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MEHR ÜBER ALKOHOLISMUS

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Die meisten von uns wollten nicht zugeben, wirklich Alkoholiker zu sein. Keiner mag den Gedanken, sich körperlich und geistig von anderen zu unterscheiden. Deshalb überrascht es nicht, dass Trinkerkarrieren von zahllosen vergeblichen Versuchen gekennzeichnet sind, so zu trinken wie andere Leute. Jeder abnorme Trinker ist von dem Wahn besessen, er könne irgendwie, irgendwann sein Trinken kontrollieren und genießen. Es ist erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit an dieser Illusion festgehalten wird. Viele bleiben dabei, bis sie die Schwelle des Irrsinns überschritten oder den Tod vor Augen haben.

Wir haben gelernt, dass wir in unserem tiefsten Inneren rückhaltlos zugeben mussten, Alkoholiker zu sein. Das ist der erste Schritt zur Genesung. Der Wahn, dass wir wie andere sind oder je wieder werden könnten, muss zerschlagen werden.

Wir Alkoholiker sind Männer und Frauen, die die Fähigkeit verloren haben, kontrolliert zu trinken. Wir wissen, dass kein Alkoholiker jemals wieder kontrolliert trinken kann. Wir alle durchlebten Zeiten, in denen wir meinten, die Kontrolle wiedererlangt zu haben. Auf solche meistens kurzen Intervalle folgte unweigerlich ein noch größerer Kontrollverlust, der nach einiger Zeit zu einem erbärmlichen, unfassbaren Verfall führte. Bei uns gibt es keinen Zweifel, dass Alkoholiker wie wir in der Gewalt einer fortschreitenden Krankheit sind, die immer schlimmer wird, aber niemals besser.

Wir sind wie Menschen, die ihre Beine verloren haben; ihnen wachsen niemals neue. Genauso wenig scheint es irgendeine Art der Behandlung zu geben, die aus Alkoholikern „Normalverbraucher“ macht. Wir haben jede Möglichkeit der Heilung erprobt, die man sich nur vorstellen kann. In einigen Fällen gab es eine kurzzeitige Besserung, der immer ein noch schlimmerer Rückfall folgte. Ärzte, die sich mit dem Alkoholismus auskennen, stimmen in der Ansicht überein, dass es keine Möglichkeit gibt, aus einem Alkoholiker einen normalen Trinker zu machen. Vielleicht wird die Wissenschaft das eines Tages fertigbringen, aber so weit ist es noch nicht.

Trotz allem, was wir sagen, wollen viele Alkoholiker nicht glauben, dass es auch auf sie zutrifft. Sie versuchen, auf jede nur mögliche Art der Selbsttäuschung und des Herumexperimentierens sich selbst zu beweisen, dass sie die Ausnahme von der Regel – und somit keine Alkoholiker sind. Wenn jemand, der früher nicht kontrolliert trinken konnte, plötzlich eine Kehrtwendung zustande bringt und wie ein Gentleman trinken kann, dann ziehen wir unseren Hut vor ihm. Der Himmel weiß, wie lange und wie angestrengt wir versucht haben, so wie andere Leute zu trinken!

Nachfolgend einige der Methoden, die wir ausprobiert haben: Nur Bier trinken, eine begrenzte Menge trinken, nie allein trinken, nie frühmorgens trinken, nur zu Hause trinken, nie Alkohol im Haus haben, nie während der Dienstzeit trinken, nur auf Partys trinken, von Whisky auf Cognac übergehen, nur Naturwein trinken, bei Trunkenheit am Arbeitsplatz mit der Kündigung einverstanden sein, eine Reise unternehmen, keine Reise unternehmen, für immer abschwören (mit und ohne heiligem Eid), mehr Sport treiben, spannende Bücher lesen, in ein Entziehungsheim oder in ein Sanatorium gehen, freiwillig in eine geschlossene Anstalt gehen – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Wir möchten keinen zum Alkoholiker abstempeln, aber Sie können sich sehr schnell selbst die Diagnose stellen. Gehen Sie in die nächste Kneipe und versuchen Sie, kontrolliert zu trinken. Versuchen Sie zu trinken und ganz plötzlich aufzuhören. Versuchen Sie es mehr als einmal. Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, brauchen Sie nicht lange, um zu wissen, was mit Ihnen los ist. Genaue Kenntnis Ihres Zustands mag durchaus ein großes Zittern wert sein.

Obwohl es nicht zu beweisen ist, glauben wir, dass die meisten von uns am Anfang ihrer Trinkerlaufbahn mit dem Trinken hätten aufhören können. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass bei wenigen Alkoholikern der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören, stark genug ist, wenn es noch Zeit wäre. Wir haben von einigen wenigen Fällen gehört, in denen Leute, die deutliche Anzeichen von Alkoholismus zeigten, aufgrund eines übermächtigen Wunsches für eine lange Zeit mit dem Trinken aufhören konnten. Hier ist so ein Fall:

Ein Mann von 30 Jahren ging häufig auf Zechtour. Nach solchen Gelagen war er morgens sehr nervös und beruhigte sich wieder mit Alkohol. Er war ehrgeizig im Beruf, aber er sah, dass er nichts erreichen würde, solange er überhaupt noch trank. Wenn er einmal anfing, verlor er jede Kontrolle. Er beschloss, keinen Tropfen mehr anzurühren, bis er nach erfolgreichem Geschäftsleben sich zur Ruhe setzen würde. Ein außergewöhnlicher Mann. Er blieb 25 Jahre lang knochentrocken und setzte sich im Alter von 55 nach einer erfolgreichen und befriedigenden Karriere zur Ruhe. Dann wurde er das Opfer eines Irrglaubens, dem fast jeder Alkoholiker unterliegt: Eine lange Zeit der Nüchternheit und Selbstdisziplin würde ihn qualifizieren, wie andere zu trinken. Er zog die Pantoffeln an und die Flaschen hervor. Nach zwei Monaten fand er sich im Krankenhaus wieder – verwirrt und gedemütigt. Danach versuchte er für eine Weile, mit dem Trinken maßzuhalten, kam aber um einige Krankenhausaufenthalte nicht herum. Mit aller Kraft versuchte er schließlich, ganz aufzuhören, und stellte fest, dass er es nicht konnte. Er hatte zur Lösung seines Problems jede Möglichkeit, die mit Geld zu kaufen war. Jeder Versuch schlug fehl. Obwohl er zu Beginn seines Ruhestandes ein robuster Mann war, verfiel er dann schnell und starb nach vier Jahren.

Dieser Fall enthält eine eindringliche Lehre. Die meisten von uns haben geglaubt, sie könnten wieder normal trinken, wenn sie eine lange Zeit nüchtern blieben. Aber hier ist ein Mann, der mit 55 Jahren erfahren musste, dass er genau dort war, wo er mit dreißig aufgehört hatte. Immer und immer wieder sehen wir: einmal Alkoholiker – immer Alkoholiker! Wenn wir nach einer Zeit der Nüchternheit wieder mit dem Trinken anfangen, sind wir in kurzer Zeit wieder so übel dran wie vorher. Wenn wir uns vornehmen, mit dem Trinken aufzuhören, darf es keinen Vorbehalt geben, und in keinem Winkel unseres Hinterkopfes darf die Hoffnung lauern, eines Tages normal trinken zu können.

Die Lebensgeschichte dieses Mannes bringt junge Menschen vielleicht auf die Idee, dass sie wie er aus eigener Willenskraft aufhören könnten. Wir zweifeln daran, dass das viele fertigbringen, denn keiner will wirklich aufhören. Kaum einer wird den Zeitpunkt erleben, an dem er herausfindet, ob er es geschafft hat, weil er schon das dem Alkoholiker eigentümliche, verdrehte Denken erworben hat. In unserer Gruppe gibt es einige, die dreißig Jahre oder noch jünger sind. Sie hatten nur ein paar Jahre getrunken und waren trotzdem genauso hilflos wie jene, die zwanzig Jahre lang getrunken hatten.

Um Alkoholiker zu sein, muss man nicht unbedingt lange und solche Mengen getrunken haben wie viele von uns. Das trifft vor allem auf Frauen zu. Oft steigen Frauen mit einer Veranlagung zum Alkoholismus gleich voll ein und sind in wenigen Jahren in einem Zustand, aus dem es kein Zurück mehr gibt. Manche Trinker wären beleidigt, würde man sie als Alkoholiker bezeichnen – und sind trotzdem erstaunt, wenn sie merken, dass sie mit dem Trinken nicht aufhören können. Wir erkennen unter den Jugendlichen eine große Zahl potenzieller Alkoholiker, weil wir mit den Symptomen vertraut sind. Aber versuchen Sie einmal, sie zur Einsicht zu bringen.2

Wenn wir zurückblicken, wird uns klar, dass wir viele Jahre weitergetrunken hatten, als wir schon über den Punkt hinaus waren, an dem wir aus eigener Willenskraft hätten aufhören können. Wenn irgendeiner daran zweifelt, ob er über diesen gefährlichen Punkt schon hinaus ist, dann lassen Sie ihn versuchen, ein Jahr ohne Alkohol auszukommen. Sollte er Alkoholiker und seine Krankheit schon sehr fortgeschritten sein, gibt es kaum eine Erfolgschance. In den Anfängen unseres Trinkens blieben wir gelegentlich ein Jahr oder länger nüchtern und wurden danach wieder harte Trinker. Selbst wenn Sie in der Lage sind, für eine längere Zeit mit dem Trinken aufzuhören, können Sie ein potenzieller Alkoholiker sein. Wir meinen, dass wenige, an die dieses Buch gerichtet ist, überhaupt ein Jahr lang trocken bleiben können. Einige werden noch am selben Tag betrunken sein, an dem sie sich vorgenommen hatten, nichts zu trinken; die meisten schaffen es vielleicht ein paar Wochen.

Diejenigen, die nicht kontrolliert trinken können, stehen vor der Frage, wie man überhaupt aufhört. Wir nehmen selbstverständlich an, dass der betroffene Leser mit dem Trinken aufhören will. Ob jemand ohne spirituelle Grundlage aufhören kann, hängt davon ab, wie weit er seine Entscheidungsfähigkeit schon verloren hat, ob er trinken will oder nicht. Viele von uns glaubten, einen starken Charakter zu haben. Da war ein ungeheuer großes Verlangen, für immer mit dem Trinken aufzuhören. Es war uns jedoch nicht möglich. Wir kennen dieses rätselhafte Kennzeichen des Alkoholismus – diese absolute Unfähigkeit, wie groß die Notwendigkeit und der Wunsch, aufzuhören, auch sein mögen.

Wie können wir unseren Lesern helfen, aus eigener Überzeugung die Entscheidung zu treffen, ob sie zu uns gehören? Der Versuch, eine gewisse Zeit mit dem Trinken aufzuhören, kann dabei helfen. Aber wir glauben, dass wir den leidenden Alkoholikern und vielleicht auch der ganzen medizinischen Zunft eine noch größere Hilfe anbieten können. Deshalb werden wir einige der geistigen Zustände beschreiben, die dem Rückfall vorausgehen, denn dort scheint offensichtlich die Wurzel des Problems zu liegen.

Was geht in einem Alkoholiker vor, der immer wieder das hoffnungslose Experiment mit dem ersten Glas wiederholt? Freunde, die ihn zur Vernunft bringen wollen, sind verblüfft, wenn er geradewegs in eine Kneipe marschiert, obwohl ihn das letzte Besäufnis an den Rand der Scheidung oder des Bankrotts gebracht hatte. Warum macht er das? Was denkt er sich dabei?

Unser erstes Beispiel ist ein Freund, den wir Jim nennen wollen. Dieser Mann hat eine liebenswerte Frau und eine Familie. Er hatte eine gut gehende Automobilvertretung geerbt. Er wurde im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet. Er ist ein guter Verkäufer. Jeder mag ihn. Er ist intelligent und – soweit wir es beurteilen können – normal, abgesehen von einer nervösen Veranlagung. Bis zu seinem 35. Lebensjahr trank er keinen Alkohol. Dann begann er zu trinken. Innerhalb weniger Jahre wurde er, wenn er betrunken war, so gewalttätig, dass er eingewiesen werden musste. Als er die Anstalt verließ, kam er mit uns in Kontakt.

Wir sagten ihm, was wir vom Alkoholismus wussten und welche Lösung wir gefunden hatten. Er machte einen Anfang. Seine Familie wurde wieder zusammengeführt und er fing an, als Verkäufer in dem Geschäft zu arbeiten, das er durch seine Trinkerei verloren hatte. Eine Zeit lang ging alles gut. Aber er vernachlässigte sein spirituelles Leben. Zu seiner eigenen Bestürzung war er einige Male hintereinander wieder betrunken. Jedes Mal arbeiteten wir mit ihm und untersuchten genau, was sich ereignet hatte. Er gab zu, dass er wirklich Alkoholiker war und sich in besorgniserregendem Zustand befand. Er war sich darüber im Klaren, dass ihm ein neuer Gang in die Anstalt bevorstand, wenn er so weitermachte. Hinzu kam, dass er seine Familie verlieren würde, die er aufrichtig liebte.

Trotzdem betrank er sich wieder. Wir baten ihn, uns genau zu erzählen, was passiert war. Hier ist die Geschichte: „Am Dienstagmorgen kam ich zur Arbeit. Ich erinnere mich, dass es mich störte, für ein Unternehmen Verkäufer sein zu müssen, das mir einmal gehört hatte. Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit dem Chef, es war aber nichts Ernstes. Daraufhin entschloss ich mich, einen Interessenten für ein Auto zu besuchen. Unterwegs wurde ich hungrig, also hielt ich an einer Gaststätte. Ich hatte nicht die Absicht zu trinken. Ich wollte nur ein Sandwich essen. Ich hoffte auch, hier vielleicht einen Kunden für ein Auto zu finden. Dieses Lokal war mir seit Jahren bekannt. Während der Monate, in denen ich nüchtern war, hatte ich dort oft gegessen. Ich setzte mich an einen Tisch, bestellte ein Sandwich und ein Glas Milch. Immer noch kein Gedanke an Trinken. Ich bestellte noch ein Sandwich und entschied mich für ein weiteres Glas Milch.

Plötzlich kam mir der Gedanke, ein Whisky in meiner Milch könnte mir bei meinem vollen Magen nicht schaden. Ich bestellte einen Whisky und schüttete ihn in die Milch. Ich hatte das dumpfe Gefühl, nicht sehr klug zu handeln, beruhigte mich aber damit, dass ich ja den Whisky auf vollen Magen trank. Der Versuch lief so gut, dass ich noch einen Whisky bestellte und ihn wieder in die Milch schüttete. Das schien mir nichts auszumachen – und so versuchte ich noch einen.“

So fing für Jim wieder eine Reise in die Anstalt an. Hier drohte die Verwahrung und damit der Verlust der Familie und der Stellung. Ganz zu schweigen davon, wie schlecht es ihm geistig und körperlich immer nach dem Trinken ging. Er wusste viel über sich selbst als Alkoholiker. Dennoch wurden alle Gründe für das Nichttrinken einfach beiseitegeschoben zugunsten der verrückten Idee, Whisky trinken zu können, wenn er ihn nur mit Milch mischte!

Wie man das auch immer definieren will, wir nennen es reinen Wahnsinn. Wie kann ein solcher Mangel an Selbsteinschätzung, an Fähigkeit, logisch zu denken, anders genannt werden?

Vielleicht meinen Sie, dies sei ein extremer Fall. Für uns ist das nicht weit hergeholt, denn diese Art zu denken ist für jeden Einzelnen von uns charakteristisch gewesen. Wir haben manchmal mehr als Jim über die Konsequenzen nachgedacht. Immer war da dieses eigenartige geistige Phänomen: Unser vernünftiges Denken war automatisch begleitet von einer irrsinnig lächerlichen Entschuldigung für den ersten Schluck. Vernunft konnte uns nicht im Zaum halten. Der Irrsinn siegte. Am nächsten Tag fragten wir uns ehrlich und allen Ernstes, wie das hatte passieren können.

Bei manchen Gelegenheiten haben wir uns absichtlich betrunken, was wir mit Nervosität, Ärger, Sorgenmachen, Depression, Eifersucht oder ähnlichen Gründen rechtfertigten. Aber selbst wenn es so angefangen hatte, mussten wir nachher zugeben, dass unsere Rechtfertigung für den Rausch sinnlos und unzureichend war im Licht dessen, was nachher immer eintrat. Auch wenn wir vorsätzlich und nicht zufällig zu trinken anfingen – so sehen wir es heute –, fehlt bei uns jede ernsthafte und nützliche Einsicht in die schrecklichen Konsequenzen unseres Handelns.

Wir verhalten uns beim ersten Schluck so absurd und unverständlich, wie jemand, der den Tick hat, achtlos über die Straße zu gehen. Für ihn ist es ein Nervenkitzel, kurz vor einem schnell fahrenden Fahrzeug beiseite zu springen. Trotz gut gemeinter Warnungen macht ihm das einige Jahre Freude. Bis zu diesem Zeitpunkt würde man ihn als Narren bezeichnen, der eine merkwürdige Auffassung von Spaß hat. Dann verlässt ihn das Glück und er wird mehrmals hintereinander leicht verletzt. Wenn er normal wäre, würde man erwarten, dass er es bleiben lässt. Kurz darauf wird er wieder angefahren und erleidet diesmal einen Schädelbruch. Kaum aus dem Krankenhaus, wird er von einer Straßenbahn angefahren und bricht sich den Arm. Er verspricht, mit seinem irrsinnigen Verhalten auf der Straße für immer aufzuhören, bricht sich aber nach ein paar Wochen beide Beine.

So geht dieser Unsinn jahrelang weiter, begleitet von seinem Versprechen, vorsichtig zu sein oder die Straße ganz zu meiden. Schließlich kann er nicht mehr arbeiten, seine Frau lässt sich von ihm scheiden und er ist der Lächerlichkeit preisgegeben. Er versucht alles, um sein irrsinniges Zwangsverhalten auf der Straße aus dem Kopf zu bekommen. Er lässt sich in eine Anstalt einweisen in der Hoffnung, dort Besserung zu finden. Am Tag der Entlassung rennt er vor ein Feuerwehrauto und bricht sich das Kreuz. So ein Mann wäre verrückt, nicht wahr?

Dieses Beispiel klingt vielleicht zu lächerlich. Aber ist es das wirklich? Wir, die wir durch die Mangel gedreht worden sind, müssen zugeben, dass dieses Bild genau auf uns zuträfe, würden wir das oben beschriebene, irrsinnige Verhalten im Straßenverkehr durch Alkoholismus ersetzen. So intelligent wir vielleicht in anderer Beziehung waren – wenn es um Alkohol ging, waren wir auf eine seltsame Weise verrückt. Das ist eine harte Sprache. Aber ist es nicht die Wahrheit?

Manche werden denken: „Ja, was ihr sagt, ist wahr, aber es stimmt nicht ganz. Zugegeben, einige dieser Symptome sind bei uns vorhanden, aber so extrem weit gegangen wie ihr sind wir nicht. Wir werden auch kaum so weit gehen. Nach dem, was ihr uns gesagt habt, kennen wir uns so gut, dass solche Dinge nicht wieder vorkommen können. Wir haben durch unser Trinken nicht alles in unserem Leben verloren. Wir haben es auch bestimmt nicht vor. Vielen Dank für die Information!“

Auf einige Nichtalkoholiker mag das alles zutreffen. Die können ihr Trinken einschränken oder ganz aufhören, auch wenn sie im Augenblick leichtsinnig und stark trinken. Sie haben geistig und körperlich noch keinen solchen Schaden erlitten wie wir. Aber der Alkoholiker oder derjenige, der die Veranlagung dazu hat, wird nie in der Lage sein, aufgrund von Selbsterkenntnis mit dem Trinken aufzuhören. Von dieser Regel gibt es kaum eine Ausnahme. Das ist der Kernpunkt, den wir immer und immer wieder herausstreichen möchten, um den Alkoholikern unter unseren Lesern einzutrichtern, was wir durch bittere Erfahrung lernen mussten. Nehmen wir ein anderes Beispiel.

Fred ist Teilhaber eines Wirtschaftsprüfers. Er hat ein gutes Einkommen, ein schönes Heim, ist glücklich verheiratet und Vater von vielversprechenden, fast erwachsenen Kindern. Er hat eine solch gewinnende Persönlichkeit, dass er sich überall Freunde macht. Wenn es je einen erfolgreichen Geschäftsmann gab, so ist es Fred. Offensichtlich ist er eine beständige, ausgeglichene Persönlichkeit. Doch er ist Alkoholiker. Zum ersten Mal sahen wir Fred vor etwa einem Jahr im Krankenhaus, wo er sich vom „großen Zittern“ erholte. Es war seine erste Erfahrung dieser Art und er schämte sich sehr. Er war weit davon entfernt, zuzugeben, dass er Alkoholiker war. Er redete sich ein, ins Krankenhaus gekommen zu sein, um seine Nerven zu beruhigen. Der Arzt gab ihm ernsthaft zu verstehen, dass es möglicherweise schlimmer um ihn stand als er sich vorstellte. Einige Tage lang war er wegen seines Zustandes bedrückt. Er entschloss sich, ganz mit dem Trinken aufzuhören. Der Gedanke, das vielleicht nicht zu schaffen, kam ihm angesichts seines Charakters und seiner Stellung gar nicht in den Sinn. Fred wollte es nicht wahrhaben, Alkoholiker zu sein, noch weniger wollte er zugeben, dass zur Lösung seines Problems ein spirituelles Heilmittel nötig war. Wir erzählten, was wir über Alkoholismus wussten. Er war interessiert und gab zu, einige dieser Symptome zu haben. Aber er war weit davon entfernt, sich einzugestehen, dass er sich nicht selbst helfen konnte. Er war davon überzeugt, dass diese erniedrigende Erfahrung und sein neu erworbenes Wissen ihn für den Rest seines Lebens nüchtern halten würden. Selbsterkenntnis würde alles in Ordnung bringen.

Eine Zeit lang hörten wir nichts mehr von Fred. Eines Tages erzählte man uns, dass er wieder im Krankenhaus sei. Diesmal war er ganz schön wacklig. Er ließ uns wissen, dass er uns dringend sehen wollte. Die Geschichte, die er uns erzählte, war sehr aufschlussreich. Hier war jemand, der absolut davon überzeugt war, dass er mit dem Trinken aufhören müsse, jemand, der keine Entschuldigung für sein Trinken hatte, der glänzendes Urteilsvermögen und Entschlusskraft in allen sonstigen Dingen an den Tag legte und der trotzdem wieder flach lag.

Lassen wir ihn selbst erzählen: „Ich war sehr beeindruckt von dem, was ihr mir über Alkoholismus gesagt habt, und habe wirklich nicht daran geglaubt, dass ich jemals wieder trinken würde. Ich konnte schon euren Gedanken über diesen spitzfindigen Irrsinn folgen, die dem ersten Schluck vorausgehen. Ich vertraute aber darauf, dass mir so etwas nicht passieren könnte, nach allem, was ich gelernt hatte. Ich nahm für mich in Anspruch, noch nicht so weit zu sein, wie die meisten von euch. Normalerweise konnte ich meine anderen Probleme bewältigen. Und deshalb wollte ich auch da erfolgreich sein, wo ihr versagt habt. Ich meinte, einen berechtigten Anspruch auf Selbstvertrauen zu haben – und dass es lediglich eine Frage des Trainings meiner Willenskraft und meiner Wachsamkeit sei, nicht zu trinken.

Mit dieser Einstellung ging ich meinen Geschäften nach und eine Zeit lang ging alles gut. Ich hatte keine Schwierigkeiten, alkoholische Getränke abzulehnen, und machte mir Gedanken darüber, ob ich nicht einer einfachen Sache zu viel Gewicht beigemessen hatte. Eines Tages reiste ich nach Washington, um einem Regierungsbüro einen Rechnungsbericht vorzulegen. Während dieser Zeit der Trockenheit war ich vorher schon einmal unterwegs gewesen, sodass dies nichts Neues für mich war. Körperlich fühlte ich mich prima. Ich hatte auch keine schwerwiegenden Probleme oder Sorgen. Mein Geschäft ging gut, ich war zufrieden – und meine Partner waren es auch. Der Tag ging zu Ende ohne Wolke am Horizont.

Ich ging in mein Hotel und zog mich gemächlich zum Essen um. Als ich die Schwelle des Speisesaals betrat, kam mir der Gedanke, dass es doch ganz nett wäre, ein paar Cocktails zum Essen zu trinken. Das war alles. Nichts weiter. Ich bestellte einen Cocktail und mein Essen. Dann bestellte ich noch einen Cocktail. Nach dem Essen entschloss ich mich zu einem Spaziergang. Als ich zum Hotel zurückkehrte, kam mir der Gedanke, dass ein Whisky-Soda vor dem Zubettgehen nicht schlecht wäre. Also ging ich an die Bar und trank einen. Ich erinnere mich, in dieser Nacht noch einige mehr getrunken zu haben – und viele mehr am nächsten Morgen. Ich erinnere mich dunkel, in einem Flugzeug nach New York gesessen und bei der Landung anstelle meiner Frau einen freundlichen Taxifahrer gefunden zu haben. Mit dem fuhr ich ein paar Tage herum. Ich weiß kaum, wohin wir fuhren, was ich sagte und was ich tat. Das Nächste, woran ich mich erinnere, war das Krankenhaus, mit unerträglichen geistigen und körperlichen Qualen.

Als ich wieder klar denken konnte, rekonstruierte ich den Abend in Washington sorgfältig. Ich war weder auf der Hut gewesen, noch hatte ich versucht, gegen das erste Glas anzukämpfen. Diesmal hatte ich überhaupt nicht an die Konsequenzen gedacht. Ich hatte so sorglos mit dem Trinken angefangen, als wären die Cocktails Limonade gewesen. Auf einmal erinnerte ich mich, was meine Alkoholiker-Freunde mir gesagt und wie sie mir prophezeit hatten, dass für mich – befangen im alkoholischen Denken – Stunde und Ort kämen, da ich wieder trinken würde. Man hatte mir gesagt, dass die Barriere, die ich mir aufgebaut hatte, eines Tages einem unbedeutenden Anlass zum Trinken nicht standhalten würde. Gut, genau das war passiert; mehr noch: Alles, was ich über Alkoholismus gelernt hatte, war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Von diesem Augenblick an wurde mir mein alkoholisches Denken bewusst. Ich sah ein, dass Willenskraft und Selbsterkenntnis gegen ein solch merkwürdiges geistiges Vakuum nicht helfen konnten. Ich hatte nie Verständnis für Leute, die sagten, ein Problem hätte sie hoffnungslos überwältigt. Jetzt kannte ich das. Es war wie ein Schlag mit dem Hammer.

Zwei Anonyme Alkoholiker besuchten mich. Sie grinsten, was mir nicht besonders gefiel, und fragten mich, ob ich mich als Alkoholiker betrachte und ob es mir dieses Mal wirklich reiche. Ich musste beiden zustimmen. Sie überhäuften mich mit Beweisen, dass das alkoholische Denken, das ich in Washington gezeigt hatte, ein hoffnungsloser Zustand war. Sie zählten Dutzende von Fällen aus eigener Erfahrung auf. Der letzte Funke Hoffnung, aus eigener Kraft nüchtern zu bleiben, wurde dadurch erstickt.

In groben Zügen erläuterten sie mir die spirituelle Lösung und das praktische Programm, mit dem Hunderte ihr Problem mit Erfolg angegangen waren. Obgleich ich nur auf dem Papier zu einer Kirche gehörte, waren ihre Vorschläge vom Verstand her nicht schwer zu fassen. Das Programm war vernünftig, verlangte aber striktes Handeln. Das hieß, dass ich einige lebenslang gehegte Auffassungen über Bord werfen musste. Das war nicht leicht. Als ich mich entschlossen hatte, das durchzustehen, hatte ich im gleichen Augenblick das seltsame Gefühl, dass ich nicht mehr so schwer an meinem Alkoholismus zu tragen hatte. Das hat sich tatsächlich bewahrheitet.

Genauso wichtig war die Entdeckung, dass die tief greifenden spirituellen Grundsätze alle meine Probleme lösen würden. Seitdem bin ich zu einer zufriedeneren und – wie ich hoffe – auch nützlicheren Lebensweise gelangt. Meine frühere Lebensart war auf keinen Fall schlecht, aber die schönsten Augenblicke von damals würde ich nicht gegen die schlechtesten von heute eintauschen. Ich möchte nicht dahin zurück, selbst wenn ich könnte.“

Die Geschichte von Fred spricht für sich selbst. Wir hoffen, dass sie bei Tausenden ankommt, denen es so ging wie ihm. Er hatte nur den Anfang der Talfahrt erlebt. Die meisten Alkoholiker müssen viel tiefer, bevor sie wirklich anfangen, ihre Probleme zu lösen.

Viele Ärzte und Psychiater stimmen mit unserer Ansicht überein. Einer von ihnen, Mitarbeiter eines weltbekannten Krankenhauses, gab einigen von uns folgende Stellungnahme: „Was ihr über die hoffnungslose Lage des Durchschnittsalkoholikers sagt, ist meiner Meinung nach richtig. Was die zwei von euch betrifft, deren Geschichte ich gehört habe, so besteht bei mir kein Zweifel, dass es sich hundertprozentig um hoffnungslose Fälle handelte. Da konnte nur noch Gott helfen. Wäret ihr freiwillig zu mir als Patienten in dieses Krankenhaus gekommen, hätte ich euch nicht aufgenommen, wenn ich es hätte verhindern können. Leute wie ihr zerreißen einem das Herz. Obwohl ich kein religiöser Mensch bin, habe ich tiefen Respekt vor dem spirituellen Zugang zu euren Problemen. In den meisten Fällen gibt es wohl keine andere Lösung.“

Um es noch mal zu sagen: Zu gewissen Zeiten hat der Alkoholiker keinen wirksamen geistigen Schutz gegen das erste Glas. Von wenigen Fällen abgesehen, kann weder er selbst noch irgendein anderes menschliches Wesen ihm dazu verhelfen. Dieser Schutz muss von einer Höheren Macht kommen.

2 Diese Aussage fußt auf den beim Erstdruck des Buches vorliegenden Erkenntnissen. Nach einer 2014 in den Vereinigten Staaten und in Kanada durchgeführten Umfrage waren 12% der AA-Mitglieder dreißig Jahre und jünger.

Anonyme Alkoholiker (Das Blaue Buch)

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