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Ich trug die drei Aquarelle unter dem Arm und hatte eben die Haustür von Ellesmere Square 49 hinter mir geschlossen, als ich fast über jemanden stolperte. Ich entschuldigte mich höflich und ging weiter, um nach einem Taxi Ausschau zu halten – doch plötzlich klickte es in meinem Kopf, und ich wandte mich rasch um.

»Hallo – ist das nicht Corrigan?«

»Stimmt und Sie … ja, Sie sind Mark Easterbrook!«

Jim Corrigan und ich waren recht gute Freunde gewesen in Oxford, doch seit mindestens fünfzehn Jahren hatten wir uns nicht mehr gesehen.

»Es schien mir doch gleich so, als ob ich Sie kennen müsste, aber im ersten Moment konnte ich Sie nirgends unterbringen«, lachte Corrigan. »Ich lese gelegentlich Ihre Artikel, und ich muss gestehen, sie gefallen mir.«

»Und was ist aus Ihnen geworden? Haben Sie sich tatsächlich der Forschung verschrieben, wie Sie es im Sinn hatten?«

Corrigan seufzte. »Nein. Die Sache ist zu kostspielig, wenn man auf sich selbst gestellt ist. Man müsste einen interessierten Millionär dafür finden oder sich einem Verband anschließen. Also bin ich Polizeiarzt geworden. Ganz fesselnde Angelegenheit, man sieht da eine Menge Verbrechertypen. Aber ich will Sie nicht mit meinem Beruf langweilen. Kommen Sie lieber mit zu einem kleinen Lunch.«

»Gern – aber Sie wollten doch eigentlich hier hineingehen?« Ich wies auf das Haus hinter uns.

Er zuckte die Achseln. »Unwichtig, ich wäre doch nur ein sehr ungebetener Eindringling gewesen.«

»Es ist kein Mensch dort außer einem Mädchen.«

»Das habe ich mir gedacht. Aber ich wollte versuchen, etwas über die verstorbene Lady Hesketh-Dubois herauszubekommen.«

»Nun, da kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen. Lady Hesketh war meine Patin.«

»Tatsächlich? Das nenne ich aber Glück. Wo wollen wir hingehen? Ich kenne da ein kleines Lokal beim Lowndes Square – nichts Großartiges, aber man bekommt dort eine besonders gute Fischsuppe.«

Wir ließen uns in dem kleinen Restaurant nieder. Ein dampfender Suppentopf wurde von einem blassen Burschen in französischer Fischertracht vor uns hingestellt.

»Wirklich herrlich!«, erklärte ich nach dem ersten Löffel. »Nun, Corrigan, was wollen Sie über die alte Dame erfahren? Und nebenbei: weshalb?«

»Das ist eine ziemlich lange Geschichte«, erklärte mein Freund. »Sagen Sie mir erst einmal, wes Geistes Kind die Lady war.«

Ich überlegte.

»Sehr altmodisch – viktorianischer Typ. Sie war die Witwe eines Exgouverneurs von einer unbekannten Insel. Sie war reich und liebte ihre Bequemlichkeit. Im Winter fuhr sie an die Riviera oder in ähnliche Gegenden. Ihr Haus ist entsetzlich, voll gestopft mit viktorianischen Möbeln und Silberzeug aus jener Zeit. Sie hatte keine Kinder, umgab sich aber dafür mit ein paar gut erzogenen Pudeln, die sie heiß und innig liebte. Eigensinnig und unerschütterlich konservativ. Freundlich, aber sehr selbstherrlich; wich nie von ihren Ansichten ab. – Was möchten Sie sonst noch wissen?«

»Darüber bin ich mir eben nicht klar«, seufzte Corrigan. »Ist es möglich, dass sie erpresst wurde?«

»Erpresst?« Höchstes Erstaunen lag in meiner Frage. »Das ist bestimmt das Letzte, das ich mir denken könnte.«

Nun hörte ich zum ersten Mal etwas über den Mord an Pater Gorman und die Begleitumstände.

Ich legte meinen Löffel hin und erkundigte mich: »Haben Sie diese Namenliste?«

»Nicht das Original, aber eine Abschrift davon. Hier ist sie – lesen Sie selbst.«

Damit zog er ein Papier aus der Tasche und schob es mir herüber. Ich studierte die Liste eingehend.

»Parkinson? Ich kenne zwei Parkinsons: Arthur ist bei der Marine; der andere, Henry, steckt in irgendeinem Ministerium. Ormerod – es gibt einen Major Ormerod; er war seinerzeit Rektor, als ich in Sandford zur Schule ging. Harmondsworth? Kenne ich nicht. Tuckerton … doch nicht etwa Thomasina Tuckerton?«

Corrigan blickte mich neugierig an. »Könnte ohne weiteres möglich sein, denn wir wissen nichts über sie. Wer ist diese Thomasina?«

»Sie ist vor etwa einer Woche gestorben; ich las es in der Zeitung.«

»Dann dürfte das keine große Hilfe sein.«

Ich las weiter. »Shaw – ich kenne einen Zahnarzt, der so heißt; außerdem gibt es den Rechtsanwalt Jerome Shaw. Delafontaine – den Namen hörte ich kürzlich, aber ich kann mich nicht erinnern, in welchem Zusammenhang. Corrigan …? Sollte sich das auf Sie selbst beziehen, mein Alter?«

»Ich hoffe nicht; denn ich habe das dumpfe Gefühl, dass es Unglück bringt, auf dieser Liste zu stehen.«

»Kann sein. Wie sind Sie übrigens auf den Gedanken gekommen, es handle sich dabei um Erpressung?«

»Das ist die Ansicht von Inspektor Lejeune. Es schien auch das Nächstliegende – aber es kann natürlich noch viele andere Möglichkeiten geben. Es könnte eine Zusammenstellung von Rauschgiftschmugglern sein oder von Süchtigen … tatsächlich überhaupt alles Mögliche. Eines steht jedenfalls fest: Diese Liste war so wichtig, dass Pater Gorman ihretwegen sterben musste.«

Neugierig erkundigte ich mich: »Nehmen Sie immer solchen Anteil an der eigentlichen Polizeiarbeit?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, im Allgemeinen nicht.«

»Und weshalb verhalten Sie sich in diesem speziellen Fall so ganz anders?«

»Das weiß ich wahrhaftig selbst nicht«, meinte Corrigan. »Vielleicht, weil mein eigener Name dabei ist. Hoch die Corrigans! Ein Corrigan versucht dem anderen beizustehen.«

»Beistehen? Das würde also bedeuten, dass Sie in dieser Aufstellung die Namen von Opfern erblicken … und nicht die von Bösewichtern? Das könnte doch auch sein, nicht wahr?«

»Sie haben vollkommen recht. Es ist absolut lächerlich, in dieser Sache etwas mit Bestimmtheit behaupten zu wollen. Aber ich habe nun einmal das Gefühl, es müsste so sein – vielleicht, weil Pater Gorman damit zu tun hatte. Ich bin ihm zwar selten begegnet, aber er war ein prächtiger Mensch. Jedermann hatte Hochachtung vor ihm, und seine Gemeinde liebte ihn aufrichtig. Ein richtiger Kämpfer vor dem Herrn. Ich werde den Gedanken nicht los, dass es bei dieser Liste um Leben und Tod geht.«

»Hat die Polizei denn noch gar nichts herausbekommen?«

»Sie strengt sich an, aber es geht sehr langsam voran. Hier ein paar Auskünfte und dort ein paar. Jetzt versucht man herauszukriegen, wo die Frau herkam, die ihn an ihr Sterbebett rufen ließ.«

»Wer war denn diese Frau – eine Mrs Davis, sagten Sie doch?«

»Anscheinend gibt es da nichts Mysteriöses. Sie war Witwe. Wir dachten zuerst, ihr Mann müsse etwas mit Pferderennen zu tun gehabt haben, aber das scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Sie arbeitete für ein kleineres Marktforschungsunternehmen. Dort ist alles klar und einwandfrei. Angesehene Leute, wissen fast nichts über die Frau. Sie stammt aus dem Norden von England – Lancashire. Verblüffend ist eigentlich nur, dass sie so wenig persönliche Sachen besaß.«

Ich meinte achselzuckend: »Das dürfte für viel mehr Menschen zutreffen, als wir uns vorstellen.«

»Da haben Sie auch wieder recht.«

»Sie beschlossen also, der Sache selbst nachzugehen?«

»Ich versuche nur, auf eigene Faust etwas herauszubekommen. Hesketh-Dubois ist ein ungewöhnlicher Name, und ich dachte, dort könnte ich vielleicht etwas erfahren …« Er ließ den Satz unvollendet. »Doch das, was ich soeben von Ihnen gehört habe, hilft mir nicht weiter.«

»Auf alle Fälle war meine Patin weder süchtig, noch schmuggelte sie Rauschgift«, versicherte ich. »Auch war sie bestimmt keine Geheimagentin irgendwelcher Art. Ihr Leben verlief viel zu langweilig, als dass man sie hätte erpressen können. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, was eine Liste bedeuten könnte, auf der ihr Name steht. Ihr Schmuck war auf der Bank deponiert, sodass sie also auch kein passendes Objekt für einen Diebstahl sein konnte.«

»Gibt es noch andere Hesketh-Dubois? Söhne vielleicht?«

»Ich sagte schon, sie hatte keine Kinder. Sie hatte wohl einen Neffen und eine Nichte, aber die tragen nicht den gleichen Namen. Ihr Mann war einziges Kind.«

Corrigan dankte mir und versicherte, ich habe ihm sehr geholfen. Er blickte auf seine Uhr und bemerkte vergnügt, er müsse jetzt gehen, um jemandem den Bauch aufzuschlitzen. Damit trennten wir uns.

Nachdenklich ging ich nach Hause. Es war mir aber unmöglich, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, und schließlich rief ich, einem plötzlichen Impuls folgend, David Ardingly an.

»David? Hier ist Mark. Ich möchte Sie um eine kleine Auskunft bitten. Wie heißt diese Poppy, die gestern Abend mit Ihnen war, mit vollem Namen?«

»Wollen Sie mir das Mädchen ausspannen?« David amüsierte sich bei diesem Gedanken, und ich ging darauf ein.

»Ach, Ihre Auswahl an jungen Freundinnen ist so groß, dass Sie ruhig auf eine verzichten können, mein Lieber!«

»Aber Sie haben doch selbst schon schwer zu tragen … ich dachte immer, die Sache mit Hermia sei ernsthaft.«

Ernsthaft – wie genau dieses Wort mein Verhältnis zu Hermia charakterisierte. Merkwürdig, dass mir das noch nie aufgefallen war. Bisher war es mir immer als selbstverständlich erschienen, dass Hermia und ich eines Tages heiraten würden. Ich mochte sie recht gern, und wir hatten so viel Gemeinsames …

Aus einem unerklärlichen Grund musste ich plötzlich laut gähnen, als ich mir die Zukunft vorstellte. Hermia und ich würden uns ernsthafte Vorstellungen im Theater ansehen – wir würden über Kunst, über Musik sprechen … Kein Zweifel, Hermia war eine ideale Gefährtin dafür.

»Aber nicht viel Vergnügen dabei«, sagte mir eine innere Stimme. Ich war entsetzt über mich.

»Hallo, schlafen Sie eigentlich?«, rief David.

»Nicht im Geringsten«, gab ich zurück. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich fand Ihre Freundin Poppy sehr erfrischend.«

»Stimmt! Aber sie darf nur in kleinen Dosen genossen werden, sonst … na ja. Ihr richtiger Name ist Pamela Stirling, und sie arbeitet in einem jener höchst feudalen Blumengeschäfte in Mayfair. Sie kennen die Sorte: drei tote Zweige, eine Tulpe mit zurückgeschlagenen Blütenblättern und ein geflecktes Lorbeerblatt. Kostenpunkt: drei Pfund.«

Er gab mir die Adresse des Geschäftes.

»Führen Sie Poppy aus und amüsieren Sie sich gut dabei«, meinte er betont onkelhaft. »Sie ist die richtige Erholung nach des Tages Müh und Plage. Das Mädchen weiß nichts, kennt nichts; eine vollkommen hohle Nuss. Sie wird alles glauben, was Sie ihr erzählen. Nebenbei: Sie ist sehr tugendhaft, also wiegen Sie sich nicht in falschen Hoffnungen!«

Er lachte und legte den Hörer auf.

Das fahle Pferd

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