Читать книгу "Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25) - Alban Rüttenauer - Страница 9

3. a) Synchronie, sofern diachron reflektiert.

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Jeder Redensart wird eine knappe Darstellung des unmittelbaren Kontextes vorangestellt. Hier können Hinweise auf Literarkritik und diachrone Analyse nicht völlig vernachlässigt werden, auch wenn für eine ausführliche Diskussion kein Raum bleibt. Dafür wird im Wesentlichen auf Zimmerli zurückgegriffen werden. Sein Kommentar23 ist nach wie vor unerreicht hinsichtlich der Vollständigkeit seiner Angaben und der Ausgewogenheit seiner Interpretation, die literarkritische Beobachtungen mit dem einheitlichen Charakter des Buches zu verbinden weiß.24

Sein Fortschreibungsmodell, das einen Grundbestand des Buches von Ezechiel herkommen läßt, den übrigen Teil des Buches aber einem Erweiterungsprozeß zuschreibt, von welchem wiederum ein Teil noch vom Propheten selbst angehängt worden sein konnte, ein anderer aber auf den Kreis seiner Prophetenschüler zurückzuführen ist, hat im allgemeinen Schule gemacht.25 Dieses Modell empfiehlt sich wegen seiner relativen Offenheit und Dehnbarkeit, wodurch es noch einer großen Zahl von Möglichkeiten Raum gibt, wie diese Fortschreibung entsprechend aktueller Erkenntnisse im Einzelnen zu erklären und beschreiben ist.

Natürlich teilen nicht alle Exegeten den Ansatz Zimmerlis. Greenberg26 verzichtet weitgehend auf Literarkritik und verlegt sich auf synchrone Strukturanalysen. Becker geht von einem pseudoepigraphischen Werk der Nach-Exilszeit aus. Er wurde ursprünglich von der Beobachtung geleitet, daß die redaktionellen Teile des Buches meistens gerade die theologisch bedeutsamsten sind und dem Redaktor möglicherweise der Löwenanteil des Buches zukommt.27 Von dort bis zu der Ansicht, daß der Redaktor selbst der eigentliche Autor sei, ist nur ein kleiner Schritt, den einzuschlagen Becker nicht gezögert hat. Positiv ist an seinem Ansatz das Interesse zu vermerken, die eigentliche theologische Aussage des Buches hervorzuheben und der theologischen Reflexion über Prophetie genauso viel Gewicht beizulegen wie dieser selbst.28 Für die Einordnung der zitierten Redensarten in das Buchganze wird dieser Aspekt zu berücksichtigen sein, weil deren Aufgreifen der Suche nach einer angemessenen Interpretation der prophetischen Botschaft verdankt sein könnte. Elemente einer weitergehenden Reflexion sind unverkennbar auch beim Umgang mit den Redensarten zu spüren. Sie zeigen sich schon rein äußerlich in der Formelhaftigkeit der Einleitungen, die auf eine gewisse Distanz zu den unmittelbaren Ereignissen hindeuten könnte. Mehr als die darin angedeuteten faktischen Ereignisse scheint den Propheten deren Einordnung im Verständnis der Leute zu interessieren.

Ob dies aber mit der pseudoepigraphischen Hypothese wirklich zuverlässig - und nicht bloß durch Postulat - zu erreichen ist, bleibt fraglich. Vielleicht wäre Becker besser beraten gewesen, bei der früheren gemäßigten Auffassung zu bleiben, die den theologisch denkenden Redaktor nicht gleich zum Autor macht. Der Begriff der Propheteninterpretation, als Eigentümlichkeit des Ezechielbuches aufgefaßt, könnte in manchem weiter führen als der mit vielen Mißverständnissen belastete der Pseudoepigraphie. Immerhin muß Becker zugestanden werden, für seine pseudoepigraphische Hypothese um größtmögliche Plausibilität bemüht zu sein. Wenn das Buch nicht später als 450 v. Chr. entstanden sein sollte, dann ist es zwar nicht leicht, aber auch nicht unmöglich, eine emotionale Beschäftigung mit knapp mehr als hundert Jahre zurückliegenden Ereignissen anzunehmen.29 Es ist aber auch auf die Schwierigkeit hinzuweisen, daß für Deuterojesaja die Zerstörung Jerusalems und des Tempels kein Thema mehr zu sein scheint, sowie auf den seltsamen Umstand, daß das Ezechielbuch keine direkte Kritik an den Babyloniern zu äußern wagt und sie nur als Vollstrecker des göttlichen Zornes sieht.

Einem pseudoepigraphischen Ansatz neigt auch Schöpflin zu. Mit der rein fiktiv zu verstehenden autobiographischen Darstellung wolle eine für den anonymen Autor bereits länger zurückliegende Epoche wiedergegeben werden.30

Wie bei einer, zumindest was die historische Greifbarkeit der Person Ezechiels selber betrifft, der pseudoepigrapischen nicht unähnlichen Hypothese die theologische Einheitlichkeit des Buches nachgerade entgleitet, davon gibt der redaktionskritische Ansatz von Garscha und Pohlmann Zeugnis. In Ablehnung eines vorgefaßten Prophetenbildes untersuchen sie die Intentionen des mutmaßlichen Redaktors. Sie kommen dann zu dem Schluß, daß es nicht nur einen, sondern mehrere Redaktoren gegeben haben muß, die aus unterschiedlichen und meist entgegengesetzten Perspektiven gearbeitet haben, indem sie die Interessen unterschiedlicher Gruppen, vor allem die der ersten Golah und der Diaspora, vor Augen hatten.31 Man kann fragen, ob dann gegenüber den späteren Redaktionen das ursprüngliche Prophetenbuch nicht hätte stärker gemacht werden müssen, anstatt es fast dahinter verschwinden zu lassen. Denn so wird nicht mehr deutlich, was die Redaktoren an dem Buch so fesselte, daß sie es mit aller Gewalt auf ihre Seite zu ziehen versuchten, anstatt ein neues zu verfassen. Interessant wäre in dem Sinne die Frage, ob sich ursprüngliche Prophetenworte herausschälen ließen, die noch keine Tendenz zu Gruppenegoismus zu erkennen geben.

Der Aufweis von Spannungen kann wertvoll sein, wenn er die Aussicht auf eine höhere Synthese, in der sie zur Einheit gelangen, steigert. Er wirkt um so unbefriedigender, wenn die Spannungen bloß ins Leere laufen und die Frage nach dem Warum und dem Wozu unbeantwortet lassen. Die Idee einer hundertjährigen Glaubensgeschichte32 ist ein schöner Gedanke, doch wenn die Redaktoren nur gegeneinander geschrieben hätten, fehlte gerade das Entscheidendste daran: das Gemeinsame und Kontinuierliche innerhalb dieses Glaubens. Indes ließe sich dieser Mangel beheben, wenn in Zukunft mehr herausgearbeitet würde, wo die Redaktoren vielleicht aufeinander aufbauen und insofern wirkliche Glaubenserfahrungen statt kollektiver Interessen zum Ausdruck bringen.33

Hossfeld hat seinerseits ein Schichtenmodell versucht, das, von der Literarkritik Zimmerlis ausgehend, doch zugleich darüber hinausgeht, insofern die Fortschreibungsidee mit ihrer Vorstellung einer organischen Entwicklung die Unterscheidung von Schichten nicht unbedingt notwendig macht. Hossfeld rechtfertigt jedoch sein Schichtenmodell mit Seitenblick auf die allzu globale Gegenüberstellung von Ezechiel und seiner Schule.34 Er bezieht dazu auch Parallelen zur deuteronomistischen Literatur und Jeremia mit ein, die Zimmerli noch mit einer größeren Zurückhaltung betrachtet hat.35 Hossfeld gibt interessante Anstöße, wie der Fortschreibungsprozess im Konkreten ausgesehen haben könnte. Um bei den kompositionskritischen Beobachtungen, in deren Verfolg der Text des Ezechielbuches in seiner Endgestalt in erster Linie mit sich selbst verglichen wird, nicht durch vorangehende Festlegungen eingeschränkt zu sein, wird auf das Schichtenmodell im Verlauf der Untersuchung nicht eigens eingegangen werden können. Erst am Ende der Untersuchung könnte überprüft werden, inwieweit die gewonnenen Ergebnisse mit dem Schichtenmodell Hossfelds in Einklang zu bringen sind, wozu in dieser Arbeit selber jedoch kein Raum mehr sein wird. Wertvoll auch für die Beschäftigung mit den Redensarten und ständig im Hinterkopf zu behalten ist Hossfelds Hinweis auf die im Buch waltende Spannung zwischen synchroner Zweiphasigkeit (Verkündigung gegenüber Exilierten bzw. gegenüber Jerusalemern) und diachroner Zweiphasigkeit (Verkündigung vor bzw. nach der Zerstörung Jerusalems).36 Insofern Phase immer schon ein diachroner Begriff ist, soll hier vereinfachend von Zweiphasigkeit (=diachroner Zweiphasigkeit) und Zweigleisigkeit (=synchroner Zweiphasigkeit) gesprochen werden.

Alles in Allem, da die diachrone Betrachtung hier nicht erstes Thema ist, darum auch nicht in die entsprechende Diskussion eingestiegen werden kann, soll für die Beherzigung des Kontextes zuerst von Zimmerli ausgegangen werden. Interessante Beobachtungen abweichender Ansätze werden nur hier und da ergänzungsweise herangezogen.37

Der Befund des Ezechielbuches ist doch so verwickelt, daß allzu einseitige und glatte Lösungsvorschläge nicht überzeugen können. Es ist der erlebnismäßigen Nähe zu historischen Ereignissen,38 wie der gleichzeitigen Abstandnahme durch reflektierte Aufarbeitung gleichermaßen Rechnung zu tragen. Das Zusammenspiel von Prophet und Prophetenschule bildet noch immer das natürlichste und ungezwungenste Erklärungsmodell dazu.

Es braucht nicht betont zu werden, daß Zimmerlis Ansatz als Arbeitshypothese und nicht als Dogma zugrunde gelegt wird, wie ihn wahrscheinlich schon der Urheber selbst verstanden hat. Es geht ja nur darum, nach aristotelischem Grundsatz das Bekannte, in diesem Fall den Text in seiner rezipierten Endgestalt, zum Ausgangspunkt zu nehmen, von dem aus vorsichtige Reflexionen über das Unbekannte, nämlich seine Entstehungsgeschichte, angestellt werden. Eine solche Hermeneutik des reflektierten Vertrauens könnte mit einer Hermeneutik des experimentierenden Verdachts, wie man das Verfahren der redaktionskritischen Methode nennen könnte, durchaus in einen fruchtbaren Dialog treten, solange beide Ansätze um ihre Grenze wissen und sich nicht ideologisch vermauern.39



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