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Entgeistert starrte Bündel Dr Cassell an, und langsam schob sich die Welt, die während der letzten Dreiviertelstunde kopfgestanden hatte, wieder zurecht. Es dauerte ein paar Minuten, dann war sie wieder ganz die Alte, kühl und logisch. »Wie konnte er denn erschossen werden?«, fragte sie.

»Das weiß ich nicht. Er hat eine Kugel im Bauch. Innere Blutungen, deswegen haben Sie nichts gemerkt.«

Bündel nickte.

»Die Frage ist jetzt«, fuhr der Arzt fort, wer ihn erschossen hat: Sie haben niemanden gesehen?«

Bündel schüttelte den Kopf.

»Merkwürdig. Wenn es ein Unfall war, müsste der Missetäter angerannt gekommen sein, um zu helfen – außer, er wusste nicht, was er angestellt hatte.«

»Es war niemand da, jedenfalls nicht auf der Straße.«

»Sie haben keinen Schuss gehört?«

Bündel verneinte. »Aber ich hätte ihn bei dem Motorenlärm sicher nicht hören können!«, fügte sie hinzu.

»Stimmt. Hat er etwas gesagt, bevor er starb?«

»Ein paar Worte.«

»Nichts, was Licht in die Affäre bringen könnte?«

»Nein. Er wollte etwas – ich weiß nicht, was – einem Freund bestellen lassen. Ah, ja, er erwähnte Seven Dials.«

»Hm«, meinte Dr Cassell. »Ich werde die Polizei benachrichtigen. Sie müssen mir natürlich Name und Adresse nennen, da man Sie sicher befragen möchte. Vielleicht ist es sogar besser, wenn Sie gleich mit zum Revier kommen.«

Sie fuhren mit Bündels Wagen. Der Inspektor war ein langsam sprechender Mann. Bündels Name und Adresse schüchterten ihn irgendwie ein, und er nahm ihre Aussage mit großer Sorgfalt zu Protokoll.

»Diese jungen Kerle!«, sagte er. »Unglaublich sorglos! Zielen einfach auf die Vögel, ohne sich darum zu kümmern, wer oder was auf der anderen Seite der Hecke ist.«

Der Arzt hielt das zwar für eine unzureichende Erklärung, aber er war sicher, dass der Fall bald in fähigere Hände kommen würde.

»Und der Name des Verstorbenen?«, fragte der Inspektor.

»Er hatte eine Brieftasche bei sich. Ein Mr Ronald Devereux mit einer Adresse im Albany.«

Bündel runzelte die Stirn. Der Name Ronald Devereux weckte Erinnerungen in ihr. Sie war ganz sicher, dass sie ihn schon einmal gehört hatte.

Erst auf halbem Weg nach Chimneys fiel es ihr ein. Natürlich! Ronny Devereux. Bills Freund im Auswärtigen Amt. Er und Bill und – ja – Gerald Wade!

Als ihr diese Erkenntnis kam, wäre sie fast in die Hecke gefahren. Zuerst Wade, dann Ronny Devereux! Wades Tod konnte eine ganz gewöhnliche Ursache gehabt haben – eine Folge von Sorglosigkeit zum Beispiel –, aber im Fall Ronny Devereux steckte sicherlich etwas viel Schlimmeres dahinter.

Dann erinnerte sie sich an noch etwas: Seven Dials! Als der Sterbende das gesagt hatte, waren ihr die Worte bekannt vorgekommen. Jetzt wusste sie, warum. In seinem Brief an seine Schwester hatte Wade diesen Ausdruck verwendet.

Beim Überdenken all dieser Tatbestände hatte Bündel das Tempo ihres Wagens verringert, was für sie sehr ungewöhnlich war. Sie fuhr den Wagen in die Garage und machte sich auf die Suche nach ihrem Vater.

Lord Caterham las zufrieden in einem Auktionskatalog seltener Buchausgaben und war sehr erstaunt, als Bündel auftauchte.

»Selbst du«, sagte er, »kannst nicht in so kurzer Zeit in London gewesen sein.«

»Ich habe einen Mann überfahren.«

»Was?«

»Ich habe es nicht wirklich getan. Er wurde erschossen.«

»Wie konnte das passieren?«

»Das weiß ich auch nicht.«

»Aber warum hast du ihn denn erschossen?«

»Das habe ich doch nicht getan!«

»So? Wer dann?«

»Das weiß man nicht«, antwortete Bündel.

»Wahrscheinlich ein geplatzter Reifen«, meinte Lord Caterham. »Das klingt so ähnlich wie ein Schuss.«

»Du bist unmöglich, Vater! Man könnte denken, du hättest ein Spatzenhirn!«

»Keineswegs!«, protestierte Lord Caterham. »Du kommst hier hereingeplatzt mit einer völlig unmöglichen Geschichte von Männern, die erschossen und überfahren werden, und dann erwartest du, dass ich das alles kapieren soll.«

Bündel seufzte. »Hör zu, ich werde es dir in ganz einfachen Worten noch mal erklären.« Als sie fertig war, fragte sie: »Hast du jetzt begriffen?«

»Natürlich. Ich halte dir zugute, dass du ein bisschen aufgeregt warst, meine Liebe. Mit meiner Bemerkung, dass Leute, die Aufregungen suchen, sie meistens auch finden, hatte ich also gar nicht so unrecht. Ich bin ja nur dankbar«, fügte Lord Caterham mit einem leichten Schaudern hinzu, »dass ich hiergeblieben bin.« Er nahm seinen Katalog wieder zur Hand.

»Vater, wo liegt eigentlich Seven Dials

»Irgendwo im East End. Ich habe öfter Busse hinfahren sehen – oder verwechsle ich es mit Seven Sinters? Merkwürdig, wo habe ich kürzlich davon gehört?«

»Du kennst nicht zufällig einen Jimmy Thesiger?«

Lord Caterham war schon wieder in seinen Katalog vertieft.

»Thesiger«, murmelte er geistesabwesend. »Deine Großtante Selina hat einen Thesiger geheiratet.«

»Was interessiert mich das?«, schrie Bündel.

Lord Caterham kicherte. »Es ist ihr nicht gut bekommen, wenn ich mich recht erinnere.«

»Du bist unmöglich«, sagte Bündel seufzend. »Ich werde mich an Bill wenden müssen.«

»Tu das, meine Liebe«, sagte ihr Vater zerstreut und blätterte um. »Das ist bestimmt das Richtige.«

»Wenn ich mich bloß erinnern könnte, was in dem Brief stand«, murmelte sie. »Ich habe ihn nicht sehr sorgfältig gelesen. Irgendwas über einen Scherz. Dass die Seven-Dials-Geschichte kein Scherz sei.«

Plötzlich tauchte Lord Caterham hinter seinem Katalog auf.

»Seven Dials?«, fragte er. »Natürlich! Jetzt fällt es mir ein.«

»Was denn?«

»Ich weiß, warum es mir so bekannt vorkam. George Lomax ist hier gewesen. Er scheint nächste Woche irgendeine politische Versammlung zu haben und hat einen Drohbrief bekommen.«

»Was meinst du mit Drohbrief?«

»Er hat keine Einzelheiten erzählt. Da stand irgend so was drin wie ›Hüten Sie sich!‹ und ›… es wird Schwierigkeiten geben …‹

Jedenfalls kam er von Seven Dials, ich erinnere mich genau. Er wollte in die Stadt fahren und deswegen Scotland Yard konsultieren. Du kennst George?«

Bündel nickte. Sie kannte den Kabinettsminister George Lomax, der von vielen Leuten wegen seiner hartnäckigen Angewohnheit gemieden wurde, seine öffentlichen Reden auch im privaten Gespräch zu zitieren. Seine vorspringenden Augäpfel hatten ihm den Spitznamen Codders – Fischauge – eingetragen.

»Sag mal«, fragte sie, »interessiert sich Codders für Gerald Wades Tod?«

»Nicht, dass ich wüsste. Möglich wäre es.«

Einige Minuten lang schwieg Bündel, während sie versuchte, sich an den genauen Wortlaut des Briefes zu erinnern, den sie an Loraine weitergeschickt hatte. Was mochte das für ein Mädchen sein, an dem Gerald Wade so gehangen hatte? Je mehr sie darüber nachdachte, desto ungewöhnlicher erschien ihr das Ganze. Schrieb so ein Bruder an seine Schwester?

»Sagtest du nicht, dass Loraine Wade Gerrys Halbschwester sei?«, fragte sie plötzlich.

»Also, genau genommen … war sie … ich meine, sie war keineswegs seine Schwester.«

»Aber sie heißt auch Wade?«

»Ursprünglich nicht. Sie ist nicht das Kind vom alten Wade. Er brannte mit einer Frau durch, die mit einem ausgesprochenen Lumpen verheiratet war. Ich glaube, das Gericht sprach bei der Scheidung das Kind seinem kriminellen Vater zu, aber der machte keinen Gebrauch davon. Der alte Wade fand Gefallen an dem Mädchen und bestand darauf, dass es seinen Namen tragen sollte.«

»Verstehe«, murmelte Bündel. »Das erklärt es.«

»Was denn?«

»Etwas, das mir an dem Brief rätselhaft erschien.«

»Sie soll ein sehr hübsches Mädchen sein.«

Nachdenklich ging Bündel nach oben. Sie hatte mehrere Eisen im Feuer. Zunächst musste sie Jimmy Thesiger finden. Da konnte Bill eventuell hilfreich sein. Ronny Devereux war ein Freund von Bill gewesen. Wenn Jimmy Thesiger mit Ronny befreundet gewesen war, standen die Chancen gut, dass auch Bill ihn kannte. Und dann das Mädchen, Loraine Wade. Es war gut möglich, dass Loraine Licht in die Sache mit Seven Dials bringen konnte. Offenbar hatte Gerry Wade ihr Näheres erzählt. Sein Drängen, dass sie Seven Dials vergessen solle, schien irgendwie verdächtig …

Der letzte Joker

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