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Dr. Corrigan schlenderte pfeifend in das Büro von Inspektor Lejeune. Er schien bester Laune und sehr gesprächig.

»Ich habe mir Ihren padre angesehen«, bemerkte er.

»Und das Resultat?«

»Wir wollen die technischen Ausdrücke dem Leichenbeschauer überlassen. Tatsache ist, dass er mit einem Knüppel niedergeschlagen wurde. Wahrscheinlich hat ihn schon der erste Hieb getötet, aber der Angreifer wollte sichergehen. Sieht hässlich aus, die ganze Sache.«

»Das kann man wohl sagen«, knurrte Lejeune.

Er war ein kräftiger Mann mit dunklem Haar und grauen Augen. Sein ruhiges Gehabe trog, denn manchmal wurden seine Hände überraschend beweglich und ausdrucksvoll und verrieten seine Abstammung von französischen Hugenotten.

Nachdenklich meinte er: »Hässlicher als nötig für einen einfachen Raubmord, hm?«

»Handelte es sich denn um Raub?«, wollte der Arzt wissen.

»Man vermutet es.« Lejeune zuckte die Achseln. »Seine Taschen waren nach außen gekehrt, und das Futter seiner Soutane ist zerrissen.«

»Da war doch keine große Ausbeute zu erwarten. Die meisten dieser Distriktspriester sind doch so arm wie die Kirchenmäuse.«

»Der Kopf wurde ihm völlig zerschmettert … um sicherzugehen, dass er auch wirklich tot war«, grübelte der Inspektor. »Das muss doch einen Grund haben.«

»Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder handelt es sich um einen dieser brutalen jungen Burschen, die Gewalt einfach um der Gewalt willen ausüben – es gibt deren heutzutage leider genug.«

»Und das zweite Motiv?«

»Ein besonderer Hass auf den armen Pater. Ist das denkbar?«

Lejeune schüttelte den Kopf.

»Sehr unwahrscheinlich. Er war ein beliebter Mann, im ganzen Distrikt hochgeschätzt. Keine Feinde, soweit wir in Erfahrung bringen konnten. Und auch Raub ist nicht sehr wahrscheinlich. Es sei denn …«

»Nun?«, erkundigte sich Dr. Corrigan. »Die Polizei hat also doch einen Hinweis, oder?«

»Er trug etwas bei sich, das der Verbrecher nicht gefunden hat – in seinem Stiefel, um genau zu sein.«

Dr. Corrigan stieß einen lauten Pfiff aus.

»Klingt wie eine Spionagegeschichte.«

Lejeune lächelte.

»Die Sache ist viel einfacher. Der Pfarrer hatte ein Loch in seiner Tasche; Sergeant Pine hat mit der Haushälterin gesprochen. Scheint etwas nachlässig zu sein, die gute Frau. Jedenfalls hat sie seine Anzüge nicht mit der nötigen Sorgfalt gepflegt. Sie gab selbst zu, dass Pater Gorman immer wieder Zettel und Briefe in seine Schuhe steckte, damit sie nicht durch die Löcher in den Taschen seiner Soutane fallen konnten.«

»Und davon wusste der Verbrecher natürlich nichts?«

»Sicher nicht – wem käme schon ein solcher Gedanke? Aber wissen wir, dass er wirklich diesen Zettel gesucht hat und nicht etwas anderes?«

»Was stand denn auf dem Papier?«

Lejeune zog eine Schreibtischlade heraus und entnahm ihr einen zerknitterten, verschmutzten Papierfetzen.

»Nur eine Liste mit Namen«, bemerkte er und schob ihn dem Arzt hin.

Corrigan betrachtete ihn neugierig.

Ormerod

Sandford

Parkinson

Hesketh-Dubois

Shaw

Harmondsworth

Tuckerton

Corrigan?

Delafontaine?

Seine Augenbrauen hoben sich erstaunt. »Ich sehe, da steht sogar mein Name auf der Liste«, bemerkte er.

»Sagt Ihnen irgendeiner dieser Namen etwas?«

»Kein einziger!«

»Und Sie haben auch Pater Gorman nicht gekannt?«

»Nein.«

»Dann werden Sie uns kaum helfen können.«

»Haben Sie denn schon eine Idee, was diese Liste bedeuten könnte?«

Lejeune gab keine direkte Antwort.

»Ein junger Bursche – vielmehr ein Kind – läutete abends gegen sieben Uhr bei Pater Gorman. Er erklärte, eine Frau liege im Sterben und verlange nach dem Priester. Pater Gorman ging mit ihm fort.«

»Wohin? Wissen Sie das?«

»Ja, das ließ sich leicht ermitteln. Benthall Street dreiundzwanzig, die Besitzerin ist eine Frau namens Coppins. Die Kranke hieß Mrs Davis. Der Priester kam etwa um Viertel nach sieben dort an und blieb eine halbe Stunde. Mrs Davis starb, kurz ehe die Ambulanz eintraf, die sie ins Krankenhaus überführen sollte.«

»Verstehe.«

»Das Nächste, was wir wieder von Pater Gorman hören, ist Folgendes: Er ist in ein kleines Café dort in der Nähe gegangen und hat eine Tasse Kaffee bestellt. Das Lokal ist einfach, aber anständig, nichts Kriminelles dort zu finden. Anscheinend suchte der padre dort etwas in seiner Tasche, konnte es nicht finden und bat daraufhin die Kellnerin um ein Stück Papier. Dies …« Lejeune wies auf den Zettel, »dies hier gab man ihm.«

»Und was geschah dann?«

»Als er seinen Kaffee erhielt, war der Priester eifrig mit Schreiben beschäftigt. Kurz darauf verließ er das Lokal, nachdem er die Liste in den Schuh geschoben hatte – der Besitzer hat diese Bewegung bemerkt.«

»Waren noch andere Leute dort?«

»Drei junge, geschniegelte Bürschchen saßen an einem Tisch, und kurz ehe Pater Gorman sich entfernte, kam ein älterer Mann herein und setzte sich in eine Ecke. Aber er ging gleich wieder fort, ohne etwas zu bestellen.«

»Er könnte also dem Priester gefolgt sein?«

»Möglich. Der Besitzer hat nicht darauf geachtet – weiß auch nicht genau, wie der Betreffende aussah. Er beschrieb ihn bloß als einen unauffälligen, respektabel aussehenden Mann – also ein Allerweltstyp. Ungefähr mittelgroß, trug blauen oder braunen Mantel. Nicht direkt dunkelhaarig, aber auch nicht blond. Vorläufig ahnen wir nicht, was er mit dem Pater zu tun haben könnte. Er hat sich auf unseren Zeugenaufruf hin nicht gemeldet, aber das will wenig besagen, er ist gerade erst durchgegeben worden. Wir haben darum ersucht, jedermann möge sich melden, der Pater Gorman zwischen Viertel vor und Viertel nach acht gesehen hat. Bis jetzt haben nur zwei Personen darauf reagiert: eine Frau und ein Apotheker, der sein Geschäft dort in der Nähe hat. Ich werde zu beiden hingehen und sie selbst befragen. Der Tote wurde um Viertel nach acht Uhr von zwei kleinen Jungen in der West Street entdeckt. Kennen Sie die Gegend? Es handelt sich eigentlich nur um einen schmalen Fußweg, auf der einen Seite begrenzt durch die Bahnschienen. – Den Rest wissen Sie.«

Dr. Corrigan nickte; er klopfte mit dem Finger auf den schmutzigen Zettel.

»Was halten Sie hiervon?«, fragte er.

»Mir scheint es sehr wichtig«, erklärte Lejeune.

»Sie meinen also, die Sterbende habe dem Priester etwas erzählt, und er schrieb die Namen rasch auf, um sie nicht zu vergessen? Die Frage ist bloß: Was konnte er damit anfangen, wenn sie ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurden?«

»Das braucht nicht unbedingt der Fall gewesen zu sein, auch wenn es sich um einen Priester handelt«, meinte Lejeune lebhaft. »Nehmen wir zum Beispiel an, diese Namen stünden mit … hm … Erpressung in Zusammenhang …«

»Oh, das vermuten Sie also?«

»Ich habe noch keine direkte Vermutung! Vorläufig stelle ich nur eine Hypothese auf. Also: Die Leute auf dieser Liste wurden erpresst; die sterbende Frau war entweder selbst die Erpresserin, oder sie hatte irgendwie davon erfahren. Vielleicht hat sie in letzter Minute bereut und gestanden, oder sie wollte so viel wie möglich wieder gutmachen. Pater Gorman übernahm diese Aufgabe.«

»Und dann?«

»Keine Ahnung«, erklärte Lejeune achselzuckend. »Vielleicht handelt es sich um eine sehr einträgliche Sache, und jemand wollte nicht, dass diese Geldquelle versiegt. Dieser Jemand wusste außerdem, dass Mrs Davis im Sterben lag und nach einem Priester geschickt hatte. Das Übrige ergibt sich von selbst.«

»Ich frage mich nun«, überlegte Corrigan und studierte den Zettel noch einmal, »weshalb bei den beiden letzten Namen ein Fragezeichen steht?«

»Vielleicht war Pater Gorman nicht sicher, ob sie wirklich so lauteten.«

»Hm – möglich. Statt Corrigan könnte es zum Beispiel mit Leichtigkeit Mulligan heißen«, gab der Arzt grinsend zu. »Aber bei Delafontaine wird die Sache schon schwieriger. Da hören die Ähnlichkeiten rasch auf. Und seltsam, dass nicht eine einzige Adresse dabeisteht.« Wieder überflog er die Liste. »Parkinson … gibt es eine Unmenge, Sandford … ist auch nicht so ungewöhnlich. Hesketh-Dubois … das gibt schon eher zu denken.«

Mit einem plötzlichen Entschluss lehnte sich der Doktor vor und nahm das Telefonbuch vom Schreibtisch.

»Wollen mal sehen. Hesketh, Mrs A … John und Co., Spengler … Sir Isidore … Ah! Hier haben wir’s! Hesketh-Dubois, Lady, Ellesmereplatz neunundvierzig. Wie wär’s, wenn wir die Dame anrufen würden?«

»Mit welcher Begründung?«

»Ach, uns wird schon was einfallen«, meinte der Arzt leichthin.

»Also los!«, ermunterte Lejeune.

»Was?« Corrigan starrte ihn verblüfft an.

»Vorwärts. Sie wollten es doch so haben.« Lejeune lächelte mild. Er hob den Hörer ab und schaute Corrigan fragend an.

»Wie lautet die Nummer?«

»Grosvenor 6 45 78.«

Lejeune wiederholte die Angabe und schob dann den Hörer zum Doktor hinüber. »Viel Vergnügen«, bemerkte er dazu.

Corrigan machte ein etwas betretenes Gesicht, während er auf den Anschluss wartete. Es läutete ein paar Mal, ehe jemand abnahm. Dann erklang eine Frauenstimme, außer Atem, wie es schien.

»Hier Grosvenor 6 45 78.«

»Bin ich mit dem Haus von Lady Hesketh-Dubois verbunden?«

»J-ja … nun … ich meine …«

Dr. Corrigan überhörte das unsichere Gestammel.

»Kann ich bitte mit der Dame selbst sprechen?«

»Aber – nein, das ist unmöglich! Lady Hesketh-Dubois ist im April gestorben.«

»Oh!« Dr. Corrigan war so überrascht, dass er die Frage »Wer ist am Apparat?« unbeachtet ließ und sachte den Hörer niederlegte.

Kühl blickte er den Inspektor an.

»Also deshalb waren Sie so rasch zu dem Anruf bereit!«

Lejeune lächelte spöttisch. »Glauben Sie denn wirklich, wir kümmern uns nicht um das Nächstliegende?«

»Im April gestorben«, meinte Corrigan gedankenvoll, »also vor fünf Monaten. Also für einen Erpresser kaum mehr von Interesse. Sie hat doch nicht etwa Selbstmord begangen oder etwas Ähnliches?«

»Nein, sie starb an einem Gehirntumor.«

»Das bedeutet also, dass wir ganz von vorn anfangen müssen«, bemerkte Corrigan und betrachtete die Liste.

Lejeune seufzte. »Wir wissen überhaupt nicht, ob diese Namen etwas mit der Sache zu tun haben«, betonte er. »Es könnte sich ebenso gut um eine ganz gewöhnliche Prügelei an einem nebligen Abend handeln – und dann hätten wir sehr wenig Hoffnung, den Verbrecher ausfindig zu machen … es sei denn, wir vertrauen auf unser Glück.«

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich noch etwas mit dieser Liste beschäftige?«, erkundigte sich der Doktor.

»Keineswegs. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei.«

»Damit wollen Sie wohl sagen, ich könne kaum etwas entdecken, das Ihnen entgangen sei. Seien Sie dessen nicht allzu sicher, mein Lieber. Ich werde mich auf einen einzigen Namen beschränken – auf Corrigan. Mr oder Mrs oder Miss Corrigan mit dem großen Fragezeichen. Sie werden wohl zugeben, dass mich dieser Name interessieren muss.«

Das fahle Pferd

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