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Erster Theil
Erstes Capitel.
Welches allen ersten Capiteln gleicht

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Wenn wir uns die Erlaubniß nehmen, unsere Leser nach Châteaudun zu führen, so sind mir im Voraus auf die Frage gefaßt: Was ist Châteaudun? wo liegt es?

Châteaudun ist die vormalige Hauptstadt der Grafschaft Dunois in Beauce. Und um jeder weitern Interpretation zuvorzukommen, setze ich hinzu, daß die Landschaft Beauce, welche in das Gebiet von Chartres, in Dunois und Vendomois zerfiel, ein prosaisches Aussehen hat und folglich den Poeten, Künstlern und andern Leuten, die keinen Werth auf Grundrenten legen, sehr häßlich erscheinen muß; wer hingegen fette Weizen- und Kleefelder mit einem gelb- und grüngestreiften Horizont den reizendsten Gebirgspartien der Alpen und Pyrenäen vorzieht, wird Beauce für das schönste Land der Welt halten.

Jeder Reisende, der durch dieses Land kommt, wird indeß zugeben, daß einige Bauminseln in diesem Getreidemeere, wie grüne Oasen in der Wüste, reizender scheinen, als sie wirklich sind.

Eine solche angenehme Unterbrechung der Einförmigkeit findet statt, wenn man, von Chartres kommend, über den Pappeln am Ufer des Loir den Höhenrücken bemerkt, auf welchem das Städtchen Châteaudun und das alte prächtige Schloß Montmorency erbaut ist.

Felsengruppen, Schluchten, grüne Bäume, mitten in der flachen, eintönigen Beauce! Man könnte die Landschaft, die sich plötzlich entrollt, für eine Theaterdecoration halten.

Diese liebliche Oase ist mit Schlössern und Landhäusern übersäet, deren Bewohner in sehr lebhaftem Verkehr mir einander stehen.

Dies war zumal im Anfange der Regierung Ludwig Philipps der Fall, in jener Zeit, wo wir Gelegenheit hatten, in einige Gesellschaftskreise von Châteaudun eingeführt zu werden und von den Ereignissen, die wir erzählen wollen, Kenntniß zu bekommen.

Es war die Zeit, wo eine jetzt in den Ehestandskatakomben begrabene Generation im vollen Glanz der Jugend strahlte, eine Generation, welche durch die von einer Revolution so gewaltsam geöffneten Thore um das Jahr 1832 in die große Welt einzog.

Es war ein seltsames Geschlecht, lebhaft, erregbar, leichtsinnig, gewissermaßen wie die Krieger des Kadmus, aus Drachenzähnen hervorgegangen, während eines kurzen Friedens zwischen zwei blutigen Kämpfen geboren, unter Trommelschlag aufgewachsen; ein Geschlecht, das in dem Alter, wo andere Kinder Ballspielen, nicht in Soldatenuniform, sondern in der Schälerjacke, mit der Flinte auf dem Rücken fortzog, um Paris zu vertheidigen.

Die Väter waren im Kampf gefallen; ihre nun verwaisten Söhne hatten sie kaum gekannt. Eines Morgens waren sie, wie einst Rodrigo zu Ximenes, auf blutbeflecktem Roß vor die Thür gekommen und ohne abzusteigen, nahmen sie Abschied von ihren Frauen, ließen sich ihre Kinder aufs Pferd reichen, küßten sie, gaben sie ihren Müttern zurück und ritten fort.

Als endlich der große Feldherr, der die Seele aller dieser Körper gewesen war, in einem Sturme verschwand und eine mit Pulverrauch angefüllte, von Blitzen durchzuckte Atmosphäre zurückließ, wankte die Generation auf den Trümmern eines für den Krieg gebornen Reiches. Sie war zum Frieden verurtheilt: in den Nächten träumte sie von den sandigen Ebenen Egyptens, von den schneebedeckten Bergen Syriens, und als sie erwachte, erblickte sie statt jenes Kriegsgottes, statt jener Heldengestalten mit Erstaunen eine schwerfällige sechsspännige vergoldete Kutsche, und in derselben einen bejahrten kränkelnden König, der für die alten Mäntel, von denen man die Bienen abgekratzt, neue mit Lilien besetzte Fracks austheilte.

Zwei Welten standen einander gegenüber: die bis zu Ludwig dem Heiligen zurückreichende Welt der Vergangenheit, und die mit Napoleon entstandene Welt der Gegenwart und Zukunft.

Und zwischen diesen beiden Welten, einem nur in flüchtigen Umrissen sichtbaren, aber furchtbar drohenden Gespenst gleich jene Göttin, die drei Jahre lang ein Schaffot als Thron erwählt und nach schweren blutigen Geburtswehen die Freiheit gebar.

Es war eine fieberhaft aufgeregte, aber ehrliche, würdevolle, überzeugungstreue Zeit. Der Börsenschwindel hatte unsere Gesellschaft noch nicht ergriffen; die Stunde hatte noch nicht geschlagen, wo ein Pair von Frankreich, ohne Aergerniß zu geben, sich unter die Coulissiers der Börse mischen konnte.

Es war daher natürlich, daß die jungen Leute, die das Fontanell der Spekulation noch nicht hatten, von einer unbeschreiblichen Unruhe getrieben und von thörichten, unerreichbaren Wünschen erfüllt, sich Hals über Kopf in zweckloses Beschäftigungen oder stürmische Genüsse stürzten. Alle Lebenskraft, alles Jugendfeuer vergeudeten sie in tollen Gelagen, unsinnigen Wetten und Glücksspielen, in Hetzjagden und Maitreffen. Die Lebemänner in der Provinz standen damals denen in Paris an wahnsinniger Verschwendung keineswegs nach; viele Trümmer geben noch heute Zeugniß davon.

Zu jener Zeit, die wir in dieser Hinsicht wahrhaft bevorzugt genannt haben, enthielt die Stadt Châteaudun mit ihren Umgebungen wohl zwanzig solcher unbeschäftigten Söhne vornehmer Familien, und dies trug nicht wenig dazu bei, der dortigen Gesellschaft den alten Ruf der heiteren, wenn auch nicht selten in Tollheit ausartenden Lebenslust zu erhalten.

Der auffallendste, wenn nicht angesehenste unter den dortigen Lions – dieses Wort war eben damals aufgekommen – war damals Marquis von Escoman.

Er war vermählt, aber er hatte die Ehe nur als ein Mittel betrachtet, seinen großen Aufwand fortzusetzen. Als guter Franzose hatte er bei der Wahl seiner Gattin nur die finanziellen Vortheile berücksichtigt, und das Geld seiner Frau glitt ihm eben so leicht und schnell durch die Finger, wie zuvor sein eigenes, oder vielmehr wie das Geld seines Vaters.

Der Marquis von Escoman war dreißig Jahre alt. Die Julirevolution hatte ihn als Unterlieutenant unter den Gardedragonern gefunden. Er war ein höchst liebenswürdiger, wenn auch nicht sehr tüchtiger Offizier, der viel häufiger aus Bällen in den Notizbüchern der Damen für Contretanz, Walzer und Polka, als in den Tabellen des Kriegsministeriums für das Avancement vorgemerkt war. Er würde indeß unter der ältern Linie der Bourbons immerhin Aussicht auf eine ehrenvolle Laufbahn gehabt haben, wenn die Julirevolution nicht ausgebrochen wäre.

Der Marquis hielt es unter seiner Würde, einem Bürgerkönige zu dienen, der baumwollene Handschuhe trug, zu Fuß mit einem Regenschirm unter dem Arme ausging und auf den Ruf des Pariser Pöbels auf dem Balcon erschien, dreimal grüßte und die Marseillaise sang. Er nahm seinen Abschied und ging nach Hause.

Er langweilte sich ungeheuer bis zur Eröffnung der Jagd, die einen Monat nach dem Regierungsantritt das neuen Königs folgte. Am 5. September nahm er seine Doppelflinte und durchstreifte in Begleitung seines Hühnerhundes die Felder; aber als die Rebhühner nicht mehr »halten« wollten, als das Glatteis die Hetzjagden unmöglich machte, sah sich der Marquis wieder auf die Gesellschaft ältlicher Damen, noch älterer Ludwigsritter und einiger eben aus der Schule entlassenen jungen Leute beschränkt und die Langweile wurde ihm bald unerträglich.

Er sah sich um und sann nach, was er wohl Gutes oder Böses unternehmen könne. Wir müssen ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er sich nicht mehr zu dem bösen Princip als zu dem guten hinneigte.

Die ländliche Einsamkeit war die Hauptschwierigkeit, die er zu überwinden hatte. Er mußte, wie die Spanier sagen, den Stier bei den Hörnern fassen. Er versuchte die Einöde zu bevölkern.

Eine der ersten Blüthen, welche die im Entstehen befindliche Gesellschaft trieb, war ein schönes Mädchen, welches sich der Marquis zur Geliebten erkor. Es war keine »Courtisane« mehr und auch noch keine »Lorette«, es war ein Mittelding zwischen beiden. Sie hieß Margarethe Gelis.

Trotzdem entschloß sich der Marquis, eine Frau zu nehmen; die Gründe dieses Entschlusses sind uns bereits bekannt; wir haben nur noch zu sagen, wie diese echt französische Ehe zu Stande kam.

Der Marquis von Escoman, dessen ererbtes Vermögen bereits im Dienste Sr. Majestät Carl X. bedeutend zusammengeschmolzen war, hatte dasselbe in den zwei Jahren zwischen der Julirevolution und der Zeit, in welcher unsere Erzählung beginnt, vollends verthan. Nach einem Jahre waren alle seine Güter mit Hypotheken belastet, und nach zwei Jahren begann der Credit, der den reichen Gutsherren in so reichem Maße zu Gebote steht, die Schnüre seines Geldbeutels fester anzuziehen.

Der Notar des Marquis erklärte seinem Clienten eines Tages die Unmöglichkeit, eine neue Anleihe zu machen und bewies ihm, daß er die Wahl zwischen zwei Mitteln habe, nicht in den Abgrund zu stürzen, an dessen Rand er stehe: er müsse entweder »ausspannen« oder eine Frau nehmen.

Der Marquis würde nicht einmal unter der Bedingung, die Ludwig XV. seinem Leibarzt stellte, nemlich »den Hemmschuh einzulegen«, den ersten Theil des Vorschlags angenommen haben; der zweite Theil allein schien ihm ausführbar und er erwiederte mit einem Seufzer: »Gut verschaffen Sie mir eine Frau.«

Der Notar meinte, man müsse das Eisen schmieden, so lange es heiß sei; er schlug daher seinem Clienten eine Partie mit 45,000 Franken jährlicher Renten vor. Der Marquis war so freudig überrascht, daß er sich sogleich bereit erklärte, die Million anzunehmen, ohne die Hände, die sie ihm bringen sollten, in Augenschein zu nehmen.

Der Marquis war in der That ein Glückskind. Die Inhaberin der Million hatte schöne, weiße, aristokratische Hände; sie war die letzte Blüthe eines hochansehnlichen alten Stammes in der Landschaft Blois, zählte achtzehn Jahre, war sehr hübsch und hatte eine sorgfältige Erziehung genossen. Ueberdies war sie eine Waise, und das verdoppelte den Werth der Million in den Augen des künftigen Gemals, der sich der lästigen Ueberwachung von launischen Schwiegereltern überhoben sah.

Einige Tage nach seiner Unterredung zwischen dem Marquis und seinem Notar wurden die beiden jungen Leute einander vorgestellt, und nach einer zweimonatlichen Bewerbung, die dem Marquis schwere Opfer an den gewohnten Genüssen kostete, wurde er in der Kirche zu Châteaudun mit dem Fräulein von Nanteuil vermält.

In einer sogenannten C o n v e n i e n zheirat – ein nach unserer Meinung sehr unpassender Ausdruck, denn es kommt dabei ja nicht in Betracht, ob die künftigen Gatten einander C o n v e n i r e n – ist fast immer gegenseitige Gleichgültigkeit, auf einer Seite oft sogar entschiedene Abneigung vorhanden. Dies war jedoch bei dieser bevorstehenden Verbindung nicht der Fall; denn obgleich Emma – so hieß das Fräulein von Nanteuil – dem Marquis sehr gleichgültig war, so liebte sie ihn doch aufrichtig und mit aller Hingebung.

Die jungen Mädchen aus den höheren Ständen mögen Sympathien und Hoffnungen gehegt haben, aber selten haben sie mehr empfunden, und noch seltener hat die Strenge ihrer Erziehung eine wirkliche Liebe in ihnen entstehen lassen. Sie haben in den Jahren, welche die Kindheit von der Vermählung trennen, wohl Sehnsucht nach Liebe gefühlt und ungeduldige Wünsche gehegt; aber ihre Stellung in der Gesellschaft ist so scharf abgegrenzt, daß nur wenige von ihren vorhandenen Gefühlen etwas merken lassen und fast alle sich die Ohren zuhalten, um das ungestüme Pochen ihres Herzens nicht zu hören. Sie träumen viel und glauben zu lieben, ohne wirklich zu lieben. So schwankt ihr Gemüth zwischen lauter Traumbildern, ähnlich den vom Lufthauch umhergetriebenen Sommerfäden, die nicht Festigkeit genug haben, um einen dauernden Standpunkt einzunehmen.

In einem Kloster erzogen, hatte Emma nur im Geiste ihren zukünftigen Gatten gesehen. Als ihr daher der Vormund auf den Antrag des Notars einen liebenswürdigen, ihren schönsten Träumen entsprechenden jungen Mann vorstellte, glaubte sie an eine Fügung der Vorsehung und dankte Gott von ganzem Herzen für das Glück, das ihr zu Theil wurde.

Die bisher unbekannten Gefühle, welche der tägliche Verkehr mit dem Marquis in ihr merkte, bewirkten wie ein magnetischer Strom diesen Uebergang von der Zuneigung zur Liebe.

Die Sinne sind um so thätiger, je weniger ihre Thätigkeit geahnt wird. Wenn daher Emma von ihrem Verlobten sprach und »mein schöner Raoul« sagte, so war leicht zu erkennen, daß sie ungeachtet ihrer Reinheit und Unschuld ein sinnliches Wohlgefallen an ihm fand; man ahnte, daß es keine blos geistige Liebe war, welche das holde Mädchen an den Mann ihrer Wahl fesselte, und man sah ihre Verblendung, wie es die vernünftigen Leute nannten.

Denn es fehlte nicht an Warnungen über das ihr bevorstehende Schicksal; es fehlte nicht an Briefen ohne Namensunterschrift, denen sie wohl keinen Glauben schenken mochte; der Wunsch, die Marquise von Escoman zu werden, war bei der armen Emma so lebhaft, daß sie nicht nur den anonymen Briefen und wohlgemeinten Warnungen, sondern auch den dringenden Vorstellungen einer mütterlichen Freundin widerstand. Die Letztere war eine alte Dienerin, die wegen ihrer Treue und Ergebenheit nach und nach den Platz eingenommen hatte, der durch den frühen Tod der Mutter des Fräuleins von Nanteuil erledigt worden war.

Susanne Mottet war Kammerjungfer des Fräuleins von Nanteuil, der nachmaligen Gräfin von Nanteuil, gewesen und hatte acht Tage nach der Vermählung ihrer Herrin einen Kammerdiener des Herrn von Nanteuil geheiratet. Sie war die Amme der kleinen Emma geworden und hatte ihre zärtliche Sorge zwischen dieser und ihrem eigenen Kinde getheilt.

Das letztere starb und es schien der treuen Susanne, als sei die Seele des Verstorbenen in ihren leiblichen Säugling übergegangen; so tröstete sie sich durch die sorgsame Pflege der kleinen Emma über den Verlust ihres eigenen Kindes. Die derbe Bäuerin war der Kleinen mit wahrhaft leidenschaftlicher Zärtlichkeit zugethan; sie war sorgsamer, ängstlicher, als die Mutter selbst. Bei der mindesten Unpäßlichkeit ihres Lieblings vergoß sie Thränen, bei dem geringsten Unfall hörte man Susanne schreien. Man pflegt die gänzliche Hingebung einer Person an eine andere mit den Worten auszudrücken: sie würde das Leben für sie geben. Diese sprichwörtliche Redensart war bei Susanne Mottet ganz buchstäblich zu nehmen. Diese Zärtlichkeit ging so weit, daß Frau von Nanteuil die Sache für bedenklich fand. Die Eifersucht einer Mutter ist leicht zu wecken. Die Dame glaubte, ihr Kind werde zu ihrer überzärtlichen Amme eine entschiedene Zuneigung bekommen und dem Mutterherzen entfremdet werden, und sie beschloß Susanne Mottet zu entfernen.

Dieses Mal blieb es aber nicht bei Thränen und Jammergeschrei. Die arme Susanne war ein Bild stummer Verzweiflung, und die Gräfin sah ein, daß sie nicht das Recht hatte, sie so hart zu behandeln. Bestand doch ihr ganzes Unrecht in allzu zärtlicher Liebe, zu einem fremden Kinde. Susanne Mottet blieb bei der kleinen Emma, und da sie mit wunderbarem Instinkt die Ursache dieser beschlossenen Entlassung eingesehen hatte, da sie sogar Anwandlungen von Eifersucht fühlte, wenn das Kind zärtlich mit der Mutter war, so beschloß sie, in Gegenwart der Frau von Nanteuil, sogar vor den Dienstleuten und Fremden ihre leidenschaftliche Zärtlichkeit zu verbergen. So gewann sie nach und nach so viele Selbstbeherrschung, daß sie die Hoffnung, die ihr Leben war, in ihr Herz verschloß.

Aber kaum war sie allein mit dem Kinde, so überließ sie sich ganz ihren Gefühlen; sie drückte es mit Entzücken und Freudenthränen an ihr Herz, nannte es mit den zärtlichsten Namen und geberdete sich wie toll.

Die kleine Emma, welche nur zwei Personen, ihre Mutter und Susanne, in der Welt kannte, theilte zwischen ihnen ihre ganze Zärtlichkeit, von welcher die Mutter nur sehr wenig mehr erhielt als die Amme.

Ueberdies wurde Emma, als sie größer ward, ihrer Mutter immer näher gerückt; sie schlief nicht mehr in der Stube ihrer Amme, sondern in einem großen Cabinet neben dem Zimmer der Gräfin.

Diese Uebersiedlung war eine schwere Prüfung für Susanne; es schien ihr, als würde ihr die Hälfte ihres Glückes geraubt, als würden die Nächte aus ihrem Leben genommen. Oft schlich sie in der Dunkelheit, während Frau von Nanteuil schlief, mit angehaltenem Athem und ungestüm pochendem Herzen, als ob sie ein Verbrechen begehen wollte, in das Cabinet, um ihre kleine Emma zu küssen. Ein paarmal erwachte die Mutter und Susanne gab vor, es sei ihr vorgekommen, das Kind schreie und sie habe keine Ruhe gehabt.

Es war die Zeit der großen Kriege. Der Graf von Nanteuil war Oberst eines Kürassierregimentes, er hatte die Siege des Kaisereiches mit erkämpft und nahm nun an den Niederlagen Napoleons theil. Er war an der Moskowa, bei Leipzig und Montmiral verwundet worden; bei Waterloo blieb er.

Die Gräfin erhielt eines Tages von dem Kriegsminister einen schwarzgesiegelten Brief, der ihr diese Trauerbotschaft brachte.

Die kleine Emma war damals zwei Jahre alt.

Wenn uns der Tod eine tiefe Wunde geschlagen hat, werden uns die Ueberlebenden um so theurer. Die Gräfin von Nanteuil wandte nun der kleinen Emma ihre ganze Liebe zur bis zum zehnten Jahre kam das Kind fast nie von der Seite der Mutter, und Susanne wurde, ohne eine Fremde für die Kleine zu werden, allmälig aus ihrer nächsten Umgebung entfernt.

Zwanzigmal war die Amme, der diese Entfernung von dem geliebten Kinde das Herz brach, im Begriff, ihren Abschied zu verlangen und sich in ihre Familie zurückzuziehen, aber sie hatte nicht den Muth dazu; sobald sie den Mund aufthat, um der Grafen ihr Anliegen vorzutragen, erstorben ihr die Worte auf der Zunge. Sie dachte: nur noch einen Tag! Der Tag verstrich und sie war eben so schwach wie gestern.

Eines Abends, als die Gräfin von einer Spazirfahrt nach Hause kam, klagte sie über heftiges Seitenstechen. Sie war im offenen Wagen gefahren; das Wetter war kalt und in ihrer Besorgniß um die kleine Emma hatte sie ihren Pelz abgenommen und das Kind in denselben gehüllt. Sie hielt es nicht für nothwendig, den Arzt kommen zu lassen. Vierundzwanzig Stunden nachher brach eine Lungenentzündung aus, und diese Krankheit machte so rasche Fortschritte, daß die Gräfin nach dreitägigem Krankenlager starb. Die Sorge für ihr Kind blieb nun der treuen Susanne überlassen.

Das menschliche Herz hat oft seltsame Widersprüche. Susanne war der Gräfin treu ergeben, aber als diese die Augen geschlossen hatte, glaubte sie doch eine innere Stimme zu hören, welche ihr zuflüsterte: »Jetzt erst ist Emma wirklich dein, Niemand kann Dich jetzt hindern sie zu lieben.«

Sie erschrak, als sie diese innere Stimme vernahm, aber sie drückte das Kind zärtlich an ihr Herz.

Ein Oheim der Gräfin von Nanteuil, ein eifriger Royalist, wurde zum Vormund der Waise ernannt. Er hatte seine Nichte, deren Gemahl dem Usurpator diente, sehr selten besucht, so daß er seine Mündel kaum kannte. Er beschloß Emma in eine der besten Kostschulen der Hauptstadt zu geben, und gab der Amme die Erlaubniß, ihr geliebtes Kind zu begleiten; er wußte, daß es der Wunsch der Gräfin gewesen war. – Mehr konnte ja auch Susanne nicht wünschen.

So verflossen sechs Jahre. Die Erziehung der jungen Gräfin war vollendet und ihr Vermögen unter der redlichen und verständigen Verwaltung des Vormundes fast verdoppelt. Dieser sagte einst zu seinem Notar:

»Sie wissen, lieber Herr Pienat, daß ich eine Mündel zu verheiraten habe; auf Vermögen sehe ich nicht, aber ich will einen gutgesinnten Edelmann aus altem Hause.«

Drei Tage nachher kam der Marquis von Escoman zu dem Notar, um eine Anleihe zu machen, und der Notar machte seinem Clienten den oben erwähnten Antrag.

Sobald von der beabsichtigten Heirat die Rede war, begann Susanne Mottet in ihrer mütterlichen Sorge Erkundigungen über den Marquis einzuziehen, und zwar nicht in den Salons, bei Leuten, welche ihr Interesse an der Entstellung der Wahrheit fanden, sondern bei der Dienerschaft in vornehmen Häusern; sie wußte wohl, daß die Dienerschaft ein strenges Richtercollegium bildet, von welchem nur wenige Herren völlig freigesprochen werden.

Susanne erschrak über die Geschichten, welche von der Liederlichkeit und Verschwendung des Marquis von Escoman erzählt wurden. Es schien ihr, als ob ihre liebe Emma die Beute eines jener Ungethüme werden sollte, welche in den Feenmärchen geschildert werden. Sie bat und beschwor ihren Liebling, sich nicht vorsätzlich ins Verderben zu stürzen. Zum Unglück waren die tollen Streiche des Marquis derart, daß eben diejenigen unter denselben, die gerade am abschreckendsten gewirkt haben würden, einem jungen Mädchen unmöglich erzählt werden konnten. Susanne konnte und durfte nichts näher bezeichnen; Emma lachte über die Besorgnisse ihrer alten Freundin, zeigte ihr das hübsche Gesicht ihres Zukünftigen und fragte sie, ob es einem Blaubart ähnlich sei.

Emma vermählte sich also.

Acht Tage, nachdem das süße und so verhängnißvolle Ja gesprochen war, konnte man an Emma eine trübe Stimmung bemerken, obgleich sie die Gedanken der Amme, deren verweinte Augen nicht aufgehört hatten gegen die Freude der jungen Frau zu protestieren, nicht theilte. Aber die neue Ehe hatte keine der Versprechungen gehalten, welche die Phantasie derer Herzen der jungen Frau gegeben. Sie hatte gehofft, ganz dem geliebten Gatten zu leben, seine Gefühle zu theilen, und nun fand sie sich zu ihrem großen Erstaunen allein, immer allein. Die Kälte und Gleichgültigkeit, die der Marquis nicht verhehlte, hatte sie aus den Anstandsrücksichten erklärt; sie hatte seine Zurückhaltung für feines Benehmen gehalten, aber sie fand es auffallend, daß diese Kälte immer fortdauerte.

Wie der durch das Phänomen der Luftspiegelung getäuschte Wanderer, sah sie statt der erfrischenden Quelle nur die heiße Sandwüste um sich, und sie fühlte nicht gegen den Marquis von Escoman, sondern gegen das Leben, das den Menschen solche Täuschungen bereitet, ein Entsetzen, neben welchem die Besorgnisse Susannens nur kindische Furcht waren.

Der Marquis von Escoman hatte nach seiner Vermählung seine Lebensweise nicht im mindesten geändert. Er kaufte noch zwei Pferde und nahm einen Koch; und da Margarethe Gelis diese Vermählung sehr ungern zu sehen schien, so hatte er als echter Cavalier einen für seine Braut bestimmten Shawl aus den angekauften Geschenken genommen und Margarethen geschenkt. Emma bekam ja ohnedies zwei Shawls, und Margarethen konnte er wohl die Freude gönnen, die Bürgersfrauen in Châteaudun neidisch zu machen.

Er widmete seinen geselligen Freunden und seiner Maitresse eben so viel Zeit wie vor seiner Vermälung Pferde und Hunde blieben immer seine Lieblinge, das Spiel seine Hauptleidenschaft.

Aber trotzdem war Châteaudun eine wahre Einöde, und der Marquis suchte dieselbe zu bevölkern. Die Ludwigsritter waren nicht nach seinem Geschmack; ihre endlosen Bemerkungen über die Artikel der »Gazette« und der »Quetidienne« nahmen ihre Geisteskräfte und ihre Zeit in Anspruch. Die eben aus dem College entlassenen jungen Leute waren schon mehr für ihn geeignete einige von ihnen berechtigten zu den schönsten Erwartungen; der Marquis übernahm die Ausbildung der glücklichen Naturanlagen. Er lenkte die Studien seiner jungen Freunde freilich nicht auf Rhetorik und Philosophie, sondern auf die nobleren Passionen des Spiels, des Weines und der Weiber.

Nach sechs Monaten konnte der Marquis von Escoman auf seine Zöglinge stolz sein; die Stadt Châteaudun war gänzlich umgestaltet. Nie hatte ein Abgesandter ein solches Resultat erzielt. Elegante Equipagen fuhren auf den Promenaden; die Jagdhörner klangen bis in die späte Nacht in der Umgegend, deren Stille sonst nur durch das Geläute der Glocken unterbrochen worden war; die nächtliche Ruhe der friedlichen Bürger wurde durch das laute Singen weinseliger Schaaren gestört; viele Mütter weinten über ihre Töchter, welche den Weg der Tugend verlassen hatten, und die frommen ehrbaren Leute rechneten die von den jungen Leuten im Clubb verspielten ungeheuren Summen zusammen.

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