Читать книгу MISTY DEW 3 - Agnete C. Greeley - Страница 11
3. Kapitel
ОглавлениеIn der Nähe von Shannon, zwei Tage später
Julian schreckte hoch. Er brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass er sich in seinem Wohnwagen befand.
Wie war er hier rein gekommen? Er konnte sich nicht erinnern. In seinem Arm pochte ein dumpfer Schmerz und sein Kopf dröhnte.
Er setzte sich auf und blickte auf den Radiowecker, den er auf dem kleinen Küchentresen platziert hatte. Die grünen digitalen Leuchtziffern zeigten ihm, dass es kurz nach zwölf Uhr Mittags war.
Hastig stand er auf und bereute es sofort, denn der Innenraum seines Wohnwagens begann sich, um ihn zu drehen.
Stöhnend ließ er sich auf sein Bett zurückfallen.
Was zum Teufel hatte er gestern gemacht? Oder besser gesagt, was hatte er bloß getrunken?
Mühsam rief er sich die Ereignisse des Vortages in Erinnerung. Sie waren gestern am Nachmittag wieder bei Will zuhause in Sheridan gewesen. Nachdem sie eine Pizza bestellt und Bier geöffnet hatten, hatte Will mit ihm über Eagleside gesprochen.
Der ältere Mann war der Meinung, dass Julian sich selbst im Weg stand. Er hatte Julian nicht gefragt, weshalb er die Rückkehr so lange hinauszögerte, aber er hatte klargestellt, dass Julian sich der Verantwortung stellen sollte, die eine ‚Familie‘ wie er es ausdrückte, mit sich brachte. Ganz besonders nach dem Schrecken und dem Leid, dass der Wendigo über ihn und seine Freunde gebracht hatte. Eindringlich hatte er ihn darauf hingewiesen, dass er auf Eagleside gebraucht wurde – und dass er auch Matt und Irene brauchte, und nicht so stur sein sollte.
Julian, der nicht wusste, wie er Will begreiflich machen sollte, dass er Probleme hatte, Irene nach dem schrecklichen Erlebnis gegenüberzutreten, hatte versucht, einer Antwort auszuweichen. Dass Will sich damit nicht abspeisen ließ, war von vorneherein absehbar gewesen, doch das änderte nichts an Julians Problemen mit Irene.
Als sie nach dem Schrecken mit der indianischen Legende endlich zuhause auf Eagleside gewesen waren, hatte Irene Julian in seinem Wohnwagen aufgesucht, um mit ihm zu sprechen. Sie war durcheinander gewesen, und hatte jemanden zum reden gebraucht. Matt war zu der Zeit noch im Krankenhaus, und sie mutterseelenallein im großen Rancherhaus. Deswegen hatte sie versucht, ihn dazu zu überreden, im Haus zu schlafen. Dabei waren sie sich näher gekommen, als je zuvor. Doch ehe sie die Dinge klären konnten, hatte er sich von ihr abgewandt und war wenige Tage danach abgereist. Verwirrt, von der Vergangenheit eingeholt und nicht sicher, wie es weitergehen sollte, war er zu Will gefahren, ohne sich näher mit Irenes Gefühlen und Matts Verletzung zu beschäftigen. Irene hatte ihm zwar gesagt, dass er die Wahl hatte. Dass er einfach mit der Vergangenheit abschließen sollte, damit er die Gegenwart willkommen heißen konnte, doch er hatte den Spieß umgedreht, und sie mit ihren eigenen Ängsten und unerledigten Dingen konfrontiert. Eine schäbige Aktion von ihm, doch anders hätte er die Ranch nicht verlassen können. Es stimmte nämlich. Er war dort zuhause, zumindest fühlte es sich annähernd wie ein Zuhause an, aber nun hatte er Angst, dorthin zurückzukehren.
»Du bist ein Feigling«, sprach er zu sich selbst, während er Kaffee in den Filter seiner kleinen Kaffeemaschine füllte. Will hatte recht. Er stand sich selbst im Weg.
Der ältere Mann hatte versucht, ihm väterlich zuzureden, doch Julian war auf seine Argumente nicht eingegangen. Irgendwann hatte Will einen seiner besten Whiskys hervorgeholt und ihm eingeschenkt. Ein Glas nach dem anderen war geleert worden, während sie diskutierten.
Julian erinnerte sich noch daran, wie Will meinte, es wäre an der Zeit, ins Bett zu gehen, doch danach verschwamm alles.
»Verflucht noch mal.« Ihm fiel ein, dass er neben dem Alkohol auch starke Medikamente gegen die Schmerzen eingenommen hatte. Dieser Mix hatte ihn schachmatt gesetzt. Wie hatte er so blöd sein können?
Aber weshalb hatte Will ihn nicht, wie gewohnt, aus dem Bett geworfen? Ob er selbst noch schlief?
»Nein, auf keinen Fall.« Will war normalerweise ein Frühaufsteher, einer der schon um fünf Uhr seinen ersten Kaffee trank und in seinem Haus herumwerkelte.
Stirnrunzelnd warf er einen Blick zum Fenster hinaus und erstarrte.
»Was zum Teufel?«
Vor dem Fenster erstreckten sich hohe Bäume in den Himmel. Hohes Gras wog sanft im Wind und die Strahlen der Sonne fielen schräg durch das dichte Geäst und zauberten helle Muster auf einer mit unzähligen Blumen übersäten Wiese.
Nichts was er vor seinem Fenster aus sah, hatte mit Wills Grundstück auch nur im entferntesten, Ähnlichkeit.
Hastig riss er die Tür von seinem Wohnwagen auf und sprang, den dumpfen Schmerz in seinem Kopf ignorierend, hinaus.
Das Erste, was er sah, war ein gemauertes Toilettenhäuschen.
»Fantastisch«, murmelte er.
In einiger Entfernung erkannte er zwei Picknicktische mit dazugehörigen Bänken. Er befand sich auf einem Rastplatz irgendwo im Nirgendwo.
Was war passiert? Weshalb war er hier gelandet und wo trieb Will sich herum?
»WILL!«, brüllte er so laut, dass seine Stimme über den Rastplatz hallte. Doch der ältere Mann tauchte nicht auf.
Was zum Teufel war hier los? Verwirrt suchte er die Umgebung nach Wills altem Ford ab, doch auf dem kleinen Parkplatz befand sich, neben seinem Wohnwagen nur mehr ein riesenhafter blauer Truck.
Ein kräftiger Mann mit einem gewaltigen Bart stieß die Tür des Sattelschleppers auf und stieg über das Trittbrett hinunter. Er nickte Julian zu.
»Na, ausgeschlafen? Du hast Glück, heute ist keiner von der Highway Patrol unterwegs um uns Reisenden das Leben schwer zu machen.«
Der Trucker klopfte sich eine Zigarette aus einem zerknautschten Päckchen und kramte umständlich in seinem Overall nach einem Feuerzeug. Kurz darauf zog er ein Zippo hervor und zündete sich den Glimmstängel an. Genüsslich zog er den Rauch in seine Lunge, ehe er die blaue Dunstwolke durch seine Nase ausblies.
»Ich hab– ich hab Glück? Aber wieso? Ich meine ... «, Julian hatte keine Ahnung, wovon der Trucker sprach.
»Der Kerl hat dich vor etwa einer Stunde hier abgesetzt.«
»WAS?« Julian kapierte nicht, was der Trucker ihm da erzählte.
»Was? Aber wieso sollte er ...?« Dann kapierte er es endlich.
»Nein! Das hat er nicht getan!«
»Doch.« Der Fremde nickte nur gelassen. Scheinbar war die Situation für ihn nicht besonders ereignisreich.
»Soll dir ausrichten, dass du endlich deinen Arsch zurück nach Eagleside schaffen sollst.« Er zuckte mit den Schultern.»Er hat noch gemeint, du sollst dich zusammenreißen und dich wie ein Mann benehmen.«
Nun begriff Julian, was los war, und erstarrte augenblicklich.
»Wo sind wir hier?«
Der Trucker lachte dröhnend auf.
»Schätze, der hat dich ganz schön hängen lassen.«
Julian hob den Kopf und funkelte den Mann an.
»WO-SIND-WIR-HIER?«, wiederholte er. Er war nicht zu Scherzen aufgelegt.
»Schon gut, Junge«, murmelte der Fremde beschwichtigend.
»Wir sind in der Nähe von Pinedale. Etwa anderthalb Stunden von Cedars entfernt.
»Das glaub ich jetzt nicht!« Wütend schlug Julian mit der gesunden Hand gegen die blecherne Wand seines Wohnwagens. Das durfte nicht wahr sein!
Will hatte ihn einfach hier abgeladen! Ausgesetzt wie einen verdammten Köter.
»Geh dich frisch machen, zieh dir einen Kaffee rein und dann sieht alles viel besser aus«, meinte der Trucker gelassen.
Julian setzte zu einer Antwort an, doch überlegte es sich anders. Kopfschüttelnd zog er sich in seinen Wohnwagen zurück.
Sein Arm schmerzte und sein Magen rebellierte. Der gestrige Tag hatte ihm genügend Ärger eingebracht, und er würde sich garantiert nicht auch noch mit einem Trucker streiten. Er musste nachdenken, überlegen, wie er aus diesem Chaos wieder herauskam.
Aufstöhnend ließ er sich auf sein Bett fallen. Will hatte ihn betrunken gemacht und war scheinbar mitten in der Nacht mit ihm losgefahren.
»Ein verdammter Mistkerl!« Er wollte um sich schlagen, Will umbringen, doch schließlich und endlich wurde ihm bewusst, dass es keinen einfachen Weg gab. Er hatte sich das alles selbst eingebrockt. Über Wills Aktion konnte man zwar streiten, doch im Grunde genommen hatte er einfach wieder eine Entscheidung getroffen, für die Julian zu feige war.
Ergeben schloss er die Augen. Was sollte er jetzt tun?
»Also wenn du mich fragst, solltest du zurückgehen und mit ihr reden.«
Die Stimme klang hohl, weit weg, doch Julian wusste sofort, wer mit ihm sprach. Jeannie! Es war schon wieder einer dieser Träume, die von seinem Unterbewusstsein gezeugt wurden. Nur bedeuteten sie meistens nichts Gutes und immer hatten sie mit Irene zu tun. Irene, die sich in Schwierigkeiten befand, oder sich bald in Schwierigkeiten befinden würde.
»Jetzt steh endlich auf.« Die nervige Stimme seiner Schwester wurde tief.
»Sei ein Mann!« Ein Kichern folgte.
Julian wollte nicht, er wollte nicht mit dem konfrontiert werden, was ihm sein Unterbewusstsein durch seine tote Schwester vermitteln wollte. Doch er wusste, es gab kein Entkommen.
Julian blinzelte irritiert, ehe er sich dazu durchrang, seine Augen zu öffnen.
Da saß sie vor ihm auf dem Küchentresen und strahlte ihn an. Die rotgoldenen Shirley Temple-Locken schienen knisternde Feuerfunken zu versprühen und grüne Augen blitzten aufgeregt aus einem blassen, mit unzähligen Sommersprossen übersäten Gesicht hervor.
»Jeannie«, krächzte er. Ein unmerklicher Schmerz durchzog seine Sinne. Es war der Schmerz der Gewissheit. Die Gewissheit, dass sie nicht real war, nicht real sein konnte, doch es war nicht der dumpfe, alles verzehrende Schmerz aus früheren Traumbegegnungen. Diesmal war es anders. Er vermisste sie, doch er war deswegen nicht mehr verzweifelt.
»Ich weiß – schon wieder ich.« Sie seufzte theatralisch.
»Ich hab keine andere Wahl. Immer wenn es um Blondie geht, muss ich auftauchen, um dir die Leviten zu lesen.« Mit Blondie meinte sie zweifelsohne Irene. Sie zuckte mit den Schultern.
»So kann das nicht weitergehen, Bruderherz. Ich kann nicht immer kommen, und dir sagen, was du tun sollst. Ich bin doch erst vierzehn. Was weiß ich schon vom Leben? Du solltest einfach mehr lesen. Dann müsste ich nicht ständig aufkreuzen. Ich meine, wir waren eine tolle Familie, waren oft campen, hatten viele schöne gemeinsame Stunden. Dann kam der Wendigo und hat mich getötet – da kann man nichts machen. Du dagegen lebst, kannst wieder eine Familie haben, und was tust du? Du kramst in der Vergangenheit herum, als ob es nichts anderes gibt und dann rennst du zu Will, als ob der nicht schon genug um die Ohren hat.« Sie sprang vom Tresen und schüttelte ihren Kopf so sehr, dass die rotgoldenen Locken um ihr schmales Gesicht flogen.
»Ehrlich, du solltest dich schon ein bisschen mehr anstrengen. Das Leben ist nun mal so. Weißt du noch, was Irene gesagt hat, bevor du wiedereinmal davongelaufen bist?«
Julian verspannte sich merklich.
»Ich bin nicht davongelaufen. Und ich weiß, was Irene gesagt hat.« Und wie er das wusste. Das letzte Gespräch war ihm in deutlicher Erinnerung geblieben.
Seine Schwester nickte wissend.
»Klar, weißt du das! Ich sag es trotzdem! DAS hier ist die Gegenwart. Du musst sie nur willkommen heißen. Und sie hat recht.«
»So einfach ist das nicht. Sie und ich, wir – wir haben einige Differenzen.«
»Pah«, schnaubte Jeannie. »Dieses blöde Herumgetue zwischen euch ist wohl kaum unter Differenzen zu vermerken.«
Julian schwieg. Das hier war sein Unterbewusstsein, er konnte es nicht steuern.
»Ich will nicht darüber reden. Schon gar nicht mit meiner – meiner Geisterschwester«, versuchte er es trotzdem.
»Oho, wirst du wieder auf mich schießen? Vergiss nicht, ich bin nicht real. Ich locke nur versteckte Dinge aus dir hervor. Du weißt genau, weshalb ich hier bin.«
Julian schluckte, doch er gab keine Antwort. Wenn seine Schwester auftauchte, bedeutete es nichts Gutes. Ganz im Gegenteil.
»Ja, du weißt es.« Jeannie nickte bekräftigend.
Julian nickte ergeben.
»Ja, ich WEISS es.« Es ging um Irene. Es ging immer um sie, wenn Jeannie in seinen Träumen erschien.
»Irene bekommt Ärger. Etwas dunkles, Fremdes ist in der Stadt«, fuhr Jeannie gnadenlos fort.
»Geboren aus rauchlosem Feuer, fürchtet er das Blut der Lämmer. Er ist mächtig. Ich kann sein – Gesicht nicht erkennen, aber das kann ich nie. Ich kann es nur fühlen. Sie zieht es an, weißt du?«
Ja, Julian wusste es. Askuwheteau, der verstorbene Indianer hatte es gesagt. Irene hatte nach dem Tod ihres Onkels die Tür zu der anderen Seite geöffnet. Sie war ‚Licht‘ hatte er gesagt, und ‚die Schatten würden sie begleiten‘.
Jeannie nickte.
»Genau, und er hat auch gesagt, dass sie nie alleine sein wird.« Daran konnte Julian sich auch erinnern. Askuwheteau hatte damit Matt gemeint, und ihn, Julian.
»Lass sie nicht alleine. Sie – sie brauchen dich, und du brauchst sie.«
Sie blinzelte verwirrt.
»Irgendwie ist es komisch. Sie erinnert ihn an eine andere Frau. Seltsam.
Sie – sie hätte auf der Ranch bleiben sollen«, flüsterte die Geisterstimme seiner Schwester.
Jeannies Silhouette flackerte unstet. Ihre Augen waren unnatürlich geweitet und ihre Lippen zitterten.
Sie hat Angst, dachte er. Das war neu und überraschte ihn.
Ihre Angst strich über seine Seele und ließ ihn erschaudern.
»Diesmal ist es – anders«, fuhr sie zögerlich fort.
»Das Böse fährt wie ein heißer Wind durch die Menschen hindurch und verbrennt sie im blauen Feuer. Es gibt so viele unerfüllte Träume.« Ihre Konturen flackerten unstet.
»Es kommt plötzlich – du wirst wissen, wenn es so weit ist, doch du wirst nicht vorbereitet sein«, Jeannies Geisterstimme wurde schwach und ihre Konturen verschwammen.
»Du wirst Blut brauchen – und noch etwas, ich – ich habe es vergessen.«
Ein sanfter Windhauch strich über sein Gesicht, kühl, aber nicht kalt, dann war sie fort.
Das Nächste, was Julian wahrnahm, war ein lautes, unangenehmes Klopfen an der Tür seines Wohnwagens.
Einen Augenblick der Verwirrung, dann die Erinnerung. Er hatte schon wieder von Jeannie geträumt, doch diesmal war sie anders gewesen. Verunsichert und ängstlich.
Der Reihe nach fielen ihm die Ereignisse der letzten Tage wieder ein.
Das Mädchen in der Wanne, Will, der ihn wiedereinmal ‚ausgesetzt‘ hatte, und Jeannies Erscheinung.
Das Klopfen wurde hartnäckiger, lauter.
»Ich – ich komme schon.« Er rappelte sich stöhnend hoch. Leichte Übelkeit machte sich bemerkbar. Der Vortag forderte seinen Tribut.
Wer auch immer vor der Tür stand, gab nicht auf, sondern hämmerte weiterhin gegen das Blech.
»Mann, ich bin ja schon da.« Er wankte zur Tür und stieß sie genervt auf. Von seinem eigenen Schwung mitgerissen, stolperte er über die Schwelle. Um nicht über seine Stufen hinab zu stürzen, griff er nach dem Türrahmen, doch sein verletzter Arm machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Ein scharfer Schmerz fuhr durch ihn hindurch und trieb Julian Tränen in die Augen. Taumelnd trat er ins Leere. Er wäre mit Sicherheit gestürzt, hätten ihn nicht zwei Arme aufgefangen.
»Mann, du bist aber wackelig auf den Beinen.«
Der Schmerz trübte seine Sicht und schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, doch die Stimme hätte er überall wieder erkannt.
Matt – es ist Matt.
Julian hörte ihn noch seinen Namen rufen, dann gaben seine Beine nach, und um ihn herum wurde es schwarz.
Durch seine schweren Lider hindurch nahm Julian das Licht wahr und es duftete nach frischem Kaffee.
In seinem Kopf pochte es unangenehm, was dadurch verstärkt wurde, dass jemand gnadenlos mit Geschirr herumklapperte.
»So, Cowboy. Zeit, deinen Magen zu füllen.«
Die Stimme kam Julian bekannt vor, und endlich sickerte die Erinnerung zu ihm durch. Er war in seinem Trailer irgendwo auf einem Rastplatz aufgewacht, und dann ...
Vorsichtig öffnete er seine Augen. Die Sonne schien durch das Fenster hinein und blendete ihn.
Das zurrende Geräusch, als jemand das Rollo vor dem länglichen Fenster hinabzog, klang unnatürlich laut, doch das kräftige Sonnenlicht verwandelte sich in ein milchig–trübes Grauweiß. Durch die fehlende Schärfe der Nachmittagssonne fiel das Öffnen der Augen nicht mehr ganz so schwer.
Nun erkannte er die hochgewachsene Gestalt, die vor ihm stand deutlich.
»Was zum Teufel machst du denn hier?«, krächzte er.
Matt stellte einen Becher mit einem dampfenden Inhalt vor ihm ab.
»Ich bekam heute Morgen einen seltsamen Anruf.« Ein Teller mit knusprigem Speck und Eiern landete vor Julian auf dem Tisch.
»Ein alter, ausgesprochen mürrisch klingender Mann war dran und erzählte mir eine unglaubliche Geschichte von einem ausgesetzten Waisenkind«, fuhr Matt trocken fort.
Julian richtete sich langsam auf. Der Geruch des frischgebratenen Specks verursachte ihm leichte Übelkeit, doch Matt schob ihm den Becher hin.
»Hier, trink endlich.«
Misstrauisch schnupperte Julian am Inhalt.
»Ernsthaft? Ich bekomm Tee?«
Matt nickte und nahm sich eine zweite Tasse vom Tresen.
»Jep. Kamillentee für dich.« Er nippte an seinem Getränk. »Und Kaffee für mich. Trink schon, damit du auch was essen kannst, ohne zu kotzen.«
Julian verzog das Gesicht, doch tat, wie ihm befohlen. Das Getränk zeigte sofort Wirkung und beruhigte Julians Magen.
Matt sah ihn stirnrunzelnd an.
»Ich habe keine Ahnung, was zwischen dir und Irene vorgefallen ist, aber du hast genau eine Stunde Zeit um zu trinken, zu essen und dich herzurichten. Dann häng ich deinen alten Rosthaufen an meinem Pick-Up und schleppe ihn nach Pinedale zu einem Mechanikerfreund. Eagleside ist zu weit weg und in die Stadt können wir das Ding nicht mitnehmen.« Matt schwieg eine Sekunde, ehe er fortfuhr.
»Hör zu, Irene weiß nicht, dass du hier bist. Ich will ihr keinen Kummer bereiten, falls du wieder verschwindest. Im Augenblick sind wir beide in Cedars, weil sie dort einen Journalistenjob erledigen muss.«
Julian starrte ihn verständnislos an. Matt fuhr ungerührt weiter.
»Irene bekommt immer Bestechungsangebote von ihrem Chef, damit sie in die große Stadt fährt. Meistens machen sie und Melanie dann ein Frauenpower–Wochenende daraus. Lambeck ist nicht knausrig, was das angeht«, erklärte er.
»Diesmal ist ein zusätzliches Zimmer im Fairmont Inn inkludiert, weswegen ich auch mitgefahren bin. Wie auch immer. Ich fahre auf jeden Fall in einer Stunde zurück, ob mit dir, oder ohne dich. Sie ist gerade auf dieser Besprechung und weiß nicht, dass ich weg bin. Du kannst also mit mir nach Cedars kommen, oder du kannst es lassen. Deine Entscheidung.« Es lag keine Härte in Matts Stimme, doch seine Meinung war deutlich erkennbar.
Julian war zu erschöpft, um sich zu streiten, also nickte er nur und steckte sich einen Bissen vom Speck in den Mund.
Matt hatte ein Ultimatum gestellt und nun war es an ihm, den nächsten Schritt zu tun.
Beide schwiegen, während Julian langsam aufaß. Sein Magen schien die Nahrung gut zu verkraften.
Matt trank seinen Kaffee in aller Ruhe, obwohl er darüber nachgrübelte, wieso Will Julian gegen seinen Willen hierher verschleppt hatte.
Will hatte sich nur wage zu seiner Entscheidung geäußert, hatte etwas von einem schweren Fall gemurmelt und dass Julian unbedingt eine Zwangspause brauchte. Da Matt den älteren Mann schon kennengelernt hatte, wusste er, dass Will eigensinnig agierte und keinen Hehl aus seinen Aktionen machte. Er hatte vor über einem Jahr Julian einfach im Mistydew County gelassen und war zurück zu seiner Detektei nach Wyoming gefahren, und jetzt hatte er ihn erneut hierhergebracht. Matt verkniff sich ein Lächeln. Immerhin war die Situation für Julian nicht so komisch, wie sie klang. Er wartete ab, wie Julian sich nun entscheiden würde, doch hoffte insgeheim, dass er mit ihm mitkommen würde.
Nachdem Julian zu seiner eigenen Verwunderung alles aufgegessen hatte, konnte er spüren, wie sich allmählich seine Gedanken lichteten. Er kramte nach dem Tablettendöschen, das er im Krankenhaus bekommen hatte, und klaubte zwei Tabletten heraus. Mit dem letzten Schluck Tee spülte er sie hinunter. Matt beobachtete ihn dabei, doch stellte keine Fragen. Schon als Julian zur Tür hinausgestolpert war, hatte Matt entdeckt, dass mit dem rechten Arm etwas nicht stimmte.
Julian erhob sich schwerfällig und griff nach der Kaffeekanne. Er hatte Matts Blick sehr wohl wahrgenommen.
»Hab mir den Ellenbogen verstaucht.« Er schenkte sich Kaffee in seine Tasse ein. Matt schwieg weiterhin.
»Und die Schulter war ausgekegelt.« Julian nippte an dem Kaffee, ehe er die Tasse wieder hinstellte.
»Ich geh mich waschen.« Er schnappte sich Handtuch und Seife und verließ seinen Trailer. Matt blickte ihm erleichtert hinterher.