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Der Hierophant in der kollektiven Erinnerung

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– Tiefergehende Erkenntnisse –

Der Hierophant als Verkünder des Neuen Æons

Seit Äonen steht die Zahl Fünf für das 5. Element, die Quinta Essentia – jenes Element, das das Ganze zu mehr als der Summe seiner Einzelteile macht. Noch heute bezeichnen wir den Sinn und Zweck eines Ganzen als dessen Quintessenz. Was kann der Hierophant also anderes sein als ein Verkünder dessen, was als Sinn und Zweck des Ganzen zu betrachten ist, Ver–ein–igung und Eins-Werdung, und wie sollten wir in dieser Karte etwas anderes vermuten als die Aufforderung von Gottes Sprachrohr: Vertraue meiner Lehre und gehe hin, um das, was du haben wirst, zu verbinden mit dem, was dir noch fehlt!


Der Hierophant ist der Lehrer, der uns lehrt, in endlosen Monologen mit uns selbst zu sprechen, ohne dass wir es merken. Es geht darum, beständig zu wiederholen, was er uns aufdrückt, damit wir das, was er uns sagt, auch verinnerlichen können. Indem er uns seine Botschaft wie eine kollektive Wahrheit, eine gemeinsame Übereinstimmung oder wie ein geistiges, uns an der Hand ins Paradies führende Treppengeländer nachbeten lässt, gelingt es ihm, dass wir das, was wir aus uns heraus wollen, mit seinem Inhalt verbinden, unseren eigenen Willen also mit seiner Botschaft verschmelzen und damit genau das tun, was er als geistigen Weg in uns weckt. Diese seelischen Geländer sind auf solch illustre Namen wie Jesus, Mohammed, Buddha, Großer Adler, Goldener Drache, Coca Cola, Microsoft, McDonald’s oder auch Gerechter Krieg getauft, je nach den Prägungen, auf die wir hören, weil sie uns in unserem Prozess der Selbstfindung aufoktroyiert worden sind. In dem Augenblick, in dem es darum geht, einen höheren Sinn zu entdecken, fühlt sich das Ego gezwungen, diesen Sinn zu interpretieren. Das Ergebnis ist nicht nur das Abbild eines Gottes oder einer Currywurst, sondern auch eine mitgelieferte Landkarte, die uns zeigt, wo das gewünschte Ziel zu finden ist. Diese Predigten sind gefährlich, weil sie uns höhere Absichten vermitteln, die nur unter der Kontrolle der entsprechenden Oberhirten zu finden sind. Das ist es, was uns Crowley sagen möchte, wenn er behauptet, dass es besser wäre, wenn Horus schweigt. Deshalb zeigt uns XX – Der Æon den Gott des Schweigens, der als Horus das Kind in Form eines Pentagramms auf der Brust des Hierophanten erscheint und uns auffordert, nicht von der höchsten Form spirituellen Wissens und der Einweihung zu sprechen, um das Geheimnis nicht zu entweihen. Denn: Welche Erkenntnisse sollten wir aus Illusionen ziehen, die wir nicht als Illusionen erkennen?


Die Frau mit dem Schwert (Die Rückseite der Scharlachhure)

Vor dem Hohepriester erhebt sich in winziger Gestalt die mit dem Schwert gegürtete Frau, die Hüterin des Neuen Æons, die hier – obwohl noch gar nicht voll entwickelt – im Vorgriff auf ihre künftige Position in VIII – Ausgleichung sein (zukünftiges) Ende andeutet: das Ende des Osiris-Zeitalters. Es ist die zukünftige Priesterin, die den Hierophanten ersetzt und an seiner Stelle das Neue Zeitalter einläutet. Dabei hält sie das Schwert des Willens10 mit der Spitze zur Erde als Zeichen kontrollierender Stärke mit der rechten Faust umklammert, so als wolle sie uns sagen: Liebe ist das Gesetz – Liebe unter Willen.

Doch aufgepasst: Die Frau mit dem Schwert ist im Grunde keine selbstständige Gestalt, sondern eine Hybride, die Crowley in seinem Kopf nach seiner Vorstellung als weiblicher Erlösertyp »zusammengebaut« hat – eine Frau auch, deren Klarheit mehr der männlichen Logik entlehnt als auf dem inneren Empfinden einer Frau aufgebaut ist. Das heißt, sie wird durch die Augen Crowleys als ein Aspekt der männlichen Erfahrung des Ewigweiblichen gesehen, also so, wie sich Crowley sein subjektives Bild der Göttin vorstellt. Denn keiner, der mit weiblichen Archetypen arbeitet, wird im Ernst glauben, dass die archetypische Gottheit auf sexistische Aufforderungen wie … und ihre Augen sollen vor Verlangen brennen, wenn sie nackt und frohlockend in meinem geheimen Tempel steht reagiert, auch wenn sie das Buch des Gesetzes (I/​62) befiehlt. Deshalb hat dieses Bild notgedrungen mehr mit seinem Schöpfer als mit seinem Geschöpften gemein. Jedes Symbol der Stärke, wie es sich Crowley vorstellt, domestiziert die Frau, ohne dass er es merkt. Das zeigt, er kann nicht verstehen, dass jeder Frauentyp, der sich in seine persönliche Vorstellung integriert, nichts mit dem zu tun hat, was man eine Göttin nennen mag, und umgekehrt das, was er zum Bild einer Göttin erkürt, nur eine Schimäre ist, die mit seinem komplizierten Frauen-Suchbild (Anima) korrespondiert.

Im Grunde entspricht sie der anderen Seite der Scharlachfrau, dem Bild seiner inneren Hure, die sich mit dem Tier verlustiert. In ihrer besten Form entzieht sie sich als Frau mit Schwert seinen sexuellen Neurosen. Andererseits trägt sie als mächtiger »Erzengel« dazu bei, die Grundlagen für ein Neues Zeitalter zu errichten. Sie ist die Trägerin seiner inneren Schöpferkraft, Muse und Inspiration, die sich ihre Anerkennung aus dem Umstand verdient, dass sie sich ihm nicht unterwirft.

Die drei Ringe (Das Zeitalter des Sterbenden Gottes)

Crowley schreibt: Es ist unmöglich, diese Karte zur gegenwärtigen Zeit vollkommen zu erklären; denn nur der Lauf der Ereignisse wird uns zeigen können, wie dieser neue Strom der Einweihung sich entwickelt. Ein paar Zeilen später gibt er uns das Zeitfenster bekannt, in dem wir den »Lauf der Ereignisse« überprüfen können, um definitiv festzustellen, wie dieser »neue Strom der Einweihung« sich letztlich auf unsere Zukunft auswirken wird: Die Symbolik des Stabes ist von besonderer Natur; die drei ineinander verwobenen Ringe am oberen Ende des Stabes können als stellvertretend für die drei Zeitalter von Isis, Osiris und Horus betrachtet werden, mitsamt ihren ineinander greifenden magischen Formeln. Der obere Ring ist mit dem Scharlachrot des Horus versehen; die beiden unteren Ringe mit dem Grün der Isis und dem Hellgelb des Osiris. Sie sind alle auf einem Grund von dunklem Indigo aufgetragen, der Farbe des Saturn, dem Herrn der Zeit. Denn die Rhythmik des Hierophanten bewegt sich nur in Zeiträumen von 2000 Jahren.11

Was will er damit sagen? Machen wir den Versuch einer Dechiffrierung: »Jedes zukünftige Erlebnis wird an den Erfahrungen der Vergangenheit gemessen und der Gefühlswert des Zukünftigen damit aus dem Verflossenen assoziiert. Somit ist die zukünftige Erfahrung lediglich das Resultat der Messung neuer Eindrücke an den vergangenen Beobachtungen auf anderen Ebenen, deren Auswirkungen wie die Ringe eines ins Wasser geworfenen Steines sich immer wieder auf die ursprüngliche Prägung beziehen. Zukunft rollt auf der Erinnerung vergangener Erfahrungen, und im Grunde ist Zeit weniger eine sich ausdehnende Geschichte, sondern mehr ein sich immer um die gleichen Brennpunkte herumkreiselnder Energiewirbel, der sich nur durch den körperlichen Verfall wie eine Reihe fortlaufender, sich aufeinander beziehender Entwicklungsschritte anfühlt. Der Stab mit den drei Ringen illustriert diesen Mechanismus, wenn sich die vielen Wege mit zunehmender Dauer immer mehr verdichten und die immer wieder gleichen Bilder durch verschiedene Sichtweisen und Rückblenden zu einer fixen Realität verbinden, die dem Tarotkundigen zeigen, wie simple Bilder durch bloße Vernetzung zu ganzen Vorstellungs- und Empfindungskomplexen im menschlichen Hirn ›realisiert‹ werden.«

Akrons Crowley Tarot Führer

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