Читать книгу MISTY DEW 3 - Agnete C. Greeley - Страница 8
Prolog
ОглавлениеNiemand bemerkte die einsame Gestalt, die auf der menschenleeren Anhöhe stand und über die Lichter der Großstadt starrte. Ein weiterer Tag neigte sich dem Ende zu.
Stimmengewirr aus den belebten Gassen drang zu ihm empor. Er hörte Musik, Leute, die lachten oder sich lautstark unterhielten.
Mit leiser Wehmut dachte er an seine alte Heimat, wo Legenden noch allgegenwärtig waren, wo Menschen den Geistern und Dämonen gebührenden Respekt zollten. Doch dorthin konnte er nicht mehr zurück.
Hier war alles anders. Eine Welt voller ungeduldiger, lauter Wesen, die versuchten, Zeit zu gewinnen, die nicht vorhanden war. Ganz anders als zuhause im Paradies.
Nein, hier gefiel es ihm nicht. Düsternis und Kühle, an die er sich nicht gewöhnen konnte, der Lärm, und die grelle unnatürliche Beleuchtung.
Es gab so viele andere Plätze im Universum. Wieso nur hatte man ihn hierher geschickt? Selbst die großen Höhlen in den Bergen jenseits des großen Wassers wären besser gewesen, als dieser trostlose Ort hier.
In dieser Gegend war es ständig feucht und viel zu kalt. Es stank nach den lauten Fahrmaschinen, die sich ohne Kamele oder Dromedare fortbewegten. Hartes, kaltes Metall, das mit einer einzigen Person alleine auskam.
Mütter, wie Töchter, Väter und Söhne, alle liefen herum, hatten Pläne, mussten so viel erledigen. Keine Beschaulichkeit, keine Ruhe, nur Rastlosigkeit, wohin er auch blickte.
Verbannt aus den wunderbaren Weiten seiner Welt, trieb er durch Zeiten und Länder, die er nicht mehr verstand– nicht verstehen konnte.
Sehnsüchtig dachte er an seinen geliebten heißen Wüstenwind aus der Heimat. An die sich meilenweit erstreckenden Sanddünen von Merzouga und die schier unermesslichen Zedernwälder mit den grünen Tälern des erhabenen Atlas. Er sah die, mit Gold und Edelsteinen geschmückten Hallen seines Palastes vor sich. Tief im wilden Land zwischen der Wüste und den Bergen verborgen, am Rande alter Lehmdörfer, die sich an das Bergland schmiegten.
Prächtig schimmernde Smaragde und blutrot leuchtende Rubine schmückten die hohen Wände. Seidige Teppiche bedeckten marmorne Böden.
Im Geiste sah er seine Töchter vor sich, wie sie anmutig tanzten und fröhlich die Hallen bevölkerten – wie sie Feinde in ihre Fallen lockten und sie in ihren Bann zogen. Seine prächtigen Töchter, die ihm alle Ehre gemacht hatten, bis zu jenem unglückseligen Tag. Bis in alle Ewigkeit würden sie singen und tanzen, doch er würde sie niemals wieder sehen.
Er dachte an all die schönen Frauen in ihren anschmiegsamen, bunten Gewändern, die ihm stets mit Freude zu Willen gewesen waren. Alle waren so glücklich gewesen. Er war glücklich gewesen, mit ihr, deren Haare wie feingesponnenes Gold über zierliche Schultern fielen. Warm und zärtlich.
Von Liebe durchflutet und ohne Argwohn, war sie ihm in den Palast gefolgt. Entgegen alle Warnungen hatte er sich ihrer angenommen. Bis zu jenem unglückseligen Tag ...
Schmerzerfüllt dachte er an ihr Ende. Blutig, unwürdig ...
Den schwachen Erdlingen Energien zusätzlich zu entziehen, verstieß gegen die Gesetze. Er haftete für die Taten seiner Kinder, also musste er nach der schändlichen Tat seiner jüngsten Tochter seinem Reich den Rücken kehren. Der große Meister hatte ihm verboten, jemals wieder zurückzukommen. Er hatte einen Fehler begangen. Er hatte sich den Geboten des großen Marid nicht, wie vorgegeben, unterworfen und war durch seinen Ungehorsam in die Verbannung geschickt worden.
Solange er nicht wiederkehrte, würden seine Töchter jedoch leben, und sein Werk fortsetzen. Sie waren stark. Stärker als er. Sie konnten bestimmen, ob Menschen sie sehen durften. Wenn sie wollten, reichten ihre Berührungen aus, um Männer in ihren Bann zu ziehen. Auch waren all seine Töchter mit großer Schönheit gesegnet und würden allesamt bald heiraten. Sie würden prächtige Söhne gebären, die an seiner Stelle über das Reich herrschten. Doch es würde ihm verwehrt bleiben, diesen Triumph mitzuerleben. Stattdessen befand er sich hier, in einem undankbaren Land, voller Hektik und Unruhen. Die Menschen, allesamt blass und unscheinbar, konnten keinem seiner Artgenossen das Wasser reichen.
Bis auf die Eine – diejenige, die für ewig in seinem Herzen verbleiben würde.
Ein Stück Seele – verloren in der Unendlichkeit des Seins. Nur der Schmerz, der würde ewig währen.
Sie hatte mit Liebe überzeugt, niemals hätte er ihr ein Haar gekrümmt, obgleich sie eine Menschenfrau war. Im Gegensatz zu den Erdlingen dieser Zeit. Schwache, undankbare Wesen, voller Argwohn und Scheinheiligkeit. Ganz anders als sie und bei weitem anders als sein Volk jenseits des großen Wassers.
Altbekannte Bilder glitten in seine Erinnerung.
Die engen Gassen seines Dorfes, die vielen Stände im Suq, mit all den begehrenswerten Waren und den warmen, lebendigen Menschen.
Wenn er wollte, konnte er alles vor sich sehen, als ob er noch dort wäre. Fast vermeinte er, die Gewürze auf seiner Zunge zu schmecken, die vielen aromatischen Düfte wahrzunehmen. Kardamom, Safran, warmer Zimt, Muskat und Gewürznelken. Duftende Öle in anmutigen Behältnissen, geflochtene Körbe voller saftiger Datteln und Erdnüsse. Bunt geschmückte Esel und Dromedare, geführt von ihren prächtig gekleideten Besitzern. Auch konnte er, wenn er sich konzentrierte, Geräusche seiner Heimat wahrnehmen.
Stimmengewirr, Kinderlachen, schwatzende, fröhlich feilschende Frauen und Männer, die ihren Tag am Markt begannen.
Schwermütig sah er zum kühlen Nachthimmel empor. Selbst die Sterne, die dort oben leuchteten, erinnerten ihn an seine geliebte Heimat. Heimweh durchflutete jede Faser seines Körpers.
Erst als kühler Wind sein Gesicht streifte, wurde er unsanft aus seinen Erinnerungen gerissen.
Sein Herz zog sich schmerzvoll zusammen, als er sich erneut in dieser fremden, ungastlichen Welt wiederfand.
Die Menschen hatten sich in den vielen Jahren seines Daseins nicht wesentlich geändert, auch wenn sie das dachten. Nur mehr wenige hatten tatsächlich den Willen zu träumen, oder nahmen sich Zeit, für andere da zu sein. Macht und Gewalt herrschten überall. Hier konnte er die Kälte spüren, die diese Menschen ausstrahlten, konnte die Angst und die Wut riechen, die dominierte. Alle wirkten unstet, als hätten sie kein bestimmtes Ziel.
Er fühlte die fremden Gedanken, las die unerfüllten Wünsche der resignierenden Männer und Frauen, die längst schon aufgehört hatten, zu hoffen – oder sogar zu leben. Ein Suhlen in Selbstmitleid und Faulheit.
Ihre Träume jedoch brannten sich in seine Seele, wie glutheiß sprühende Funken. Diesen unwirklichen Schmerz hieß er willkommen, gab sich ihm hin, verband es ihn doch mit seinem Wesen.
Ein hohles Lachen scholl zu ihm empor und riss ihn aus seiner Gedankenwelt. Der leichte Wind riss es mit sich fort und zurück blieb die Leere einer Sommernacht. Bald ...
Bald schon würde er sich unter all diese Menschen mischen, ihren Duft in sich aufnehmen und seine Wahl treffen.
Er mochte sie eigentlich nicht – hielt sich lieber von ihnen fern, doch er brauchte sie, und einige brauchten ihn. Deswegen musste er noch eine Weile warten. Erwachsene Erdenwesen konnten ihn nicht wahrnehmen, da sie nicht aufmerksam durch das Leben schritten, wie die Kleinsten ihrer Art.
Kinder gingen noch mit offenen Augen durch die Welt. Sie scheuten nicht davor zurück, alles zu entdecken. Oft sah er sie, wie sie ihn musterten. Nicht ängstlich, oder voller Hass, eher neugierig und mit einem Lächeln auf den Lippen. Dann erzählten sie etwas ihren Müttern, oder den Vätern, die einen ratlosen Blick auf ihn warfen, ohne ihn zu sehen. Kinder bewegten sich nicht verborgen durch das Leben, wie die Großen. Dadurch entdeckten sie oft Dinge, die Erwachsene anhand ihres beschränkten Horizontes nicht mehr wahrnahmen. Nur sie hatte ihn gesehen, seine Anwesenheit gespürt. Sie hatte seine Nähe gesucht, bis er sie erhörte.
Der schicksalhafte Tag, als seine Letztgeborene diese fruchtbare, aus Liebe entstandene Koalition schlagartig zerstörte, ließ nicht lange auf sich warten.
Trauer durchflutete sein Herz erneut. Es war ihm verboten gewesen, eine Menschenfrau aufzunehmen, doch er hatte sich über dieses Verbot hinweggesetzt, zu stolz, um die Gefahren dahinter zu erkennen – und damit die Frau ungewollt zum Tode verurteilt. Ohne es zu bemerken, geriet sie in die Falle. Er hätte es ahnen müssen, doch bis die Erkenntnis kam, war es zu spät gewesen. Die unermessliche Gier Seinesgleichen nach menschlicher Energie gestattete es ihnen nicht, dauerhaft unter Erdlingen zu verweilen.
Und nun irrte er inmitten dieser Wesen herum, die ihn schwächten, ihn zwangen, sein Leben zu erhalten. Welch eine Strafe! Er konnte ohne sie nicht existieren und es gab keinen anderen Ausweg.
Er würde warten, bis die Nacht hereinbrach. Da begann seine Zeit, die bis in den frühen Morgenstunden hinein andauerte. Dann waren die meisten Kinder nicht mehr auf den Straßen oder in den Gebäuden unterwegs.
Er verließ die Anhöhe und begab sich langsam hinab in die Straßen dieser Stadt im Tal der Nebel.
Er verharrte zwischen den Gassen und betrachtete das Bauwerk, in dessen Kellerräumlichkeiten er sich tagsüber verkroch. Es war nicht riesig, wie sein Palast, aber weitläufig genug, um unentdeckt zu bleiben.
Vor dem hellerleuchteten Gebäude aus den Zwanzigern herrschte reges Treiben.
Die Menschen liebten es, hierher zu kommen. Sie sahen die Pracht des alten Hauses, genossen es, sich darin und rundherum aufzuhalten, doch sie wussten nichts von den feuchten Tiefen seines, unter der Erde liegenden dunklen Reiches. Längst schon hatten sie vergessen, wie es früher hier gewesen war. Keiner konnte sich vorstellen, dass dort unten jemand wohnen konnte. Wieso auch? Die Erwachsenen hatten keine Zeit mehr, um zu sehen, was außerhalb ihrer Welt existierte. Ein flüchtiger Blick nur, eine mitleidige Geste oder ein hastiges Vorübereilen. Schon war der Augenblick der Wahrnehmung vorbei, einzig und allein der alte, verwahrloste Mann im Keller hatte ihn gesehen. Doch dessen Worte waren wirr, sein Aussehen lumpig und seine Gestiken unkoordiniert. Eine verirrte Seele in den Fängen der Reichen und Mächtigen. Er war keine Gefahr für ihn.
Müde zog er sich in die Schatten der hohen Häuser zurück.
Ein paar Menschen eilten vorbei, eine Frau, einsam und tief in Gedanken versunken, bog versonnen in ein kleines Gässchen ein.
Ihr Haar wie gesponnenes Gold. Er erzitterte bei ihrem Anblick. Sog ihren Duft tief in sich ein.
Ihr Duft, so zart, Maiglöckchen gleich, mit dem Bouquet einer Zitrusfrucht. Ja, sie roch richtig ... Sein Herz schmerzte. Erinnerungen an die Andere gerieten erneut an die Oberfläche.
Er schwelgte in den Duft der Fremden, ertastete sorgfältig ihr Wesen. Er konnte einen Blick in ihre Gedanken werfen, spürte ihre Wünsche. Sie war eine von denen, die nach Erfüllung unerwiderter Träume lechzten, ohne sie erzwingen zu wollen. Ahnungslos eilte sie dahin, auf dem Weg zu einem Termin, einem Treffen, oder etwas anderes, dass ihre Zeit stahl.
Ungesehen von dem Rest der Welt folgte er ihr, denn sie brauchte ihn, brauchte Träume.
Die mickrige Menschheit wusste es nicht, nahm das Leben zu wichtig, doch Leben war nicht mehr als ein Staubkorn im Universum. Träume jedoch könnten sich anfühlen, als ob sie niemals endeten.
Langsam schlich er ihr in der Dunkelheit nach.
Er konnte ihr helfen, denn er konnte Träume schenken. Und sie würde ihm helfen, am Leben zu bleiben, wie die anderen.