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Rücksichtslos finde ich das!«, sagte Lord Caterham wehleidig und schien sich irgendwie an dem Adjektiv zu freuen, das er gefunden hatte. »Ich habe schon oft festgestellt, dass diese Selfmademen rücksichtslos sind. Sehr gut möglich, dass das der Grund ist, warum sie so viel Reichtum anhäufen.«

Düster blickte er über sein angestammtes Land, von dem er wieder Besitz ergriffen hatte.

Seine Tochter, Lady Eileen Brent, von ihren Freunden kurz »Bündel« genannt, lachte. »Du wirst jedenfalls niemals große Reichtümer anhäufen! Obwohl du dem alten Coote ganz schön viel Miete abgeknöpft hast für diesen Kasten. Wie ist er denn? Annehmbar?«

»Einer von diesen tüchtigen Industriekapitänen«, erwiderte Lord Caterham und schüttelte sich leicht, »mit rotem Spießergesicht und grauem Haar. Das, was man eine starke Persönlichkeit nennt. Eine menschliche Dampfwalze sozusagen.«

»Ermüdend also?«, fragte sie voll Mitgefühl.

»Entsetzlich ermüdend, voll von niederschmetternden Tugenden wie Nüchternheit und Pünktlichkeit. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: starke Persönlichkeit oder eifrige Politiker. Ich ziehe nette unbedeutende Leute vor.«

»Nette unbedeutende Leute wären aber nicht in der Lage gewesen, dir so eine Miete für das alte Mausoleum zu zahlen«, erinnerte Bündel.

Lord Caterham seufzte. »Ich wünschte, du hättest dieses Wort nicht benützt, Bündel. Wir waren gerade dabei, das Thema zu verlassen.«

»Ich verstehe wirklich nicht, warum du so empfindlich bist«, meinte Bündel. »Irgendwo müssen die Menschen ja sterben.«

»Sie brauchen das aber nicht in meinem Haus zu tun«, erwiderte Lord Caterham.

»Warum nicht? Das haben schon viele hier getan: Heerscharen von steifen Großvätern und Großmüttern.«

»Das ist etwas anderes! Natürlich gehe ich davon aus, dass Mitglieder der Familie hier sterben – das zählt nicht. Aber gegen Fremde habe ich etwas. Und Untersuchungen kann ich schon überhaupt nicht ausstehen. Solche Geschichten werden leicht zur Gewohnheit. Das ist jetzt schon der zweite Tote. Erinnerst du dich an das Theater, das wir vor vier Jahren hatten? Für das ich übrigens George Lomax verantwortlich mache.«

»Und jetzt schiebst du die Schuld auf die arme alte Dampfwalze Coote. Ich bin sicher, dass es ihm ebenso lästig war wie allen anderen.«

»Sehr rücksichtslos«, beharrte Lord Caterham: »Leute, bei denen man mit so was rechnen muss, sollten gar nicht erst eingeladen werden. Und du kannst sagen, was du willst, Bündel, ich mag keine Untersuchungen.«

»Nun, jetzt ist es doch etwas anderes als beim letzten Mal. Ich meine, es ist kein Mord.«

»Es hätte aber gut einer sein können – nach dem ganzen Wirbel, den dieser Dickkopf von Inspektor veranstaltete. Er hat die Geschichte von vor vier Jahren noch nicht vergessen und denkt, dass jeder Sterbefall, der sich in meinem Haus ereignet, eine faule Sache von eminenter politischer Bedeutung ist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie er sich aufgeführt hat! Tredwell erzählte es mir. Hat alle nur erdenklichen Dinge nach Fingerabdrücken untersucht. Natürlich haben sie nur die des Toten gefunden. Eine ganz eindeutige Geschichte – ob es allerdings Selbstmord oder ein Unfall war, ist eine andere Frage.«

»Ich habe Gerry Wade mal getroffen«, sagte sie. »Er war ein Freund von Bill. Du hättest ihn bestimmt gemocht, Vater, ich habe noch nie jemand gesehen, der so nett und unbedeutend war wie er. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ihn jemand umgebracht hat. Die Idee ist absurd!«

»Natürlich! Das wäre sie für jeden, außer für Inspektor Raglan, diesen Esel.«

»Vielleicht fühlt er sich bedeutend, wenn er nach Fingerabdrücken sucht. Jedenfalls haben sie sich auf ›Tod durch Unglücksfall‹ geeinigt, nicht wahr?«

Lord Caterham beruhigte sich. »Sie mussten Rücksicht auf die Gefühle der Schwester nehmen.«

»Hat er eine Schwester? Das wusste ich gar nicht.«

»Eine Halbschwester, viel jünger. Der alte Wade ist mit ihrer Mutter durchgebrannt – er hat immer so was gemacht. Keine Frau hat ihn interessiert, wenn sie nicht einem anderen Mann gehörte.«

»Da bin ich aber froh, dass es wenigstens eine schlechte Eigenschaft gibt, die du nicht besitzt«, sagte Bündel.

»Ich habe immer ein sehr anständiges gottgefälliges Leben geführt«, erklärte Lord Caterham. »Wirklich erstaunlich, dass man mich nicht in Ruhe lassen kann. Wenn …« Er hielt inne, weil Bündel plötzlich zur Terrassentür hinauslief.

»MacDonald!«, rief sie energisch. Würdevoll näherte sich MacDonald. Etwas, das man für ein Begrüßungslächeln hätte halten können, versuchte sich auf seinem Gesicht breitzumachen. »Wie geht’s?«, fragte sie.

»Nicht sehr großartig«, erwiderte MacDonald.

»Ich wollte mit Ihnen wegen des Bowlingplatzes sprechen. Der ist entsetzlich verwildert. Unternehmen Sie etwas!«

MacDonald schüttelte zweifelnd seinen Kopf. »Das würde bedeuten, dass man William von der unteren Rabatte abziehen müsste, M’lady.«

»Zum Teufel mit der Rabatte! Er soll sofort anfangen. Und, MacDonald …«

»Ja, M’lady?«

Bringen Sie uns Trauben aus dem Gewächshaus! Ich weiß, dass man sie eigentlich noch nicht pflücken soll, aber ich will trotzdem welche, verstanden?«

Bündel kehrte in die Bibliothek zurück.

»Tut mir leid, Vater«, sagte sie. »Aber ich wollte MacDonald erwischen. Hattest du etwas gesagt?«

»Allerdings«, antwortete Lord Caterham. »Aber das macht nichts. Was gab’s denn mit MacDonald?«

»Ich wollte ihn davon heilen, sich für den Allmächtigen zu halten. Aber es ist ziemlich unmöglich. Ich glaube, dass die Cootes ihm nicht gutgetan haben. MacDonald hat sich sicher keinen Pfifferling um sie geschert. Wie ist eigentlich Lady Coote?«

Lord Caterham überlegte kurz. »Sie hat bestimmt in vielen Laienspielen mitgewirkt. Ich nehme an, dass sie sich über den Scherz mit den Weckern sehr aufgeregt hat.«

»Was für Wecker?«

»Tredwell hat es mir gerade erzählt. Es scheint, dass sich die Gäste des Hauses einen Scherz erlaubt haben. Sie kauften ein paar Wecker und versteckten sie im Zimmer des jungen Wade. Und dann war der arme Kerl tot. Was die ganze Angelegenheit ziemlich eklig macht.«

Bündel nickte.

»Tredwell berichtete mir noch etwas Merkwürdiges über die Wecker«, fuhr Lord Caterham jetzt mit gesteigertem Vergnügen fort. »Anscheinend hat irgendjemand sie eingesammelt und in einer Reihe auf den Kaminsims gestellt, nachdem der arme Kerl tot war.«

»Na und?«

»Offenbar hat es deswegen Aufregung gegeben. Alle Dienstboten wurden befragt und schworen, dass sie niemals diese ekelhaften Dinger angefasst hätten. Wirklich sehr rätselhaft. Der Coroner stellte bei der Untersuchung diesbezügliche Fragen, und du weißt ja, wie schwierig es ist, Leuten dieses Schlages etwas klarzumachen.«

»Lauter Idioten«, stimmte Bündel zu.

»Natürlich ist es nicht einfach, hinterher die Zusammenhänge herauszufinden. Übrigens, Bündel, er ist in deinem Zimmer gestorben.«

Bündel zog eine Grimasse. »Warum gerade in meinem Zimmer?«, fragte sie indigniert.

»Das sage ich ja!«, meinte Lord Caterham triumphierend. »Rücksichtslos, verdammt rücksichtslos!«

»Nicht, dass es mir etwas ausmacht«, sagte sie mutig, »warum auch!«

»Mir schon! Ich würde schlecht träumen … von Geistern und klirrenden Ketten.«

»Großtante Louisa starb in deinem Bett. Ich wundere mich, dass du sie nicht herumspuken siehst.«

»Das tue ich ja manchmal«, gestand Lord Caterham schaudernd, »besonders nach Hummer.«

»Zum Glück bin ich nicht abergläubisch.«

Trotzdem musste Bündel am Abend, als sie in ihrem Zimmer vor dem Kaminfeuer saß, unwillkürlich an jenen netten nichtssagenden Gerry Wade denken. Unvorstellbar, dass jemand, der so voll Lebensfreude steckte, Selbstmord begangen haben konnte. Nein, die andere Version musste stimmen. Er hatte ein Schlafmittel genommen und aus Versehen eine Überdosis erwischt.

Ihr Blick fiel auf den Kaminsims, und sie erinnerte sich an die Geschichte mit den Weckern. Ihre Zofe war voll davon gewesen, und das zweite Hausmädchen hatte ihr gerade alle Einzelheiten haarklein erzählt. Bündel erfuhr ein Detail, das Tredwell offenbar nicht für wichtig gehalten und nicht an Lord Caterham weitergegeben hatte, das aber Bündels Neugier erregte.

Auf dem Kaminsims hatten sieben Wecker gestanden. Den fehlenden achten fand man draußen auf dem Rasen, wohin er offensichtlich durchs Fenster geworfen worden war.

Die Sache erschien so sinnlos. Man konnte sich vorstellen, dass eines der Hausmädchen die Wecker eingesammelt und es bei der Untersuchung aus Angst geleugnet hatte. Aber bestimmt würde kein Dienstmädchen einen Wecker in den Garten werfen!

Hatte Wade es getan, als das erste Klingeln ihn weckte? Nein, unmöglich! Der Tod war angeblich in den frühen Morgenstunden eingetreten. Wade musste schon einige Zeit vorher bewusstlos gewesen sein.

Die Sache mit den Weckern war wirklich merkwürdig. Sie musste Bill Eversleigh fragen. Er war übers Wochenende auch hier gewesen.

Denken und handeln war eins. Bündel stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Es war ein schönes Stück mit Intarsien, dessen Deckel man zurückrollen konnte. Bündel setzte sich, nahm einen Bogen Papier und begann zu schreiben:

Lieber Bill …

Sie hielt inne, um die Schreibplatte herauszuziehen. Sie klemmte, wie häufig. Ungeduldig zog Bündel daran. Da fiel ihr ein, dass einmal ein vergessenes Kuvert dazwischengesteckt hatte. Mit einem dünnen Papiermesser fuhr sie in den schmalen Spalt. Sie hatte Erfolg. Die Ecke eines weißen Blattes Papier kam zum Vorschein. Bündel ergriff es und zog es heraus. Es war die etwas zerknitterte Seite eines Briefes.

Als Erstes fiel ihr das Datum auf. »Der einundzwanzigste September«, sagte sie langsam, »da geschah doch …«

Sie brach ab. Ja, am zweiundzwanzigsten September hatte man Gerry Wade tot aufgefunden. Diesen Brief musste er also am Tag der Tragödie geschrieben haben.

Sie strich ihn glatt und las.

Meine liebe Loraine, ich komme am Mittwoch. Ich fühle mich herrlich und bin sehr zufrieden mit mir. Dich wiederzusehen ist großartig! Hör mal, vergiss, was ich dir über Seven Dials erzählt habe. Ich dachte, dass es mehr oder weniger ein Scherz sei – aber das ist es nicht, nicht im Geringsten! Es tut mir leid, dass ich je etwas darüber verlauten ließ – es ist nicht die Art von Angelegenheiten, in die du hineingezogen werden sollst.

Noch etwas wollte ich dir schreiben – aber ich bin so müde, dass ich meine Augen kaum noch offen halten kann …

Hier brach der Brief ab.

Nachdenklich saß Bündel da. Seven Dials … was war das? Ihre Aufmerksamkeit blieb an zwei Wendungen hängen: »… ich fühle mich herrlich …« und »… ich bin so müde, dass ich meine Augen kaum noch offen halten kann …«

Das passte nicht zusammen! Denn genau in jener Nacht hatte Gerry Wade eine so starke Dosis eines Schlafmittels genommen, dass er nie mehr aufwachte. Und wenn stimmte, was in dem Brief stand, warum sollte er es dann genommen haben?

Leicht schaudernd blickte sie sich im Zimmer um. Angenommen, Gerry Wade beobachtete sie jetzt? In diesem Zimmer war er gestorben …

Vor ihrem inneren Auge entstand ein deutliches Bild. Der tote Mann auf dem Bett und sieben Wecker, die auf dem Kaminsims tickten, die laut und geheimnisvoll …

Der letzte Joker

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