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ES GIBT EINE LÖSUNG

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Wir Anonymen Alkoholiker kennen Tausende von Männern und Frauen, die einst genauso hoffnungslos waren wie Bill. Fast alle sind genesen. Sie haben das Trinkproblem gelöst.

Wir sind Durchschnitts-Amerikaner. Alle Schichten und viele Berufe sind bei uns vertreten wie politische, wirtschaftliche, soziale und religiöse Richtungen. Wir sind Menschen, die normalerweise keinen Umgang miteinander hätten. Jedoch besteht zwischen uns eine Gemeinschaft, ein gegenseitiges Wohlwollen und Verständnis. Das ist unbeschreiblich schön. Wir fühlen uns wie Passagiere eines Ozeanriesen nach der Rettung aus Seenot, wenn Verbrüderung, Lebensfreude und Gemeinschaftsgefühl das Schiff erfüllen, vom Maschinenraum bis zur Kommandobrücke. Im Gegensatz zu den Schiffspassagieren hört unsere Freude über das Entkommen aus der Katastrophe nicht auf, wenn wir nachher wieder unsere eigenen Wege gehen. Das Gefühl, gemeinsam eine Gefahr durchstanden zu haben, ist ein Teil der Kraft, die uns verbindet. Doch das allein würde uns nie so zusammengehalten haben, wie wir heute zusammenstehen.

Für jeden von uns ist es eine überwältigende Tatsache, dass wir eine gemeinsame Lösung gefunden haben. Wir haben einen Weg gefunden, über den wir uns völlig einig sind und auf dem wir brüderlich vereint und in voller Harmonie weitergehen. Das ist die gute Nachricht, die dieses Buch den Menschen bringt, die noch unter Alkoholismus leiden.

Eine derartige Krankheit – wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass es eine Krankheit ist – beeinträchtigt unsere Umgebung so wie keine andere Krankheit. Hat jemand Krebs, wird er von allen bemitleidet und keiner ist verärgert oder verletzt. Nicht so aber bei der Alkoholkrankheit, denn mit ihr geht eine Vernichtung aller Dinge einher, die den Wert des Lebens ausmachen. Sie zieht alle mit herunter, deren Leben mit dem Leidenden verbunden ist. Diese Krankheit hat in ihrem Gefolge: Missverständnisse, tiefe Verärgerung, finanzielle Unsicherheit, angewiderte Freunde und Arbeitgeber, ein grausames Leben unschuldiger Kinder, unglücklicher Frauen und Eltern. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Wir hoffen, dass dieses Buch diejenigen informiert und tröstet, die betroffen sind oder jemals betroffen sein könnten. Davon gibt es viele.

Hoch qualifizierte Psychiater, die mit uns zu tun hatten, waren manchmal nicht in der Lage, einen Alkoholiker dazu zu bringen, rückhaltlos über seinen Zustand zu sprechen. Seltsamerweise finden Ehefrauen, Eltern und nahe Freunde uns Alkoholiker gewöhnlich noch unzugänglicher als der Psychiater und der Arzt.

Wenn aber ein früherer Problemtrinker diese Lösung gefunden und wenn er sich mit den Tatsachen über sich selbst ausgerüstet hat, dann kann er im Allgemeinen das rückhaltlose Vertrauen eines anderen Alkoholikers in wenigen Stunden gewinnen. Ehe nicht ein solches Verstehen zustande gekommen ist, kann wenig oder nichts erreicht werden.

Derjenige, der auf den Alkoholiker zugeht, hatte die gleichen Schwierigkeiten und weiß, wovon er spricht. Aus der ganzen Haltung seines Gesprächspartners erkennt der Betroffene, dass das der Mann mit einer echten Antwort ist. Dieser Mann hat nicht die Einstellung: „Ich bin besser als du!“ Er hat nur den aufrichtigen Wunsch zu helfen. Es sind keine Beiträge zu zahlen, es werden keine eigennützigen Zwecke verfolgt, es wird niemandem schön getan, es müssen keine Moralpredigten ertragen werden. Das sind die wirksamsten Voraussetzungen dafür, dass jemand aufstehen und wieder leben kann.

Niemand von uns empfindet diese Arbeit als einzige Berufung. Wir glauben auch nicht, dass wir erfolgreicher wären, wenn wir es täten. Wir glauben, dass das Aufhören mit dem Trinken nur ein Anfang ist. Viel wichtiger wird es sein, unsere Grundsätze daheim, im Beruf und in allen unseren Angelegenheiten vorzuleben. Wir alle verbringen viel von unserer freien Zeit im Bemühen um andere Alkoholiker, was wir noch näher beschreiben werden. Nur wenigen ist es möglich, nahezu ihre gesamte Zeit dieser Aufgabe zu widmen.

Wenn wir auf dem Weg bleiben, den wir beschritten haben, wird zweifellos viel Gutes erreicht; dennoch ist damit kaum mehr als die Oberfläche des Problems angekratzt. Diejenigen von uns, die in großen Städten leben, sind betroffen bei dem Gedanken, dass täglich Hunderte von Alkoholikern in Vergessenheit geraten. Viele könnten genesen, wenn sie die Gelegenheit hätten, wie wir sie gehabt haben. Wie können wir das weitergeben, was uns so bereitwillig gegeben wurde?

Wir haben beschlossen, anonym ein Buch zu veröffentlichen, in welchem wir das Problem so darstellen, wie wir es sehen. In diese Arbeit werden wir unsere gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse einbringen. Wir empfehlen damit ein brauchbares Programm für jeden, der ein Problem mit dem Trinken hat.

Es ist notwendig, dass medizinische, psychiatrische, gesellschaftliche und religiöse Fragen diskutiert werden. Dabei sind wir uns bewusst, dass diese Themen von ihrer Substanz her oft strittig sind. Nichts würde uns mehr Freude bereiten, als ein Buch zu schreiben, das keinen Anlass für Streit und Auseinandersetzungen gibt. Wir werden unser Bestes tun, dieses Ideal zu verwirklichen. Die meisten von uns spüren, dass echte Toleranz gegenüber Fehlern und Ansichten anderer Menschen und die Achtung vor ihren Meinungen eine Einstellung ist, die uns für andere nützlicher macht. Für uns Alkoholiker hängt das Leben im wahrsten Sinne des Wortes davon ab, dass wir ständig an andere Alkoholiker denken und nach Wegen suchen, ihnen aus der Not zu helfen.

Sie werden sich sicher schon gefragt haben, warum wir alle vom Trinken schwer krank wurden. Sie sind ohne Zweifel neugierig, wie und warum wir, trotz gegenteiliger Ansicht von Fachleuten, von einem hoffnungslosen geistigen und körperlichen Zustand genesen konnten. Wenn Sie Alkoholiker sind und mit dem Trinkproblem fertig werden wollen, werden Sie vielleicht fragen: „Was muss ich tun?“

Dieses Buch soll diese Fragen eingehend beantworten. Wir werden Ihnen erzählen, was wir getan haben. Bevor wir darauf im Einzelnen zu sprechen kommen, wird es gut sein, einige Punkte zusammenzufassen, so wie wir sie sehen.

Wie oft hat man uns gesagt: „Ich kann Alkohol trinken oder stehen lassen. Warum kann er es nicht?“ „Warum trinkst du nicht wie ein normaler Mensch – oder lässt es ganz?“ „Dieser Bursche kann mit Schnaps nicht umgehen.“ „Warum versuchst du es nicht mit Bier und Wein?“ „Lass die Finger von harten Sachen!“ „Er muss willensschwach sein.“ „Er könnte aufhören, wenn er nur wollte.“ „Sie ist so ein nettes Mädchen, ich könnte mir vorstellen, dass er ihretwegen aufhört.“ „Der Arzt hat ihm gesagt, wenn er je wieder trinken würde, wäre das sein Tod, trotzdem ist er schon wieder voll.“

Das sind die üblichen Bemerkungen über Trinker, wie wir sie ständig hören. Hinter solchen Worten steht eine ganze Welt von Unwissenheit und Unverständnis. Solche Äußerungen können nur von Leuten stammen, deren Reaktionen von den unsrigen völlig verschieden sind.

Normal trinkende Menschen haben kaum Schwierigkeiten, den Alkohol völlig aufzugeben, wenn sie einen guten Grund dafür haben. Sie können trinken oder es jederzeit lassen.

Dann gibt es noch den bestimmten Typ des harten Trinkers. Seine Trinkgewohnheit kann unter Umständen seine körperliche und geistige Gesundheit beeinträchtigen. Dadurch kann er ein paar Jahre früher sterben. Schlechte Gesundheit, große Liebe, eine neue Umgebung oder ein strenger Arzt können ihn veranlassen, ganz aufzuhören oder nur noch mäßig zu trinken. Das kann mühsam und schwierig für ihn sein, vielleicht braucht er dafür sogar ärztliche Hilfe.

Wie aber ist es mit dem echten Alkoholiker? Er mag am Anfang mäßig trinken. Er kann oder kann auch nicht ein schwerer Gewohnheitstrinker werden. An einem Punkt seiner Trinkerlaufbahn jedoch fängt er an, jede Kontrolle über seinen Alkoholkonsum zu verlieren, sobald er zu trinken beginnt.

Das ist der Bursche, der Ihnen durch seinen Kontrollverlust Rätsel aufgibt. In seinem Rausch tut er verrückte, unglaubliche und tragische Dinge. Er ist wirklich Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Einen leichten Schwips hat er selten, meistens ist er mehr oder weniger sinnlos betrunken. Wenn er trinkt, ist er nicht mehr er selbst. Er mag einer der feinsten Kerle der Welt sein, doch wenn er nur einen Tag trinkt, wird er oft widerlich oder sogar gemeingefährlich. Er hat die seltene Gabe, sich genau im falschen Moment zu betrinken, besonders dann, wenn eine wichtige Entscheidung getroffen oder eine Verabredung eingehalten werden muss. Er ist oft sehr vernünftig und in allen Dingen ausgeglichen, nur nicht, wenn es um Alkohol geht. In dieser Beziehung ist er unglaublich unehrlich und selbstsüchtig. Er besitzt oft besondere Fähigkeiten, Fertigkeiten und Begabungen und hat eine vielversprechende Karriere vor sich. Er benutzt seine Gaben, um sich und seiner Familie eine vielversprechende Zukunft aufzubauen, die er dann wieder kaputtmacht durch eine sinnlose Serie von Besäufnissen. Er geht so betrunken zu Bett, dass er normalerweise rund um die Uhr schlafen müsste. Aber bereits früh am nächsten Morgen sucht er wie wild nach der Flasche, die er die Nacht zuvor irgendwo versteckt hatte. Wenn er es sich leisten kann, hat er im ganzen Haus Alkoholdepots angelegt, um sicher zu sein, dass ihm keiner seinen ganzen Vorrat wegnimmt, um ihn in den Ausguss zu schütten. Wenn sein Zustand schlimmer wird, fängt er an, starke Beruhigungsmittel zusammen mit Alkohol zu schlucken, um seine Nerven soweit zu beruhigen, damit er zur Arbeit gehen kann. Dann kommt der Tag, an dem er es so nicht mehr schafft und an dem er rund um die Uhr trinkt. Vielleicht geht er zu einem Arzt, der ihm Morphium oder irgendwelche Beruhigungsmittel gibt, damit er langsam wieder zu sich finden kann. Von da an taucht er immer wieder in Krankenhäusern und Sanatorien auf.

Das ist keineswegs ein vollständiges Bild des Alkoholikers. Die Erscheinungsformen unserer Krankheit sind sehr unterschiedlich. Im Allgemeinen kann man nach dieser Beschreibung einen Alkoholiker erkennen.

Warum benimmt er sich so? Warum trinkt er dann den ersten Schluck, wenn hundertfache Erfahrung ihm gezeigt hat, dass ein Glas wieder einen erneuten Zusammenbruch mit all den begleitenden Leiden und Erniedrigungen bedeutet? Warum kann er nicht trocken bleiben? Was ist aus dem gesunden Menschenverstand und der Willenskraft geworden, die in anderen Dingen manchmal ja noch funktionieren?

Wahrscheinlich wird es auf diese Frage nie eine erschöpfende Antwort geben. Die Meinungen darüber, warum ein Alkoholiker anders reagiert als andere Menschen, gehen weit auseinander. Wir wissen nicht, warum so wenig für ihn getan werden kann, wenn einmal ein gewisser Punkt erreicht ist. Wir können dieses Rätsel nicht lösen.

Wir wissen, dass der Alkoholiker oft genau wie andere Menschen reagiert, wenn er nicht trinkt – was er manchmal über Monate oder Jahre schafft. Wir wissen aber auch, dass in dem Augenblick, in dem er Alkohol in irgendeiner Form zu sich nimmt, in körperlicher und geistiger Hinsicht etwas geschieht, das es ihm unmöglich macht, aufzuhören. Die Erfahrungen jedes Alkoholikers werden das zur Genüge bestätigen.

Diese Beobachtungen wären graue Theorie und überflüssig, wenn unser Freund nie wieder den ersten Schluck trinken würde, mit dem er diesen schrecklichen Kreislauf in Bewegung setzt. Deshalb sitzt das Hauptproblem des Alkoholikers in seinem Kopf und weniger in seinem Körper. Wenn Sie ihn fragen, warum er mit dem letzten Besäufnis angefangen hat, wird er Ihnen wahrscheinlich eines seiner hundert Alibis anbieten. Manchmal haben diese Entschuldigungen eine gewisse Glaubwürdigkeit, aber keine von ihnen hält wirklich stand, wenn man die Verwüstung betrachtet, die das Besäufnis eines Alkoholikers anrichtet. Diese Entschuldigungen hören sich an wie die Philosophie eines Mannes, der sich bei Kopfweh mit dem Hammer auf den Kopf schlägt, um seine Schmerzen nicht mehr zu spüren. Wenn Sie einen Alkoholiker auf diese wackligen Ausreden aufmerksam machen, wird er entweder alles ins Lächerliche ziehen oder den Beleidigten spielen und sich weigern, darüber zu reden.

Hin und wieder wird er die Wahrheit erzählen. So seltsam es klingt, wahr ist: Er weiß meist genauso wenig wie Sie, warum er den ersten Schluck getrunken hat. Einige Trinker sind mit ihren Entschuldigungen eine Zeit lang zufrieden. Aber in Wirklichkeit wissen sie nicht, warum sie wieder trinken. Von dieser Krankheit gepackt, wissen sie nicht mehr ein noch aus. Besessen glauben sie, irgendwie, irgendwann das Spiel doch noch zu gewinnen. Oft aber ahnen sie schon, dass sie am Boden liegen und darauf warten, ausgezählt zu werden.

Wie wahr das ist, begreifen wenige. Irgendwie spüren ihre Familien und ihre Freunde, dass diese Trinker abnorm sind, aber jeder wartet voller Hoffnung auf den Tag, an dem der Leidende sich aus seiner Lethargie befreit und seine Willenskraft einsetzt.

Die traurige Wahrheit ist, dass dieser Tag nie kommt, wenn der Betroffene wirklich Alkoholiker ist. Er hat die Kontrolle verloren. Jeder Alkoholiker überschreitet irgendwann die Grenze und kommt in ein Stadium, wo auch der sehnlichste Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören, nichts mehr nützt. Dieser tragische Zustand ist meistens schon früher erreicht als allgemein vermutet wird.

Es ist eine Tatsache, dass die meisten Alkoholiker aus noch unbekannten Gründen die Macht verloren haben, beim Trinken eine freie Entscheidung zu treffen. Unsere sogenannte Willenskraft existiert praktisch nicht mehr. Wir sind zu bestimmten Zeiten beim besten Willen nicht in der Lage, uns die Erinnerung an Leiden und Demütigungen ins Bewusstsein zurückzurufen, selbst wenn sie nur eine Woche oder einen Monat zurückliegen. Wir sind ohne Abwehrkraft gegen das erste Glas.

Die Konsequenzen, die auch nur ein Glas Bier nach sich zieht, lassen uns nicht davor zurückschrecken, es zu trinken. Wenn solche Gedanken auftauchen, sind sie nebelhaft und werden nur zu gern von der fadenscheinigen Vorstellung verdrängt, dass wir uns diesmal so wie andere Leute im Griff haben werden. Der Instinkt, der uns beispielsweise davon abhält, unsere Hand auf einen heißen Ofen zu legen, versagt hier vollkommen.

Der Alkoholiker sagt vielleicht ein bisschen leichtsinnig: „Diesmal werde ich mich nicht verbrennen – was soll’s!“ Vielleicht denkt er sich auch gar nichts dabei. Wie oft haben einige von uns auf diese lässige Art angefangen zu trinken und nach dem dritten oder vierten Glas auf die Theke geklopft und zu sich selbst gesagt: „Mein Gott, wie konnte ich nur wieder anfangen?“ Dieser Gedanke wird sofort wieder verdrängt durch: „Na gut, nach dem sechsten Glas werde ich aufhören.“ Oder: „Was hat das überhaupt für einen Sinn?“

Wenn sich diese Denkweise in einem Menschen festsetzt, der zum Alkoholiker veranlagt ist, kann menschliche Hilfe bei ihm kaum noch etwas ausrichten. Wenn er dann nicht eingesperrt wird, kann er sterben oder wahnsinnig werden. Legionen von Alkoholikern haben diese unumstößlichen und hässlichen Tatsachen im Laufe der Geschichte bestätigt. Ohne die Gnade Gottes, durch die Alkoholiker eine Lösung ihrer Probleme gefunden haben, wären es noch Tausende solcher Beispiele mehr, denn viele wollen aufhören, schaffen es aber nicht allein.

Es gibt eine Lösung. Fast keinem von uns fiel die Selbsterforschung, der Abbau unseres Hochmuts, das Bekennen unserer Unzulänglichkeiten leicht. Aber all das ist nötig, um das Ziel zu erreichen. Wir sahen, dass diese Methode bei anderen wirkte – und erkannten, dass unser Leben, wie wir es bisher gelebt hatten, hoffnungslos und leer war. Wenn also Menschen auf uns zugingen, deren Problem gelöst worden war, brauchten wir nur noch dieses einfache, spirituelle Handwerkszeug aufzuheben, das sie uns vor die Füße gelegt hatten. Wir haben ein Stück Himmel gefunden und sind in eine neue Dimension unserer Existenz gelangt, von der wir noch nicht einmal geträumt hatten.

Es ist doch eine Tatsache, dass wir tiefe und wirkungsvolle spirituelle Erfahrungen* gemacht haben, die unsere ganze Einstellung zum Leben, zu unseren Mitmenschen und zu Gottes Weltall völlig geändert haben. Unser heutiges Dasein basiert auf der absoluten Gewissheit, dass unser Schöpfer auf eine wunderbare Art den Weg zu unseren Herzen gefunden hat und in unser Leben eingetreten ist. Er hat für uns Dinge vollendet, die wir aus eigener Kraft nie zustande gebracht hätten.

Wenn Sie ein so schwer kranker Alkoholiker sind, wie wir es waren, gibt es nach unserer Überzeugung für Sie keine halbe Lösung mehr. Wir waren da angekommen, wo es unmöglich geworden war, so weiterzuleben. Wir hatten den Zustand erreicht, aus dem uns keine menschliche Hilfe mehr zurückholen konnte. Uns blieben nur zwei Möglichkeiten: entweder bis zum bitteren Ende zu gehen und das Bewusstsein unserer unerträglichen Lage auszulöschen – oder wir mussten spirituelle Hilfe annehmen. Das taten wir, weil wir es ehrlich wünschten und bereit waren, dafür etwas zu tun.

Ein amerikanischer Geschäftsmann – fähig, vernünftig und mit gutem Charakter – zog jahrelang von einem Sanatorium ins andere. Er hatte die bekanntesten amerikanischen Psychiater konsultiert. Dann war er nach Europa gegangen und hatte sich in die Behandlung eines bekannten Arztes (des Psychiaters Dr. Jung) begeben. Obwohl Erfahrung den Geschäftsmann skeptisch gemacht hatte, brachte er die Behandlung voll Vertrauen zu Ende. Sein körperlicher und geistiger Zustand wurde ungewöhnlich gut. Überdies glaubte er, jetzt ein so gründliches Wissen über die Vorgänge in seinem Denken zu haben und die darin verborgenen Quellen zu kennen, dass er sich keinen Rückfall vorstellen konnte. Trotzdem war er nach kurzer Zeit wieder betrunken. Er war wie vor den Kopf gestoßen, dass er sich keine einleuchtende Erklärung über seinen Rückfall geben konnte.

Er ging wieder zu diesem Arzt zurück, den er bewunderte und fragte geradeheraus, warum er nicht gesund werden könne. Vor allem wünsche er sich, seine Selbstkontrolle wiederzuerlangen. In Bezug auf andere Probleme schien er recht vernünftig und ausgeglichen zu sein. Über Alkohol jedoch hatte er keinerlei Kontrolle. Wie kam das?

Er bat den Arzt, ihm die ganze Wahrheit zu sagen. Die Bitte wurde erfüllt. Nach dem Urteil des Arztes war der Geschäftsmann ein absolut hoffnungsloser Fall. Er könne seine gesellschaftliche Stellung nie wieder erlangen. Und wenn er lange leben wolle, müsste er sich hinter Schloss und Riegel begeben oder einen Leibwächter engagieren. Das war die Meinung eines großen Arztes.

Doch dieser Mann lebt noch und ist ein freier Mann. Weder braucht er einen Leibwächter, noch ist er eingesperrt. Er kann überall auf dieser Welt hingehen, wo andere freie Menschen hingehen, ohne ins Unglück zu laufen, vorausgesetzt, er ist bereit, ein paar einfache Lebensregeln zu befolgen.

Einige unserer alkoholkranken Leser mögen der Ansicht sein, dass sie ohne spirituelle Hilfe auskommen. Lasst uns den Fortgang der Unterhaltung erzählen, die unser Freund mit seinem Arzt hatte.

Der Arzt sagte ihm: „Sie haben das Denken eines chronischen Alkoholikers. Ich habe noch keinen genesen sehen, bei dem diese Denkmuster schon so weit fortgeschritten waren wie bei Ihnen.“ Unser Freund hatte das Gefühl, als hätten sich die Tore der Hölle mit einem Knall hinter ihm geschlossen.

Er sagte zum Arzt: „Gibt es da keine Ausnahme?“

„Doch“, antwortete der Arzt, „auch in Fällen wie dem Ihren hat es seit jeher Ausnahmen gegeben. Hier und dort, ab und zu hatten Alkoholiker das, was man eine lebenswichtige, spirituelle Erfahrung nennt. Solche Ereignisse waren für mich eine Art Wunder. Sie treten als gewaltige Gefühlsbewegung und eine Art Neuorientierung auf. Ideen, Gefühle und Haltungen, die einst die bestimmenden Kräfte im Leben dieser Menschen waren, werden plötzlich über Bord geworfen – und völlig neue Vorstellungen und Beweggründe treten bei ihnen in den Vordergrund. Tatsächlich habe ich versucht, in Ihnen etwas von solch einer gefühlsmäßigen Neuorientierung auszulösen. Bei vielen sind die Methoden, die ich angewandt habe, erfolgreich, aber ich hatte nie Erfolg bei einem Alkoholiker Ihres Schlages.“*

Als unser Freund das gehört hatte, war er etwas erleichtert. Er überlegte sich, dass er immerhin ein gutes Mitglied der Kirche war. Die darauf gründende Hoffnung zerstörte ihm der Arzt jedoch, indem er ihm sagte, dass seine religiösen Überzeugungen zwar gut seien, sie ihm in diesem Falle aber nicht die nötige, lebenswichtige spirituelle Erfahrung vermittelten.

Das war das schreckliche Dilemma, in dem sich unser Freund befand, als er die außergewöhnliche Erfahrung machte, die wir bereits geschildert haben und die aus ihm einen freien Mann machte.

Wir selbst suchten mit der Verzweiflung Ertrinkender den gleichen Ausweg. Was zuerst nur wie ein schwacher Strohhalm aussah, das erwies sich als liebende und starke Hand Gottes. Ein neues Leben wurde uns gegeben, oder, wenn Sie so wollen, „eine neue Lebensform“, die funktioniert.

Der angesehene amerikanische Psychologe William James beschreibt in seinem Buch „Vielfalt der religiösen Erfahrungen“ eine Anzahl von Wegen, auf denen Menschen Gott entdeckt haben. Wir wollen niemanden davon überzeugen, dass nur ein Weg zum Glauben führt. Wenn das, was wir gelernt, gefühlt und gesehen haben, überhaupt eine Bedeutung hat, dann diese: Wir alle, gleich welcher Rasse, welchen Glaubens oder welcher Hautfarbe, sind Kinder eines lebendigen Schöpfers und wir können zu Ihm auf einfache und leicht verständliche Weise in Beziehung treten, wenn wir nur bereit und ehrlich genug sind, es zu versuchen. Jene Menschen, die religiöse Bindungen haben, werden dabei nichts finden, was ihren Glauben oder ihre Glaubensausübung stört. Darüber gibt es bei uns keine Meinungsverschiedenheiten.

Wir sind der Meinung, dass es uns nichts angeht, zu welcher Glaubensrichtung sich jeder Einzelne zugehörig fühlt. Das sollte eine ganz persönliche Angelegenheit sein, die jeder für sich selbst im Hinblick auf seine früheren Bindungen oder nach seiner heutigen Wahl entscheidet. Nicht jeder von uns schließt sich einer Glaubensgemeinschaft an, aber die meisten neigen dazu.

Im folgenden Kapitel wird erklärt, was wir unter Alkoholismus verstehen. Danach wendet sich ein Kapitel an Agnostiker, von denen jetzt viele zu uns gehören. Erstaunlicherweise zeigt es sich, dass eine solche Überzeugung kein großes Hindernis für eine spirituelle Erfahrung ist.

Weiter geht es mit einer klaren Gebrauchsanweisung, wie wir gesund wurden. Später folgen Lebensgeschichten von Alkoholikern.

In den persönlichen Berichten beschreibt jeder Einzelne in seiner Sprache und aus seiner Sicht, wie er seine Verbindung zu Gott fand. Diese Geschichten ergeben einen Querschnitt unserer Gemeinschaft und lassen ganz klar erkennen, was sich im Leben jedes Einzelnen ereignete.

Wir hoffen, dass niemand an diesen offenherzigen Selbstbekenntnissen Anstoß nimmt. Wir hoffen, dass viele alkoholkranke Männer und Frauen, die es dringend brauchen, diese Seiten in die Hand bekommen. Wir glauben, dass nur eine rückhaltlose Darstellung unserer selbst und unserer Probleme sie dazu bringt zu sagen: „Ja, ich bin auch einer von ihnen; das brauche ich.“

Anonyme Alkoholiker (Das Blaue Buch)

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