unkonventionellste Form:

„Hallo und willkommen auf meinem Profil! Schön, dich hier begrüßen zu dürfen. Ich finde es immer sehr schwer, sich selbst zu beschreiben, aber ich will es gern einmal versuchen. Ich bin neu hier und auf der Suche nach netten Kontakten. Alles kann, nichts muss, sage ich immer. Wenn du also auf der Suche nach einem netten und bodenständigen Mann bist, der tiefgehende Gespräche pflegt und lange Spaziergänge in der Natur liebt, würde ich mich über eine Nachricht von dir sehr freuen!”

Natürlich prüfte ich noch einmal alles auf Grammatik und Rechtschreibung, bevor ich den Text zur Überprüfung einreichte, denn nichts ist peinlicher als ein Profil, das mit nichts als Fehlern glänzt. Und es sollte doch niemand denken, ich als Bürotyp sei zu dämlich, ein paar einfache Worte korrekt einzutippen.

Geschafft. Zu guter Letzt fehlte noch das passende Profilfoto, aber das war ein Leichtes, denn die Bilder von Maria waren allesamt super! Professionell und dennoch wirkten sie privat genug um nicht auszusehen, als habe ich extra einen Fotografen anheuern müssen, um mich in ein halbwegs annehmbares Licht rücken zu lassen.

Nun wurde mein Profil im letzten Schritt geprüft und endlich freigegeben. Ich konnte sofort loslegen und schreiben! Aber ich traute mich nicht. Lieber wartete ich erst einmal ab, ob sich von selbst etwas tun würde. Abgesehen davon hatte ich keine Ahnung, was ich hätte schreiben können. Ich war ja schon immer überfordert damit gewesen, die richtigen Worte zu finden, um jemanden anzusprechen. Beim Schreiben schien ich die gleichen Probleme zu haben.

Ich hoffte insgeheim, jemand würde sich auf mein Profil verirren, aber ich blieb skeptisch. Doch dann … Tatsächlich! Die erste Besucherin! Aber leider hinterließ sie keine Nachricht. Also beschloss ich, die Initiative zu ergreifen und schrieb nervös: „Hallo, wie geht es dir?” Nachdem ich auf „senden“ gedrückt hatte, atmete ich einmal kräftig aus. Mein Mut hatte mich gerade selbst überrascht. Aber dieses aufgeregte Gefühl, das sich in mir ausbreitete, war überwältigend. So konnte das Ganze hier gern weiter gehen!

Dann wartete ich ab. Nichts. Ich schrieb jede Frau an, die sich mein Profil ansah, aber keine von ihnen machte sich die Mühe, mir zu antworten. Dementsprechend schnell sank natürlich auch meine anfängliche Euphorie. Ich war wohl im Netz wie im realen Leben – nicht weiter der Rede wert. Schade, aber hatte ich ernsthaft etwas anderes erwartet?

Auch nach meinem zehnten Versuch einer Konversation ergab sich rein gar nichts und so saß ich am Schreibtisch, den Kopf auf die linke Hand gestützt und betrachtete ein wenig frustriert den Bildschirm. Hin und wieder klickte ich auf einige Frauenprofile, schrieb aber nichts. Dann plötzlich riss mich ein ´Pling´ aus dem Loch, in das ich allmählich sank. Sofort schreckte ich hoch und sah nach, was das Geräusch zu bedeuten hatte. Haha, man mag es nicht glauben, aber ich hatte soeben meine erste Nachricht erhalten. Von ´Dreamgirl´.

Sie schrieb: „Hallo einsamer Wolf, schönes Foto :)” Ich klickte sofort auf „Antwort schreiben“ und legte los: „Vielen Dank, Dreamgirl, du scheinst auch eine sehr hübsche Frau zu sein. Wie geht es dir?”

Der Anfang war damit getan und es lief. Zumindest mit ihr. Zugegeben, sie war nicht wirklich hübsch und aus eigener Erfahrung wusste ich ja, wenn das Bild schon nicht viel her gab, würde einen die Realität nur noch weniger vom Hocker hauen. Aber wir schrieben uns und dass ich das eine oder andere Mal etwas flunkerte, brauchte sie ja nicht zu wissen.

Wir texteten noch bis spät in die Nacht, dann verabschiedete sie sich mit den Worten, wir sollten in den nächsten Tagen unbedingt noch einmal miteinander schreiben. Gehört habe ich von ihr seitdem nichts mehr.

Am nächsten Morgen rief ich gleich Maria an. Ich entschuldigte mich bei ihr, sie so unsanft hinaus geworfen zu haben und bedankte mich für die tollen Geschenke. Ganz aufgeregt erzählte ich ihr von ´Dreamgirl´ und welche intimen Details sie im Chat mit mir teilte.

„War bestimmt ein Kerl”, entgegnete Maria schroff. „Spinner gibts da Haufenweise! Also pass gerade bei so Namen wie ´Dreamgirl´ auf, dahinter verbergen sich meist irgendwelche fetten Perversen, die nur darauf warten, dass du dich nackt vor der Kamera zeigst.” Ich stutzte. „Aber ich bin doch ein Mann!”, sagte ich und hörte Maria lauthals lachen. „Homos und Transen gibt es in deiner Welt wohl nicht!“ Sie bekam sich überhaupt nicht mehr ein vor Lachen, was mich gleichermaßen verärgerte und zur Scham trieb. Gut, dann bin ich wohl auf einen Mann herein gefallen. Na und? Das Gespräch war trotzdem aufschlussreich – sehr sogar.

Maria bot mir an, im Laufe des Tages vorbei zu kommen, damit wir noch ein wenig an meinem Profil herum feilen konnten. Sie wollte unbedingt, dass sich mehr Frauen auf meine Seite verirren. Ich willigte leider ein, denn kaum war sie bei mir und ich präsentierte stolz meinen Account, hagelte es Kritik. Der Name sei langweilig, der Profiltext gleiche denen aller anderen. Überhaupt nichts gefiel ihr. Außer das Bild natürlich, aber auch nur, weil sie es gemacht hatte. Sie kam mit tausenden Verbesserungsvorschlägen daher, ich lehnte sie allesamt ab. Dann war mein Profil eben langweilig. Aber unter diesen Umständen passte es wenigstens zu mir. Es blieb also alles so wie es war.

„Ändere wenigstens deine Mailtexte. Kein ödes ´Hallo, wie geht’s? ` Das schreiben sie alle und es ist so ätzend. Ich meine WIRKLICH langweilig! Mach jeder Frau lieber ein Kompliment zu ihrem Profil, zu ihrem Bild oder zeig Interesse an ihrem Beruf oder zu was auch immer sie eingegeben hat. Schreib was Originelleres, irgendwas, bei dem sie neugierig wird.” Das war endlich mal ein vernünftiger Vorschlag, mit dem ich arbeiten konnte. Doch so sehr ich auf Marias Unterstützung gebaut hatte und glaubte, sie könne mir bei den ersten Flirtversuchen mit Rat und Tat zur Seite stehen, sie musste schon wieder weg und ließ mich im virtuellen Single – Dschungel allein.

Es war Sonntag. Ein trüber und grauer obendrein. Dementsprechend viele Frauen waren online und sie alle beschwerten sich über das Wetter. Jede von ihnen schrieb, wie gern sie jetzt am Strand läge bei angenehmen Temperaturen. Und ich dachte immer, nur ich sei einfältig.

Ehrlich gesagt mochte ich dieses Wetter. Ich fand es schön, wenn kaum jemand draußen unterwegs war, wenn die bunten Regenschirme in den Straßen leuchteten. Das war schön, wenn auch nur für mich und scheinbar stand ich mit dieser Auffassung ganz allein – im Regen. So klickte ich allmählich etwas genervt auf den Profilen herum, las mit Desinteresse die immer gleichen Nachrichten, wo sich nur die Bilder voneinander unterschieden. Klar, ich hätte auch einfach den Laptop ausmachen können. Und dann? An solchen Tagen gab es kaum Alternativen zum öden Chat, wenn man allein war. Doch dann wurde mein dunkles Gemüt endlich erhellt!


´Pling´

„Ist das nicht ein herrlicher Tag heute? :)”


Ich war gerade in der Küche, als ich die Nachricht erhielt und kaum hatte ich die Zeilen gelesen, war ich hin und weg. Ja, endlich jemand, der einen tristen Tag zu schätzen wusste!


„Ja, ich finde ihn ganz wunderbar! Das perfekte Wetter, um einfach mal die Füße hoch zu legen, einen Tee zu trinken und wieder ein gutes Buch zu lesen.”, schrieb ich zurück.


´Pling´

„Das mache ich gleich auch. War auch schon draußen spazieren. Es ist schön, wenn man die Stadt einmal ganz für sich allein hat. Wie heißt du? Ist Rolf dein richtiger Name?”


Ich zögerte. Wenn sie meinen Namen nicht mögen würde, würde sie sicher auch nicht mehr weiter mit mir schreiben wollen. So dachte ich zumindest, aber andererseits, warum ihr etwas vormachen? Früher oder später würde sie es vielleicht ohnehin heraus bekommen und dann stünde ich reichlich dämlich da mit meiner Lüge. Also tippte ich:

„Ja, ich heiße wirklich Rolf. Kein toller Name, dafür aber ein toller Kerl.”


Noch ehe ich handeln konnte, drückte mein Unterbewusstsein auf absenden. NEIN! Das konnte ich so doch nicht abschicken! Jetzt war es auch zu spät. Entgegen meiner Vorstellung ertönte das Nachrichtensignal kurze Zeit später wieder.

´Pling´

„Ich finde deinen Namen schön. Endlich mal etwas anderes als immer diese typischen Namen. Deine Eltern haben wohl geahnt, dass aus dir später mal kein gewöhnlicher Mann werden würde! Dein Bild finde ich übrigens sehr hübsch. Du scheinst ein attraktiver Typ zu sein.”


Ohne länger zu zögern, rief ich Maria an. „Wenn mir jemand schreibt, mein Name sei toll und ich sei attraktiv und diese Person nennt sich Ava1511, ist das dann auch ein Kerl?”, fragte ich wohl leicht hysterisch, denn ich wollte nicht wieder auf ein Fake hereinfallen.

Maria kicherte in den Hörer. „Hat sie ein Bild von sich drin?”, erkundigte sie sich. Ich klickte auf Avas Profil.

„Ja, ein sehr hübsches sogar!”, entgegnete ich.

„Sieht es aus wie ein Modelbild aus dem Internet gezogen?”

Ich legte den Kopf schief und betrachtete das Foto. „Nein, eigentlich nicht.”, stellte ich fest.

„Klingt ihr Profiltext wie der Dialog eines dummen Blondchens in einem Porno?”

Ich stutzte. Was ging Maria bloß durch den Kopf? „Nein”, sagte ich erneut. „Sie schreibt, dass sie einen echten Kerl sucht, der mit Verstand und Herz punkten kann. Sie sagt, sie hätte lieber ´einen Klugscheißer als einen Dummschwätzer´. Ist das ein Pornodialog?“

Maria lachte laut los. „Nein, definitiv nicht! Worauf wartest du? Schreib weiter mit ihr, mach ihr Komplimente, lass nicht locker. Die scheint dich wirklich toll zu finden!” Dann legte Maria wieder auf und überließ mich wieder selbst meinem Schicksal.

Schade, tot

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