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Vater«, sagte Bündel, während sie die Tür zu Lord Caterhams Heiligtum einen Spalt öffnete und ihren Kopf hineinsteckte, »ich fahre mit dem Hispano nach London: Ich kann die Eintönigkeit hier nicht länger aushalten.«

»Aber wir sind doch erst gestern zurückgekommen«, beklagte sich Lord Caterham.

»Ich weiß. Es erscheint mir wie hundert Jahre. Ich hatte vergessen, wie öde das Landleben sein kann.«

»Da möchte ich dir nicht zustimmen! Es ist so friedlich! Und außerordentlich bequem. Ich kann dir nicht sagen, wie ich es genieße, wieder bei Tredwell zu sein. Dieser Mann sorgt einfach vorbildlich für mich. Gerade heute Morgen war eine Person da und fragte, wo sie hier ein Treffen für Pfadfindermädchen veranstalten könnte, irgend so was Dummes. Es hätte mich sehr in Verlegenheit gebracht, ablehnen zu müssen – vermutlich hätte ich es nicht gekonnt. Tredwell hat mich gerettet. Niemand ist beleidigt.«

»Das genügt mir nicht, ich brauche Aufregung!«

Lord Caterham schüttelte sich. »Hatten wir nicht vor vier Jahren Aufregung genug?«, beschwerte er sich.

»Ich kann noch ein bisschen mehr vertragen. Zwar glaube ich nicht, dass es in London aufregend ist, aber ich habe einfach keine Lust, mir hier vor lauter Gähnen den Kiefer zu verrenken.«

»Meiner Erfahrung nach finden Leute, die Aufregung suchen, sie meistens auch. Aber wie dem auch sei, ich hätte gute Lust, auch in die Stadt zu fahren.«

»Dann komm mit, aber schnell, ich hab’s eilig!«

Lord Caterham, der sich gerade von seinem Stuhl erheben wollte, ließ sich wieder zurücksinken. »Sagtest du, du hättest es eilig?«

»Wahnsinnig eilig!«

»Dann ist das Problem gelöst. Mit dir im Hispano zu sitzen, wenn du es eilig hast – nein, ich bleibe.«

»Wie du willst«, sagte Bündel und verschwand.

Tredwell trat an ihre Stelle. »Der Vikar, Mylord, möchte Sie unbedingt sprechen. Es scheint da irgendein Missverständnis mit den Pfadfindern zu geben.«

Lord Caterham stöhnte.

»Ich bilde mir ein, Mylord, Sie hätten beim Frühstück erwähnt, dass Sie heute Vormittag ins Dorf gehen wollten, um mit dem Vikar über die Angelegenheit zu sprechen.«

»Haben Sie ihm das gesagt?«, fragte Lord Caterham eifrig.

»Ja, Mylord. Er machte, wenn ich so sagen darf, auf dem Absatz kehrt. Ich hoffe, es war in Ihrem Sinn.«

»Natürlich, Tredwell! Sie konnten nichts falsch machen.« Tredwell lächelte gütig und zog sich zurück.

Es war typisch für Bündel, es eilig zu haben, vor allem wenn sie Auto fuhr. Sie war eine gute Fahrerin; andernfalls hätte sie ihr mörderisches Tempo sicher mehr als einmal ins Verderben gestürzt.

Es war ein frischer Oktobertag mit blauem Himmel und strahlender Sonne. Die scharfe Luft trieb ihr die Farbe in die Wangen und erfüllte sie mit Lebensfreude.

Heute Morgen hatte sie Loraine Wade Gerrys unvollendeten Brief geschickt, mit ein paar erklärenden Zeilen. Der merkwürdige Eindruck, den er auf sie gemacht hatte, war bei Tageslicht verschwunden, dennoch fand sie, dass er eine Erklärung erforderte. Sie wollte sich irgendwann mit Bill Eversleigh treffen und ihm noch einige Details über das Wochenende entlocken, das so tragisch geendet hatte. Inzwischen genoss sie den herrlichen Morgen. Der Hispano war ein Traumwagen!

Und da, ohne Vorwarnung, taumelte plötzlich ein Mann aus der Hecke am Straßenrand Bündel direkt vor den Wagen. Bremsen war unmöglich. Bündel riss das Steuer herum, der Hispano schlingerte auf die rechte Straßenseite. Dabei fuhr sie fast in den Graben, fast, aber nicht ganz. Es war ein gefährliches Manöver. Doch es glückte. Sie war überzeugt, dass sie den Mann nicht erwischt hatte.

Sie blickte zurück, in ihrer Magengegend ein scheußliches Gefühl. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten auf der Straße, merkwürdig still.

Bündel sprang hinaus und rannte zurück. Außer einer herumirrenden Henne hatte sie noch nie etwas überfahren. Die Tatsache, dass der Unfall kaum ihre Schuld war, zählte in ihren Augen nicht. Der Mann hatte betrunken gewirkt, doch betrunken oder nicht, sie hatte ihn offenbar getötet. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie es bis in die Ohren spürte. Sie beugte sich zu der Gestalt hinunter und drehte sie vorsichtig um.

Sie konnte keine äußerliche Verletzung feststellen. Seine Lider zuckten, dann öffnete er halb die Augen. Bündel beugte sich näher. »Ja?«, fragte sie, »ja?«

Schließlich kamen die Worte wie ein Seufzen. »Seven Dials … sagen Sie …«

»Ja?« Offenbar wollte er einen Namen nennen – versuchte es mit letzter Kraft. »Ja! Wem soll ich etwas sagen?«

»Sagen Sie … Jimmy Thesiger …« Plötzlich fiel sein Kopf zurück, und sein Körper wurde schlaff.

Bündel sank in die Knie. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie hätte nie gedacht, dass ihr etwas so Entsetzliches passieren könnte. Was sollte sie jetzt tun? Einen Arzt holen – das war ihr erster Gedanke. Es war möglich – immerhin möglich –, dass der Mann nur bewusstlos war. Irgendwie musste sie ihn ins Auto schaffen. Die Landstraße lag verlassen da, kein Mensch weit und breit.

Trotz ihrer Zierlichkeit verfügte sie über beachtliche Kräfte. Sie fuhr den Hispano so nahe wie möglich heran und zog und schob dann mit aller Kraft die leblose Gestalt hinein. Es war eine grauenvolle Aufgabe, aber schließlich hatte sie es geschafft.

Dann setzte sie sich hinters Steuer und fuhr los. Ein paar Minuten später erreichte sie ein kleines Dorf, und auf ihre Fragen fand sie schnell das Haus des Arztes.

Dr Cassell, ein netter Mann Mitte dreißig, betrat sein Sprechzimmer und fand zu seinem Erstaunen dort ein Mädchen vor, das offensichtlich nahe am Zusammenbrechen war.

»Ich … ich glaube … ich habe einen Mann … umgebracht!«, stammelte Bündel. »Ich habe ihn überfahren. Er liegt im Auto. Ich … ich …«

Prüfend sah der Arzt sie an. Dann ging er zu einem Regal, schenkte eine Flüssigkeit in ein Glas und brachte es ihr. »Trinken Sie!«, befahl er. »Sie haben einen Schock erlitten.«

Bündel trank gehorsam, und ein Hauch Farbe kehrte in ihr blasses Gesicht zurück. Der Arzt nickte anerkennend.

»Sehr gut! Ich gehe hinaus und kümmere mich um die Angelegenheit. Danach können wir über die Geschichte sprechen.«

Der Arzt blieb einige Zeit weg. Bündel beobachtete die Zeiger, der Uhr auf dem Kaminsims. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten – kam er denn überhaupt nicht wieder?

Da öffnete sich die Tür. Dr Cassell trat ein. Seine Miene hatte sich verändert – Bündel bemerkte es sofort –, er wirkte verbissener und auf der Hut.

»Also«, begann er. »Sie haben diesen Mann überfahren, behaupten Sie. Erzählen Sie mir, wie sich der Unfall ereignete.«

Bündel erklärte es, so gut sie konnte.

»Aha! Der Wagen ist nicht über den Körper gerollt?«

»Nein. Ich hatte sogar geglaubt, ich hätte ihn nicht einmal gestreift.«

»Er taumelte, sagten Sie?«

»Ja. Ich dachte, er sei betrunken.«

Der Arzt nickte.

»Ich bezweifle keineswegs, dass Sie eine leichtsinnige Fahrerin sind und eines Tages tatsächlich irgendeinen armen Kerl überfahren werden – doch diesmal haben Sie es nicht getan.«

»Aber …«

»Der Mann wurde erschossen.«

Der letzte Joker

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