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An dieser Stelle müssen wir etwa zwanzig Minuten zurückgehen, zu dem Zeitpunkt, als Jimmy aus tiefem Schlaf gerissen wurde.

»Eine junge Dame möchte Sie sprechen, Sir!«

Die Stimme war unerbittlich. Jimmy resignierte, öffnete die Augen und blinzelte. »Wie bitte, Stevens?«

»Eine junge Dame möchte Sie sprechen, Sir.«

»Oh!« Jimmy schien die Situation zu begreifen. »Warum?«

»Das weiß ich nicht, Sir.« Stevens sah auf das Tablett neben dem Bett. »Ich bringe Ihnen frischen Tee.«

»Sie finden also, ich sollte aufstehen – und die Dame empfangen?« Stevens antwortete nicht, aber er hielt sich betont gerade.

Jimmy deutete die Zeichen richtig. »Natürlich, natürlich«, sagte er. »Sie hat Ihnen ihren Namen nicht gesagt?«

»Nein, Sir.«

»Ist sie … wie ist sie denn?«

»Ganz comme il faut, wenn ich mir ein Urteil erlauben darf.«

»Sie dürfen«, meinte Jimmy großzügig. »Ihre französische Aussprache, Stevens, ist sehr gut. Viel besser als meine.«

»Das freut mich zu hören, Sir. Ich habe erst kürzlich einen Französischkurs besucht.«

»Tatsächlich? Sie sind ein toller Knabe, Stevens!«

Stevens lächelte und verließ das Zimmer. Jimmy lag im Bett und versuchte, sich an all die Namen jener jungen und hübschen Mädchen zu erinnern, die comme il faut waren und ihn besuchen könnten.

Stevens kam mit frischem Tee zurück, und als Jimmy einen Schluck getrunken hatte, spürte er, wie die Neugier sich in ihm regte. »Sie haben ihr Zeitungen zum Lesen gegeben, Stevens?«

»Die Morning Post und den Punch, Sir.«

Es läutete, Stevens verschwand und kehrte nach einiger Zeit zurück. »Noch eine junge Dame, Sir! Sie will ihren Namen nicht nennen, aber sie sagt, dass ihr Anliegen wichtig sei.«

Jimmy starrte ihn an. »Das ist doch verdammt merkwürdig, Stevens. Wann bin ich heute Nacht nach Hause gekommen?«

»Etwa um fünf Uhr morgens, Sir.«

»Und war ich … äh … wie wirkte ich?«

»Nur ein bisschen fröhlich, Sir, sonst nichts. Sie sangen Rule Britannia.

»Ausgerechnet! Ich glaube nicht, dass ich es jemals in nüchternem Zustand gesungen habe. Da muss ein latent vorhandener Patriotismus zum Vorschein gekommen sein, mit Hilfe von … tja … ein paar Gläschen zu viel. Wir haben im Mustard and Cress gefeiert, soviel ich noch weiß. Gar keine so harmlose Kneipe, wie behauptet wird, Stevens.«

Unterdessen hatte er sich hastig angezogen. Zehn Minuten später war er in der Lage, seinen unbekannten Gästen gegenüberzutreten. Als er die Tür zum Wohnzimmer öffnete, sah er zuerst ein schlankes dunkles Mädchen, das ihm völlig unbekannt war. Sie lehnte am Kaminsims. Dann wanderte sein Blick zu einem der großen Ledersessel, und sein Herz machte einen Satz. Loraine!

Sie stand auf und sagte etwas nervös: »Sie wundern sich sicher, dass ich hier bin. Aber ich musste einfach kommen. Ich erkläre es Ihnen gleich! Das ist Lady Eileen Brent.«

»Bündel – unter diesem Namen kennt man mich eher. Sie haben sicher durch Bill Eversleigh von mir gehört.«

»Ja, natürlich!«, rief Jimmy und versuchte, mit der Situation fertig zu werden. »Setzen Sie sich doch bitte. Trinken wir erst mal einen Cocktail.«

Die beiden Damen lehnten dankend ab.

»Um ehrlich zu sein«, sagte Jimmy, »bin ich gerade erst aufgestanden.«

»Das hat Bill schon vermutet«, erklärte Bündel. Ich erzählte ihm, dass ich Sie besuchen wollte, und er meinte, Sie seien vielleicht noch nicht auf.«

»Nun, jetzt stehe ich vor Ihnen«, sagte Jimmy fröhlich. »Erst Gerry«, begann Loraine. »Und jetzt Ronny …«

»Was soll das heißen … und jetzt Ronny?«

»Er wurde gestern erschossen.«

»Was?«, schrie Jimmy.

Da erzählte Bündel ihre Geschichte zum zweiten Mal.

»Der alte Ronny … erschossen«, murmelte Jimmy. »Was ist denn das für eine scheußliche Sache?« Er setzte sich auf eine Stuhlkante, dachte ein paar Minuten nach und begann mit ruhiger, ausdrucksloser Stimme: »Ich glaube, ich sollte Ihnen etwas erzählen.«

»Ja?«, sagte Bündel ermutigend.

»Es war an dem Tag, an dem Gerry Wade starb. Wir waren unterwegs zu Ihnen«, er sah Loraine an, »als Ronny mir im Auto etwas zu erzählen begann. Das heißt, er wollte und fing auch damit an, aber dann meinte er, er sei durch eine Art Versprechen gebunden und müsse schweigen.«

»Durch ein Versprechen gebunden?«, überlegte Loraine.

»So etwa drückte er sich aus. Natürlich drängte ich nicht weiter. Aber er benahm sich so komisch – die ganze Zeit. Ich hatte den Eindruck, dass er irgendetwas Unrechtes an der Sache witterte. Ich nahm an, er würde es dem Arzt gegenüber erwähnen, aber das tat er nicht. Nicht die geringste Andeutung! Deshalb dachte ich, ich hätte mich vielleicht geirrt. Und später – nun, es schien ja ein klarer Fall zu sein. Meine Vermutungen mussten falsch gewesen sein.«

»Aber Sie glauben, dass Ronny immer noch misstrauisch war?«, fragte Bündel.

Jimmy nickte. »Jetzt glaube ich das. Keiner von uns hat ihn seit jenem Wochenende gesehen. Er muss auf eigene Faust Nachforschungen angestellt haben – um die Wahrheit über Gerrys Tod herauszubringen, und was noch schwerer wiegt, vermutlich hat er tatsächlich etwas entdeckt: Dann versuchte er, mir eine Nachricht zukommen zu lassen, brachte aber nur noch die paar Worte heraus.«

»Seven Dials«, sagte Bündel und schauderte.

»Seven Dials«, wiederholte Jimmy ernst. »Da müssen wir weiterbohren.«

Bündel sah Loraine an. »Sie wollten vorhin gerade …«

»Ach ja! Wegen dem Brief.« Loraine wandte sich an Jimmy. »Gerry hinterließ einen Brief. Lady Eileen …«

»Bündel.«

»Bündel fand ihn.« Loraine erklärte mit ein paar Worten den Sachverhalt.

Jimmy hörte voll Interesse zu. Loraine holte den Brief aus der Handtasche und reichte ihn ihm. Er las ihn durch und sah sie an.

»Da können Sie uns sicher helfen. Was war es denn, was Sie auf Gerrys Wunsch hin vergessen sollten?«

Loraine runzelte die Stirn. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Aus Versehen öffnete ich einmal einen an Gerry adressierten Brief. Er war auf ganz billigem Papier geschrieben, daran erinnere ich mich noch, und die Handschrift wirkte sehr unbeholfen. Im Briefkopf stand irgendeine Adresse von Seven Dials. Ich merkte, dass er nicht für mich war, und steckte ihn ins Kuvert zurück, ohne ihn zu lesen.«

»Wirklich?«, fragte Jimmy sehr sanft.

Da lachte Loraine zum ersten Mal. »Ich weiß, was Sie denken, und ich gebe ja zu, dass Frauen neugierig sind. Aber, wissen Sie, er sah so gar nicht interessant aus. Es war nur eine Liste von Namen und Adressen.«

»Namen und Adressen«, wiederholte Jimmy nachdenklich.

»Gerry schien es nicht viel auszumachen«, fuhr Loraine fort. »Er lachte und fragte, ob ich noch nie von der Mafia gehört habe, und meinte dann, dass es doch komisch sein würde, wenn sich auch in England derartige Geheimgesellschaften bildeten – aber so was käme bei den Engländern sicher nicht an. ›Unsere Verbrecher‹, meinte er, ›sind nicht sehr phantasievoll.‹«

Jimmy pfiff durch die Zähne. »Jetzt beginne ich zu verstehen! Seven Dials muss der Sitz irgendeiner geheimen Organisation sein. Wie er in seinem Brief schreibt, dachte er am Anfang an einen Scherz. Aber offensichtlich war es alles andere als das – so verstehe ich es wenigstens. Und da ist noch was: seine dringende Bitte, Sie sollten vergessen, was er Ihnen erzählte. Dafür kann es nur einen Grund geben – wenn jene Organisation vermutet, dass Sie Bescheid wissen, sind Sie in Gefahr. Gerald begriff die Gefahr und hatte Angst – um Sie.« Er hielt einen Augenblick inne. »Ich kann mir sogar vorstellen, dass wir uns alle in Gefahr begeben, wenn wir weiterforschen.«

»Wenn …?«, fragte Bündel empört.

»Ich spreche von Ihnen beiden. Bei mir ist das etwas anderes. Ich war ein Freund vom armen Ronny.« Er sah Bündel an. »Sie haben das Ihrige getan. Sie haben mir die Nachricht überbracht. Das genügt. Halten Sie sich da raus, Sie und Loraine!«

Bündel blickte Loraine fragend an. Sie hatte ihren Entschluss gefasst, aber sie zeigte es nicht, um Loraine Wade nicht zu beeinflussen und in ein gefährliches Unternehmen zu verwickeln.

Loraines Augen blitzten vor Entrüstung. »Das können Sie nicht verlangen! Haben Sie auch nur eine Minute lang geglaubt, dass ich mich da raushalten würde? Es geht um Gerry, den besten und liebsten Bruder, den es je gab! Den einzigen Menschen, den ich auf der ganzen Welt hatte!«

Jimmy räusperte sich umständlich. Sie ist wundervoll, dachte er, einfach wundervoll.

»Hören Sie«, protestierte er unsicher. »Das dürfen Sie nicht sagen: dass Sie allein auf der Welt sind und solchen Unsinn. Sie haben viele Freunde – die nur zu gern alles für Sie täten. Verstehen Sie, was ich meine?«

Anscheinend verstand Loraine, denn sie errötete und begann, hastig weiterzusprechen, um ihre Verwirrung zu verbergen: »Also abgemacht«, sagte sie. »Ich helfe mit. Niemand wird mich daran hindern.«

»Ich bin auch dabei«, stimmte Bündel ein. Sie sahen Jimmy an.

»Ja«, sagte er langsam. »Ja, gut.«

Der letzte Joker

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