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Wirklich, Mr Lejeune, ich kann Ihnen nichts weiter sagen. Alles, was ich weiß, habe ich bereits Ihrem Sergeanten berichtet. Ich habe keine Ahnung, wer Mrs Davis war und wo sie herkam. Sie hat sechs Monate bei mir gewohnt und ihre Miete immer pünktlich bezahlt. Eine sehr ruhige, nette Person. Ich kann mir nicht vorstellen, was ich Ihnen weiter sagen könnte.«

Mrs Coppins machte eine Pause, um Atem zu schöpfen, und sah Lejeune dabei ärgerlich an. Er lächelte melancholisch und sanft – und wusste genau, dass dieses Lächeln meistens von Erfolg gekrönt war.

»Ich würde Ihnen bestimmt gern helfen, wenn ich es könnte«, fügte Mrs Coppins dann auch prompt hinzu.

»Vielen Dank. Gerade das ist es, was wir brauchen: Hilfe. Frauen erkennen instinktiv so vieles, was uns Männern entgeht.«

Das war ein guter Schachzug – und sehr wirksam.

»Ah«, meinte Mrs Coppins, »ich wünschte, mein Mann hätte das hören können. So überheblich und reizbar, wie er immer war. ›Du behauptest Sachen, von denen du keine Ahnung hast‹, sagte er immer. Und dabei behielt ich fast jedes Mal recht.«

»Deshalb möchte ich so gern wissen, was Sie über Mrs Davis dachten. Hielten Sie sie für eine unglückliche Frau?«

»Nein, das könnte ich nicht sagen. Eine richtige Geschäftsfrau, so kam sie mir immer vor. Sehr methodisch und genau – als wenn sie einen festen Plan für ihr Leben gemacht hätte und nicht davon abwich. Soviel ich weiß, hatte sie eine Stelle bei einer dieser Marktforschungsgesellschaften. Sie kennen das ja: Man geht von Haus zu Haus und erkundigt sich bei den Leuten, welches Waschpulver sie bevorzugen, welche Mehlsorte, für was sie am meisten Geld ausgeben und so weiter. Ich selbst finde natürlich, dass das eine ungehörige Schnüffelei ist, und wieso die Regierung oder sonst jemand das zu wissen braucht, begreife ich nicht. Aber nun, das gehört zu diesen neumodischen Dingen, und die Leute sind ganz verrückt danach. Ich glaube, Mrs Davis hat das immer sehr nett gemacht. Sie hatte eine so freundliche Art, nicht neugierig, sondern einfach sachlich.«

»Sie kennen nicht zufällig den Namen der Firma, bei der sie beschäftigt war?«

»Nein, leider nicht.«

»Hat sie jemals über ihre Verwandten gesprochen?«

»Nie. Ich habe vermutet, sie sei Witwe und habe ihren Mann schon vor vielen Jahren verloren. Wahrscheinlich war er Invalide – aber sie sprach nie davon.«

»Sie sagte Ihnen auch nicht, aus welcher Gegend des Landes sie stammte?«

»Ich glaube nicht, dass sie aus London kam – wahrscheinlich irgendwo aus dem Norden, würde ich sagen.«

»Und Sie hatten nie das Gefühl, es gebe irgendetwas … nun, etwas Geheimnisvolles in ihrem Leben?«

Lejeune fühlte sich nicht ganz wohl bei dieser Frage. Wenn Mrs Coppins sich leicht beeinflussen ließ, dann konnte ihre Antwort auf eine falsche Fährte führen. Doch sie ging nicht darauf ein.

»Ich habe nie etwas Derartiges bemerkt – wenigstens hat sie nichts gesagt. Das Einzige, was mich etwas stutzig machte, war ihr Handkoffer. Gute Qualität, aber nicht neu. Und die Initialen darauf sind dick übermalt mit J. D. – Jessie Davis. Aber ursprünglich stand etwas anderes da, ich glaube J. H. Vielleicht war es jedoch auch ein A. Nun, zuerst dachte ich mir nichts weiter dabei. Man kann oft einen guten Lederkoffer aus zweiter Hand recht billig erstehen, und dann ist es nur natürlich, dass man die Buchstaben ändern lässt. Sie besaß nicht viele Sachen – nur diesen einzigen Koffer.«

Das wusste Lejeune bereits. Die Verstorbene hatte erstaunlich wenig eigene Besitztümer gehabt. Keine Briefe, keine Fotografien und anscheinend weder eine Versicherungskarte noch Scheckformulare. Ihre Kleider waren aus guten, soliden Stoffen für den täglichen Gebrauch und sehr sorgfältig gepflegt.

»Sie schien also ganz zufrieden?«, fragte der Inspektor.

»J-a, ich glaube wohl.«

Der leise Zweifel in den Worten entging ihm nicht, und er hakte sofort ein. »Sie glauben es bloß?«

»Nun, darüber macht man sich eigentlich selten Gedanken, nicht wahr? Ich möchte sagen, es ging ihr recht gut, sie hatte eine gute Stelle und konnte mit dem Leben zufrieden sein. Aber sie gehörte nicht zu den Menschen, die überall ihr Herz ausschütten müssen. Doch als sie krank wurde …«

»Ja, was geschah da?«, drängte Lejeune.

»Verärgert war sie zuerst, als sie die Grippe bekam. Es würde alle ihre Pläne über den Haufen werfen, meinte sie. Sie könne ihre Verabredungen nicht einhalten und so weiter. Aber Krankheit ist Krankheit, daran lässt sich nun einmal nichts ändern. So blieb sie also im Bett, kochte sich ihren Tee auf dem Gaskocher und nahm Aspirin. Ich riet ihr, doch den Arzt kommen zu lassen, aber davon wollte sie nichts wissen. Gegen die Grippe gebe es nur eins: im Bett bleiben und sich warm halten. Und ich solle ihr lieber nicht in die Nähe kommen, um mich nicht anzustecken. Als es ihr etwas besser ging, brachte ich ihr heiße Suppe und Toast und gelegentlich einen Reispudding. Natürlich fühlte sie sich schwach – das ist bei Grippe immer so. Aber es war nicht schlimmer als bei anderen, möchte ich sagen. Sie saß dort am Kamin, und ich erinnere mich, dass sie einmal sagte: ›Wenn man nur nicht so viel Zeit zum Nachdenken hätte. Ich möchte nicht denken müssen, das hilft ja doch nichts.‹«

Lejeune blickte Mrs Coppins sehr aufmerksam an, und sie erwärmte sich für ihr Thema.

»Ich gab ihr ein paar Zeitschriften zum Lesen, aber sie hatte keine rechte Lust dazu. Einmal bemerkte sie: ›Wenn die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten, dann ist es besser, nichts darüber zu wissen, meinen Sie nicht auch?‹ Und ich beruhigte sie: ›Natürlich, Sie haben ganz recht, meine Liebe.‹ Darauf meinte sie: ›Ich bin mir nicht sicher – ich weiß ja nichts Bestimmtes. Alles, was ich getan habe, war immer ganz korrekt. Mir selbst habe ich nichts vorzuwerfen.‹ Darauf gab ich ihr zur Antwort: ›Sicher nicht, meine Liebe.‹ Aber ich fragte mich, ob vielleicht in ihrer Firma nicht alles mit rechten Dingen zuging und ob ihr etwas davon zu Ohren gekommen sein mochte. Aber sie hatte wohl das Gefühl, das ginge sie nichts an.«

»Sehr gut möglich«, stimmte Lejeune zu.

»Nun, dann erholte sie sich und nahm ihre Arbeit wieder auf. Ich sagte ihr, es sei bestimmt noch zu früh, aber sie wollte nichts davon hören. Doch wie recht hatte ich! Am zweiten Abend kam sie mit hohem Fieber nach Hause, das sah ich sofort. Sie kam ja kaum die Treppen hinauf. ›Sie müssen sofort einen Arzt rufen‹, sagte ich zu ihr – aber nein, sie wollte nicht. Am nächsten Tag wurde es schlimmer und schlimmer; ihre Augen waren ganz glasig, die Wangen brannten wie Feuer und ihr Atem ging schwer. Gegen Abend keuchte sie … und sie brachte die Worte kaum heraus: ›Ein Priester, ich muss mit einem Priester sprechen! Rasch – sonst ist es zu spät!‹ Aber sie wollte nicht unseren Vikar haben, es musste unbedingt ein römisch-katholischer Priester sein. Ich hatte nicht gewusst, dass sie katholisch war, hatte nie ein Kruzifix oder einen Rosenkranz bei ihr gesehen.«

Doch Lejeune wusste, dass sie ein Kruzifix besessen hatte; es war zuunterst in ihrem Koffer versteckt. Er sagte nichts darüber, sondern lauschte weiter dem Bericht.

»Ich sah den jungen Mike auf der Straße und schickte ihn zu diesem Pater Gorman von St. Dominic. Dann rief ich sofort das Krankenhaus und den Arzt an.«

»Sie führten den Priester zu ihr hinauf, als er kam?«

»Ja, und dann ließ ich sie mit ihm allein.«

»Hat Mrs Davis oder der Pater etwas gesagt?«

»Das könnte ich nicht mit Bestimmtheit behaupten. Ich schwatzte selbst – sagte, hier sei der Priester und gleich würde es ihr wieder besser gehen, nur um sie zu beruhigen. Aber jetzt erinnere ich mich, dass sie etwas bemerkte, als ich die Tür schloss … etwas über ›Schlechtigkeit‹ und ›bekennen‹. Ja, und dann noch etwas anderes – von einem Pferd muss es gewesen sein, vielleicht über Pferderennen. Ich setze selbst manchmal einen Shilling, aber man hört jetzt so viel, dass es bei diesen Rennen nicht immer mit rechten Dingen zugeht.«

»Schlechtigkeit«, wiederholte Lejeune betroffen. Das Wort stimmte ihn nachdenklich.

»Diese Katholiken müssen doch ihre Sünden bekennen, ehe sie sterben, nicht wahr? So wird es gewesen sein.«

Lejeune zweifelte nicht daran, dass es sich so verhielt. Aber dieses Wort – es schien so seltsam! Schlechtigkeit …

Es musste schon etwas Außergewöhnliches bedeuten, wenn der Priester, der darum wusste, gleich darauf umgebracht wurde.

Das fahle Pferd

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