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Von den anderen drei Hausbewohnern konnte Lejeune nichts Neues erfahren. Alle drei hatten Mrs Davis kaum vom Ansehen gekannt.

Auch die Frau, die sich bei der Polizei gemeldet hatte, wusste nichts Besonderes zu berichten. Sie war Katholikin und kannte Pater Gorman nur flüchtig. Sie hatte gesehen, wie der Geistliche aus der Benthall Street kam und in das kleine Café ging. Das war alles.

Doch Mr Osborne, der Besitzer der Apotheke an der Ecke der Barton Street, konnte da schon mehr sagen.

Er war ein kleiner, glatzköpfiger Mann mittleren Alters, hatte ein rundliches, kluges Gesicht und trug eine Brille.

»Guten Abend, Inspektor«, begrüßte er Lejeune. »Bitte, kommen Sie in mein Büro.« Einladend hob er den Klappdeckel der altmodischen Theke, und sie gingen zusammen durch einen mit Flaschen und Glasbehältern vollgestellten Gang, wo ein junger Mann sachkundig Arzneien abfüllte, in ein kleines Zimmer mit einem Tisch, Schreibtisch und einigen Lehnstühlen. Mr Osborne schloss die Tür, zog noch einen Vorhang vor und setzte sich, indem er gleichzeitig Lejeune den zweiten Stuhl anbot. Er lehnte sich vor, seine Augen glitzerten freudig erregt.

»Zufälligerweise kann ich Ihnen vielleicht wirklich helfen. Wir hatten einen sehr ruhigen Abend, in der Apotheke war nicht viel zu tun, und meine junge Angestellte versah den Dienst. Am Donnerstag hatten wir bis acht Uhr abends offen. Draußen wurde der Nebel immer dichter, sodass nur wenige Leute vorbeikamen. Ich stand in der Tür und dachte bei mir, die Wetterprognose habe also diesmal ausnahmsweise recht behalten. – So stand ich also eine Weile da, und auf einmal sah ich Pater Gorman um die Ecke biegen. Ich kannte ihn natürlich, wenn auch nicht persönlich. Eine schreckliche Sache, dieser Mord an einem so beliebten Mann! Er ging in Richtung West Street – das ist die nächste Abzweigung links, wie Sie ja wissen werden. Ein paar Schritte hinter ihm kam ein anderer Mann. Ich hätte mir gar nichts dabei gedacht, wenn er nicht plötzlich stehen geblieben wäre, direkt gegenüber meiner Tür. Da wandte ich den Kopf und sah, dass Pater Gorman auf einmal ganz langsam ging; so, als ob er intensiv über ein Problem nachdächte und dabei alles andere vergaß. Dann aber besann er sich wieder und ging rascher. Und gleichzeitig setzte sich auch der andere Mann erneut in Bewegung; er rannte beinahe. Ich dachte mir – soweit ich überhaupt dachte –, es sei vielleicht ein Bekannter des Paters, der ihn einholen wolle, um ihm etwas zu sagen.«

»Aber tatsächlich könnte er ihm auch einfach gefolgt sein?«, wollte Lejeune wissen.

»Jetzt bin ich sogar überzeugt davon – aber im Moment kam mir das natürlich nicht in den Sinn. Bei dem dichten Nebel verlor ich sie dann beide aus den Augen.«

»Könnten Sie diesen Mann wohl etwas näher beschreiben?«

Der Ton des Inspektors zeigte, dass er sich von dieser Frage wenig versprach. Er erwartete die üblichen Allgemeinplätze, doch Mr Osborne erwies sich als ein viel besserer Beobachter als die meisten Menschen.

»Nun, ich glaube schon«, erklärte der Apotheker selbstzufrieden. »Es handelt sich um einen großen Mann …«

»Wie groß etwa?«

»Nahezu ein Meter achtzig, würde ich sagen. Das kann aber auch täuschen, weil er sehr dünn war. Abfallende Schultern und einen sehr starken Adamsapfel. Er trug das Haar ziemlich lang, denn es guckte unter seinem steilen Filzhut hervor. Große Hakennase, sehr auffallend. Über die Farbe seiner Augen kann ich natürlich nichts sagen, denn ich sah ihn nur von der Seite. Seinem Gang nach zu schließen, dürfte er ungefähr fünfzig Jahre alt gewesen sein.«

Lejeune schätzte die Entfernung vom einen Bürgersteig der Straße zum anderen ab … und wunderte sich. Er wunderte sich sogar sehr.

Eine derart genaue Beschreibung, wie er sie durch den Apotheker erhalten hatte, konnte zweierlei bedeuten. Entweder besaß der Mann eine besonders lebhafte Einbildungskraft – und der Inspektor war an dergleichen gewöhnt, besonders bei Frauen. Sie machten sich einfach ein Bild davon, wie ihrer Meinung nach der Mörder auszusehen hatte, und gaben dieses ganz getreu wieder. Aber solche falschen Porträts enthielten meistens verräterische Einzelheiten wie wild rollende Augen, überhängende Brauen oder vorstehende Unterkiefer. Die Schilderung von Mr Osborne dagegen klang wie die Beschreibung eines wirklichen Menschen. Es war möglich, dass er einer der seltenen Zeugen war, auf deren Aussage man sich verlassen konnte und die auch daran festhielten.

Wieder überdachte Lejeune die Entfernung zwischen den beiden Straßenseiten; nachdenklich ruhten seine Augen auf dem Apotheker.

Er fragte: »Glauben Sie, diesen Mann wiedererkennen zu können, wenn Sie ihm noch einmal begegneten?«

»Oh, ganz gewiss!«, antwortete Mr Osborne überzeugt. »Ich vergesse niemals ein Gesicht. Das ist eine meiner Spezialitäten. Ich habe oft gesagt, wenn einer dieser Giftmörder bei mir Arsenik kaufen würde, könnte ich ihn noch nach Jahren vor Gericht identifizieren. Und eigentlich habe ich immer gehofft, etwas Derartiges würde einmal geschehen.«

»Aber bis jetzt war es nicht der Fall?«

Betrübt musste Mr Osborne dies zugeben. »Und jetzt wird es auch kaum mehr geschehen«, fügte er hinzu. »Ich verkaufe mein Geschäft. Man hat mir einen sehr guten Preis dafür geboten, und ich werde mich nach Bournemouth zurückziehen.«

»Tut Ihnen das nicht leid? – Es scheint doch ein recht schönes Geschäft zu sein.«

»Alteingesessen«, nickte Mr Osborne mit einigem Stolz. »Es ist seit nahezu hundert Jahren im Besitz unserer Familie. Mein Großvater gründete es, und dann wurde es von meinem Vater übernommen. Eine richtige Familientradition. Als Junge sah ich das natürlich nicht ein – mir schien es nur muffig und dumpf. Wie viele junge Burschen bildete ich mir ein, ich sei ein großer Schauspieler. Mein Vater war sehr klug und versuchte nicht, mich davon abzuhalten. ›Probier’s‹, sagte er nur. ›Du wirst bald genug einsehen, dass du kein wirklicher Künstler bist.‹ Und wie recht er damit hatte. Nach anderthalb Jahren kehrte ich reumütig ins Geschäft zurück, und mit der Zeit wurde ich sogar stolz darauf. Wir haben immer nur gute Ware geführt – altmodische, aber Qualität. Doch heutzutage ist es nicht mehr das Gleiche für einen Apotheker, seit er all diese Kosmetiksachen führen soll … Puder und Lippenstifte und Hautcreme und so weiter. Ich selbst rühre das Zeug nicht an, meine Angestellte kümmert sich darum. Nein, es ist nicht mehr wie früher! Darum verkaufe ich das Geschäft, und von dem Erlös kaufe ich mir einen netten kleinen Bungalow in der Nähe von Bournemouth.«

Nach einer Pause fuhr er fort: »Man muss sich zurückziehen, solange das Leben einem noch was zu bieten hat, das ist mein Motto. Ich habe eine ganze Menge Hobbys – Schmetterlinge zum Beispiel. Und gelegentlich beobachte ich Vögel. Außerdem arbeite ich gern im Garten; ich habe eine Menge Bücher darüber. Und natürlich Reisen; vielleicht mache ich eine dieser großen Rundfahrten mit, um fremde Länder kennenzulernen, ehe es zu spät ist.«

Lejeune erhob sich.

»Nun, ich wünsche Ihnen viel Glück dazu«, lächelte er. »Und falls Sie zufällig diesem Mann noch einmal begegnen, ehe Sie London verlassen …«

»Dann werde ich Sie sofort verständigen, Inspektor. Das ist selbstverständlich. Sie können auf mich zählen. Wie gesagt, ich habe ein gutes Auge für Gesichter und werde meine Augen offen halten. O ja, Sie können sich auf mich verlassen!«

Das fahle Pferd

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