Читать книгу MISTY DEW 3 - Agnete C. Greeley - Страница 14
6. Kapitel
ОглавлениеMel und Irene – Unterwegs in Cedars/Downtown
Nachdem Irene das Büro von ihrem Ex fertig dekoriert hatte, befanden sich die beiden Frauen wieder unbehelligt auf der Straße vor dem Gebäude.
Melanie legte ihren Kopf in den Nacken und musterte nachdenklich den hohen gläsernen Bürokomplex mit den achtzig Stockwerken. Der Chase–Tower in Cedars war eines der höchsten Bauwerke der Stadt, doch davon war Mel nicht sonderlich beeindruckt.
»Unfassbar dass dort drinnen so viele Leute zusammenarbeiten wollen. Also ich würde vermutlich durchdrehen.«
Dann wandte sie sich Irene zu, die soeben grinsend eine Nachricht in ihr Telefon tippte.
»Ernsthaft? Du hast gerade eine halbe Straftat begangen und nun stehst du seelenruhig herum und schreibst SMS, obwohl gleich irgendein bärbeißiger Typ herausstürmen, und uns zu Rede stellen könnte?« Nervös heftete sie ihren Blick auf die gläserne Schwingtür.
»Bleib locker.« Hastig suchte Irene sich das Bild heraus, das sie vom dessousgeschmückten Büroraum ihres Ex gemacht hatte, und fügte es ihrer kurzen Nachricht hinzu.
»Ich will nur Bescheid geben. So, aber jetzt.« Zufrieden drückte sie auf Senden, während Mel ihr entsetzt über der Schulter zusah.
»Irene, wem hast du das Foto geschickt?«, fragte Melanie alarmiert.
»Na wem wohl? Matt natürlich.«
»Du willst ihn tatsächlich damit ärgern?«
»Na komm schon. Er soll auch etwas davon haben.« Es stimmte. Melanie hatte recht. Sie wollte Matt damit ein bisschen ärgern, auch wenn sie genau wusste, dass er es nicht unkommentiert lassen würde. Allerdings wollte sie ihn damit auch ablenken, ihn aus der Reserve locken. Die letzte Zeit war schwer für sie beide gewesen. Ihre Racheaktion konnte sie auch nicht erklären, es war einfach so über sie gekommen.
»Matt wird garantiert etwas sagen. Darauf kannst du Gift nehmen!«
Irene nickte ergeben.
»Ja, mit diesem Risiko muss ich halt leben. Mal sehen was wir zu hören bekommen.«
Seufzend hängte sich Melanie bei ihrer Freundin ein.
»Also echt, manchmal versteh ich dich nicht.«
»Ich mich auch nicht, Mel, ich mich auch nicht«, murmelte sie, ehe sie den Schauplatz ihres Dessous–Verbrechens endgültig verließen und ihre Einkauftour fortsetzten, als ob nichts gewesen wäre.
Ein paar Stunden später betraten die Beiden ein kleines Café in einer Seitenstraße in Midtown, einem eher gewöhnlichen, von Touristen und Geschäftsleuten selten besuchten Stadtteil von Cedars. Hier gab es ein paar nette Künstlergalerien und eine Menge kleine Boutiquen und Ramschläden. Genau das, was die beiden jungen Frauen gerne hatten.
»Puh, gut das wir dieses Büroabenteuer heil überstanden haben.« Mel schob ihre Einkaufstüten auf eine der leeren Sitzbänke in dem Café, ehe sie sich hinsetzte. Zu dieser Tageszeit war es hier noch mäßig voll und sie mussten nicht darauf warten, bis eine vom Service ihnen einen Platz zuwies.
»Aber du hättest mich vorwarnen können. Dann hätte ich mich besser vorbereitet«, schimpfte Melanie, noch immer ein wenig säuerlich, nach der Aktion im Büro von John Brighton.
Irene lächelte.
»Hab ich doch! Als ich das Päckchen eingewickelt hab, hab ich dir gesagt, dass ich es abgeben muss! Außerdem hast du dich echt gut geschlagen. Deine ‚Ava–Seite‘ ist perfekt. Du hast nichts verlernt. Die armen Sicherheitsleute waren hin und weg von deinem Charme«, fügte sie beschwichtigend hinzu.
Zu Collegezeiten hatten sie sämtliche alten Filmklassiker angesehen und auswendig gelernt. Sie hatten gemeinsam einen Schauspielkurs auf der Columbia besucht, und hatten bis ins Detail mit dem alten, vertrockneten Professor für Kunst und Schauspiel, die Rollen besprochen und durchgenommen. Seitdem gab es diesen privaten Scherz zwischen den Beiden. Melanie war Ava Gardner und Irene, Grace Kelly, oder Susan Hayward, das kam immer auf die Filme an, mit deren Inhalt sie die Leute ringsherum gezielt zum Narren gehalten hatten. Mehr als einmal hatten sie sich damit aufdringliche Studenten vom Hals geschafft. Sie sprachen nicht viel darüber, da die Zeiten damals, ganz besonders für Mel, schwierig gewesen waren.
Melanie hatte sich in ihrem Abschlussjahr mit einem jungen, sehr netten Campus-Professor eingelassen, der wegen ihr seine Ehe aufs Spiel gesetzt hatte. Niemand, außer Irene wusste davon. Es hatte viele Monate, wenn nicht sogar Jahre gedauert, bis Melanie über diese irrationale Liebe hinweggekommen war. Doch heute ritt beiden der Teufel.
Melanie stand Schmiere, während Irene Dessous, allesamt exklusive Geschenke von ihrem Ex John, im gesamten Büro verteilte. Zuerst war Melanie geschockt gewesen, doch da sie schon mittendrin steckte, gab es kein Entkommen. Im Nachhinein ärgerte sie sich über sich selbst. Hätte sie im Hotelzimmer besser aufgepasst, wäre das nicht passiert. Spätestens als Irene sie mit sich in ein Taxi zog, hätte sie etwas ahnen sollen, aber nein, nicht Melanie. Woher hätte sie wissen sollen, was ihre beste Freundin plante? Ein derart ausgefallener Rachefeldzug passte nicht mehr zu Irene. Diese wilden Zeiten hatten sie am College hinter sich gelassen, zumindest hatte Mel das gedacht – bis heute.
»Weißt du eigentlich, wie anstrengend es ist, eine solche Nummer aus dem Stegreif abzuziehen? Dieser Sicherheitsmann, Blake, was denkst du wohl, was er jetzt von mir hält?«, maulte Mel, auf den Security hinweisend, der Irene oben im Büro fast auf frischer Tat ertappt hätte. Nur durch Melanies Ava-Geschick hatte er nicht näher nachgefragt, was sie dort suchten.
Irene lachte.
»Das hast du echt super hinbekommen. Der gute Blake wird sicher die ganze Nacht von dir träumen.«
»Danke dafür, beste Freundin«, murrte Melanie. »Und der liebe Matt sitzt mutterseelenallein im Hotel herum und ärgert sich garantiert über dein Foto.« Es klang ziemlich vorwurfsvoll.
Irene zuckte mit den Schultern.
»Er wird es überleben.«
Mel runzelte die Stirn.
»Klar wird er das, aber du weißt, dass er so etwas nicht mag.«
Ja, da hatte sie recht. Matt gefielen solche Aktionen nicht.
»Nein, vermutlich nicht. Aber wir haben ja nicht gegen irgendein Gesetz verstoßen«, meinte Irene beschwichtigend.
»Probleme könnten wir trotzdem noch bekommen«, wagte Melanie einen Einwand.
»Nein, glaub ich nicht. Wie ich schon sagte, ich weiß zu viel über ihn, außerdem ist ihm sehr wohl bewusst, dass ich Reporterin bin.«
Sie strich sich durch die Haare.
»Nicht dass ich je etwas davon gegen ihn verwenden würde, aber er soll ruhig ein bisschen Angst vor mir haben«, meinte sie grimmig.
»Manchmal machst du auch mir Angst, Iry.« Mel seufzte schwer.
Zu Jahresbeginn war Irene ein paar Tage bei ihr in Pinedale gewesen. Sie hatte Melanies Isländer-Pferd zurückgebracht, das sich nach einer Verletzung bei Irene auf der Ranch erholt hatte. Gemeinsam hatten sie lange Spaziergänge mit Melanies beiden Hunden Ghost und Leah unternommen, waren ausgeritten und hatten über einiges geredet. Trotz all dem war Mel nicht zum tatsächlichen Kern der Sache vorgedrungen.
Sie ahnte, dass Irene und Julian eine komplizierte Freundschaft verband, doch Näheres wusste sie nicht. Dennoch hatte sie erfahren, dass Irenes Ex zufällig im selben Hotel aufgetaucht war, indem sich Irene und Julian nach dem frühen Schneesturm im Herbst befunden hatten. Die ‚Operation Dessous‘, wie Mel es nannte, war jedenfalls eine gewaltige Racheaktion von Irene. Was das bedeutete, wusste Melanie. John hatte sich etwas Schlimmeres zuschulden kommen lassen, als nur zu nerven.
Ein junger Kellner trat an den Tisch und nahm ihre Bestellungen auf.
Irene bestellte einen dreifachen Espresso und Mel begnügte sich mit einer Café Latte.
Sie war im Gegensatz zu Irene kein Kaffeejunkie, sondern bevorzugte eher Kakao oder Tee.
»Da wir nun endlich reden können.« Mel warf einen Blick auf die beiden Kellner, die hinter dem Tresen herumwerkelten.
»Hm, alles willst du aber nicht hören, oder?«, murmelte Irene nervös.
Mel betrachtete Irenes Gesicht interessiert.
»Doch, eigentlich schon. Zumindest möchte ich hören, wieso du heute diese Dessous-Aktion gestartet hast.«
»Naja, die Dessous sind – ach, du weißt schon, es sind die nervigsten, unnötigsten Erinnerungsstücke, die ich noch von John hab. Und obwohl Julian ihm eine reingehauen hat, hat mir bisher der persönliche Abschluss gefehlt.«
Mel riss überrascht die Augen auf.
»ER HAT WAS?«
Der Kellner brachte ihnen mit einem höflichen Lächeln die beiden Getränke und entfernte sich wieder.
»Ähm, im Darkstone Inn, du weißt schon, beim Frühstück nach diesem Schneesturm. Da – da hat John etwas Unschönes gesagt und – Julian hat ihm eine reingehauen.«
»Ja, das klingt nach – nach Julian«, meinte Mel, die ihn noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
»Nur hast du irgendwie vergessen, ihn zu erwähnen. Ich frage mich, wieso?« Mel legte den Kopf schief und musterte ihre Freundin prüfend.
»Hab ich das?«, unbehaglich drehte Irene die Tasse zwischen ihren Fingern.
Mel nickte.
»Jep, hast du.« Sie nippte an ihrer Latte. »Und? Ist es das wirklich?«, fragte Mel.
Irene wirkte entspannter als noch vor ein paar Stunden.
»Was meinst du genau?«
»Ich meine, ist es endgültig vorbei?«
Irene rieb sich die Augen. Nun sah sie wieder sehr müde aus.
»Ja.« Sie nickte »Es ist endgültig vorbei, aber das war es schon damals in New York.«
Irene trank einen Schluck von dem schwarzen Gebräu und verzog das Gesicht.
»Ich hab es nur nicht gleich bemerkt – bin mir selbst im Weg gestanden.«
»Kann ich verstehen, du hattest ja auch nichts mehr von ihm gehört, bis ich – naja, bis ich dir von seinem Auftritt in Lafayette erzählt hab. Er ist ein solcher Widerling.« Melanie nippte erneut an ihrer Latte.
Als John Mel im Vorjahr in Lafayette zufällig über den Weg gelaufen war, hatte er ihr unmissverständlich, wenn auch subtil erklärt, dass er Irene nicht verziehen hatte. Allerdings war er kein Typ, der zugeben würde, dass er verloren hatte. Hoffentlich würde die heutige Aktion ihn nicht zu einer Gegenaktion verleiten.
»Aber pass trotzdem auf, John ist nicht ganz dicht.« Melanie machte sich Gedanken über seinen Hang zur Soziopathie. Das machte ihn in ihren Augen gefährlicher, als sie ihrer Freundin gegenüber eingestehen wollte. Andererseits hatte auch Irene den Kurs in Psychologie besucht und musste es selbst wissen.
»Sein Büro mit hübschen Dessous zu verschönern, kann auch ein Schuss sein, der nach hinten losgeht.« Schon sein Plan, Melanie in Lafayette aufzulauern, beunruhigte sie. Ein solches Verhalten passte nicht zu einem normalen Menschen, doch sie behielt ihre Meinung für sich.
»Hat er Ärger bekommen?« Mel wechselte so schnell das Thema, dass Irene mühe hatte, ihr zu folgen.
»Wer? John? Nun, er ging zu Boden, wie ein Sack Kartoffeln.« Bei der Erinnerung an den Anblick stahl sich ein kleines, zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen.
»Iry! Ich meinte Julian! Bekam der Ärger?«
»Oh, der. Nein, selbstverständlich nicht! Wie schon gesagt, ich weiß zu viel über Johns voriges Liebesleben.«
»Iry! Erpressung ist etwas Unschönes!«
Irene winkte ab.
»Ich habe noch keine Erpressung ausgesprochen.« Sie lächelte erneut.
»Aber heute hab ich ihn wieder daran erinnert, WAS zwischen uns war – und glaube mir, DAS wird bis weit in seine neue Ehe hinein an seiner Seele nagen.« Sie nahm einen weiteren Schluck von ihrem starken Kaffee. Sie verzog das Gesicht erneut.
»Uh, die könnten hier noch einiges von Matts Kaffeekochkünsten lernen.«
Melanie kam zurück zu dem Punkt, wo Irene zunächst erfolgreich abgelenkt hatte.
»Was ist das mit dir und Julian? Ich meine, wieso ist allein die Erwähnung seines Namens für dich ein Signal, das Thema zu wechseln?«
Irene biss sich auf die Lippen.
»Ähm, keine Ahnung, hab ich das denn?« Irene wirkte abwesend.
»Ja, hast du. Hat er etwas getan? Ich meine, etwas, dass dir Angst macht, oder so?«, tastete sie sich langsam voran.
Scheißpsychologie ... doch nun gab es kein Zurück. Melanie wollte Genaueres wissen.
Hatte Julian ihr Angst gemacht? Irene überlegte.
Nein, eigentlich nicht, bis auf die Sache mit dem Weggehen. Da hatte sie kurz Angst gehabt. Angst davor, ihn zu verlieren. Aber wieso dachte sie so?
»Nein«, sie schüttelte den Kopf. »Nein, er hat mir keine Angst gemacht. Er ist doch – naja, du würdest sagen, er ist einer von den Guten. Es war anders.« Sie überlegte, wie sie Melanie erzählen konnte, was passiert war, ohne die Details näher zu erörtern.
»Ach, keine Ahnung. Vielleicht liegt es ja an unserer letzten Begegnung. Wir – wir hatten eine kleine Diskussion.«
Melanie hob den Kopf und blickte ihre Freundin direkt in die Augen.
»Worum ging es?« Sie würde tatsächlich nicht locker lassen, also beschloss Irene, zumindest einen Teil ihres letzten Gespräches zu erwähnen.
»Naja, er hat zuerst gemeint, er müsse zu Will, seinem Freund, um etwas zu klären. Ich hab ihm dann vorgeworfen, dass er sich zu sehr an der Vergangenheit festhält und sich dadurch nicht um die Gegenwart kümmert, die doch viel wichtiger ist.«
Mel zog die Augenbrauen hoch.
»Du hast ihn also in die Enge getrieben. Sehr schlau.« Sie runzelte die Stirn.
»Okay, wie hat er reagiert?«
»Ähm, naja, er.« Sie atmete tief durch. »Er hat mich gefragt, ob ich denn schon meine Vergangenheit hinter mir gelassen – ob ich die Gegenwart schon willkommen geheißen hab.« Schuldbewusst senkte sie den Blick. Das klang ganz anders, als damals.
Mel nickte wissend.
»Ach so. Er hat den Spieß einfach umgedreht, dieser ...« Gerade noch rechtzeitig verbiss sie sich ein passendes Schimpfwort. »Okay, also hat er sich feige davongestohlen.« Melanie schüttelte ergeben den Kopf.
»Tut mir leid, schätze, da kann man wohl nur abwarten.« Sie kramte in ihrer Tasche nach der Geldbörse.
»Aber wenn das alles so war, wie er gesagt hat. Wenn das stimmt, dass ein – naja, ein Killerbär auch seine Schwester und Mutter getötet hat, dann muss ich sagen, ist es normal, wenn er nach einem solchen Erlebnis zurück zu seinen Wurzeln geht.«
»Er, er war ein wenig durch den Wind und ich ...« Irene zuckte mit den Schultern.
»Ich war auch durcheinander. Matt war noch im Krankenhaus und ich hab mich so allein in dem großen Haus gefühlt. Es war ein bisschen, wie damals. Du weißt schon, als Onkel Ethan gestorben ist.« Sie sank bei der Erinnerung an ihm ein wenig in sich zusammen.
Doch Melanie wusste, wie sich ein solcher Verlust anfühlte, also schlug sie einen sanfteren Tonfall an.
»Ja, ich weiß. Schon vergessen? Bridget und Ian.« Sie schluckte. Auch nach so vielen Jahren tat ihr die Erwähnung der Namen noch weh.
Sie hatte vor Jahren an einem Tauschprogramm zwischen ihrer ehemaligen deutschen Schule und einer amerikanischen Highschool teilgenommen. Zuerst war es ihr sehr schwer gefallen, hier Fuß zu fassen, doch nach einem Jahr hatte sie sich so gut eingelebt, dass sie in den Staaten bei ihren Gasteltern bleiben wollte. Nach langem Hin und Her hatten ihre richtigen Eltern zugestimmt, auch wenn es ihnen sehr schwer gefallen war.
Bridget und Ian waren glücklich über ihre Entscheidung gewesen, da sie niemals eigene Kinder gehabt hatten.
Als Mel auf der Columbia Universität ihr Studium begann, war sie Irene begegnet. Seit dem verband sie eine tiefe Freundschaft.
Leider hatten ihre Gasteltern nie miterlebt, wie Mel ihren Bachelor machte, denn sie starben ein Jahr vor ihrem Collegeabschluss bei einem schweren Autounfall. Danach war Melanie in ein tiefes Loch gestürzt, aus dem sie es nur mit viel Mühe wieder rausgeschafft hatte.
Sanft arbeitete sich die Trauer hoch, doch sie straffte ihre Schultern und schob das Gefühl sofort beiseite. Es war an der Zeit Klartext zu reden.
»Denk mal nach, Iry. Ich meine, Julian hat ein Kindheitstrauma verdrängt und dann hat es ihn wieder eingeholt. Damit muss man erstmal klarkommen.« Sie winkte dem Kellner. »Hör zu, ich muss jetzt Sally anrufen, um zu hören, wie es mit Ghost und Leah so läuft und danach muss ich zu dieser Hot Stone – Massage, aber mal ehrlich. Hast du jemals daran gedacht, ihn anzurufen, ihm einfach zu sagen, dass er zurückkommen soll?« Sie zog bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch.
»Ich meine, er will vermutlich sogar zurück, aber wenn du so nachtragend bist, läuft das nicht. Verstehst du?«
Irene schnaubte unwillig.
»Ich bin nicht so nachtragend. Er hat sich nicht einmal bei mir gemeldet, nur bei Matt. Also was soll ich davon halten?«
»Und du hast dich auch nicht bei ihm gemeldet, also seid ihr beide albern. Ach ja, und feige.«
Der Kellner unterbrach mit seinem Auftauchen das Gespräch.
Melanie drückte ihm einen Geldschein in die Hand und rundete den von ihm genannten Beitrag auf.
»Ich bin nicht feige«, protestierte Irene während sie das Café verließen.
»Nur ...«
Mel beendete den Satz für sie.
»Nur nachtragend? Du kannst es halten, wie du willst. Feststeht: Ihr seid beide bescheuert.«
Kurz darauf saßen die beiden Frauen in einem Taxi, dass sie zurück ins Hotel brachte. Sie schwiegen sich für einen Moment an, bis Irene ergeben nickte.
»Vielleicht bin ich ein bisschen bescheuert. Aber Julian hat sich auf der Ranch sauwohl gefühlt, da irre ich mich nicht.«
»Schon gut, du solltest dir nicht soviel den Kopf über Julian zerbrechen«, fuhr Melanie leise fort. Es war an der Zeit Irene abzulenken, außerdem lag ein schöner Abend vor ihnen.
»Stattdessen sollten wir uns eher Gedanken über die Show heute Abend machen.« Sie dachte an ihre lilaglitzernden Plateauschuhe und lächelte.
Es war eine Weile her, seit sie diese Fußmörder angehabt hatte, doch sie freute sich dennoch auf diesen Abend.
»Wir werden viel Spaß haben. Du wirst schon sehen.«
»Ja, das glaube ich auch«, sagte Irene leise, während ihre Gedanken sich noch immer um Julian drehten.
Diesmal bemerkte sie die kräftige Gestalt nicht, die sich im Schatten einer Hauseinfahrt zurückgezogen hatte und ihre Abfahrt beobachtete.