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WIR AGNOSTIKER

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In den vorhergehenden Kapiteln haben Sie einiges über Alkoholismus erfahren. Wir hoffen, dass wir den Unterschied zwischen einem Alkoholiker und einem Nichtalkoholiker klargemacht haben. Wenn Sie feststellen, dass Sie nicht gänzlich mit dem Trinken aufhören können, obwohl Sie es aufrichtig wünschen, oder wenn Sie beim Trinken keine rechte Kontrolle über die Menge haben, so sind Sie wahrscheinlich Alkoholiker. Wenn das der Fall ist, leiden Sie möglicherweise unter einer Krankheit, die nur durch spirituelle Erfahrung überwunden werden kann.

Für einen, der sich als Atheist oder Agnostiker fühlt, scheint eine solche Erfahrung unmöglich zu sein. Wenn er bei dieser Meinung bleibt, bedeutet das seinen Untergang, besonders wenn er ein hoffnungsloser Alkoholiker ist. Die Entscheidung zwischen dem sicheren Tod durch Alkohol und einem Leben auf spiritueller Grundlage ist nicht immer leicht zu treffen.

Aber so schwierig ist das gar nicht. Zu Anfang gehörte etwa die Hälfte unserer Freunde zu eben dieser Gruppierung. Einige von uns versuchten zunächst, die Entscheidung zu umgehen. Wider besseres Wissen hofften wir, keine echten Alkoholiker zu sein. Nach einiger Zeit mussten wir eine spirituelle Lebensgrundlage finden – oder es war aus. Wahrscheinlich wird es Ihnen auch so gehen. Kopf hoch! Ungefähr die Hälfte von uns glaubt, Atheist oder Agnostiker zu sein. Unsere Erfahrung zeigt, dass Sie nicht zu verzagen brauchen.

Wenn lediglich Anstandsregeln oder eine bessere Lebensphilosophie genügen würden, mit dem Alkoholismus fertig zu werden, wären viele von uns schon lange wieder genesen. Aber wir mussten erkennen, dass solche Regeln und Philosophien uns nicht retten konnten, wie auch immer wir es versuchten. Wir konnten uns noch so sehr wünschen, moralisch zu sein und in der Philosophie Trost zu finden; Tatsache war, wir konnten das mit ganzer Macht wollen, aber die benötigte Kraft war nicht da. Unsere menschlichen Kraftquellen, vom Willen beherrscht, reichten nicht aus, sie versagten vollkommen.

Mangel an Kraft, das war unser Dilemma. Wir mussten eine Kraft finden, durch die wir leben konnten – und es musste eine Kraft, größer als wir selbst, sein. Genau das war es. Aber wo und wie sollten wir diese Kraft finden?

Darum geht es in diesem Buch. Sein wichtigstes Anliegen ist, Sie eine Kraft finden zu lassen, die größer ist als Sie selbst und die Ihr Problem lösen wird. Das heißt, wir haben ein Buch geschrieben, von dem wir annehmen, dass es sowohl einen spirituellen, wie auch einen moralischen Anspruch hat. Und das bedeutet selbstverständlich auch, dass wir über Gott sprechen werden. Dabei ergeben sich für die Agnostiker Schwierigkeiten. Oft sprechen wir mit einem neuen Freund und erleben, wie seine Hoffnung wächst, während wir über sein Alkoholproblem sprechen und ihm von unserer Gemeinschaft erzählen. Aber sein Gesicht wird lang, wenn wir von spirituellen Angelegenheiten reden, besonders, wenn wir Gott erwähnen. Wir haben etwas auf den Tisch gebracht, von dem unser Freund glaubt, er hätte es geschickt umgangen oder völlig ignoriert.

Wir können es ihm nachfühlen. Auch wir hatten diese ehrlichen Zweifel und Vorurteile. Einige von uns waren antireligiös. In anderen rief das Wort „Gott“ eine Vorstellung wach, mit der jemand versucht hatte, sie während ihrer Kindheit zu beeindrucken. Vielleicht lehnten wir diese bestimmte Vorstellung deshalb ab, weil sie uns unzulänglich schien. Wir bildeten uns ein, dass wir mit dieser Zurückweisung den Gottesgedanken völlig aufgegeben hätten. Uns beunruhigte die Idee, dass der Glaube und die Abhängigkeit von einer Macht, jenseits von uns, etwas Schwaches oder gar Feiges wären. Wir schauten mit tiefem Misstrauen auf diese Welt voller streitender Menschen, sich bekämpfender Glaubensrichtungen und unerklärlichen Elends. Argwöhnisch betrachteten wir jene, die von sich behaupteten, gläubig zu sein. Wie konnte ein höheres Wesen überhaupt mit all dem etwas zu tun haben? Und wer konnte ein höheres Wesen überhaupt begreifen? Aber in bestimmten Augenblicken, etwa wenn wir von einer sternklaren Nacht beeindruckt waren, kam uns der Gedanke: „Wer hat das alles geschaffen?“ Ein Gefühl von Ehrfurcht und Staunen überkam uns, aber das war flüchtig und bald vergessen.

Ja, das waren die Gedanken und Erfahrungen von uns Agnostikern. Doch wir können Sie schnell beruhigen. Sobald wir die Vorurteile überwinden und unsere Bereitschaft ausdrücken konnten, an eine Macht, größer als wir selbst, zu glauben, kamen wir vorwärts, obwohl es uns allen unmöglich war, diese Macht, die Gott ist, umfassend zu erklären oder zu verstehen.

Sehr zu unserer Beruhigung entdeckten wir, dass wir die Vorstellung, die andere von Gott hatten, nicht zu teilen brauchten. Unsere eigene Vorstellung, so unzureichend sie auch war, genügte, Ihm näherzukommen und eine Verbindung zu Ihm herzustellen. Sobald wir die mögliche Existenz einer schöpferischen Intelligenz, den Geist des Universums – als Grundlage aller Dinge – anerkannten, bemächtigte sich unser ein neues Gefühl der Kraft und Führung, vorausgesetzt, dass wir auch sonst noch andere einfache Schritte machten. Wir spürten, dass Gott es denen, die Ihn suchten, nicht zu schwer macht. Für uns ist die geistige Sphäre weit, unermesslich, allumfassend; nicht abweisend und nie verschlossen denen, die aufrichtig danach suchen. Sie ist offen für alle, so glauben wir.

Wenn wir also mit Ihnen über Gott sprechen, meinen wir Ihre eigene Vorstellung von Gott. Das trifft auch auf andere religiöse Ausdrücke in diesem Buch zu. Auch wenn Sie Vorurteile gegen religiöse Formulierungen haben, lassen Sie sich dadurch nicht davon abhalten, sich ehrlich zu fragen, was die Begriffe für Sie bedeuten. Zunächst genügte uns das, um mit dem spirituellen Wachstum zu beginnen. Damit konnten wir unsere erste bewusste Verbindung zu Gott, wie wir Ihn verstanden, herstellen. Später ertappten wir uns dabei, dass wir viele Dinge akzeptierten, die vorher total außerhalb unserer Reichweite schienen. Das war Wachstum; denn wenn wir wachsen wollten, mussten wir irgendwo anfangen. So gebrauchten wir unsere eigene Vorstellung, wie unvollkommen sie auch war.

Wir mussten uns nur eine kurze Frage stellen: „Glaube ich nun oder bin ich wenigstens bereit zu glauben, dass es eine Macht gibt, die größer ist als ich selbst?“ Sobald einer von sich sagen kann, dass er glaubt oder willens ist zu glauben, versichern wir ihm nachdrücklich, dass er auf dem richtigen Weg ist. Es hat sich bei uns wiederholt erwiesen, dass auf diesem einfachen Grundstein ein wunderbarer spiritueller Aufbau errichtet werden kann.3

Das waren großartige Neuigkeiten für uns, denn wir hatten gemeint, wir könnten uns keine spirituellen Grundsätze zu eigen machen, ehe wir nicht viele Glaubensdinge akzeptierten, die uns unannehmbar erschienen. Wenn andere uns ihre spirituelle Auffassung nahe brachten, wie oft sagten wir dann: „Hätte ich bloß, was er hat! Ich bin sicher, es würde klappen, wenn ich nur so glauben könnte wie er. Aber ich kann die vielen Glaubensartikel, die für ihn so klar sind, nicht als volle Wahrheit annehmen.“ Es war tröstlich zu erfahren, dass wir auf einer viel einfacheren Ebene anfangen konnten.

Abgesehen von unserer offensichtlichen Unfähigkeit, vieles auf Treu und Glauben anzuerkennen, standen uns oft Eigensinn, Überempfindlichkeit und unbedachtes Vorurteil im Weg. Viele von uns waren so empfindlich, dass sogar eine beiläufige Erwähnung geistlicher Belange sie in Harnisch brachte. Diese Denkweise mussten wir aufgeben. Obwohl sich einige von uns sträubten, gab es keine großen Schwierigkeiten, solche Gefühle über Bord zu werfen. Angesichts dessen, was der Alkohol angerichtet hatte, waren wir bald spirituellen Dingen gegenüber so aufgeschlossen, wie wir es anderen Dingen gegenüber schon sein konnten. In dieser Hinsicht war Alkohol von großer Überzeugungskraft. Er zwang uns schließlich zu vernünftigem Denken. Manchmal war das ein langwieriger Vorgang; wir hoffen nur, dass kein anderer so lange voller Vorurteile ist, wie es einige von uns waren.

Der Leser mag immer noch fragen, warum er an eine Macht, größer als er selbst, glauben soll. Wir meinen, dass es gute Gründe dafür gibt. Einige davon wollen wir uns mal ansehen.

Der praktische Mensch von heute pocht auf Fakten und Resultate. Gleichwohl akzeptiert das zwanzigste Jahrhundert bereitwillig alle möglichen Theorien, wenn sie nur auf Fakten gegründet sind. Beispielsweise gibt es zahlreiche Theorien über Elektrizität, an denen niemand auch nur zweifelt. Warum diese Bereitwilligkeit? Weil wir nicht erklären können, was geschieht, wenn wir am Schalter drehen, obwohl wir wahrnehmen, was damit veranlasst wird.

Heutzutage vertraut jeder in vieler Hinsicht dem Augenschein, ohne dass es für alles eines sichtbaren Beweises bedarf. Und zeigt die Wissenschaft nicht, dass der sichtbare Beweis der schwächste ist? Ständig zeigt sich bei Erforschung der materiellen Welt, dass der äußere Anschein nicht der inneren Wirklichkeit entspricht. Dafür ein Beispiel:

Der einfache Stahlträger besteht aus einer großen Anzahl von Elektronen, die mit unheimlicher Geschwindigkeit umeinander wirbeln. Diese winzigen Körper gehorchen genauen Gesetzen, die für die ganze materielle Welt gültig sind. Die Wissenschaft lehrt es uns. Wir haben keinen Grund zu zweifeln. Wenn uns jedoch die vollkommen logische Annahme präsentiert wird, dass es hinter der materiellen Welt und dem materiellen Leben, so wie wir es sehen, eine allmächtige, führende, schöpferische Intelligenz gibt, meldet sich in uns sofort Widerspruch. Wir gehen emsig daran, uns zu beweisen, dass es nicht so ist. Wir lesen dicke Bücher und ergehen uns in windigen Streitereien in der Annahme, das Universum brauche keinen Gott zu seiner Erklärung. Wären unsere Behauptungen wahr, würde sich daraus ergeben, dass das Leben aus dem Nichts entstanden ist, keine Bedeutung hat und im Nichts endet.

Anstatt uns selbst als intelligente Anwälte und Vorkämpfer von Gottes immer weiter fortschreitender Schöpfung zu betrachten, wollten wir Agnostiker und Atheisten glauben, dass unsere menschliche Intelligenz das letzte Wort, das A und O, der Anfang und das Ende von allem war. Ziemlich großspurig, nicht wahr?

Wir, die wir diesen unsicheren Pfad gegangen sind, bitten Sie, alle Vorurteile beiseitezulassen, sogar die gegen die bestehenden Religionen. Wie auch immer die menschlichen Unzulänglichkeiten der verschiedenen Religionen sein mögen, aus Erfahrung wissen wir, dass der Glaube Millionen von Menschen Sinn und Richtung gegeben hat. Gläubige Menschen haben eine schlüssige Vorstellung, worum es im Leben geht. Wir hatten überhaupt keine. Wir machten uns einen Spaß daraus, spirituelle Überzeugungen und Praktiken anderer in spöttischer und höhnischer Weise zu zerpflücken. Dabei haben wir nicht zur Kenntnis genommen, dass viele spirituell gesinnte Menschen aller Rassen, Farben und Bekenntnisse einen Grad von Stabilität, Zufriedenheit und Nützlichkeit zeigten, den wir selbst hätten anstreben sollen.

Stattdessen sahen wir die menschlichen Schwächen dieser Leute – und manchmal benutzten wir ihre Unzulänglichkeiten als Grund zur Pauschalverurteilung. Wir sprachen von Intoleranz, waren aber selbst intolerant. Uns entging die Wirklichkeit und Schönheit des Waldes, weil wir uns von der Hässlichkeit einiger seiner Bäume ablenken ließen. Nie schenkten wir der spirituellen Seite des Lebens ein offenes Ohr.

Wenn wir unsere Lebensgeschichten erzählen, ergibt es sich, dass wir uns auf unterschiedlichen Wegen dem Glauben an die Macht genähert haben, die größer ist als wir selbst. Ob uns ein gewisser Weg oder eine Vorstellung zusagt, macht kaum einen Unterschied. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass wir uns über den Weg nicht zu sorgen brauchen, wenn wir nur das Ziel im Auge behalten. Das sind Fragen, die jeder Einzelne für sich selbst beantworten muss.

In einem jedoch sind sich diese Männer und Frauen auffallend einig. Jeder Einzelne hat Zugang gefunden zu einer Macht, größer als er selbst und glaubt an sie. Diese Macht hat in jedem Fall das Wunderbare, das menschlich Unmögliche vollbracht. Wie es ein berühmter amerikanischer Staatsmann ausdrückte: „Das Ergebnis zählt.“

Hier ist die Rede von Tausenden von Männern und Frauen, die mitten im Leben stehen. Sie bekennen freimütig, dass, seit sie begonnen haben, an eine Höhere Macht zu glauben, seit sie eine bestimmte Einstellung zu dieser Macht haben und einige ganz einfache Dinge tun, in ihrer Art zu leben und zu denken ein Umsturz stattfand. Zusammenbruch und Verzweiflung vor Augen und angesichts totalen Verfalls ihres Menschseins fanden sie eine neue Macht, fanden Frieden, Glück und einen neuen Lebenssinn. Das geschah bald, nachdem sie ganzen Herzens einige einfache Bedingungen erfüllt haben. Einst durcheinander und verwirrt durch die scheinbare Sinnlosigkeit ihrer Existenz, sind sie heute ein Beweis für die tiefer liegenden Gründe, warum sie sich im Leben so schwer taten. Sie erzählen, warum ihr Leben so unbefriedigend war, ganz abgesehen vom Trinkproblem. Sie zeigen auf, wie die Verwandlung über sie gekommen ist. Wenn viele Hunderte sagen können, dass das Bewusstsein der Gegenwart Gottes heute die wichtigste Tatsache in ihrem Leben ist, sind sie ein überzeugender Grund, dass man glauben sollte.

Unsere Welt hat in den letzten hundert Jahren mehr materiellen Fortschritt gemacht als in den Tausenden von Jahren davor. Die Gründe dafür sind allgemein bekannt. Historiker, die sich mit der Geschichte des Altertums beschäftigen, sagen uns, dass die Menschen jener Tage so intelligent waren wie die besten von heute. Trotzdem war der materielle Fortschritt in früherer Zeit äußerst langsam. Der Geist moderner wissenschaftlicher Untersuchungen, Forschung und Erfindung war nahezu unbekannt. Im materiellen Bereich war der menschliche Geist gefesselt durch Aberglauben, Tradition und vielerlei fixe Ideen. Zeitgenossen von Columbus war die Vorstellung einer runden Erde geradezu absurd. Andere wieder hätten Galilei fast hingerichtet wegen seiner astronomischen Ketzerei.

Wir fragten uns Folgendes: Sind nicht einige von uns genauso voreingenommen und unvernünftig in spirituellen Dingen, wie es unsere Vorfahren in materiellen Dingen waren? Selbst in diesem Jahrhundert hatten amerikanische Zeitungen Angst, den Bericht über den ersten erfolgreichen Flug der Gebrüder Wright bei Kitty Hawk zu drucken. Waren denn nicht alle Flugversuche zuvor fehlgeschlagen? Landete nicht Professor Langleys Flugmaschine auf dem Grunde des Potomac-Flusses? War es nicht so, dass die besten mathematischen Gehirne bewiesen hatten, dass der Mensch niemals würde fliegen können? Hatten die Menschen nicht gesagt, dass Gott dieses Vorrecht den Vögeln vorbehalten hätte? Nur dreißig Jahre später war die Eroberung der Luft fast eine alte Geschichte und waren Flugreisen eine Selbstverständlichkeit.

Auf den meisten Gebieten hat unsere Generation eine totale Befreiung des Denkens miterlebt. Zeige einem Hafenarbeiter in der Sonntagsbeilage einer Zeitung den Artikel über Pläne, den Mond mit einer Rakete zu erforschen, und er wird sagen: „Ich wette, sie schaffen es – und vielleicht dauert es auch gar nicht mehr so lange.“ Ist es nicht bezeichnend für unser Zeitalter, mit welcher Leichtigkeit wir alte Ideen gegen neue austauschen, wie schnell wir bereit sind, unbrauchbar gewordene Theorien und Erfindungen auszuwechseln gegen neue, die funktionieren?

Wir mussten uns fragen, warum wir bei unseren menschlichen Problemen nicht die gleiche Bereitschaft aufbringen konnten, unsere Ansicht zu ändern. Wir hatten Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen, wir konnten unsere Gefühlswelt nicht kontrollieren. Wir waren eine Beute für Trübsal und Depressionen, wir konnten für unseren Lebensunterhalt nicht sorgen, wir hatten ein Gefühl der Nutzlosigkeit, wir waren voller Furcht, wir waren unglücklich. Es schien, dass wir keine echte Hilfe für andere Leute sein konnten. War nicht eine grundsätzliche Lösung dieser heillosen Verwirrungen wichtiger als ein Filmbericht über den Mondflug? Selbstverständlich.

Als wir sahen, wie andere ihre Probleme durch einfaches Vertrauen auf den Geist des Universums lösten, mussten wir aufhören, die Allmacht Gottes zu bezweifeln. Unsere Ideen versagten, doch die Idee Gott wirkte.

Der fast kindliche Glaube der Wright-Brüder, eine Maschine bauen zu können, die fliegt, war die Antriebskraft für das Gelingen. Ohne diesen Glauben wäre nichts erfolgt. Wir Agnostiker und Atheisten hielten an dem Gedanken fest, dass wir aus eigener Kraft unsere Probleme lösen könnten. Als uns andere zeigten, dass die Kraft Gottes in ihnen wirkt, kamen wir uns wie die Leute vor, die darauf bestanden hatten, dass die Wrigths nie fliegen würden.

Logik ist eine große Sache, uns gefiel sie und gefällt sie noch. Nicht zufällig wurde uns die Kraft gegeben, logisch zu denken, die Kraft, die Wahrnehmung unserer Sinne zu überprüfen und Schlüsse zu ziehen. Das ist eine der großartigsten menschlichen Eigenschaften. Wir agnostisch Orientierten waren nicht zufrieden mit einer Lehre, die sich nicht vernünftig begreifen und deuten lässt. Wir haben deshalb Schwierigkeiten zu erklären, warum wir unseren jetzigen Glauben für vernünftig halten, warum wir es für vernunftgemäßer und logischer ansehen zu glauben als nicht zu glauben, warum wir sagen, dass unser früheres Denken unklar und verwaschen war, als wir unsere Hände im Zweifel erhoben und riefen: „Wir wissen es nicht.“

Als wir zu Alkoholikern wurden, am Boden zerstört durch eine selbst herbeigeführte Krise, die wir nicht hinauszögern und der wir nicht ausweichen konnten, mussten wir uns furchtlos der Frage stellen, ob Gott alles ist oder ob Er nichts ist. Es gibt einen Gott, oder es gibt keinen. Welche Entscheidung sollten wir treffen?

An diesem Punkt angekommen, wurden wir unausweichlich vor die Glaubensfrage gestellt. Wir konnten uns an der Frage nicht mehr vorbeimogeln. Einige von uns waren bereits auf der Brücke der Vernunft weiter zu dem ersehnten Ufer des Glaubens gegangen. Die Umrisse und die Verheißung des Neulands brachten Glanz in müde Augen und frischen Mut in erlahmte Seelen. Freundliche Hände streckten sich zum Willkommen entgegen. Wir waren dankbar, dass uns die Vernunft so weit geführt hatte. Aber irgendwie zögerten wir noch, das Ufer zu betreten. Wahrscheinlich hatten wir uns auf dieser letzten Meile zu sehr auf die Vernunft verlassen und wollten nur ungern diese Stütze aufgeben.

Das war nur natürlich. Wir wollten etwas genauer darüber nachdenken. Waren wir nicht unbewusst durch eine bestimmte Art von Glauben dorthin gebracht worden, wo wir jetzt standen? Glaubten wir denn nicht an unsere eigene Urteilskraft? Hatten wir kein Vertrauen in unsere Fähigkeit zu denken? War das nicht eine Art Glauben? Ja, wir waren gläubig, kniefällig vor dem Götzen der Vernunft. Wie auch immer, wir entdeckten, dass der Glaube zu allen Zeiten Bestandteil unseres Lebens gewesen war.

Wir entdeckten auch, dass wir Götzendiener gewesen waren. Und was für eine geistige Gänsehaut uns das beschert hatte! Hatten wir nicht, so oder so, Menschen, Gefühle, Dinge, Geld und uns selbst angebetet? Und dann aus edlerem Beweggrund heraus den Sonnenuntergang, die See oder eine Blume andächtig betrachtet? Wer von uns hatte nicht irgendetwas oder irgendjemanden geliebt? Was hatten diese Gefühle, diese Liebe, diese Anbetung mit reiner Vernunft zu tun? Wenig oder gar nichts, wie wir endlich einsahen. War das alles nicht der Stoff, aus dem unser Leben geschneidert war? Bestimmten diese Gefühle schließlich nicht die Richtung unseres Daseins? Man konnte unmöglich sagen, wir hätten keine Fähigkeit zum Glauben, zur Liebe und zur Verehrung. In dieser oder jener Form hatten wir hauptsächlich aus dem Glauben gelebt.

Stellen Sie sich ein Leben ohne Glauben vor! Gäbe es nur die reine Vernunft, wäre das kein Leben. Aber natürlich glaubten wir an das Leben. Es war da, obgleich wir es nicht in dem Sinn beweisen konnten, wie man beweisen kann, dass die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten die Gerade ist. Konnten wir immer noch sagen, dass alles nichts war als eine Anhäufung von Elektronen, aus dem Nichts entstanden, ohne Bedeutung, auf dem Weg ins Nichts? Natürlich konnten wir das nicht sagen. Selbst die Elektronen scheinen es besser zu wissen, jedenfalls nach Meinung der Chemiker.

Also sahen wir, dass die Vernunft nicht alles ist. Außerdem ist der Verstand, wie er von den meisten von uns benutzt wird, nicht unbedingt zuverlässig, auch wenn er von den besten Köpfen stammt. Wie war das noch mit den Menschen, die bewiesen hatten, dass der Mensch nie fliegen kann?

Wir jedoch sahen eine andere Art Flug, eine spirituelle Befreiung von dieser Welt. Wir sahen Menschen, die über ihre Probleme hinauswuchsen. Sie sagten, Gott habe diese Dinge möglich gemacht – und wir lächelten nur. Wir hatten spirituelle Befreiung gesehen, wollten uns aber einreden, es wäre nicht wahr.

In Wirklichkeit hielten wir uns selbst zum Narren, denn tief im Inneren eines jeden Mannes, einer jeden Frau und eines jeden Kindes steckt ein Gottesbewusstsein. Es mag durch Elend, Prunk oder Anbetung anderer Dinge verdeckt sein, aber in irgendeiner Form ist es vorhanden. Denn der Glaube an eine Macht, größer als wir selbst, und das wunderbare Wirken dieser Macht im menschlichen Leben sind Tatsachen, die so alt sind wie die Menschheit selbst.

Schließlich sahen wir ein, dass der Glaube an irgendeine Art von Gott ein Teil von uns selbst war, genauso wie das Gefühl, das wir einem Freund entgegenbringen. Manchmal mussten wir furchtlos nach Gott suchen, aber Er war da. Er war eine Realität wie wir. Wir fanden die große Wahrheit tief in uns selbst. Letzten Endes kann Er nur dort gefunden werden. So war das mit uns.

Wir können den Boden nur ein wenig ebnen. Wenn unsere Aussage hilft, Vorurteile zu beseitigen, Sie in die Lage versetzt, ehrlich zu denken, und Sie darin bestärkt, in Ihrem Inneren eifrig zu suchen, dann können Sie, wenn Sie wollen, uns auf der breiten Straße begleiten. Mit dieser Einstellung können Sie nicht fehlgehen. Sie werden sich sicher Ihres Glaubens bewusst.

In diesem Buch werden Sie über Erfahrungen eines Mannes lesen, der glaubte, er wäre ein Atheist. Seine Geschichte ist so interessant, dass einiges davon jetzt erzählt werden sollte. Sein Sinneswandel war dramatisch, überzeugend und bewegend.

Unser Freund war der Sohn eines Geistlichen. Er besuchte eine konfessionelle Schule, wo er gegen das, was er als Übermaß an religiöser Erziehung empfand, rebellierte. Jahre danach wurde er von Kummer und Enttäuschung verfolgt. Bankrott, Irrsinn, tödliche Krankheit, Selbstmord – diese Katastrophen in seiner engsten Familie verbitterten und bedrückten ihn. Nachkriegsernüchterung, immer schwererer Alkoholismus, drohender geistiger und körperlicher Zusammenbruch brachten ihn an den Rand der Selbstzerstörung.

Eines Nachts während eines Krankenhausaufenthaltes kam ein Alkoholiker auf ihn zu, der ein spirituelles Erlebnis gehabt hatte. Aus unserem Freund brach es erbittert hervor: „Wenn es einen Gott gibt, so hat er bestimmt nichts für mich getan!“ Aber später, als der Patient wieder allein in seinem Zimmer war, stellte er sich die Frage: „Ist es möglich, dass all die gläubigen Menschen, die ich kannte, Unrecht haben?“ Während er über die Antwort nachgrübelte, fühlte er sich, als sei er in der Hölle. Dann, wie ein Donnerschlag, kam ihm ein großartiger Gedanke. Er verdrängte alles andere.

„Wer bist du, dass du zu behaupten wagst, es gibt keinen Gott?“

Dieser Mann erzählt, dass er aus dem Bett taumelte und auf die Knie fiel. Unmittelbar darauf war er von der Überzeugung überwältigt, dass Gott gegenwärtig ist. Mit der Gewalt einer großen Flutwelle strömte es über ihn und durch ihn hindurch. Die Barrieren, die er im Laufe der Jahre aufgebaut hatte, wurden hinweggeschwemmt. Er fühlte die Gegenwart unendlicher Kraft und Liebe, er hatte das Ufer betreten. Zum ersten Mal lebte er in der bewussten Gemeinschaft mit seinem Schöpfer.

Damit war der Grundstein für unseren Freund gelegt. Auch spätere Schicksalsschläge konnten ihm nichts anhaben. Sein Alkoholproblem war von ihm genommen. Es verschwand eben in dieser Nacht vor vielen Jahren. Von wenigen Augenblicken der Versuchung abgesehen, ist bei ihm der Gedanke an Alkohol nie wieder aufgetaucht – und wenn, überkam ihn jedes Mal ein großer Widerwille. Offensichtlich konnte er nicht trinken, auch wenn er gewollt hätte. Gott hat ihn genesen lassen.

Ist das nicht eine Wunderheilung? Eigentlich war es ganz einfach. Durch die Umstände wurde er bereit zu glauben. Demütig vertraute er sich seinem Schöpfer an – er hatte seinen Weg gefunden.

Genauso hat Gott auch uns allen geistige Gesundheit wiedergegeben. Diesem Mann kam die Erleuchtung plötzlich. Bei einigen von uns geht es langsamer. Aber Er ist zu allen gekommen, die Ihn ehrlich suchten.

Als wir uns Ihm näherten, offenbarte Er sich uns.

3 Vgl. Anhang 2: „Die spirituelle Erfahrung“

Anonyme Alkoholiker (Das Blaue Buch)

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