Читать книгу Anonyme Alkoholiker (Das Blaue Buch) - Alcoholics Anonymous World Services Inc. - Страница 20

WIE ES FUNKTIONIERT

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Selten haben wir jemanden scheitern sehen, der unseren Weg gewissenhaft gegangen ist. Nicht zur Genesung gelangen diejenigen, die sich nicht ganz in dieses einfache Programm einbringen können oder wollen. Meistens sind es Männer und Frauen, die aus ihrer Veranlagung heraus sich selbst gegenüber nicht ehrlich sein können. Solche Unglücklichen gibt es. Es ist nicht ihre Schuld. Es scheint, als seien sie so geboren. Sie sind von Natur aus nicht in der Lage, eine Lebensweise anzunehmen und für sich zu entwickeln, die eine absolute Ehrlichkeit verlangt. Ihre Genesungschancen liegen unter dem Durchschnitt. Darüber hinaus gibt es auch Menschen, die unter ernsten Störungen in ihrem Denken und Fühlen leiden. Dennoch genesen viele von ihnen, wenn sie die Fähigkeit haben, ehrlich zu sein.

Unsere Lebensgeschichten offenbaren, wie wir waren, was geschah und wie wir heute sind. Wenn Sie sich darüber klar geworden sind, dass Sie das haben wollen, was wir heute besitzen – und wenn Sie willens sind, den ganzen Weg zu gehen, um es zu bekommen – dann sind Sie auch bereit, dafür gewisse Schritte zu tun.

Vor manchen Schritten scheuten wir zurück. Wir dachten, wir können einen einfacheren, bequemeren Weg finden. Aber das ging nicht. Ernsthaft und eindringlich bitten wir Sie, von Anfang an furchtlos und gründlich zu sein. Einige von uns hatten versucht, an alten Vorstellungen festzuhalten: Das Resultat war gleich Null, bis wir kapitulierten.

Denken Sie daran, dass wir es mit Alkohol zu tun haben: Er ist verschlagen, trügerisch, mächtig! Ohne Hilfe ist es viel zu schwer für uns. Aber es gibt einen, der alle Kraft hat – und das ist Gott. Mögen Sie ihn jetzt finden!

Halbe Sachen nützten uns nichts. Wir standen am Wendepunkt. Hingebungsvoll baten wir Ihn um seinen Schutz und seine Hilfe.

Hier sind die Schritte, die wir gegangen sind und die als Programm zur Genesung empfohlen werden.

1 Wir gaben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind – und unser Leben nicht mehr meistern konnten.

2 Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.

3 Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes – wie wir Ihn verstanden – anzuvertrauen.

4 Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren.

5 Wir gaben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber unverhüllt unsere Fehler zu.

6 Wir waren völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen.

7 Demütig baten wir Ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen.

8 Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugefügt hatten – und wurden willig, ihn bei allen wiedergutzumachen.

9 Wir machten bei diesen Menschen alles wieder gut – wo immer es möglich war –, es sei denn, wir hätten dadurch sie oder andere verletzt.

10 Wir setzten die Inventur bei uns fort – und wenn wir unrecht hatten, gaben wir es sofort zu.

11 Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott – wie wir Ihn verstanden – zu vertiefen. Wir baten Ihn nur, uns Seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.

12 Nachdem wir durch diese Schritte ein spirituelles Erwachen erlebt hatten, versuchten wir, diese Botschaft an Alkoholiker weiterzugeben und unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.

Viele von uns riefen aus: „Was sind das für Vorschriften! Das schaffe ich nie!“ Seien Sie nicht mutlos. Keiner von uns war in der Lage, diese Prinzipien auch nur annähernd vollständig zu befolgen. Wir sind keine Heiligen. Es kommt darauf an, dass wir willens sind, anhand spiritueller Grundsätze zu wachsen. Die Prinzipien, die wir aufstellten, sind unser Leitfaden, der zum Fortschritt führt. Wir streben eher nach spirituellem Fortschreiten als nach spiritueller Vollkommenheit.

Unsere Beschreibung des Alkoholikers, das Kapitel „Wir Agnostiker“ und unsere Lebensgeschichten offenbaren drei wesentliche Erkenntnisse:

a) Dass wir Alkoholiker sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten.

b) Dass wahrscheinlich keine menschliche Macht uns vom Alkoholismus befreien konnte.

c) Dass Gott es tun konnte und würde, wenn wir Ihn suchten.

Als wir das begriffen hatten, waren wir beim Dritten Schritt angelangt. Darin steht, dass wir den Entschluss fassten, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes, wie wir Ihn verstanden, anzuvertrauen. Was meinten wir damit – und wie gehen wir vor?

Zunächst müssen wir davon überzeugt sein, dass ein Leben, das von Eigenwillen gesteuert wird, kaum Erfolg haben kann. Mit dieser Einstellung kommen wir fast immer mit irgendetwas oder irgendjemandem in Konflikt, selbst wenn unsere Beweggründe gut sind. Die meisten Menschen versuchen, durch ihre eigene Antriebskraft zu leben. Jeder ist wie ein Schauspieler, der die ganze Vorstellung allein bestreiten will. Er versucht ständig, die Beleuchtung, das Ballett und die Szenerie sowie den Rest der Schauspieler nach seinem Kopf zu arrangieren. Wenn man seine Arrangements nur so lassen würde, wenn die Leute nur das täten, was er wollte, wäre die Vorstellung ein Erfolg. Jeder, er selbst eingeschlossen, wäre zufrieden. Das Leben wäre wunderbar. Beim Versuch, dieses alles zu arrangieren, mag der Schauspieler manchmal gute Eigenschaften zeigen. Vielleicht ist er freundlich, rücksichtsvoll, geduldig und großzügig, vielleicht sogar bescheiden und uneigennützig. Er kann aber auch gemein, egoistisch, eigennützig und unehrlich sein. Er wird aber, wie die meisten Menschen, wahrscheinlich unterschiedliche Charakterzüge haben.

Was aber geschieht gewöhnlich? Die Aufführung läuft nicht sehr gut. Er fängt an zu glauben, dass er vom Schicksal nicht richtig behandelt wird. Er beschließt, sich noch mehr anzustrengen. Bei nächster Gelegenheit wird er noch anspruchsvoller oder nachgiebiger – je nachdem. Die Darstellung gefällt ihm immer noch nicht. Selbst wenn er zugibt, dass es auch ein wenig an ihm liegen könnte, ist er dennoch davon überzeugt, dass die anderen mehr Schuld daran haben. Er wird ärgerlich, entrüstet und bedauert sich selbst. Was ist sein Grundproblem? Ist er nicht in Wirklichkeit gerade dann selbstsüchtig, wenn er versucht, freundlich zu sein? Ist er nicht das Opfer von Selbsttäuschung, wenn er meint, der Welt Befriedigung und Glück für sich abzuringen, wenn er es nur richtig anstellt? Ist es für alle anderen Mitspieler klar, welche seine wahren Ziele sind? Führt sein Vorgehen nicht dazu, dass es ihm die anderen heimzahlen wollen, indem sie ihm die Show stehlen? Stiftet er nicht auch in seinen besten Augenblicken eher Unruhe als Frieden?

Unser Schauspieler ist extrem ichbezogen. Er benimmt sich wie ein wohlhabender Ruheständler, der im Winter im Sonnenschein Floridas über die schlechte Lage der Nation klagt; wie der Geistliche, der die Sünden des 20. Jahrhunderts bejammert; wie Politiker und Weltverbesserer, die sicher sind, dass sich eine ideale Gesellschaft verwirklichen ließe, wenn nur der Rest der Welt mitmachen würde; wie der gesetzlose Geldschrankknacker, der meint, die Gesellschaft habe ihm Unrecht getan. Und nicht anders benimmt sich der Alkoholiker, der alles verloren hat und eingesperrt worden ist. Wenn wir auch noch so widersprechen, sind wir nicht meistens mit uns selbst, mit unserem Groll und Selbstmitleid beschäftigt?

Egoismus – Ichbezogenheit! Das, glauben wir, ist die Wurzel unserer Schwierigkeiten. Getrieben von allen möglichen Formen von Furcht, Selbsttäuschung, Egoismus und Selbstmitleid treten wir unseren Mitmenschen auf die Füße – und sie schlagen zurück. Hin und wieder verletzen sie uns, ohne dass wir es anscheinend provoziert haben. Aber unweigerlich stellt sich heraus, dass wir irgendwann in der Vergangenheit ichbezogene Entscheidungen getroffen haben, die uns später verwundbar machten.

Wir glauben, dass wir unsere Schwierigkeiten im Wesentlichen selbst geschaffen haben. Sie erwachsen aus uns selbst – und der Alkoholiker ist ein extremes Beispiel für einen Menschen, dessen Eigensinn mit ihm durchgeht, obwohl er das meistens nicht zugibt. Vor allem müssen wir Alkoholiker uns von dieser Selbstsucht befreien. Wir müssen es – oder sie bringt uns um! Mit Gott wird es gelingen. Ohne Seine Hilfe scheint es meist unmöglich, von dieser Ichbezogenheit wegzukommen. Viele von uns hatten moralische oder philosophische Überzeugungen in Hülle und Fülle, aber wir konnten nicht danach leben, obwohl wir es gern wollten. Ebenso wenig konnten wir unsere Selbstsucht wesentlich reduzieren, wie sehr wir es auch wünschten oder aus eigener Kraft versuchten. Wir waren auf Gottes Hilfe angewiesen.

Das ist das Wie und Warum. Zuallererst mussten wir aufhören, den lieben Gott zu spielen. Es funktionierte nicht. Als Nächstes beschlossen wir, dass von jetzt an Gott in diesem Drama des Lebens unser Regisseur sein sollte. Er ist der Chef – und wir handeln in Seinem Auftrag. Er ist der Vater – und wir sind Seine Kinder. Die meisten guten Ideen sind einfach. Und diese Auffassung war der Schlussstein des neuen Triumphbogens, durch den hindurch wir zur Freiheit gelangten.

Als wir uns ernsthaft zu dieser Lebenseinstellung bekannt hatten, folgten alle möglichen bemerkenswerten Dinge. Wir hatten einen neuen „Chef“; Er war allmächtig. Er gab uns das, was wir brauchten, wenn wir zu Ihm standen und Seine Arbeit gut ausführten. Auf dieser Grundlage ließ das Interesse an uns selbst, unseren kleinen Plänen und Vorhaben immer mehr nach. Zunehmend interessierten wir uns dafür, was wir dem Leben beisteuern konnten. Sobald wir neue Kraft in uns spürten, sobald wir uns an unserem Seelenfrieden erfreuten, sobald wir entdeckten, dass wir dem Leben erfolgreich entgegentreten konnten, sobald wir uns Seiner Gegenwart bewusst wurden, verloren wir unsere Furcht vor dem Heute, dem Morgen und der Zukunft. Wir waren wiedergeboren.

Jetzt waren wir mitten im Dritten Schritt. Viele von uns sagten zu unserem Schöpfer, wie wir Ihn verstanden: „Gott, ich gebe mich in Deine Hand, richte mich auf und tu mit mir nach Deinem Willen. Erlöse mich von den Fesseln meines Ichs, damit ich Deinen Willen besser erfüllen kann. Nimm meine Schwierigkeiten hinweg, damit der Sieg über sie Zeugnis von Deiner Macht, Deiner Liebe, Deiner Führung ablegen möge vor den Menschen, denen ich helfen möchte. Möge ich immer Deinen Willen tun!“ Bevor wir diesen Schritt taten, haben wir gut nachgedacht und uns geprüft, ob wir dazu bereit waren, sodass wir uns schließlich ohne Einschränkung in Gottes Hand geben konnten.

Wir fanden es wünschenswert, diesen spirituellen Schritt mit einem verständnisvollen Menschen zu tun, vielleicht unserer Frau, dem besten Freund oder einem geistlichen Berater. Allerdings ist es besser, Gott allein gegenüberzutreten als mit jemandem, der nicht das richtige Verständnis dafür aufbringt. Natürlich war die Wahl der Worte jedem selbst überlassen, solange zum Ausdruck kam, dass wir uns Ihm rückhaltlos anvertrauten. Das war erst ein Anfang: Wenn er aber ehrlich und demütig gemacht wurde, war eine starke Wirkung manchmal sofort spürbar.

Zunächst stürzten wir uns voller Eifer in die Arbeit. Wir begannen mit einem inneren Hausputz, etwas, das viele von uns bis dahin noch nie versucht hatten. Unser Entschluss, uns Gott anzuvertrauen, war ein lebenswichtiger und entscheidender Schritt. Er konnte jedoch nur dann wirksam werden, wenn darauf sofort die echte Anstrengung folgte, den Dingen, die uns den Weg versperrten, ins Auge zu sehen und uns von ihnen zu lösen. Der Alkohol war dabei nur ein Symptom. Wir mussten also bis zu den Ursachen und inneren Voraussetzungen vordringen.

Aus diesem Grund begannen wir mit einer persönlichen Inventur. Das war der Vierte Schritt. Ein Geschäft, das nicht regelmäßig Inventur macht, geht gewöhnlich Pleite. Die Inventur im Geschäftsleben ist ein Prozess, bei dem Tatbestände festgestellt werden, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Es geht um eine ehrliche Bestandsaufnahme. Ein Ziel dabei ist, beschädigte und unverkäufliche Ware festzustellen und sich ohne Bedauern schnell davon zu trennen. Wenn ein Geschäftsinhaber erfolgreich sein will, darf er sich über den wirklichen Wert seiner Ware nichts vormachen.

Genau das Gleiche taten wir mit unserem Leben. Wir machten ehrlich Inventur. Zuerst suchten wir die Fehler in unserem Verhalten, die unserem Versagen zugrunde lagen. Überzeugt davon, dass unser Ich in seinen verschiedenen Erscheinungsformen uns immer wieder Niederlagen beigebracht hatte, untersuchten wir nun, wo und wie sich das Ich gewöhnlich äußert.

Groll ist der Missetäter Nummer eins. Er zerstört mehr Alkoholiker, als es andere Dinge tun. Er ist der Ursprung jeder seelischen Erkrankung. Wir waren ja nicht nur geistig und körperlich, sondern auch seelisch krank. Wenn wir die seelische Krankheit überwunden haben, erholen wir uns auch geistig und körperlich wieder. Bei der Auseinandersetzung mit unserem Groll machten wir eine Liste von Leuten, Institutionen und Vorschriften, über die wir uns geärgert hatten. Wir fragten uns, warum wir uns geärgert hatten. Meistens fanden wir heraus, dass unsere Selbstachtung, unsere Portemonnaies, unser Ehrgeiz, unsere Erwartungen, unsere persönlichen Beziehungen (einschließlich der sexuellen) verletzt oder bedroht waren. Wir waren gekränkt. Wir waren „fuchsteufelswild“.

Auf unsere „Grollliste“ schreiben wir neben jeden Namen die uns zugefügten Kränkungen. Waren es unsere Selbstachtung, unsere Sicherheit, unser Streben, unsere persönlichen oder sexuellen Beziehungen, die beeinträchtigt waren?

Wir machten es, wenn möglich, so klar wie in folgendem Beispiel:

Ich bin verärgert über Herrn Meier:

Grund: Seine Aufmerksamkeiten meiner Frau gegenüber.

Verletzt bei mir: Sexualbeziehung, Selbstachtung (Angst)

Grund: Erzählte meiner Frau von meiner Geliebten.

Verletzt bei mir: Sexualbeziehung, Selbstachtung (Angst)

Grund: Meier könnte meine Stellung im Büro bekommen.

Verletzt bei mir: Sicherheit, Selbstachtung (Angst)

Ich bin verärgert über Frau Müller:

Grund: Ist eine dumme Gans. Sie hat mich von oben herab behandelt. Ließ ihren Mann wegen des Trinkens einsperren. Er ist mein Freund. Sie ist eine Klatschbase.

Verletzt bei mir: Persönliche Beziehungen, Selbstachtung (Angst)

Ich bin verärgert über meinen Arbeitgeber:

Grund: Ist unberechenbar, ungerecht und aufgeblasen. Droht, mich rauszuwerfen, weil ich trinke und die Spesenabrechnung fälsche.

Verletzt bei mir: Selbstachtung (Angst), Sicherheit

Ich bin verärgert über meine Frau:

Grund: Versteht mich nicht und nörgelt. Mag Meier gern.

Verletzt bei mir: Stolz – persönliche sexuelle Beziehungen

Grund: Will das Haus auf ihren Namen überschreiben lassen.

Verletzt bei mir: Sicherheit (Angst)

Wir blickten auf unser Leben zurück. Nichts zählte außer Gründlichkeit und Ehrlichkeit. Wir betrachteten das Ergebnis sorgfältig. Das Erste, was uns auffiel, war, dass diese Welt und ihre Menschen oft Unrecht hatten. Bis zu diesem Ergebnis kamen die meisten, weiter nicht. Wir schlossen daraus, dass die Menschen uns weiterhin Unrecht taten – und wir blieben gekränkt. Manchmal hatten wir Gewissensbisse – und dann waren wir mit uns selbst böse. Je mehr wir kämpften und versuchten, unseren eigenen Willen durchzusetzen, umso schlimmer wurde es. Es war wie im Krieg, der Sieger gewann nur scheinbar. Unser Triumph war nur kurzlebig.

Es liegt auf der Hand, dass ein Leben voll tiefem Groll nur zu Sinnlosigkeit und Unglück führen kann. Wir vergeuden Stunden, die für uns wertvoll sein könnten, in eben dem Ausmaß, wie wir dies zulassen. Für den Alkoholiker aber, dessen Hoffnung im Bewahren und Wachstum einer spirituellen Erfahrung liegt, ist Groll unendlich schwerwiegend. Verhängnisvoll, wie wir meinen. Denn wenn wir solche Gefühle hegen, verschließen wir uns dem Licht des Geistes. Der Wahnsinn des Alkohols kehrt wieder – und wir trinken erneut. Und für uns heißt zu trinken zu sterben.

Wenn wir leben wollen, müssen wir uns von Zorn befreien. Nörgelei und Verrücktspielen sind nichts für uns. Andere Menschen können sich diesen zweifelhaften Luxus leisten, für Alkoholiker aber ist er Gift.

Wir wandten uns wieder der Liste zu, denn dort war der Schlüssel für die Zukunft. Jetzt waren wir bereit, diese Liste aus einem ganz anderen Blickwinkel zu sehen. Wir begannen zu begreifen, dass die Welt und ihre Menschen uns wirklich beherrschten. In diesem Stadium hatte das Fehlverhalten anderer – ob eingebildet oder wirklich vorhanden – die Kraft, tatsächlich zu töten. Wie konnten wir dem entkommen? Wir sahen ein, dass wir die Grollgefühle in den Griff bekommen mussten. Aber wie? Wir konnten sie uns genauso wenig wegwünschen wie den Alkohol.

Das war unser Weg: Wir hielten uns vor Augen, dass die Menschen, die uns Unrecht taten, vielleicht seelisch krank waren. Wenngleich wir ihr Wesen und die Art, wie sie uns beeinträchtigten, nicht mochten, mussten wir einsehen, dass auch sie krank waren. Wir baten Gott, Er möge uns dabei helfen, ihnen gegenüber die gleiche Toleranz, das gleiche Mitleid und die Geduld aufzubringen, wie wir sie gern einem kranken Freund gewähren würden. Wenn uns jemand beleidigt hatte, sagten wir uns: „Das ist ein kranker Mensch. Wie kann ich ihm helfen? Gott, bewahre mich davor, ärgerlich zu werden. Dein Wille geschehe.“

Wir vermeiden Vergeltung oder Streit, denn auch kranke Menschen würden wir nicht so behandeln. Wenn wir es tun, nehmen wir uns die Chance, ihnen zu helfen. Wir können nicht jedem helfen, aber wenigstens wird Gott uns dahin führen, gegenüber jedem Einzelnen eine freundliche und tolerante Haltung einzunehmen.

Wir kommen wieder auf unsere Liste zurück. Wir beschäftigten uns nicht mehr mit dem, was andere falsch gemacht hatten, sondern suchten beherzt nach unseren eigenen Fehlern. Wo waren wir selbstsüchtig, unehrlich, egoistisch und feige gewesen? Obwohl wir nicht immer gänzlich an allem schuld gewesen waren, versuchten wir, die Fehler der anderen Beteiligten gänzlich außer Acht zu lassen. Wo lag unsere Schuld? Es ging um unsere Inventur, nicht um die der anderen. Wenn wir bei uns Fehler erkannten, schrieben wir sie auf. Schwarz auf weiß hielten wir sie uns vor Augen. Wir gaben ehrlich unsere Fehler zu und waren willig, diese Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

Beachten Sie, dass in unserer Tabelle das Wort „Angst“ in Zusammenhang mit den Schwierigkeiten mit Herrn Meier, Frau Müller, dem Arbeitgeber und der Ehefrau in Klammern gesetzt ist. Dieses kleine Wort berührt fast jeden Lebensbereich. Angst ist ein schlechter und brüchiger Faden; das Gewebe unserer Existenz war damit durchzogen. Angst löste eine Kettenreaktion aus, die uns ins Unglück stürzte, das wir unserer Meinung nach nicht verdient hatten. Aber hatten wir die Kugel nicht selbst ins Rollen gebracht? Manchmal meinen wir, Angst sollte auf dieselbe Stufe gestellt werden wie Diebstahl. Es scheint sogar, dass sie noch mehr Unheil anrichtet.

Wir durchleuchteten unsere Ängste gründlich. Wir brachten sie zu Papier, auch wenn wir in Verbindung mit ihnen keinen Groll hegten. Wir fragten uns, warum wir überhaupt Ängste hatten. Hatte uns unser Selbstvertrauen im Stich gelassen? Selbstvertrauen ist eine gute Sache, soweit es tragfähig ist, aber damit war es nicht weit her. Einige von uns hatten einst große Selbstsicherheit, aber sie löste weder das Angstproblem noch ein anderes. Wenn sie uns überheblich machte, wurde alles noch schlimmer.

Wir können uns vorstellen, dass es einen besseren Weg gibt. Denn wir haben jetzt eine andere Grundlage; die Grundlage ist, dass wir auf Gott vertrauen und uns auf Ihn verlassen. Wir vertrauen dem unendlichen Gott eher als unserem endlichen Ich. Wir sind auf der Welt, um die Rolle zu spielen, die Er uns zuweist. In genau dem Maße, wie wir uns so verhalten, wie wir glauben, dass Er uns haben möchte und uns demütig auf Ihn verlassen, in dem Maße befähigt Er uns, Unglück mit Gelassenheit zu begegnen.

Wir rechtfertigen uns nicht für unser Gottvertrauen. Wir belächeln jene, die meinen, dass Spiritualität der Weg der Schwäche ist. Im Gegenteil: Es ist der Weg der Stärke. Glaube bedeutet nach jahrhundertealten Erkenntnissen Mut. Alle Menschen, die glauben, haben Mut. Sie vertrauen auf ihren Gott. Wir brauchen Gott nie zu rechtfertigen. Stattdessen lassen wir Ihn durch uns zeigen, was Er tun kann. Wir bitten Ihn, unsere Angst von uns zu nehmen und richten unsere Aufmerksamkeit darauf, so zu sein, wie Er uns haben will. Plötzlich beginnen wir, aus der Angst herauszuwachsen.

Hier ein Wort zum Thema Sexualität: Viele von uns mussten hier einiges in Ordnung bringen. Vor allem versuchten wir, diese Frage vernünftig anzugehen und nicht in Extreme zu verfallen. Bekanntlich gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen beharren darauf, dass Sex eine Begierde niederer Natur sei, eine notwendige Voraussetzung zur Fortpflanzung. Dann gibt es Stimmen, die nach Sex und noch mehr Sex rufen, die die Institution der Ehe beklagen, die glauben, dass die meisten menschlichen Schwierigkeiten auf das Sexuelle zurückzuführen sind. Sie glauben, wir hätten nicht genug oder nicht die richtige Art von Sex. Sie messen ihm in allem Bedeutung zu. Die eine Richtung will dem Menschen keine Würze bei seiner Kost erlauben, die andere möchte uns mit reinem Pfeffer ernähren. Wir möchten nicht Schiedsrichter für Sexualverhalten sein. Jeder von uns hat sexuelle Probleme. Das ist menschlich. Was können wir in dieser Sache tun?

Wir betrachten unser eigenes Verhalten der vergangenen Jahre. Wo waren wir selbstsüchtig, unehrlich oder rücksichtslos gewesen? Wem hatten wir wehgetan? Hatten wir auf unverantwortliche Weise Eifersucht, Argwohn oder Verbitterung erweckt? Wo hatten wir etwas falsch gemacht, was hätten wir stattdessen tun sollen? Wir schrieben alles nieder und sahen es uns an.

Auf diese Weise trachteten wir, ein gesundes und normales Ideal für unser zukünftiges Sexualleben zu formen. Wir fragten uns bei jeder Beziehung, ob sie eigennützig ist oder nicht. Wir baten Gott, unseren Vorstellungen Form zu geben und uns zu helfen, nach ihnen zu leben. Wir erinnerten uns immer daran, dass unser Sexualtrieb gottgegeben und daher gut ist. Er sollte weder leichtfertig oder selbstsüchtig genutzt werden, noch sollte er verachtet und verabscheut werden.

Wie auch immer unser Ideal aussehen mag, wir müssen bereit sein, ihm entgegenzuwachsen. Dort, wo wir Schaden angerichtet haben, müssen wir willens sein, ihn wiedergutzumachen, vorausgesetzt, dass wir dabei nicht noch mehr Schaden verursachen. Mit anderen Worten, wir behandeln sexuelle Probleme wie jedes andere Problem. In der Meditation fragen wir Ihn, wie wir uns in jedem einzelnen Fall verhalten sollen. Er gibt uns die richtige Antwort, wenn wir sie wollen.

Gott allein kann unsere Sexualangelegenheiten beurteilen. Rat von anderen ist oft wünschenswert, aber Gott sollte die letzte Instanz sein. Halten wir fest, dass einige ebenso verbohrt über Sex denken wie andere leichtfertig. Wir vermeiden deshalb überzogene Urteile oder Ratschläge.

Angenommen, wir erreichen das erstrebte Ideal nicht und stolpern? Bedeutet das, dass wir uns wieder betrinken werden? Einige meinen, dem wäre so. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es hängt von uns und unseren Beweggründen ab. Wenn wir bereuen, was wir getan haben und den ehrlichen Wunsch haben, dass Gott uns hilft, es besser zu machen, glauben wir, dass uns vergeben wird und wir daraus gelernt haben. Wenn wir nicht bereuen und wir mit unserem Verhalten weiterhin anderen wehtun, können wir ganz sicher sein, wieder zu trinken. Das sind keine Theorien, sondern Tatsachen aus unserer Erfahrung.

Zusammenfassend zum Thema Sexualität: Wir beten ernsthaft um ein richtiges Ideal, um Führung in jeder fragwürdigen Situation, um geistige Gesundheit und um die Kraft, das Richtige zu tun. Wenn Sexualität eine zu große Belastung wird, bemühen wir uns umso mehr, anderen zu helfen. Wir kümmern uns um ihre Nöte und tun etwas für sie. Dabei kommen wir auf andere Gedanken. Es beruhigt den übersteigerten Drang. Diesem nachzugeben, würde ein gebrochenes Herz bedeuten.

Wenn wir bei unserer Inventur sorgfältig waren, haben wir eine Menge niedergeschrieben. Wir haben unseren Groll aufgeschrieben und gründlich untersucht. Nach und nach sahen wir ein, wie nutzlos und verhängnisvoll er ist. Wir begannen, seine furchtbare Zerstörungskraft zu begreifen. Wir lernten Schritt für Schritt, Toleranz, Geduld und guten Willen gegenüber allen Menschen zu üben, sogar gegenüber unseren Feinden, denn wir betrachteten sie als Kranke. Wir machten eine Liste der Menschen, die wir durch unser Verhalten verletzt haben, und wurden willens, die Vergangenheit in Ordnung zu bringen, soweit wir es konnten.

In diesem Buch lesen Sie immer wieder, dass der Glaube das für uns getan hat, was wir selbst nicht für uns tun konnten. Wir hoffen, Sie sind jetzt davon überzeugt, dass Gott alles beseitigen kann, was Sie aus Eigenwillen von Ihm getrennt hat. Wenn Sie schon eine Entscheidung getroffen und Ihre größeren Unzulänglichkeiten festgestellt haben, ist ein guter Anfang gemacht. Wenn das so ist, haben Sie einige große Brocken der Wahrheit über sich selbst geschluckt und verdaut.

Anonyme Alkoholiker (Das Blaue Buch)

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