Читать книгу Sonnenwarm und Regensanft - Band 2 - Agnes M. Holdborg - Страница 10

Kauf­rausch

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»Hast du Jens und Le­na Be­scheid ge­ge­ben, dass du wei­ter­hin hier bei mir bleibst?«

»Klar. Jens ist ein biss­chen trau­rig. – Oh, nicht we­gen des Ba­bys. Nein, ihm fehlt nur das Gan­ze hier. Das war halt al­les so auf­re­gend da­mals. Das Gip­fel­tref­fen und so. Er wür­de gern mal wie­der her­kom­men.«

»Gip­fel­tref­fen?«

An­na ki­cher­te. »Ja, so ha­ben Jens und ich es ge­nannt, als wir uns al­le hier bei euch ge­trof­fen ha­ben, um uns ge­gen Ka­na zu­sam­men­zu­tun: Vi­tus, sei­ne Wach­leu­te, die gan­zen El­fen­fürs­ten, ihr und wir.«

Vik­tor lach­te. »Hüb­scher Be­griff. Den wer­de ich mir mer­ken. Hm, scha­de, dass Jens un­se­re El­fen­sa­che vor sei­ner Sil­vi ge­heim hal­ten muss. Aber die bei­den kön­nen doch je­der­zeit zu uns nach Hau­se kom­men. Wir woh­nen schließ­lich in der Men­schen­welt. Und da Sil­vi über den ers­ten Schock hin­weg ist, dass mein Schwes­ter­herz der Vi­o­la von den Ur­laubs­fo­tos so ähn­lich sieht, dürf­te das The­ma Vik­to­ria auch kein Pro­blem mehr sein.«

»Das geht aber nur, wenn Ke­tu mit da­bei ist. Sonst dreht Sil­vi viel­leicht doch wie­der durch. Sie ist im­mer noch tie­risch ei­fer­süch­tig auf die ge­heim­nis­vol­le Vi­o­la.«

Vik­tor und An­na lach­ten ver­schmitzt.

»Was macht Vik­to­ria ei­gent­lich? Ich hab sie seit Frei­tag nicht mehr ge­se­hen. Das sind im­mer­hin schon drei Ta­ge.«

»Sie ist bei Ke­tu.« Er schmun­zel­te. »Seit er sie sei­nen El­tern vor­ge­stellt hat, ist sie ziem­lich oft dort. Si­stra hat mir er­zählt, dass er dem Lie­bes­glück so oft wie mög­lich ent­flieht und des­halb so­gar Ex­tra­schich­ten bei Vi­tus auf dem Schloss schiebt.«

»Ja, der Ke­tu, der hat echt lan­ge ge­braucht. Wie sagt Ma­ma im­mer: Was lan­ge währt, wird end­lich gut.« Auch An­na schmun­zel­te. »Ach, apro­pos Vi­tus. Wuss­test du schon, dass er sein Im­pe­ri­um in Ame­ri­ka ver­kauft, um mehr Zeit mit euch zu ver­brin­gen? Sor­ry, die Not­lü­ge ist mir zu Hau­se ein­fach so raus­ge­platzt, weil mir das Gan­ze all­mäh­lich zu kom­pli­ziert wur­de. Er ist ja tat­säch­lich viel mehr mit euch zu­sam­men als frü­her. Ich hof­fe, das geht in Ord­nung.«

»Aber si­cher doch. Mach dir kei­nen Kopf.«

»Mei­ne El­tern wol­len ihn üb­ri­gens ken­nen­ler­nen. Du und Vik­to­ria sollt ihn dem­nächst mal mit­brin­gen.«

Sie la­gen im Bett, nackt. An­na völ­lig ent­spannt auf Vik­tor. Ih­re Haut glüh­te noch vom vor­an­ge­gan­ge­nen Lie­bes­s­piel und er strich ihr zärt­lich über den Rü­cken, wäh­rend sie sich an­ge­regt über dies und das un­ter­hiel­ten.

»Weißt du was, An­na? Das sagst du Vi­tus am bes­ten selbst.«

»Oh, kommt er heu­te? Wann? Nicht, dass es wie­der ei­ne die­ser pein­li­chen Si­tua­ti­o­nen gibt. Ich has­se das. Das weißt du ja.«

»Nein, mei­ne Sü­ße, wir wer­den ihn be­su­chen.« Er gab An­na einen Klaps auf den Po. »Komm, steh auf. Er hat uns näm­lich ein­ge­la­den. Die gan­ze Trup­pe kommt. Auf dem Schloss fin­det so et­was Ähn­li­ches wie ein Gip­fel­tref­fen statt.« Zö­gernd füg­te er hin­zu: »Vi­tus hat Ge­burts­tag.«

»Er hat was?« Ih­re Stim­me wur­de schrill. »Heu­te

»Ge­burts­tag. Ja. Heu­te«, wie­der­hol­te er mit ei­nem ver­le­ge­nen Räus­pern.

»Wir sind zum Ge­burts­tag dei­nes Va­ters ein­ge­la­den und du sagst mir das um …«, sie griff sich ihr Han­dy von der Kom­mo­de, »… um neun Uhr, am Mor­gen sei­nes Ge­burts­ta­ges?« An­nas Au­gen ver­eng­ten sich zu Schlit­zen. Vik­tor zuck­te merk­lich zu­sam­men, als er hell­blaue Blit­ze dar­aus her­vor­schie­ßen sah. »Wann, Vik­tor Mül­ler, wann sol­len wir dort sein?«

»Erst am Abend. So um sechs, sie­ben.«

Sie rich­te­te sich auf, bohr­te da­bei, of­fen­kun­dig ab­sicht­lich, ihr Knie in sei­nen Ober­schen­kel und kam da­mit sei­ner Männ­lich­keit be­droh­lich na­he. Vik­tor stieß zi­schend Luft aus, sag­te aber nichts.

»Ich hab nichts an­zu­zie­hen – und kein Ge­schenk. Ich …« Wie­der Blit­ze! »Wie­so hast du das ge­tan? Du wuss­test das doch be­stimmt schon viel län­ger!«

»Rei­ne Tak­tik, An­na. Das muss­te sein!«

»War­um?« Sie schien au­ßer sich zu sein. »Los! Sag’s!«

Auf sei­ne El­len­bo­gen ge­stützt, um sich ihr nicht ganz so un­ter­le­gen zu füh­len, ver­such­te er sich an ei­ner Ant­wort und hol­te tief Luft: »Weil du dir sonst viel zu vie­le Ge­dan­ken we­gen der Ge­schen­ke und Kla­mot­ten und sonst noch was ge­macht hät­test. Und weil ich weiß, dass du dich be­stimmt für sein Ge­schenk zu dei­nem Ge­burts­tag re­van­chie­ren wol­len wür­dest, und ich nicht will, dass du dein Spar­geld für den neu­en Schreib­tisch­stuhl da­für aus­gibst. Und – weil ich wie­der­um weiß, dass Vi­tus das auf kei­nen Fall ha­ben wür­de wol­len und dass er mir, wenn er es raus­krie­gen wür­de, da­für den Kopf ab­rei­ßen wür­de. Dar­um!«

An­na knie­te im­mer noch halb auf Vik­tor und starr­te ihn mit of­fe­nem Mund an. »Das ist doch kom­plet­ter Blöd­sinn!«

Doch Vik­tor streck­te sei­ne Hän­de nach ihr aus, zog sie wie­der an sich und strich ihr be­sänf­ti­gend übers Haar.

»Kein Blöd­sinn. Pass auf. Ich dach­te, wir fah­ren gleich los, in so ein gro­ßes Ein­kaufscen­ter, weißt du? Wir früh­stü­cken da und shop­pen ein biss­chen. Da fin­den wir be­stimmt was Hüb­sches für dich zum An­zie­hen und ein Ge­schenk für Vi­tus. Ich hab schon im In­ter­net nach­ge­guckt. Da gibt’s ein ganz Gro­ßes in Ober­hau­sen. Das ist gar nicht so weit weg von hier. Es heißt Cen­trum, glaub ich.«

»Cen­tro«

»Wie bit­te?«

An­na seufz­te: »Cen­tro, Vik­tor. Das Shop­ping­cen­ter nennt sich Cen­tro

»Ach ja, ge­nau.«

»Du willst al­so mit mir nach Ober­hau­sen dü­sen und mir dort was zum An­zie­hen kau­fen?« Of­fen­bar war das eher ei­ne Fest­stel­lung denn ei­ne Fra­ge.

»Ich war noch nie mit dir ein­kau­fen. Das macht be­stimmt Spaß. Sol­che Cen­tros gibt es in der El­fen­welt nicht. Da ist al­les an­ders, sehr an­ders. Und hier in der Men­schen­welt ha­ben Vik­to­ria und ich das Meis­te per In­ter­net be­stellt. Des­we­gen fänd ich es to­tal span­nend, mit dir shop­pen zu ge­hen. Bit­te, An­na, sei nicht mehr bö­se.«

Sie ver­zog je­doch miss­mu­tig das Ge­sicht. »Ich bin kein Mo­de­püpp­chen, das man mit Klei­dern und Schmuck be­hängt, um es da­mit ge­fü­gig zu ma­chen«, gab sie schnip­pisch zu Be­den­ken.

»Was?« Er war ent­setzt. »An­na, aber ich wür­de doch nie …«

Sie biss sich auf die Lip­pe, ehe sie mit ei­nem Mal lo­s­prus­te­te.

»Du machst dich über mich lus­tig, An­na Nell«, stell­te Vik­tor er­leich­tert fest. »Du machst dich tat­säch­lich über mich lus­tig. Na war­te!« Mit ei­ner blitz­ar­ti­gen Be­we­gung wa­rf er sich auf sie und sah sie mit fun­keln­den Au­gen an. »Tja, tut mir sehr leid, Klei­nes, aber wir wer­den wohl ei­ne Stun­de we­ni­ger zum Shop­pen zur Ver­fü­gung ha­ben. Und das ist al­lein dei­ne Schuld.«

***

An­nas letz­te Be­su­che im Cen­tro la­gen schon ei­ni­ge Zeit zu­rück: Ein­mal mit Jens und sei­ner Freun­din und ein­mal mit Le­na und de­ren Freun­din.

Bei­de Ma­le, je­weils an ei­nem Sams­tag, war es ihr dort er­heb­lich zu voll und auf­dring­lich ge­we­sen. Jetzt, an ei­nem Mon­tag, um halb elf am Vor­mit­tag, fand sie es ei­gent­lich recht an­ge­nehm. Nach ei­nem »Spät­stück« mit über­ba­cke­nen Kä­se­bröt­chen und Cappuc­ci­no in ei­nem Bä­cke­rei-Ca­fé schau­ten sie sich um und be­gut­ach­te­ten die zahl­rei­chen Ge­schäf­te mit den un­zäh­li­gen Mar­ken­sa­chen.

An­na hielt sich we­der für ein Mo­de­püpp­chen noch für ei­ne Kon­sum­mie­ze, wur­de aber den­noch schwach beim An­blick der vie­len tol­len Kla­mot­ten. Von Schwach­wer­den konn­te bei Vik­tor al­ler­dings kei­ne Re­de sein. Er war schlicht­weg be­geis­tert.

Weil An­na Klei­der und Rö­cke lie­ber im Som­mer trug – Strumpf­ho­sen und Ähn­li­ches wa­ren ihr näm­lich ein Gräu­el – such­te sie sys­te­ma­tisch nach ei­ner schi­cken Ho­se und ei­nem pas­sen­den Ober­teil, wo­hin­ge­gen Vik­tor ziel­si­cher auf Klei­der zu­steu­er­te.

Auch im nächs­ten De­si­g­ner-Sto­re blieb sein Blick wie­der ein­mal an ei­nem Kleid hän­gen, dies­mal an ei­nem dun­kel­blau­en, ele­gan­ten und zu­gleich raf­fi­niert ge­schnit­te­nen Etu­i­kleid. Als An­na dar­an vor­bei­lau­fen woll­te, hielt er sie am Arm fest. »Al­so, ich fin­de das schon ganz schön schön.« Vik­tor grins­te breit.

Sie ver­dreh­te die Au­gen. »Das ist ein Kleid für Busi­ness-Frau­en, nicht für sieb­zehn­jäh­ri­ge Schü­le­rin­nen.«

»Aber es ist schon ganz schön schön«, be­harr­te er. »Pro­bier’s doch mal an, An­na, bit­te.«

Mur­rend griff sie nach dem Kleid in ih­rer Grö­ße und ver­schwand da­mit in der Um­klei­de­ka­bi­ne. Kri­tisch be­sah sie sich im Spie­gel. Das ge­raff­te und tief aus­ge­schnit­te­ne Ober­teil pass­te aus­ge­spro­chen gut zu dem eng ge­schnit­te­nen Rock.

»Schö­ne Fa­r­be und es sitzt wie an­ge­gos­sen. Ist nur ein we­nig zu lang.«

Neu­gie­rig lug­te Vik­tor durch den Vor­hang. »Wow, das ist ja der Ham­mer, Sü­ße, das steht dir groß­ar­tig. Das kau­fen wir auf al­le Fäl­le.«

»Vik­tor, nein, die­ses Kleid ist viel zu ele­gant und teu­er für mich. Au­ßer­dem bräuch­te ich ei­ne Strumpf­ho­se, Schu­he und all so’n Zeug da­zu. Das dau­ert doch ewig.«

»Kei­ne Strumpf­ho­se.«

»Was? Wie­so? Es ist drau­ßen viel zu kalt für oh­ne.«

»Na­tür­lich ist es zu kalt. Trotz­dem: kei­ne Strumpf­ho­se. Die fin­de ich näm­lich ät­zend. Aber es gibt da so lan­ge Sei­den­st­rümp­fe, echt se­xy. Ich hab die auf so ei­ner In­ter­netsei­te ge­se­hen. So­was wür­den dir su­per gut ste­hen.«

Nun stand ihr der Mund am heu­ti­gen Ta­ge schon zum zwei­ten Mal of­fen. »Vik­tor Mül­ler, das ist doch nicht dein Ernst? Kommt nicht in Fra­ge! Au­ßer­dem ist das Kleid zu lang. Ich bin zu klein da­für.«

»Zieh es aus und gib es mir.«

»Wie bit­te?«

»Zieh es aus und gib es mir, An­na«, wie­der­hol­te er ge­dul­dig. »Wenn du dann fer­tig bist, tref­fen wir uns am Aus­gang vom Sto­re.«

»Al­so wirk­lich, Vik­tor.«

»Komm schon, An­na. Bit­te.«

Sie stieß lei­se Flü­che aus, reich­te ihm aber das Kleid durch den Vor­hang.

»Dan­ke sehr. Bis gleich.«

Sie tra­fen sich am Aus­gang wie­der.

»Hast du das Kleid zu­rück­ge­hängt?«, er­kun­dig­te sie sich.

»Nein.« Au­gen­schein­lich amü­siert zog Vik­tor die Mund­win­kel hoch. »Sie ma­chen es kür­zer. In ei­ner Stun­de kön­nen wir es ab­ho­len.«

Schon zum drit­ten Mal stand ihr der Mund of­fen. »Wie hast du denn das ge­schafft?« Sie wink­te ab. »Ach, ver­giss es. Ich kann mir den­ken, wie du auf Frau­en wirkst. Du hast sie mit dei­nem Hal­bel­fen-Char­me ein­ge­wi­ckelt, stimmt’s?«

»Es war zwar ein jun­ger Mann«, ent­geg­ne­te er tro­cken. »Hat aber trotz­dem ge­klappt. Ich glau­be nicht, dass er sich des­we­gen Hoff­nun­gen macht.« Er lach­te frech und schob sie ein­fach vor sich her. »Wei­ter geht’s, los, los, ich bin to­tal im Kauf­rausch. Da drü­ben ha­be ich so einen Wä­sche­la­den ge­se­hen. Die ha­ben be­stimmt sol­che Strümp­fe und viel­leicht ja auch noch was für un­ters Kleid.«

Ge­nervt zog sie die Brau­en hoch.

»Was?«, frag­te er leicht­hin.

Doch sie schüt­tel­te re­si­gniert den Kopf.

»Lang­sam dreht er durch!«

»Tu ich nicht. Oh, schau mal, da ist ja auch ein Schuh­ge­schäft!«


Zwei ge­schla­ge­ne Stun­den spä­ter hat­ten sie fast al­les zu­sam­men. Nun nann­te An­na ein in ih­ren Au­gen viel zu kost­spie­li­ges, zu­dem zu da­men­haf­tes Kleid ihr Ei­gen, da­zu ein schwa­r­zes glän­zen­des Jäck­chen; hoch­ha­cki­ge – sehr hoch­ha­cki­ge – Pumps in pas­sen­der Fa­r­be; ei­ne – selbst­ver­ständ­lich – fa­rb­lich ab­ge­stimm­te Clutch; Glit­ze­rohr­rin­ge; hauch­zar­te Sei­den­st­rümp­fe und sünd­haft teu­re schwa­r­ze Spit­zendes­sous. Zu al­lem Über­fluss war sie auch noch in ei­ner Pa­r­fü­me­rie ge­schminkt und be­duf­tet wor­den.

»Er hat mich wie ei­ne Dampf­wa­l­ze über­rollt! Na we­nigs­tens hat er sich auch was ge­kauft. Und er sieht echt se­xy dar­in aus.«


… Vik­tor ent­schied sich für ei­ne dun­kel­graue Fla­nell­ho­se ei­nes ed­len De­si­g­ner-La­bels. Die lag läs­sig auf sei­nen Hüf­ten und stand ihm aus­ge­spro­chen gut. Ge­nau wie das tail­lier­te wei­ße Hemd. Die Ver­käu­fe­rin hielt tat­säch­lich den Atem an, als er aus der Ka­bi­ne schlen­der­te. Nur bei den Schu­hen blieb er un­er­bitt­lich. Auch noch, als sie ihm, trotz schmach­ten­dem Blick, ein­dring­lich ri­et, schwa­r­ze Le­der­schu­he da­zu zu tra­gen. Er be­stand auf sei­ne Chucks. …


Bei der Er­in­ne­rung schüt­tel­te An­na wie­der ein­mal den Kopf. Sie soll­te in den ho­hen Din­gern durch die Ge­gend stak­sen und er wür­de sei­ne be­que­men Turn­schu­he tra­gen. Doch das war der­zeit nicht so wich­tig, denn sie brauch­ten ja noch ein Ge­schenk für Vi­tus.

»Was schenkt man ei­nem Kö­nig?«

»Man schenkt ihm was zum Le­sen, An­na. Vi­tus steht auf Bü­cher, be­son­ders auf ›mensch­li­che‹ Li­te­ra­tur. Komm mit, ich …«

»Du hast da so einen Buch­la­den ge­se­hen. War klar.«

Nach­dem sie sich einen Über­blick ver­schafft hat­ten, stell­ten sie di­ver­se Wer­ke zu­sam­men. Vik­tor er­klär­te ihr, dass sein Va­ter al­les las, was er an »mensch­li­cher« Li­te­ra­tur in die Fin­ger be­kam: Schät­zing, Goe­the, Brecht, Gris­ham, Lud­lum, Tol­stoi

»Na, wenn das mal kei­ne bun­te Mi­schung ist.«

Weil sie aber selbst auch die Ab­wechs­lung lieb­te und kein Pro­blem da­mit hat­te, erst et­was von Rin­gel­natz, Ja­ne Aus­ten oder Yeats zu le­sen, um da­nach über­g­angs­los Ad­ler Ol­sen oder No­ra Ro­berts zu ver­schlin­gen, muss­te sie ki­chern.

Als Vik­tor den Wa­gen aus dem Park­haus lenk­te, nach­dem sämt­li­che Pa­ke­te, Ta­schen und Tü­ten im Kof­fer­raum ver­staut wa­ren, ent­fuhr An­na ein ab­grund­tie­fer Seuf­zer der Er­leich­te­rung.

Vik­tor aber blieb gut ge­launt. »So, jetzt ha­ben wir’s. Ab nach Hau­se und dann ins Mär­chen­land.«

Bei dem Ge­dan­ken dar­an rutsch­te An­na das Herz in die Ho­se und ihr Mut sank mit je­dem Me­ter, den sie sich dem Reet­dach­haus und da­mit der Gren­ze zum El­fen­reich nä­her­ten. Sie war noch nie auf dem kö­nig­li­chen Schloss ge­we­sen, kann­te oh­ne­hin sehr we­nig vom El­fen­land, ei­gent­lich so gut wie gar nichts. Nur die so­ge­nann­te el­fi­sche Vor­welt mit der zau­ber­haf­ten Lich­tung und dem Bach, die Vik­to­ria für sie ge­malt hat­te. Und ein biss­chen von der El­fen­land­schaft, als sie sei­ner­zeit Ka­na und Kaoul in die Fal­le ge­lockt hat­ten.

»War­um soll ich mich ei­gent­lich so auf­bre­zeln?« Mit die­ser Fra­ge ver­such­te sie, ih­re in­ne­re Un­ru­he zu ver­drän­gen.

»Weil man sich für Ge­burts­tags­fei­ern halt schick macht, Sü­ße. Aber du wirst sie heu­te mit Si­cher­heit al­le top­pen, glaub mir.«

»Wenn ich mir da­bei nur nicht die Ha­xen bre­che, bei den Schu­hen«, gab sie miss­mu­tig zu­rück.

»Ach, das schaffst du schon.«

»Du hast gut re­den, mit dei­nen Turn­schu­hen. Das ist so un­ge­recht!«, schimpf­te sie. »Wor­auf ha­be ich mich da bloß ein­ge­las­sen? Und die­se Strümp­fe, oh Gott!«

»Al­so gut, Sü­ße. Das mit den Schu­hen se­he ich ja ein. Ich woll­te ei­gent­lich bis zu Hau­se war­ten, aber ich sag’s dir bes­ser gleich, da­mit du nicht ganz so sau­er auf mich bist. Ich hab näm­lich schon schwa­r­ze Tre­ter im Schrank ste­hen. Es hat mir nur so einen Rie­sen­spaß ge­macht, wie die Ver­käu­fe­rin der­art ver­zwei­felt ver­sucht hat, mich von den Schu­hen zu über­zeu­gen.« An­nas Au­gen wei­te­ten sich be­droh­lich. »Ich hab die blö­den Din­ger nur ein­mal ge­tra­gen«, setz­te er schnell fort. »Vik­to­ria hat­te sie ge­kauft und drauf be­stan­den, dass ich die zum No­tar an­zie­he. Du weißt schon, we­gen des Haus­kaufs.«

An­na war nach wie vor ziem­lich er­bost, doch Vik­tor lä­chel­te sie an.

»An­na, du weißt doch, was ich von Schu­hen hal­te. Die meis­ten El­fen frie­ren nicht so schnell und Schu­he en­gen ein. Das ist ein el­fi­sches Er­be von Vi­tus an mich. Aber, kei­ne Ban­ge, wenn du High Heels trägst, zie­he ich selbst­ver­ständ­lich auch schi­cke Schu­he an.«

»Und die Sei­den­st­rümp­fe und die­ser an­de­re Hauch von Nichts? Was ist da­mit?« Sie mach­te ein stren­ges Ge­sicht.

»Okay, okay, das geht auf mein Kon­to.« Er gab sich zer­knirscht. »Ich war wohl ein biss­chen ego­is­tisch, was das be­trifft.«

Nun war es an An­na, breit zu grin­sen. »Na, we­nigs­tens gibst du es zu. Aber ei­nes ist dir hof­fent­lich klar, mein Prinz: Das war das ers­te und das letz­te Mal, dass ich mit dir shop­pen war. Beim aller­kleins­ten An­zei­chen für einen Ein­kaufs­ma­ra­thon lau­fe ich schrei­end da­von.«

Nach­denk­lich zog sie die Stirn kraus.

»Wie lau­fe ich ei­gent­lich weg, wenn ich bei Vik­tor im Reet­dach­haus bin? Wo­hin? Fünf­zig Ki­lo­me­ter! Und durch den Wald kom­me ich doch gar nicht.«

Auch Vik­tor run­zel­te die Stirn, kon­zen­trier­te sich da­bei wei­ter auf die Stra­ße. Trotz­dem hat­te er au­gen­schein­lich mit­be­kom­men, was An­na dach­te, weil sie wie­der ein­mal schnel­ler im Den­ken als im Si­chern ge­we­sen war.

»Stimmt, du soll­test wirk­lich wis­sen, wie du durch die Ein­gän­ge, Por­ta­le und Schutz­bar­rie­ren kommst. Ich wer­de das mit Vi­tus be­spre­chen. Da muss es ei­ne Mög­lich­keit ge­ben.«

»Ei­ne Mög­lich­keit?«

»Na ja, ei­gent­lich ver­stößt es ge­gen die el­fi­schen Ge­set­ze, ei­nem Men­schen die Schlüs­sel zu über­las­sen. Das liegt ja wohl auf der Hand.«

Bis zu die­sem Mo­ment hat­te An­na sich nie Ge­dan­ken dar­über ge­macht. Über­haupt hat­te sie in letz­ter Zeit we­nig über die El­fen nach­ge­dacht. Nach der gan­zen Auf­re­gung um Ka­na und Kaoul hat­te sie ih­re Neu­gier­de so­zu­sa­gen auf Eis ge­legt, woll­te ein­fach nur mit Vik­tor zu­sam­men sein. Al­les an­de­re er­schien ihr zweit­ran­gig. Jetzt aber dräng­ten sich ihr die Fra­gen re­gel­recht auf.

»Das liegt al­so auf der Hand?«, hak­te sie nach.

»Klar, die El­fen­welt ist für Men­schen so­zu­sa­gen ta­bu. Für ge­wöhn­lich möch­ten El­fen un­ter sich sein.« Er lach­te. »Vi­tus war sei­ner­zeit wohl ei­ne Aus­nah­me.«

Weil er kurz ver­stumm­te, er­kann­te sie, dass ihn das Ge­spräch ge­dank­lich zu sei­ner ihm un­be­kann­ten ver­stor­be­nen Mut­ter ge­tra­gen hat­te, wes­halb sie ihm mit­füh­lend mit dem Hand­rü­cken über die Wan­ge strich.

»Men­schen sind nicht im­mer fried­lich«, fuhr Vik­tor ernst fort, »und vie­le sind ge­winn­süch­tig. Wenn sie von un­se­rer Welt er­füh­ren, wür­de die kurz über lang von Gold­grä­bern und Glücks­rit­tern über­schwemmt wer­den.«

»Na ja, an sich ge­be ich dir recht. Al­ler­dings sind auch nicht al­le El­fen fried­lie­bend, wie wir neu­lich erst er­fah­ren muss­ten.«

»Das stimmt na­tür­lich. Al­ler­dings kämp­fen wir lie­ber nur an ei­ner ›Bö­se-El­fen-Front‹. Schließ­lich sind die Wa­chen da­für aus­ge­bil­det. Es zu­sätz­lich mit der ge­sam­ten Mensch­heit auf­zu­neh­men, das wä­re al­ler­dings so gut wie un­mög­lich. Ge­gen­über den Men­schen ist die An­zahl der El­fen ge­ra­de­zu ver­schwin­dend ge­ring. Des­halb ist es Ge­setz, den Men­schen die Exis­tenz der El­fen zu ver­schwei­gen. Weil Vi­tus da­mals selbst da­ge­gen ver­sto­ßen hat, hat er die Re­geln hier­zu ein we­nig ge­lo­ckert. Doch es ob­liegt nach wie vor sei­ner al­lei­ni­gen Er­laub­nis, ob El­fen mit Men­schen ver­keh­ren dür­fen. In den an­de­ren Rei­chen wird es ähn­lich ge­hand­habt. Tja, al­so wer­den wir ihn we­gen der Schlüs­sel zur El­fen­welt fra­gen müs­sen.«

»Aber du hast ihn doch gar nicht um Er­laub­nis ge­fragt, als du mir von dir er­zählt und mich zur El­fen­lich­tung mit­ge­nom­men hast. Ach ja, und was sind das für Schlüs­sel?«

»Ers­tens: Ich bin ein hal­ber Mensch. Ver­giss das nicht, An­na. Des­halb ver­schwim­men die Gren­zen bei den Re­geln und Nor­men bei mir ein biss­chen. Au­ßer­dem wuss­te ich von An­fang an, dass das Ge­heim­nis bei dir si­cher ist.«

Er ver­zog sei­nen schö­nen Mund zu ei­nem Schmun­zeln. »Bis auf dei­nen Aus­rut­scher bei dei­nem Bru­der, doch Jens ge­hört ja qua­si mit da­zu. Und zwei­tens: Die Schlüs­sel sind mit Codes ver­gleich­bar, ver­bun­den durch Ge­dan­ken und Wor­te. Je­der Ein­gang hat sei­nen ei­ge­nen. So wie man ver­schie­de­ne Pass­wör­ter und Pin-Num­mern für den Com­pu­ter, On­li­ne-Shops oder für Kon­ten und Kre­dit- oder Scheck­kar­ten braucht.«

»Das klingt ganz schön kom­pli­ziert. Ich bin mir nicht si­cher, ob ich das kann und so ei­ner Ver­ant­wor­tung ge­wach­sen bin.«

Vik­tor schüt­tel­te den Kopf. »Das ist wie­der mal ty­pisch für dich. Du bist so ziem­lich der schlaus­te Mensch, den ich ken­ne, auch wenn dei­ne blö­den Leh­rer an­de­rer Mei­nung sind, je­den­falls ein paar da­von. Aber du glaubst wie­der mal, du kannst das nicht.« Er mach­te ei­ne Pau­se und setz­te den Blin­ker, um von der Au­to­bahn ab­zu­fah­ren. »Wie­so soll­test du es nicht kön­nen, wenn Vik­to­ria und ich es kön­nen, he? Dei­ne Fä­hig­kei­ten sind fast ge­nau­so aus­ge­bil­det wie un­se­re, wenn nicht so­gar gleich.«

Sie wur­de rot, als er sag­te, dass er sie für schlau hielt, und at­me­te tief durch. »Na ja, viel­leicht hast du ja recht. Aber du fragst Vi­tus nicht heu­te, nicht an sei­nem Ge­burts­tag, ja?«

»Nein, nicht heu­te. Doch spä­ter wer­den wir ihn fra­gen, ge­mein­sam.«

Sonnenwarm und Regensanft - Band 2

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