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Ich kam mit meiner alten Freundin Hermia Redcliffe aus dem Old Vic, wo wir uns eine Aufführung von Macbeth angesehen hatten. Es goss wie aus Kübeln. Als wir über die Straße zu meinem Wagen rannten, bemerkte Hermia ungerechterweise, es regne jedes Mal, wenn man ins Old Vic gehe.

Ich widersprach. Sie gehöre nun einmal zu den Menschen, die sich nur an die schlechten Tage erinnerten.

»Nein, das stimmt nicht«, bemerkte sie, während ich den Motor anließ. »In Glyndebourne habe ich zum Beispiel immer Glück gehabt. Ich könnte mir nichts Herrlicheres vorstellen. Die Musik … und die wunderbaren Blumenbeete … besonders das eine schneeweiße.«

Wir sprachen eine Weile über Glyndebourne und seine Aufführungen, bis Hermia auf einmal bemerkte: »Wir fahren nicht zufällig nach Dover zum Frühstück oder?«

»Dover? Welch ausgefallener Gedanke! Ich dachte, wir gehen ins ›Fantasia‹. Nach all dem königlichen Blutvergießen braucht man ein kräftiges Essen. Shakespeare macht mich immer schrecklich hungrig.«

»Mich auch – genauso wie Wagner. Ein Sandwich mit Räucherlachs in der Pause reicht nicht aus, um den Lärm durchzustehen. Und weshalb ich von Dover sprach: Vielleicht hast du noch nicht bemerkt, dass wir diese Richtung eingeschlagen haben.«

»Wir müssen einen Umweg fahren«, erklärte ich geduldig.

»Aber du übertreibst den Umweg; wir sind schon weit in der New Kent Road.«

Ich schaute mich um und musste zugeben, dass Hermia, wie üblich, recht hatte.

»Hier verirre ich mich immer«, seufzte ich entschuldigend. »Es ist wirklich verwirrend«, bestätigte sie, »immer rund und rund um Waterloo Station herum.«

Als wir endlich zur Westminster Bridge zurückgefunden hatten, nahmen wir unser Gespräch über Macbeth wieder auf. Meine Freundin Hermia ist eine hübsche junge Dame von achtundzwanzig Jahren mit einem fast klassischen Profil und einer Fülle kastanienbraunen Haares, das sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen trägt.

Im »Fantasia« wurden wir wie alte Stammgäste empfangen und bekamen einen kleinen Tisch bei der roten Samtwand. Das Lokal ist sehr beliebt, und die Tische stehen dicht beieinander. Als wir uns setzten, wurden wir von den beiden Gästen am Nachbartisch vergnügt begrüßt. David Ardingly ist Dozent für Geschichte in Oxford. Er stellte uns seine Begleiterin vor, ein außergewöhnlich attraktives Mädchen mit hochmodernem Haarschnitt – einer wilden Mähne, die ihr nach allen Seiten vom Kopf abstand. Doch seltsamerweise kleidete es sie gut. Sie hatte große blaue Augen und einen knallroten Mund, der meistens halb offen stand. Wie alle Freundinnen von David, die ich bis jetzt gesehen hatte, schien sie über alle Maßen dumm zu sein. David, der ein bemerkenswert kluger junger Mann ist, fand nur Erholung mit besonders albernen Mädchen.

»Dies ist Poppy, mein Lieblingskätzchen«, lachte er. »Poppy, ich stelle dir Mark und Hermia vor; sei vorsichtig, was du sagst, die beiden sind sehr ernsthafte Leute. Ich wette, sie kommen soeben von Shakespeare oder einer Wiedererweckung von Ibsen.«

»Stimmt: Macbeth im Old Vic«, erklärte Hermia.

»Und wie fanden Sie die Vorstellung?«

»Ausgezeichnet«, gab Hermia zurück. »Die Bankettszene habe ich noch nie so gut gesehen.«

»Und die Hexen?«

»Abscheulich wie immer!«

David stimmte zu. »Ich weiß; sie tun so, als wären sie Dämonen aus der guten alten Pantomime. Man erwartet immer, dass jetzt die Fee auftritt und mit silberheller Stimme sagt: ›Seid unbesorgt! Das Böse soll nicht jubilieren …‹ Zum Schluß kommt Macbeth selber und wird triumphieren.«

Wir lachten alle. Doch David, der eine rasche Auffassungsgabe besitzt, warf mir einen scharfen Blick zu.

»Was ist los mit Ihnen, Mark?«

»Nichts weiter. Es kam mir eben nur in den Sinn, was ich vor ein paar Tagen bereits über Hexen und Teufelsglaube hörte.«

»Na, ich weiß jedenfalls, wie ich diese Hexen darstellen würde, wenn ich jemals Regie führen sollte.« David hatte sich früher viel mit Dramaturgie befasst.

»Und zwar wie?«

»Gar keinen Hokuspokus – einfach verschlagene alte Weiber, genauso wie die wirklichen Hexen in unseren Dörfern.«

»Aber es gibt doch heute gar keine Hexen mehr«, meinte Poppy und riss die blauen Augen weit auf.

»Das sagst du, weil du ein Londoner Kind bist, Poppy. Aber in jedem Dorf unseres guten alten England gibt es eine Hexe, darauf kannst du dich verlassen. Die alte Mrs Brown zum Beispiel, im dritten Häuschen auf dem Hügel. Den Buben wird verboten, sie zu necken, und von Zeit zu Zeit schenkt man ihr Eier oder einen Pudding. Denn wenn man sie ärgert …«, David bewegte drohend den Zeigefinger, »dann gibt die Kuh keine Milch mehr, die Kartoffeln gedeihen nicht, oder der kleine Johnny bricht sich das Bein. Niemand wagt es, direkt zu sagen, Mrs Brown sei eine Hexe … aber jeder weiß es.«

»Ach, du machst ja nur Spaß«, behauptete Poppy schmollend.

»Nein, das ist so; nicht wahr, Mark?«

»Sicherlich ist doch diese Art von lächerlichem Aberglauben heute ganz ausgerottet«, bemerkte Hermia zweifelnd.

»Nicht in den abgelegenen Dörfern! Was meinen Sie, Mark?«

»Sie mögen recht haben, David«, sagte ich, »obschon ich gar nicht zuständig bin. Ich habe nie auf dem Lande gelebt.«

»Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen«, kam Hermia auf den Ausgangspunkt zurück, »wie Sie die Hexen in Macbeth als gewöhnliche alte Weiber auftreten lassen könnten. Es muss sie doch auf jeden Fall eine Atmosphäre des Übernatürlichen umgeben.«

»Oh, überlegen Sie doch«, gab David lebhaft zurück. »Es ist genau das Gleiche wie bei Verrückten. Wenn jemand herumtorkelt mit Stroh im Haar, sinnlose Worte ausstößt und wahnsinnig aussieht, wirkt das gar nicht erschreckend. Aber ich erinnere mich, dass ich einmal mit einer Botschaft zu einem Irrenarzt geschickt wurde und im Vorzimmer warten musste. Dort saß eine nette alte Dame und nippte an einem Glas Milch. Sie machte höflich Konversation über das Wetter, doch plötzlich lehnte sie sich vor und fragte leise:

›Ist das Ihr Kind, das dort hinter dem Kamin begraben wurde? Um zwölf Uhr zehn kann man es jeden Tag sehen. Aber Sie müssen vorgeben, das Blut nicht zu bemerken.‹

Es waren nicht die Worte, sondern die ruhige Selbstverständlichkeit, mit der die Frau sprach, die mich schaudern machte. Aber jeder leiseste Hinweis auf Irrsinn in einem Manuskript veranlasst den Schauspieler sofort, zu brüllen und zu toben.«

»Ich fand es übrigens interessant, dass der Darsteller des Macbeth gleichzeitig den dritten Mörder spielte. Machte man das früher auch schon?«, wollte Hermia wissen.

»Ich glaube wohl«, meinte David. »Wie praktisch muss es doch in jenen Zeiten gewesen sein – da war immer gleich ein Mörder zur Stelle, wenn man etwas zu bereinigen hatte. Heutzutage geht das leider nicht mehr so einfach. Wie bequem wäre es doch, wenn man einfach ein Unternehmen anrufen und verlangen könnte: ›Bitte, senden Sie mir sofort zwei zuverlässige Mörder, ich möchte meine Erbtante loswerden.‹«

Wir lachten alle.

»Aber in gewissem Sinne kann man das doch tun, nicht wahr?«, bemerkte Poppy unschuldsvoll.

Wir sahen sie an.

»In welchem Sinne, Kleines?«, fragte David.

»Nun, ich meine, es gibt doch Leute, die so etwas tun … Nur ist es wahrscheinlich sehr, sehr teuer.«

Poppys Augen waren arglos aufgerissen, die Lippen halb geöffnet.

»Was willst du damit sagen?«, erkundigte sich David neugierig.

Poppy machte ein verwirrtes Gesicht.

»Oh, ich dachte … wahrscheinlich habe ich alles durcheinandergebracht. Ich meinte ›Das fahle Pferd‹ und all diese Dinge.«

»Ein fahles Pferd? Was ist denn das?«

Poppy errötete und senkte die Lider.

»Ach, ich bin wohl dumm! Ich habe bloß einmal das Wort gehört – aber sicher habe ich es falsch verstanden.«

»Komm, Kleines, bestell dir ein schönes Eis mit Schlagsahne«, lächelte David freundlich.

Das fahle Pferd

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