Читать книгу Schade, tot - AeNNiE Rupp - Страница 12
Kapitel 7
ОглавлениеEs war ein Sonntagmorgen, kurz vor sechs um genau zu sein und ich langweilte mich an meinem Schreibtisch beinahe zu Tode. Ich wusste auch nicht mehr, ob meine Schicht gleich beendet sein würde oder gerade erst anfing, ich blieb einfach hier, denn an Wochenenden wie diesen hatte ich sowieso nichts Besseres zu tun als zu „arbeiten“. Sofern man denn das was ich hier tat, als ernstzunehmende Arbeit betrachten konnte. Es war langweilig. Alles hier war langweilig und ich schien die Einzige zu sein, die sich daran störte, wenn auch nur etwas.
Langsam spürte ich wie meine Knochen schwerer wurden. Ich hatte wohl schon zu lange auf meinem unbequemen Drehstuhl gesessen und Papierberge abgearbeitet. Mühsam erhob ich mich deshalb von meinem Platz, um wenigstens beim Gang zum Kaffeeautomaten etwas in Bewegung zu kommen. Während die Maschine lief, schaltete ich das Radio ein. Ich weiß nicht, wer ständig den Sender wechselte, aber mich nervte diese Oma – Musik, die permanent aus den Boxen dröhnte. Schlager! Ich konnte ihn nicht mehr hören! Eigentlich konnte ich ihn noch nie leiden. Dieses aalglatt geträllerte Gedudel mit den immer gleichen Texten und den immer gleichen Melodien gesungen von den immer gleichen Strahlemännern und -Frauen! Aber was regte ich mich auf, es passte zu dem Völkchen hier. Bloß nicht laut sein, nicht auffallen und erst recht nichts Neues wagen oder gar Riskantes. Ein Tag hier war so vorhersehbar wie die Tatsache, dass die Erde sich drehte, die Sonne jeden Tag aufs Neue schien und im Fernsehen keine Stars gecastet werden. Alles Fakten, die man keinesfalls leugnen konnte und genau aus dem Grund waren diese vorhersehbaren Dinge genau das, was ein Kreis wie Bad Neuenahr liebte und schätzte. Kleine Veränderungen wurden mit der Zeit toleriert. Das aber auch erst, wenn es sich als gut oder besonders erfolgreich herausstellte. Bis dahin wurde alles Neue mit Verachtung gestraft. Wenn es denn eine Bestrafung war, von Engstirnigkeit und Starrsinn nicht beachtet zu werden.
Ich ließ den Sender laufen, denn es kamen gerade Nachrichten. Irgendwo gab es wieder eine Krise, irgendwo anders wurden Aufstände angezettelt und wieder an einem anderen Ort geschah ein Mord. Moment! Das war nicht irgendein anderer Ort, das war hier ganz in der Nähe, nur wenige Kilometer entfernt – ein Mord! Gut, schade um das Opfer, aber wer auch immer die Leiche war, ihr verdankte ich Action!
Aufgeregt schenkte ich mir Kaffee ein, war auf einmal wieder hellwach. Unter meiner Haut begann es wild zu kribbeln. Ein Mord, ein echter Mord und das auch noch hier! Jackpot! Das war meine große Chance zu beweisen, dass ich mehr auf dem Kasten hatte als dieses ständige öde Getippe am Rechner! Hastig trank ich die Tasse leer, verbrühte meine Zunge am heißen Inhalt, scheißegal, ein Mord! Mit lautem Knall beförderte ich die Tasse zurück auf die Arbeitsplatte und ging schnellen Schrittes in Richtung Chefbüro. Ich glaube, ich konnte mein freudiges Grinsen kaum verbergen und erntete mächtig viele fragende Blicke meiner Kollegen. Ein Mord, was für ein toller Sonntag!
Ich klopfte an die in die Jahre gekommene Holztür und noch bevor ich herein gebeten wurde, stand ich auch schon im Büro. „Haben Sie es schon gehört?“, platzte es aufgeregt aus mir heraus. Mein Chef sah müde vom Schreibtisch zu mir hoch und verzog keine Miene. „Guten Morgen erst einmal, ja? So viel Zeit muss schließlich sein.“ Ich schlug die Hände hinter dem Rücken zusammen wie ein kleines schüchternes Mädchen und spürte, wie mein Gesicht rot anlief. Kurz darauf stammelte ich ein verschämtes „Guten Morgen“ daher und wartete nur darauf, endlich los reden zu können. Er setzte sich aufrecht und faltete die Hände auf der Schreibtischunterlage. Das alles tat er mit einer Ruhe, die mich fast aus der Haut fahren ließ. Jetzt war nicht die Zeit, eine ruhige Kugel zu schieben! „Was habe ich schon gehört?“, wollte er schließlich von mir wissen.
Na endlich, das war mein Startschuss! „Ein Mord! An der Brohltalbrücke wurde eine Leiche gefunden. Kam gerade in den Nachrichten. Oh Gott, ist das aufregend!“ Noch immer saß er da wie eine Statue und sah mich mit ernstem Ausdruck an. „Das ist nicht aufregend, das ist eine Tragödie. Aber ja, davon habe ich bereits gehört. Eine Spaziergängerin hat die Tote gefunden.“ Ich suchte nach den passenden Worten, um meinen Wunsch, mich diesem Fall anzunehmen, nicht gierig erscheinen zu lassen. Aber mein Chef machte es mir überaus schwierig. „Ich nehme an, dass wir diesen Fall übernehmen?“, fragte ich daher vorsichtig nach. Er lehnte sich gemächlich zurück. „Wenn Sie mit ´wir´ das Präsidium meinen, ja, dann übernehmen wir den Fall. Zwei Beamte sind bereits dort gewesen und ich stelle nachher ein Team zusammen, das sich um die Aufklärung des Mordes kümmern wird.“ Das wurde ja immer besser, ich würde Teil eines Teams werden und dem Verbrecher auf die Spur kommen, endlich! „Was muss ich tun, um auch in das Team aufgenommen zu werden?“, wollte ich wissen und versuchte dabei so selbstbewusst wie möglich zu klingen, um besser von mir überzeugen zu können. Doch mein Chef lachte: „Sie wollen in diesem Fall ermitteln? Ganz bestimmt nicht, wo denken Sie hin? Sie sind am Schreibtisch bestens aufgehoben und kümmern sich weiter um das, was Ihre Arbeit ist, mehr nicht.“
Alles in mir sackte zusammen, mein Selbstbewusstsein, meine Euphorie, es knickte unter seinen Worten alles ein wie ein Grashalm, auf den er mit schweren Schuhen trat. „Warum kann ich nicht mitmachen? Meine Arbeit kann doch jeder andere erledigen. Hören Sie, ich bin eine gute Polizistin, eine ausgezeichnete sogar. Wenn ich in diesem Fall ermitteln darf, finden wir den Täter ganz schnell.“, versuchte ich von mir zu überzeugen. Das hätte ich bleiben lassen sollen, denn die Antwort lautete: „Klar finden wir den Mörder mit Ihrer Hilfe ganz schnell – und zwar in Ihrem Bett.“ Es folgte ein weiteres lautes Lachen, noch heftiger als das erste. Als er sich wieder etwas beruhigen konnte, beugte er sich zu mir nach vorn. „Glauben Sie, ich weiß nicht, warum Sie hierher versetzt wurden? Sie haben mit einem Schwerverbrecher angebandelt, waren sogar so blöd, sich heimlich in seine Zelle zu schleichen, allein, in der Hoffnung, er würde Ihnen den großen Stoß verpassen. Und dann glauben Sie allen Ernstes, ich würde SIE mit einem Mordfall betraut machen? Damit Sie Ihr Glück gleich beim nächsten Verbrecher versuchen können? Ganz bestimmt nicht! Und jetzt verschwenden Sie nicht länger meine Zeit, ich muss arbeiten und Sie haben bestimmt auch irgendwas Wichtiges zu tun. Also raus jetzt hier!“
Im Nachhinein fallen mir zig Antworten auf seinen dämlichen Kommentar ein, lauter Contra, den ich hätte geben können. Aber in dem Moment war ich wie vor den Kopf gestoßen. Überrumpelt und gedemütigt. Das war es also, was jeder hier in mir sah. Keine gute Polizistin oder loyale Mitarbeiterin, die sich hier den Arsch aufriss für nichts. Ich war die Dumme, die sich von einem Inhaftierten flach legen lassen wollte. Das verzweifelte hässliche Entlein, das so notgeil war, dass man sie nur noch Schreibarbeit mit ruhigem Gewissen verrichten lassen konnte ohne Angst haben zu müssen, bei einem Verhör würde sie über den Verdächtigen herfallen. Aber im Büro, da würde sie sicher keinen vernaschen wollen. Brave Polizeibeamte haben schließlich keinen Reiz. So dachte man sicher über mich.
Ich ging zu meinem Schreibtisch mit einer Scheißwut in meinem Bauch. Nicht nur meines Chefs wegen, die Wut richtete sich allen voran gegen mich selbst, gegen meine damalige Dummheit und gegen die Tatsache, dass ich wohl aufgrund dieses kleinen Fehlers, den ich einst begann, niemals für die Ermittlungen der richtig guten Fälle eingesetzt werden würde. Wenn es sich von Leipzig bis hierher bereits herum gesprochen hatte, was ich im Gefängnis getan habe, dann würde es auch jede andere Polizeidienststelle wissen oder es binnen kürzester Zeit erfahren.
Mit meiner Tasche unter dem Arm verließ ich die Wache und ging zu meinem Auto. Dort blieb ich noch eine ganze Weile sitzen, bevor ich endlich den Schlüssel herum drehte und losfuhr. Jetzt nach Hause zu fahren und so zu tun als wäre nichts, das konnte ich nicht. Also fuhr ich einfach durch die Gegend, irgendwo entlang. Auf diese Weise konnte ich mich wenigstens nicht wirklich mit dem beschäftigen, was da gerade passiert war, sondern musste mich auf den nicht vorhandenen Verkehr konzentrieren. Doch irgendwann, ich glaube, ich bin zwei Stunden in der Gegend herum gefahren, brauchte ich eine Pause. Es half nichts, vor meinem Zorn davon zu fahren, ich musste mich damit auseinander setzen, ob ich wollte oder nicht.
Also suchte ich in Sinzig den nächstbesten Parkplatz und ging an der Ahr entlang spazieren. Morgens war die Luft noch recht kühl und sie tat meinem erhitzten Gemüt mehr als gut. Um diese Uhrzeit waren auch kaum Leute unterwegs. Hier und da ein Fußgänger, der seinen Hund Gassi führte und freundlich grüßte, ab und an ein Radfahrer, der an mir vorbei raste. Das war es. Ich hatte also Ruhe und die nutzte ich zum Nachdenken. Allerdings war mein Kopf so voller Gedanken, dass er sich fast schon wieder leer anfühlte und das Sortieren einzelner Gedankenstränge unmöglich war.
Auch eine Stunde später stand mir noch immer nicht der Sinn danach, mich auf den Heimweg zu begeben und so suchte ich das nächste Café auf, nachdem ich meinen Laptop, Block und Stift aus dem Auto geholt hatte. Wenn ich schon nicht offiziell ermitteln durfte, dann wenigstens inoffiziell. Das konnte mir niemand verbieten.
Im Café sicherte ich mir einen Platz irgendwo in einer der hinteren Ecken, bestellte einen großen Milchkaffee und ein Stück Kuchen und begann mit der Arbeit. Im Internet ließen sich noch nicht allzu viele Details über den Mord finden und es war schon fast frustrierend, dass ein neugieriger Journalist bereits mehr Informationen über den Tathergang hatte und näher an dem Fall dran war als eine echte Polizistin. Eine gute Polizistin. Jahrgangsbeste.
An die Polizeiakte selbst kam ich nicht ran, sie war natürlich Passwort geschützt und nur Mitglieder des Teams würden den Code erhalten. Wieder wurde ich wütend, aber ich unterdrückte es. Wer rastet schon morgens in einem Café aus, wenn ein Stück Erdbeersahne auf einen wartet. Ich würde den Mord auch selber lösen können und dann wären sie froh, den Mörder direkt und ohne Umschweife in meinem Bett festnehmen zu können!
Außer mir waren nicht viele im Laden. Lediglich zwei ältere Damen saßen in der Nähe der Tür und unterhielten sich lautstark über die schreckliche Zimmernachbarin im Altersheim, die der Mann der einen ständig ertragen musste, weil er nicht einfach das Zimmer wechseln konnte. In einer anderen Ecke hatte ein junger Mann Platz genommen. Er war kurz nach mir eingetreten, aber nicht sonderlich hübsch, deswegen schenkte ich ihm auch keine weitere Beachtung, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber so konnte ich immerhin ungestört arbeiten an ´meinem´ Fall und lief nicht Gefahr, plötzlich aus dem Nichts heraus von ihm angesprochen zu werden.
Ich notierte mir alles Wichtige zu dem Mord, was ich finden konnte, wenn es auch zu Beginn nicht wirklich viel war und versuchte daran ein erstes Täterprofil festzumachen. Ich kam bis zu der Erkenntnis, dass es jeder gewesen sein könnte. Vielleicht sogar der Mann hinten in der Ecke, witzelte ich in meinem Kopf herum. Das war natürlich Blödsinn, aber nur mal angenommen, er wäre es wirklich gewesen, wer hätte ihn als Erste ertappt? Ich!
Aber mal ernsthaft, wie kam eine offensichtlich in Partylaune befindliche Frau ausgerechnet ins Brohltaler Nirgendwo? Wenn ich mich aufbrezel und feiern gehen will, stolziere ich doch nicht mitten in der Nacht auf Highheels durch Felder! Nein, sie muss irgendwie auf anderem Wege dort hingekommen sein. Vielleicht wohnte sie dort in der Nähe und wollte abgeholt werden oder wartete auf ein Taxi und der Fahrer hat sie umgebracht. Motiv? Hatte womöglich Lust drauf. Oder hielt sie für eine Prostituierte und als sie ihm keinen blasen wollte, hat er ihr den Schädel zertrümmert. Oder es war kein Taxifahrer sondern einer, der sie vom Straßenrand aufgegabelt hatte, als sie zum nächsten Bahnhof trampen wollte. Keine Ahnung, alles nur Spekulationen und solange ich nicht zumindest wusste, wer das Opfer war und wo sie herkam, machte das alles hier nicht viel Sinn. Dennoch hielt ich meine ersten Überlegungen fest, es konnte ja sein, dass sie mir im Laufe der Zeit noch durchaus nützlich sein könnten.
Mal ganz abgesehen davon beruhigte sich durch die Recherche auch mein Gemüt allmählich. Auf eigene Faust zu ermitteln hatte natürlich auch den großen Vorteil, dass man sich nicht mit den anderen Beamten um Details streiten und sich ständig rechtfertigen musste, was tatsächlich geschehen sein könnte. Und war der Täter erst einmal dank meiner Arbeit geschnappt, würde der Tribut allein mir gezollt werden. Von da an wäre Schluss mit der Geschichte von Joe und mir und Joe selbst würde sich in den Arsch dafür treten, dass er nicht die beste Ermittlerin Deutschlands entjungfert hat. So sah es nämlich aus!
Ich arbeitete noch eine ganze Weile, gönnte mir noch ein Stück Kuchen und fuhr schließlich gegen Mittag nach Hause, um endlich beruhigt ins Bett fallen zu können.