Читать книгу MISTY DEW 3 - Agnete C. Greeley - Страница 13

5. Kapitel

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Mistydew County – Cedars

Knapp eine halbe Stunde später saß Julian neben Matt im Auto.

Matt fuhr so zügig, dass Julian mehrmals um seinen Trailer fürchtete. Bei jeder Kurve rechnete er damit, dass er umkippte. Matt schraubte sein Tempo nur zurück, wenn die Kurven zu eng wurden. Mehrmals schwankte der Trailer gefährlich, doch nichts passierte.

Wie üblich hatte der Cowboy das Schweigen perfektioniert und Julian war nicht nach Reden zumute. Er kämpfte mit den Bildern des Erlebten. Das Mädchen in der Badewanne hatte zwar überlebt, doch niemand wusste, wie ihre Geschichte weiterging.

Ich weiß nicht mal, wie meine Geschichte weitergeht, dachte er, während sie über gewundene Straßen fuhren.

Pinedale lag am Pine Creek, einem kleinen Fluss, der durch die etwas flachere Waldlandschaft, zu Füßen der Mistydew Mountains floss.

Es war ein hübsches Städtchen mit netten Antebellum Häusern.

Diese Art Häuser waren im Mistydew County eher eine Seltenheit. Deswegen war die Main Street auch ganz besonders interessant, doch weder Julian noch Matt hatten im Augenblick ein Auge für die Schönheit der Ortschaft.

Ganz am Ende der Main Street bog Matt in eine schmale Seitengasse ein.

»Trey wird auf den Trailer achtgeben. Du solltest – naja, du solltest nichts Auffälliges drin lassen, also falls du so etwas hast.«

Julian nickte und deutete auf den Rücksitz, wo seine Reisetasche stand.

»Ich hab alles gepackt, was ich brauche.«

Kurz darauf hielt Matt vor einem großen offenen Garagentor. Ein muskulöser Typ, etwa Mitte zwanzig in einem blauen Arbeitsoverall trat aus dem Halbdunkel hervor und nickte ihnen zu. Seine indianische Herkunft war unverkennbar. Nach einem weiteren Blick auf den uralten Wohnwagen deutete er mit einem Nicken hinter sich.

»Hab dort Platz gemacht. Reinfahren müsst ihr ihn selbst.«

Der Kerl hatte den Charme eines Gorillas, doch zumindest gab es eine Garage.

Ob sein Trailer sicher war? Hastig überlegte Julian, ob er alles Wichtige rausgenommen hatte.

»Vergesst nicht, das Ding in ein paar Tagen wieder abzuholen.«

Julian hätte fast eine dumme Bemerkung gemacht, doch Matt rempelte ihn dezent an.

»Halt dich bloß zurück«, murmelte er. »Unterschätze ihn nicht. Er stammt aus dem Reservatsgebiet der Wolf Mountains der Absarokee und lässt sich nicht gerne verarschen.«

Matts verkniffenem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er sich nicht allzu wohl in Treys Gegenwart fühlte. Seltsam, in Anbetracht der Tatsache, das sie angeblich Freunde waren.

»Bist du sicher, dass der Trailer hier gut aufgehoben ist?«, flüsterte Julian ihm misstrauisch zu. Er fand den Kerl ein bisschen zu unfreundlich.

Unbewusst rieb sich Julian über den linken Oberarm. Matt registrierte es beiläufig. Etwas daran kam ihm bekannt vor, doch im Augenblick fiel ihm nicht ein, was es war.

»Was soll die Frage. Klar ist er das.« Kopfschüttelnd setzte Matt sich wieder hinter das Lenkrad. Dabei bemerkte Julian, dass er das eine Bein leicht nachzog, doch er fragte nicht nach. Stattdessen musterte er den unfreundlichen Mechanikerfreund von Matt, der aussah, als ob er beide am liebsten in den Wind geschossen hätte.

»Okay, wenn du es sagst«, murmelte er, noch immer nicht überzeugt.

»Jul, könntest du bitte mithelfen?« Matt klang leicht genervt. »Dein Trailer ist hier gut aufgehoben, okay? Pinedale ist Melanies Ortschaft. Wenn wir die Frauen nachhause bringen, holen wir ihn wieder.«

Hätte Matt nicht so sicher geklungen, hätte Julian seinen Trailer sofort wieder mitgenommen.

»Melanie ist also in Cedars?« Treys Frage kam unerwartet.

Matt nickte knapp, während er eine Nachricht in sein Telefon tippte.

»Jep, Irene musste wieder hin und Mel ist mitgefahren.«

Treys Blick wanderte von Julian zu Matt.

»Und ihr beide seid auch dort. Was für ein Zufall«, kam es trocken von Trey.

Matt verdrehte die Augen.

»Nein, ist kein Zufall. Irene hat uns eingeladen, sie zu begleiten. Ihr Boss hat uns ein Zimmer überlassen.« Kaum hatte er es ausgesprochen, biss er sich verärgert auf die Unterlippe. Das konnte man falsch interpretieren.

»Ich meine, ich bin nicht mit – mit Mel in einem Zimmer, sondern Irene – ich meine, Irene und Mel teilen sich ein Zimmer. Ach egal.« Er winkte rasch ab und deutete auf den Wagen.

»Wir – sollten los, Irene wartet sicher schon auf uns.«

Hastig stieg er in sein Auto. Julian folgte ihm langsam.

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte er Trey, der ihnen mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck hinterherstarrte. Ein weiterer Indianer also. Erneut rieb er über seinen linken Oberarm. An dem Kerl war trotzdem etwas faul.

Julian beschloss, Matt mit Fragen zu löchern, sobald sie auf dem Highway waren. Das Verhalten der Beiden hatte ihn neugierig gemacht.

»Gut, bis dann.« Er nickte Trey kurz zum Abschied zu, ehe er sich neben Matt auf den Sitz fallen ließ. Kaum hatte Julian die Autotür geschlossen, startete Matt den Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen rückwärts aus der Einfahrt.

Als Matt und Julian das ‚Good Bye – see you later‘–Schild am Ortsende von Pinedale passierten, sprach Julian das Thema sofort an.

»Ähm, dieser Trey. Ist der irgendwie sauer auf dich? Ich meine, du hast doch gesagt, er ist ein Freund von dir, also wieso ist er so – sagen wir mal, gereizt?«

Matt seufzte.

»Natürlich ist dir das nicht entgangen.«

Julian schüttelte den Kopf.

»Nein, war auffällig. Mehr dein Benehmen als seins.« Vorsichtig ließ er die verletzte Schulter kreisen. Sein Arm schmerzte wieder, doch inzwischen konnte er es ertragen.

Matt schwieg eine Weile, bis er vom Highway auf eine Nebenstraße abbog.

»Gut, du erzählst mir, wieso du dich nicht bei Irene gemeldet hast, und ich sag dir, weswegen Trey so komisch ist.« Er starrte weiterhin konzentriert auf die Straße, während er weitersprach.

»Irene hat schon wieder Albträume. Sie ist noch immer nicht okay, seit dem ...« Matt unterbrach sich, doch Julian verstand.

»Ja, ich schätze, das sind wir alle nicht.«

Sie passierten einige Felder, ein Fuchs rannte vor ihnen über die Straße. Matt bremste umsichtig, doch das Tier passierte die Straße flott. Matt seufzte.

»Okay, hör zu. Ich – ich versteh nicht viel von diesen Dingen. Aber hast du – ich meine, habt ihr, also du und Irene?« Diesmal unterbrach Julian ihn, ehe er sich in einen Wirbel hineinreden konnte.

»Nein, oh nein, wir – nein, haben wir nicht.« Er schüttelte heftig den Kopf. Seine Reaktion war derart seltsam, dass Matt misstrauisch wurde, doch er hielt sich mit einem Kommentar zurück.

»Wir haben nicht miteinander geschlafen.« Er fuhr sich durch die kurzen Haare.

»Ich habe nur etwas gesagt, damit sie mich gehen lässt. Als du im Krankenhaus warst, wollte sie mit mir reden – wollte mich dazu bringen, ins Haus zu kommen, wegen der Kälte, aber ich konnte nicht. Ich wollte zu der Zeit einfach nur weg.« Er warf einen Blick zum Fenster hinaus, betrachtete die Felder. Mais und Weizen schienen dieses Jahr gut zu gedeihen. Der Sommer war endgültig ins Mistydew County eingekehrt.

»Ich musste etwas mit Will klären.«

»Du hast sie also bewusst verletzt«, stellte Matt fest.

»Nein, so war es nicht!«, protestierte er. »Ich meine, sie hat gesagt, ich solle die Gegenwart willkommen heißen, mit der Vergangenheit abschließen, da ich im Hier und Jetzt lebe, also sowas in der Art. Da hab ich ihr eben gesagt, ich müsse was erledigen und ...«, er kratzte sich am Kopf. »Naja, vielleicht hab ich durchklingen lassen, dass sie auch nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen hat.«

»DAS hast du getan? Echt Mann, miese Aktion. Wieso machst du sowas? Es hätte gereicht, wenn du ihr erklärt hättest, worum es dir geht.« Er stieg aufs Gas. »Verdammt noch mal, wieso könnt ihr nicht einfach wie normale Menschen miteinander reden?« Er erhöhte weiterhin das Tempo.

Julian starrte nervös auf den Geschwindigkeitsmesser.

»Ähm, könntest du, könntest du ein bisschen langsamer fahren?«

»Wieso? Du liebst doch das Rasen«, stieß Matt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Ja, aber nur wenn ich fahre.«

Matt drosselte das Tempo ein wenig.

»Okay, ich sag‘s dir nur einmal. Wenn du nicht vorhast hierzubleiben, dann solltest du gleich wieder abhauen, denn Irene schafft es kein weiteres Mal, wenn du nochmal gehst.«

Julian runzelte die Stirn. Das klang seltsam.

»Ich verstehe nicht, was du meinst.« Doch, das tat er. Er wusste, dass Matt einen sechsten Sinn für die Empfindungen seiner Mitmenschen besaß.

»Du solltest lieber nicht wieder weggehen. Wenn du sie noch mal verletzt, egal aus welchem Grund, dann bekommst du es mit mir zu tun.«

Julian nickte. Inzwischen wusste er, wann Matt es ernst meinte.

»Alles klar. Ich red mit ihr, also wenn sie mit mir reden will.« Er warf einen kurzen Seitenblick auf seinen Freund und verdrehte die Augen.

»Ich werd nirgendwo hingehen, und du weißt das auch.«

Matt stimmte zwar nicht zu, aber er entspannte sich ein wenig.

»Und jetzt zu dir«, fuhr Julian im Plauderton fort. »Dieser Mechanikerfreund von dir – ein unfreundlicher Typ. Ist mir rätselhaft, weshalb du ihn als Freund bezeichnest.«

Matt seufzte.

»Okay, also gut. Trey und ich, wir kennen uns, seit ich auf Eagleside bin. Er hat Irene damals beim Aufbau der Hauskoppel geholfen und hilft Mel nach wie vor mit Arbeiten in ihrem Haus. Melanie und er – naja, ich glaube, der ist einfach verknallt in sie. Und sie waren ein paar Mal aus«, unsicher fuhr sich Matt durch die dunklen halblangen Haare.

»Irgendwann hat Irene erwähnt, dass Trey und Mel sich nicht mehr treffen. Trey wusste nicht, was falsch gelaufen ist. Melanie hat sich zurückgezogen. Da Irene immer so Anspielungen macht, du weißt schon, als ob Mel auf mich steht und sowas, da hat er wohl angenommen, ich hätte – irgendwas damit zu tun.«

Julian grinste. Zum ersten Mal seit seiner unfreiwilligen Rückkehr fühlte er sich wieder wie zuhause.

»Du bist ja ein richtiger Casanova. Wer hätte das gedacht.« Er hatte Mel noch immer nicht kennengelernt, doch er wusste, dass Irene ständig Matt von Melanie Grüße ausrichten ließ.

Matt lenkte den Wagen an den Straßenrand und hielt an.

»Ich habe Trey immer wieder versichert, dass nichts dran ist, an den Gerüchten, okay? Und wenn du nur ein Wort zu Irene sagst, oder zu Melanie, dann bekommst du Ärger.« Seine Augen funkelten warnend.

Julian grinste noch immer.

»Sieh mal einer an, zwei Drohungen an einem Tag. Alles klar, Cowboy.« Julian wurde wieder ernst. »Hey, pass nur auf, dass der Kerl dich nicht in Schwierigkeiten bringt.« Er warf Matt einen prüfenden Blick zu.

»Hm, es klang vorher so, als ob du versucht hast, Irene in den Vordergrund zu rücken, anstelle von Mel.«

Matts Hände verkrampften sich um das Lenkrad, doch Julian ignorierte es.

»Sah fast danach aus, als ob du ihm das Gefühl geben wolltest, du hättest an Irene Interesse und nicht an Mel.« Etwas an dem letzten Satz irritierte Julian. Es war nur so ein kleines Gefühl, doch er tat es rasch wieder ab. Er war angeschlagen und schob all seine wirren Gedanken auf seinen Zustand.

Matt schluckte.

»Naja, ich wollte nicht, dass er denkt, Mel und ich hätten etwas miteinander. Okay?«

»Fabelhaft, Cowboy. Deswegen blieb dir wohl nichts anderes übrig, als ihn denken zu lassen, du und Irene hättet etwas miteinander. Ich versteh schon.« Schon wieder dieses Gefühl, eine Ahnung, dass hier mehr dahinter steckte, als man erkennen konnte.

»Keine blöden Bemerkungen deswegen, okay?« Matt seufzte. »Lassen wir das Thema. Sag mir lieber mal, was mit dir passiert ist.« Sein Blick fiel auf Julians Arm. Er hatte auf jeden Fall Schmerzen.

Julians Kiefer mahlten, doch er zwang sich dazu, zu antworten.

»Ich hab ein Mädchen aus einer Badewanne gezogen.« Er rieb sich über die Augen.

»Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten.« Er schluckte schwer.

»Ich bin – ausgerutscht und hab mir dabei die Schulter verletzt.«

»Mann. Tut mir echt leid.« Matt war bestürzt. Er hatte mit allem Möglichen gerechnet, nur nicht mit einer solch klaren Aussage.

Julian starrte aus dem Seitenfenster.

»Sie wird es überleben.« Er erzählte nicht, was er gefühlt, oder woran er gedacht hatte.

Matt warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.

»Schwere Sache. Niemand weiß, was danach kommt.« Er bog auf den nächsten Highway Richtung Cedars ab und beschleunigte.

»Ich meine, wir wissen alle nicht, was noch kommt.«

Als sie endlich auf den Parkplatz vom Fairmont Inn rollten, war es bereits früher Abend.

»Ich zeig dir erstmal unser Zimmer, dann werde ich Irene anrufen müssen.« Er seufzte tief. »Schätze, sie ist irgendwo unterwegs, aber ich muss ihr zumindest einen Hinweis geben.«

Gemeinsam betraten sie das Foyer des Hotels.

»Ich meine, sie sollte wissen, dass du wieder hier bist. Den Rest musst du selbst erledigen.«

Julian nickte.

»Ja, ich weiß.« Wie Irene seine Rückkehr aufnehmen würde, konnte er nicht sagen, doch er musste einfach abwarten. Irgendwann würde er seine Chance bekommen, alles zu erklären.

Der Portier wirkte nicht überrascht, als Matt um einen weiteren Schlüssel für das Zimmer bat. Julian trug sich freiwillig in die Zimmerliste ein.

Nachdem er seine notdürftig verpackten Sachen im Zimmer verstaut hatte, begab er sich mit Matt in die großzügig ausgelegte Hotelbar.

Kaum hatten sie sich gesetzt, piepste Matts Mobiltelefon.

Erstaunt warf er einen Blick darauf.

»Eine Nachricht von Irene.« Er wirkte ein bisschen verwirrt, als er sie öffnete. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Aus Erstaunen wurde Sorge und danach Ärger.

»Die ist vollkommen durchgeknallt.« Kopfschüttelnd zeigte er Julian das Bild, das Irene ihm geschickt hatte.

»Mann, wenn die beiden erwischt werden, dann ...«

Julian zog beim Anblick des Handy-Bildes erstaunt die Augenbrauen hoch. Er war sich nicht ganz sicher, ob er tatsächlich richtig sah, also nahm er Matt einfach das Mobiltelefon aus der Hand, um sich das Foto noch einmal genauer anzusehen.

»Oha, na sowas.« Julian vergrößerte das Bild. Verblüfft starrte er auf das Foto, dass Irene ihrer Nachricht zugefügt hatte. Er erkannte einen Büroraum. Doch das Innendekor war alles andere als bürokonform. Überall hing Unterwäsche herum. Nicht irgendeine Unterwäsche, sondern besonders hübsche Teile in Rot, dunkelblau und schwarz. Er stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen hervor.

»Hör schon auf, Mensch.« Matt nahm ihm das Mobiltelefon aus der Hand.

»Das kann Ärger geben.«

Julian zuckte mit den Schultern.

»Wieso denn? Ist – ist doch hübsch, ich meine, es passt nicht so richtig zu einem Büro, aber sonst.«

Matt schüttelte mit dem Kopf.

»Du kapierst gar nichts, oder? Das ist das Büro von ‚Cool Atlantics‘.«

Julian starrte ihn fragend an.

»Cool Atlantics? Na und?« Er verstand nicht, worauf Matt hinaus wollte.

»Jul, Cool Atlantics ist die Firma von John Brighton. Klingelt‘s da jetzt endlich bei dir?«

»Oh«, war alles, das Julian dazu einfiel.

John Brighton war Irenes Exfreund. Julian hatte ihn im Herbst kennengelernt. Stirnrunzelnd dachte er an diese Begegnung zurück.

Gezwungenermaßen hatten Julian und Irene nach dem Einbruch eines vorwinterlichen Schneesturmes in Stormy Mills in einem Motel übernachten müssen.

Gerade zu der Zeit war Stormy Mills voll mit Leuten einer großen Kältetechnik–Firma, die ihre Firmenfeier dorthin verlegt hatten, nachdem ihr Hotel in einer anderen Ortschaft unbewohnbar geworden war.

Erst am nächsten Tag, als Irene und Julian gezwungenermaßen im Darkstone Inn frühstückten, trafen sie auf John Brighton, der in der Firma ‚Cool Atlantics‘ eine hohe Stellung innehatte. Diese Begegnung war unschön verlaufen, und hatte damit geendet, dass Julian und John aneinandergeraten waren.

»Was hat sie denn mit dem Kerl noch am Hut?«, wagte er dennoch zu fragen.

»Nichts! Das ist es ja gerade!« Matt zuckte mit den Schultern.

»Sie rächt sich nur! Tobt sich aus.« Schwer seufzend lehnte er sich zurück.

»Sie war lange Zeit nicht draußen, ich meine, sie hat sich auf der Ranch zurückgezogen, seit du weg bist ...« Er brach abrupt ab. Soviel hatte er nicht sagen wollen.

Julian horchte auf.

»Seit ich weg bin?«

Matt fuhr sich durch die dunklen Haare.

»Ja, seit du weg bist, hat sie immer wieder davon geredet, dass sie auch mit ihrer Vergangenheit abschließen muss.« Matt zog die Augenbrauen hoch.

»Dass sie so etwas vorhat, wusste ich nicht. Ich hätte sie garantiert davon abgehalten.«

Julian lächelte knapp.

»Oh ja. Sie wusste das, deswegen hat sie dir nichts gesagt.«

»Wieso sagst du das so komisch?«

»Ganz einfach, du kannst gar nicht anders. Vermutlich bist du deswegen auch auf Eagleside. Schätze, du hast sie mehrmals davon überzeugt, keine Dummheiten zu machen. Schon okay. Aber in dieser Sache muss sie ihr Ding selbst machen. Sie ist erwachsen. Sie weiß schon, was sie tut.« Er dachte an den Morgen nach dem Schneesturm im Hotel. Dieser Brighton verdiente eigentlich viel Schlimmeres als verstreute Dessous in seinem Büro.

Matt runzelte die Stirn.

»Sie ist unberechenbarer als früher. Das kann auch ins Auge gehen.«

Julian hörte Besorgnis in seiner Stimme, doch er fand es übertrieben.

»Klar, könnten sie erwischt werden. Aber die Sache an sich ist kein Thema. Die Kältefirma wird sicher Kundenverkehr haben. Schätze, sie sind nicht mal unbefugt eingedrungen. Aber wenn du magst, frag ich Will.« Im gleichen Moment fiel ihm ein, dass er eigentlich auf den alten Mann sauer war und sein Gesicht verdunkelte sich.

Matt grinste.

»Ja, klar. Will, der dich ausgesetzt hat, schon wieder einmal.«

Matt wurde wieder ernst.

»Vielleicht hast du Recht. Ich hoffe es für Irene. Denn wenn die unbefugt in das Büro rein sind, kommen die nicht so leicht davon.«

Julian wagte einen Einwand.

»Vorausgesetzt sie werden erwischt, außerdem muss man ihnen erst eine Straftat nachweisen, und mal ehrlich: Ich seh da kein Problem. Sie hat einfach Unterwäsche dagelassen.« Er kratzte sich am Kopf. Dessous von Irene waren eigentlich nicht gerade das, woran er jetzt denken wollte, aber die Idee dahinter gefiel ihm. Brighton würde Augen machen.

Matt winkte dem Kellner und bestellte zwei Bier.

»Hör auf so zu grinsen. Diese Aktion passt irgendwie nicht zu ihr, also hoffen wir das Beste. Sie war ja auf diesem Vortrag. Dort scheint alles gut gelaufen zu sein. Ken Larsson hat sie aus einer Zwickmühle befreit.« Kaum war es heraußen, wünschte er, er hätte nicht ausgerechnet jetzt von dem Rancher angefangen, doch Julian hatte aufgepasst.

»Wer ist Ken Larsson?«

Matt seufzte.

»Ach, so ein Rancher aus Moosecreek. Netter Typ. Irene kauft ein Pferd bei ihm, wenn es dem Fohlenalter entwachsen ist.«

»Aha«, war alles, was Julian dazu einfiel.

Matts Zögern fiel ihm dennoch auf.

»Er steht auf sie, stimmt’s?«, fragte er gerade heraus.

»Schwer zu sagen.« Matt zuckte mit den Schultern. »Kann sein, aber es macht keinen Unterschied, weil sie sich nicht auf irgendwelche Rendezvous einlässt. Sie geht nicht aus, hat sich in den letzten Monaten auf der Ranch eingenistet, als gäbe es keine andere Welt rundherum.«

»Rendezvous? Dieses Wort gibt es noch immer?« Julian grinste.

»Sie verabredet sich nicht, hat nie ein Date. Mann, nenn es doch, wie du willst«, grummelte Matt missmutig.

Kaum standen die Getränke am Tisch, piepste sein Telefon erneut.

Eine weitere Nachricht von Irene. Matt las sie rasch, ehe er erleichtert aufatmete.

»Gott sei Dank. Sie haben es geschafft.«

Julian grinste und hob sein Bier an.

»Darauf trinken wir.«

Für einen Moment fiel die leichte Anspannung von Matt ab, die ihn beherrscht hatte, seit sie bei Trey Carter gewesen waren.

»Sie werden bald hier sein, Jul. Überleg dir schon mal, was du sagst.« Er hatte noch keine Möglichkeit gefunden, Irene vorzuwarnen. Sollte er eine Nachricht schreiben? Sie anrufen? Irgendwas in der Richtung? Er war ratlos. Was würde geschehen, wenn sie auftauchte, und Julian hier sitzen sah?

Julian, der ihm seine Unsicherheit anmerkte, hob sein Glas erneut an.

»Keine Sorge, Matt. Lass sie einfach kommen. Mehr als davonlaufen kann sie nicht, und wenn sie das tut, renn ich ihr hinterher. Du weißt ja, ich bin schneller, auch mit dieser Schulter.«

Matt rieb sich über die Stirn.

»Ach, ich weiß nicht. Ich kann sie nicht mehr so gut einschätzen wie früher. Sie ist anders. Hat sich mehr in sich zurückgezogen, seitdem ...« Wieder sprach er es nicht aus, doch Julian hatte genug davon.

»Was ist? Sind wir hier bei Harry Potter?« Er verlieh seiner Stimme einen dumpfen, unheilvollen Klang.

»Lord Voldemort, der dunkle Lord.« Dann wurde er ernst. »Sag es einfach, okay? Sag einfach: seit der Wendigo uns gejagt und Asku getötet hat.« Er sah sich bewusst übertrieben um.

»Siehst du? Nichts ist passiert! Er kommt nicht wieder. Der Wendigo kommt nicht wieder.«

Matt erstarrte.

»Du hast keine Ahnung, was los ist, oder?«, sagte er leise. »Du warst weg, einfach so!« Seine Stimme wurde ein wenig lauter, doch er vermied es, zu schreien. Dennoch war er aufgebracht.

»Wir hätten so viele Fragen gehabt, hätten dich hier gebraucht, damit du uns erzählst, was los ist. Wir hatten nur uns, verstehst du? Irene und ich hatten nur uns! Wir konnten mit niemand anderem darüber reden, was passiert ist, weil es hier niemanden gibt, dem wir die Wahrheit hätten erzählen können! Ist dir klar, was das heißt? Wochenlang haben wir die Story von einem Grizzlybären aufrechterhalten. Polizei, Ranger, Reporter – die Hölle war los. Tage – Nächtelang sind die Telefone heiß gelaufen. Irene ist für einige Tage nach Pinedale zu Melanie geflohen, sie hat die Festnetznummer der Ranch geändert, falls du das mitbekommen hast. Falls du dich überhaupt dafür interessiert hast! Nur weil Irene bei der Cedars Tribune arbeitet, haben wir hier wieder Ruhe. Lambeck hat sich dafür starkgemacht, uns sämtliche Reporter vom Hals geschafft, doch dafür hat Irene den Exclusiv–Bericht geschrieben. Verstehst du, was das für ein Opfer ist? Sie, die hauptsächlich in den Rancher- und Cowboymagazinen Artikel über Pferde, Ernten, Rancherproblematiken schreibt, hat in wenigen Stunden einen Bericht über einen Grizzlybären geschrieben, der einen alten Freund von ihr getötet hat.«

Julian schwieg. Was in ihm vorging, konnte niemand erkennen. Doch in seinem Inneren tobte ein Sturm der Gefühle. Er wusste genau, wie traumatisiert man nach einem solchen Erlebnis war, wie sehr ein Mensch an solchen Dingen zerbrechen konnte. Niemals hatte er gewollt, dass Irene ein solches Los wiederfuhr. Kein Mensch sollte so etwas Schreckliches erleben müssen.

Matt lehnte sich über den Tisch. Seine Augen funkelten bedrohlich.

»Sie hat Albträume, hat die ganze Zeit über die Ranch nicht mehr verlassen. Etwas in ihr ist zerbrochen und du warst nicht hier, um zu helfen!«

Matt hatte es endlich ausgesprochen. Die Anspannung, die sich die ganze Zeit zwischen ihnen aufgestaut hatte, verpuffte endlich.

Julian erstarrte merklich. Seine Kiefermuskeln verhärteten sich.

Er nahm sein Bier und trank es in einem Zug aus, ehe er seinen Sessel zurückschob und sich erhob.

»Ja, ich weiß. Ich weiß genau, was passiert, wenn man zerbricht.«

Er nickte knapp. Seine Gesichtszüge wirkten hart im blauweißen Licht der Bar.

»Doch ich setze etwas Wichtiges voraus, dass dir anscheinend nicht klar ist. Wenn etwas zerbrochen ist, dann kann man immer noch versuchen, es zu reparieren.«

Nach diesen Worten verließ er die Hotelbar und ließ Matt betroffen zurück.

Besorgt sah er ihm nach. Das konnte noch heiter werden. Julian war wieder da und Irene wusste noch nichts davon, und er saß hier allein herum, und musste sich überlegen, wie er es ihr beibringen sollte.

Wieso nur hatte er so heftig reagiert? Immerhin war Julian hierher mitgekommen, und weshalb sollte er das tun, wenn er nicht vorhatte, zu bleiben?

MISTY DEW 3

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