Читать книгу MISTY DEW 3 - Agnete C. Greeley - Страница 9
1. Kapitel
ОглавлениеCasper – Wyoming
Der Privatdetektiv Will Sawyer bremste vor einem schönen, alten Haus.
»Das ist die Adresse, Jul.«
Julian Weston betrachtete das Gebäude missmutig. Es war zwar alt, doch sah auch ausgesprochen teuer aus.
»Stinkt förmlich nach Geld«, murmelte er. Will nickte.
»Oh ja, der Superstar hat es vor einem Jahr gekauft. Hoffen wir, dass unsere Verschwundene wirklich hier ist.« Wills grimmigem Tonfall war zu entnehmen, dass ihm der Besitzer des Hauses aufs Äußerste missfiel.
Seit einer Woche durchkämmten sie Wyoming nach der sechzehnjährigen Lorrie Fellner, die von zuhause ausgerissen war, um ihrer Lieblingsband ‚Hell Of Panic‘ zu folgen. Die Eltern des Mädchens, angesehene Bürger aus Casper, hatten Will Sawyer beauftragt, sie zu suchen, nachdem sie einen Brief gefunden hatten, indem ihre Tochter ihnen mitteilte, dass der Leadsänger Collin, sie geschwängert hatte.
Dennoch war es nur der Aufmerksamkeit einer Kellnerin zu verdanken, dass sie Lorrie endlich aufspüren konnten. Sie hatte dem Mädchen am Vortag ein Taxi gerufen und der Taxifahrer, ein netter Inder, erinnerte sich an die Adresse, die das Mädchen angegeben hatte.
Und nun waren sie in Newcastle vor dem Haus, in dem der Rocksänger sich aufhielt, wenn er nicht gerade auf Tour war.
»Wieso sucht sich so einer nicht einfach eines von diesen dürren Models?«
Julian war sauer. Die Eltern schienen nicht genügend Zeit für ihre Tochter zu haben und der Leadsänger war entfleucht, nachdem er Lorrie verführt und geschwängert hatte. Das verzweifelte Mädchen hatte scheinbar keinen anderen Ausweg gesehen, als abzuhauen, um diesem arroganten Mistkerl zu folgen.
»Und wieso zum Teufel redet von diesen Herrschaften keiner miteinander?«, knurrte Julian.
Will zog eine Augenbraue hoch.
»Hm, tja, das frag ich mich schon seit vergangenem Herbst«, brummelte er.
Julian tat, als hätte er nicht verstanden, worauf Will anspielte. Er wusste genau, dass es um seinen überstürzten Aufbruch im Vorjahr ging, als er sein neues Zuhause, die Eagleside Ranch im Mistydew County verlassen hatte, um, wie er sagte, mit Will über den Tod seiner Eltern und Schwester zu sprechen. Er war seitdem nicht wieder zu seinen Freunden Irene und Matt zurückgekehrt, obwohl er oft daran dachte. Doch noch konnte er sich nicht dazu überwinden. Er hatte Will verschwiegen, dass er und Irene sich näher gekommen waren, als beabsichtigt. Nun wusste er nicht, was er tun sollte. Um diesem Gespräch erneut auszuweichen, zeigte er auf das Haus.
»Schau mal da!«
Die Veranda war, bis auf eine Hollywoodschaukel leer und die Haustür stand einen Spalt offen, dennoch stand damit noch nicht fest, ob sich jemand im Haus befand.
»Da oben brennt Licht«, raunte Julian, während er auf ein offenes Fenster im Obergeschoss zeigte. Nun erkannte auch Will das diffuse Schimmern einer Lampe.
»Gut, lass uns nachsehen, ob sie hier ist«, der ältere Mann stieß die Autotür auf und stieg aus. Julian tat es ihm gleich und betrat noch vor Will die Veranda. Trotz der offenen Eingangstür klopfte er. Der Druck seiner Hand ließ die Tür noch ein bisschen aufgleiten.
»Hallo! Jemand zuhause?« Julian trat vorsichtig über die Schwelle.
Keine Antwort. Er rief nochmal, diesmal etwas lauter. Erneut meldete sich niemand.
»Hm, das gefällt mir nicht.« Er sah sich in der schattigen Diele um. Ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn.
Will, der ihm gefolgt war, nickte unbehaglich.
»Komisch ist es schon.« Er lauschte in den Raum. Das Haus schien ausgestorben.
»Hallo?« Keine Geräusche drangen aus dem Inneren zu ihnen. Sie hörten nur die Vögel im Garten und entfernte Verkehrsgeräusche vom Highway.
Kein Radio, kein Fernsehen oder Klappern von Geschirr. Nichts wies auf die Anwesenheit einer anderen Person hin.
Will kratzte sich den Kopf.
»Irgendwie unheimlich. Ich meine, vielleicht ist der Arsch nicht da, aber sie muss irgendwo hier sein.« Stirnrunzelnd musterte er die Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Seit ein paar Tagen litt Will an seinen altbekannten Rückenschmerzen. Stufensteigen fand er deswegen nicht besonders verlockend.
»Okay, ich seh mich hier unten um und du gehst nach oben«, entschied er grimmig.
Julian verkniff sich eine seiner üblichen Bemerkungen über Wills Alter und nickte stattdessen.
»Gut, ruf einfach, wenn du etwas entdeckst.« Nach einem prüfenden Blick zum Obergeschoss stieg er rasch die Treppe hinauf.
Oben begrüßte ihn erstmal diffuses Grau.
Aus einer halboffenen Tür am Ende des Ganges fiel ein zarter Lichtschimmer hinaus auf den Holzboden.
Nun vernahm Julian einen schwach surrenden Ton, wie ein leises Brausen, doch er konnte nicht erkennen, woher es kam oder was es war. Mehrere Türen führten hinaus auf die Galerie, wo er sich befand, doch die Zimmer dahinter interessierten ihn nicht. Schritt für Schritt näherte er sich dem Zimmer, woraus das Licht sickerte. Das könnte durchaus ihre Unterkunft sein. Falls nicht, hielt sich jemand anderer hier oben auf, der ihnen womöglich auch Auskunft geben könnte. Genaueres wusste Julian nicht, aber immerhin bot das Haus genügend Räume für Gäste.
»HALLO? LORRIE?« Da er wieder keine Antwort erhielt, betrat er einfach den Raum und sah sich darin um.
Das Fenster stand sperrangelweitoffen und die abgekühlte Abendluft des frühsommerlichen Tages drang ungestört ins Zimmer. Es roch nach frisch gemähtem Rasen und feuchter Erde. Ein warmer Tag lag hinter ihnen, doch der Hochsommer ließ noch auf sich warten. Neben dem Bett stand eine bunte Reisetasche, aus der Kleidungsstücke quollen. Die Decke auf dem Bett war unachtsam zurückgeschlagen und das Kissen lag schief. Das helle Leintuch war zerknittert, als ob jemand gerade erst darin gelegen hatte.
Er entdeckte eine Musikzeitschrift und ein aufgeschlagenes Modemagazin. Eine brünette Frau in einem luftigen Sommerkleid lächelte ihn fröhlich aus dem Bild entgegen.
Er ging langsam durch den Raum und horchte. Noch immer konnte er das Brausen wahrnehmen. Es schien lauter zu werden, oder war das nur Einbildung? Nein, es klang wie – er ging zurück zur Tür und spähte auf die Galerie. Dann erkannte er endlich, woher das Geräusch kam!
Ein kleines Rinnsal Wasser sickerte unter einer geschlossenen Tür hervor und hinterließ einen glänzenden Teich auf dem Parkettboden.
Und jetzt hörte er auch das Geräusch. Es war fließendes Wasser! Rauschend wie ein Wasserfall zerstörte es die Stille von zuvor und Julian sprintete los.
Er riss an der Klinke, doch die Tür war versperrt, also warf er sich dagegen.
»WILL!« Er schrie so laut, er konnte, und warf sich abermals gegen die Tür, doch sie gab nicht nach.
Ruhig, du musst ruhig bleiben.
Wie aus weiter Ferne hörte er schwere Schritte die Stufen hochpoltern, doch darauf achtete Julian nicht. Er ging ein paar Schritte rückwärts um den nötigen Schwung zu bekommen.
Genau dort, wo der Widerstand der Tür am geringsten war, trat er zu. Zwei Tritte, drei– beim vierten Tritt krachte das Holz und die Tür schwang auf.
Das Bad war von Wasser und Blut überschwemmt.
Will schrie etwas, doch Julian achtete nicht auf ihn. Er rutschte auf dem nassen Boden aus, knallte auf die Fliesen und spürte den scharfen Schmerz, der durch seinen Ellenbogen in die Schulter jagte. Keine Zeit, dachte Julian.
Er hatte nicht genügend Zeit.
Sofort rappelte er sich wieder hoch. Der Schmerz war vorhanden, doch er fühlte sich nicht an, als wäre es sein eigener. Seine helle Jeans färbte sich dunkel unter dem Blut, und das Wasser strömte weiter über den Wannenrand.
Darin saß Lorrie. Ob die Augen geschlossen waren, oder offen, konnte Julian nicht erkennen, doch er sah ihr weißes Gesicht und ihren Hals aus dem roten Meer ragen. Wie auf blankem Eis glitt er zu ihr, bückte sich und zog die schlaffe Gestalt aus der Wanne. Sie war schwer, schwerer als man denken würde, doch Julian ließ sie nicht los. Er spürte helfende Hände, die sich neben ihm unter den leblosen Körper der Frau schoben, und machte automatisch Platz.
Auf den dumpfen Schmerz in seinem Arm nahm er keine Rücksicht, sondern hob mit Wills Hilfe das Mädchen aus der Badewanne.
Später ...
Im Motelzimmer sah er noch immer den überfluteten Boden vor sich.
Das weiße Gesicht des Mädchens– der nackte Körper, leblos und kalt, während er nach seinem Handy suchte. Er hatte es nicht gefunden, aber Will hatte seines hervorgeholt und den Notruf gewählt. Im Flur hatte Julian automatisch mit seinem Gürtel und einem Handtuch ihre Handgelenke umwickelt. Sie hatte sich nicht gerührt, nicht aus eigener Kraft. Er hatte sie mit Mund-zu-Mund-Beatmung ins Leben zurückgerufen – nach anderen Wunden gesucht – alles getan, was er konnte, bis er endlich die Sirenen der Ambulanz durch das offene Fenster hörte.
Jetzt saß er wie betäubt auf seinem Bett im Motel, den verletzten Arm eingebunden und in einer Schlinge.
»Hier, trink das.« Will hielt ihm einen Plastikbecher mit Whisky hin. Julian nahm ihn anstandslos und trank einen großen Schluck. Er spürte, wie sich die Wärme des Alkohols in seinem Körper ausbreitete, zuerst in seinem Kopf, dann im Magen und auch in seinem schmerzenden Arm. Er trank weiter.
»Du hättest im Krankenhaus bleiben sollen. Dein Arm sollte nochmal kontrolliert werden«, murmelte Will. Normalerweise gab er nicht so viel auf Krankenhäuser und deren Ärzte, doch Julians Arm war ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Und das ist nicht alles, dachte er besorgt.
»Ich war zu langsam, Will.«
Der ältere Mann schüttelte den Kopf.
»Nein, wenn du nicht gewesen wärst, dann wäre sie tot. Du hast ihr das Leben gerettet.« Er fuhr sich durch das stellenweise ergraute Haar. Das heutige Erlebnis hatte beide mitgenommen.
Julian reagierte nicht auf die Worte seines väterlichen Freundes. Noch war er zu sehr von dem Erlebten betäubt. Will wusste ja nicht, dass Julian nicht alleine von diesem einen Mädchen sprach. Er konnte nicht wissen, dass er von all den Menschen sprach, denen er hatte helfen wollen, die dennoch gestorben waren.
»Komm, du musst schlafen.« Der ältere Mann klang sanfter als sonst.
Julian ließ sich von ihm hochhelfen, ehe er auf sein Bett sank, und dank Schmerz – und Beruhigungsmittel rasch einschlief.
Seufzend zog Will die dünne Decke über ihn. Danach ließ er sich schwerfällig auf einen Sessel nieder. Er sorgte sich um den jüngeren Mann. Nach so vielen Monaten sollte Julian nicht mehr hier in Wyoming herumhängen, sondern wieder auf der Eagleside Ranch in Montana sein, und Irene, sowie Matt in den Wahnsinn treiben. Will verstand nicht, was ihn noch in Wyoming festhielt.
Nachdem Julian im Herbst bei ihm aufgetaucht war, hatte sich vieles geändert.
Zum ersten Mal seit langer Zeit hatten sie geredet. Ein Wunder, da beide kein glückliches Händchen für tiefschürfende Gespräche hatten, doch es war ihnen gelungen, eine Gesprächsbasis zu finden, mit der beide zurechtkamen.
Vor Jahren waren Julians Mutter und seine Schwester von einem angeblichen Grizzly getötet worden, doch die Erinnerungen, die Julian sich im Laufe seiner Jahre als Schutzschild angedichtet hatte, waren falsch. Es war nicht so, dass er nicht wusste, was tatsächlich passiert war. Seine Familie hatte sich mit Dingen herumgeschlagen, die normale Familien nicht ansatzweise verstanden, dennoch hatte er mit der Grizzlygeschichte den wahren Sachverhalt betäubt, wie Will es nannte.
Der Schleier hatte sich gelüftet, als Julian im Mistydew County in Montana auf dasselbe Monster traf, das seinerzeit seine Mutter und Schwester erwischt hatte. Der Schock hatte ihn aus der Bahn geworfen. Es war ihnen gelungen, das Wesen zu besiegen, doch diesmal war es für die Eagleside-Crew sehr knapp geworden und ein Mensch hatte sogar sein Leben dabei verloren.
Danach wurde Julian bewusst, dass Will über all die Jahre nicht einmal versucht hatte, ihm die Wahrheit näher zu bringen, und das, obwohl Will der beste Freund von Julians verstorbenen Vater Liam gewesen war.
Es hatte dem alten Mann viel Geduld und Mut gekostet, Julian, seinem Adoptivsohn, nach all den Jahren die ungeschminkte Wahrheit zu erzählen. Nach seiner anfänglichen Wut verstand Julian, warum Will seinerzeit so gehandelt hatte und sie schlossen abermals Frieden. Danach war der jüngere Mann bei ihm geblieben, um ihm bei seinen Fällen zu helfen, wie er meinte.
Er sprach nicht viel über die Eagleside Ranch, doch Will wusste, dass Julian zu Weihnachten mit Matt, dem jungen Vorarbeiter telefoniert hatte. Scheinbar vermied er es aber, mit Irene zu sprechen. Bisher hatte Will sich nicht eingemischt. Stattdessen hoffte er, Julian würde von alleine zur Ranch zurückkehren. Denn auch wenn es dem Jungen noch nicht bewusst war, er gehörte dort hin. Seine Verletzung würde ihn sowieso eine Zeitlang zur Ruhe verdammen, da war das Mistydew County genau das Richtige. Will musste ihn nur dazu bringen, zurückzukehren. Die Frage lautete nur, wie?