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Erster Theil
Zweites Capitel.
Louis von Fontanieu

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Zu der Zeit, in welcher unsere Geschichte beginnt, war der Marquis von Escoman mit Emma von Nanteuil seit zwei Jahren vermält, und die Ehe hatte gehalten was sie versprochen.

Jede nicht vernarbte Wunde wird größer und tiefer, das ist ein moralisches und ein physisches Gesetz. Weder in den Lastern noch im Schmerz gibt es einen Stillstand. In zwei Jahren war der Schmerz Emma‘s tiefer gewordene die Laster des Marquis hatten beträchtliche Fortschritte gemacht.

Noch mehr, diese Laster hatten die Grenze des Anstandes und der Schicklichkeit überschritten und daher jeden Anspruch auf Entschuldigung verloren, mit der man gegen die vornehme junge Männerwelt sonst sehr freigebig ist. Die elegante Welt, die gemeiniglich sehr gleichgültig ist gegen häusliches Mißgeschick, nahen Anstoß an der Aufführung dieses Mannes, der nicht nur die Schranken des Anstandes niedergetreten, sondern auch jede Maske abgeworfen hatte.

Emma’s Betrübniß war nach und nach zur völligen Muthlosigkeit, zur Verzweiflung gewordene zum Glück besaß sie Charakterstärke genug, um ihr Unglück endlich mit stiller Ergebung zu tragen. Schwere Prüfungen kräftigen und erheben ja jedes Gemüth, das stark genug ist, reicht durch sie gebrochen zu werden. Emma hatte seit ihrer Kindheit manches Mißgeschick erfahren; sie hatte ihre Mutter in Trauer gesehen, und später hatte sie selbst Trauer angelegt. In der Verlassenheit war ihr Geist gekräftigt worden, denn die Zärtlichkeit Susannens konnte ihr keine wirkliche Stütze gewähren. Als daher der erste heftige Schmerz über die Täuschung vorüber war, schien sie ruhig und gefaßt in ihrem Unglück; sie unterdrückte ihre Thränen und ertödtete durch Verachtung eine Liebe, welche sie unter ihrer Würde hielt. Sie seichte keinen Trost bei Anderen, sondern zeigte sich vielmehr so gleichgültig und stolz mitten unter den Huldigungen, von denen sie umgeben war, daß es in der That den Anschein hatte, als ob nichts mehr im Stande sei, diese marmorkalte Gestalt wieder zu beleben, dieses allen Lebensfreuden abgewandte Herz zu erwärmen.

Aber Susanne Mottet war mit dieser Ergebung und Entsagung keineswegs einverstanden. Die Tugend ihrer Emma verkennen, ihre Schönheit verachten, war für die alte treue Dienerin schon ein unverzeihliches Verbrechen; aber daß der Marquis diesen schönen blauen Augen Thränen entlockte, daß er dieser reizenden jungen Frau Kummer machte, mußte Susanne aufs äußerste gegen ihn erbittern.

Dieser Haß erreichte den höchsten Grad, als sie einst im Carneval dem Marquis mit Margarethe Gelis begegnete und den Blick der Verachtung, den sie den Beiden zuschickte, mit frechem Gelächter beantwortet sah.

Emma besuchte die Gesellschaften nur auf Befehl ihres Mannes, der die Verlassenheit, zu der er sie verurtheilt hatte, nicht allzu offenkundig werden lassen mochte. Die geselligen Freuden hatten aber keinen Reiz für sie; die Einsamkeit sagte ihrer ernsten Stimmung mehr zu, als das geräuschvolle Leben; aber Susanne war mit dieser Zurückgezogenheit keineswegs einverstanden, und da sie den Marquis nicht todtmachen konnte, so war sie wenigstens daraus bedacht ihn recht zu ärgern.

Wenn die junge Marquise sich dann und wann einmal entschloß, ihren Gemal in eine Soiree zu begleiten, so schmückte Susanne ihre Gebieterin mit ungemeiner Sorgfalt, wie ein Brahmane sein Idol ausputzt; sie folgte damit ihrer Zärtlichkeit und befriedigte zugleich ihren Haß gegen den Marquis.

Oft folgte sie der Marquise in die befreundeten Häuser, mischte sich unter die Dienerschaft des Ortes, wo das Fest gegeben wurde, und betrachtete ihren Liebling durch eine angelehnte Thür. Sie freute sich ihres Erfolges und war entzückt, wenn sie Emma von Verehrern umgeben sah, und in ihrem Haß gegen den Marquis fühlte sie sich versucht, die Marquise durch Worte und Geberde zu ermuthigen.

Der Marquis kümmerte sich überigens so wenig um sein Hauswesen, daß er die gar nicht verhehlte Feindseligkeit der alten Haushälterin keineswegs beachtete.

So standen die Sachen, als in den ersten Tagen des Jahres 1835 ein Ereigniß eintrat, welches unter der Aristokratie von Dunois ein unerhörtes Aufsehen machte.

Der Unterpräfect des Bezirks hielt sich einen Geheimsecretair, und dieser Secretär gehörte einer der vornehmsten Familien der Normandie an. Er hatte eben seinen Posten angetreten und an einen in Beauce wohnenden Verwandten sein Empfehlungsschreiben mitgebracht, durch welches die Mutter des jungen Mannes a vista auf das Wohlwollen ihres Vetters trassirte und ihn ersuchte, ihre Tratte durch Einführung des Söhnleins in die dortige Gesellschaft zu honorieren.

So wurde denn Louis von Fontanieu, so hieß der neue Secretär, in die Salons eingeschmuggelt, au deren Pforten noch nie ein öffentlicher Beamter das »Sesarm thue Dich auf!« vernommen hatte.

Anfangs wurde er wenig beachtet; aber eine aus boshaften Munde kommende Bemerkung brachte die ganze Gesellschaft in Aufruhr, denn Keiner wollte dem Andern an Reinheit der royalistischen Grundsätze nachstehen.

Viele erklärten eine solche Herabwürdigung des Adels für unerhört. Die Royalisten mußten es allerdings höchst anstößig finden, daß ein Fontanieu in die Dienste der Juliregierung trat, daß ein Edelmann aus gutem Hause der Lakei eines dem Bürgerkönige dienenden Beamten wurde. Jedes Wohlwollen für den jungen Mann, der seinen Namen und seine Ehre so weit vergessen konnte, galt in den Augen der Aristokratie für mitschuldig. Die eifrigsten Royalisten wollten dem Eindringling die Thür weisen.

Es konnte nicht fehlen, daß diese heftigen Aeußerungen des Unwillens vielfachen Wiederhall fanden.

Dieses Echo drang auch bis zu Herrn von Mauroy, – dem Vetter, der Louis von Fontanieu in die Gesellschaft eingeführt hatte; er nahm seinen jungen Verwandten lebhaft in Schutz und suchte ihn dadurch zu entschuldigen, daß dessen Vater dem legitimen Königthum weit größere Opfer gebracht habe, als die Unzufriedenen, die sich als so eifrige Royalisten geberdeten. Der würdige Mann sei als Oberst der königlichen Garde im Jahre 1830 gefallen; sein Sohn habe kein Vermögen und sei folglich auf den Staatsdienst angewiesen, um seine Mutter und seine Tochter zu unterstützen.

Aber die Eiferer waren nicht durch Gründe zu beschwichtigen; Herr von Mauroy wurde zwar von einigen einsichtsvollen und vorurtheilsfreien Personen unterstützt, aber ein beträchtlicher Theil der aristokratischen Gesellschaft von Châteaudun widersetzte sich der Zulassung des jungen Secretärs in ihren Gesellschaftskreis.

Einer seiner ärgsten Gegner war der Marquis von Escoman. Der Parteigeist war freilich bei diesem nicht die Ursache, sondern der Vorwand der Feindseligkeit.

Es gibt allerdings energische Charaktere, die mitten in einem regellosen Leben fest bei ihren Meinungen beharren; die Völlerei ist bei ihnen dann eine Art Sicherheitsventil, durch welches das überflüssige innere Feuer entweicht. Aber es sind immer nur Ausnahmen. Für gewöhnliche Menschen hat das Uebermaß in den sinnlichen Genüssen einen entnervenden Einfluß auf alle Geisteskräfte, und folglich auch auf die politische Ueberzeugung. Die gewaltsamen Veränderungen der gesellschaftlichen Zustände, die vergangenen oder bevorstehenden Revolutionen waren dem Marquis gleichgültiger als ein einziger Blick von Margaretha Gelis. Und eben eine unwillkürliche Bewegung ihrer großen schwarzen Augen hatte seinen Groll gegen Louis von Fontanieu geweckt.

Jener Blick, der sich anfangs wohl unwillkürlich auf den Letzteren gerichtet hatte, wurde oft und sehr willkürlich wiederholt, und zwar jedesmal feuriger und herausfordernder.

Der Marquis, aufs äußerste erzürnt, erklärte den kleinen aristokratischen Gesellschaftskreis von Châteaudun für entehrt und betheuerte, er werde die Einsamkeit suchen und als Eremit leben.

Fontanieu, der von diesen Umtrieben anfangs keine Ahnung hatte, war ein junger Mann von vierundzwanzig Jahren und schien von der Natur ungemein begünstigt zu sein; wenn man ihn aber durch die Lupe betrachtete, fand man etwas Unfertiges, des letzten Schliffes Bedürftiges an ihm.

Er war hübsch gewachsen, sein Gesicht regelmäßig und selbst nicht ohne Ausdruck und Geist; aber seinem ganzen Wesen fehlte die Anmuth, die Ungezwungenheit der feinen Weltsitte. Er hatte die steife, gezwungene Haltung eines, Soldaten in Civilkleidern. Er war als der Sohn keines Offiziers zum Militärstande bestimmt gewesen, und er würde auch Soldat geworden sein, wenn sein Vater am Leben geblieben wäre. Die Besorgnisse seiner Mutter hatten ihn bewogen die Militärschule zu St. Cyr nicht als Unterlieutenant zu verlassen, sondern der Secretär eines Unterpräfecten zu werden. Er hatte also bis zum einundzwanzigsten Jahre die Uniform getragen.

Seine Fassungskraft war außerordentlich, aber es fehlte ihm an Ausdauer; er wußte von Allem etwas, aber seine Kraft erlahmte, sobald ein Studium die mindeste Anstrengung erforderte. Uebrigens war er sanft von Charakter und herzensgut. Die Natur hatte eben durch die Superlative seine Vorzüge verringert und sogar ihm und Anderen lästig gemacht; diese keineswegs gewöhnlichen Eigenschaften waren bei ihm eine Art nervöser Schwäche, aus welcher er sich durch gewaltsame Anstrengungen erhob, so daß er, wenn er sich nicht in einem Zustande der Ueberreizung befand, einen mehr weiblichen als männlichen Charakter hatte.

Da er gegen Jedermann freundlich und wohlwollend war, so erblickte er Alles in einem rosigen Lichte. In den ersten acht Tagen nach dem Antritt seiner neuen Stellung schilderte er in zwei langen Briefen an seine Mutter mit Begeisterung die Aufnahme, die er in der vornehmen Gesellschaft von Dunois gefunden. Männer und Frauen, behauptete er, wetteiferten mit einander, ihm den Aufenthalt in diesem Städtchen angenehm zu machen, und Gott weiß, durch welches überschwängliche Lob er die Schuld der Dankbarkeit bezahlte. Wer diese Briefe las, mußte glauben, er werde vergöttert.

Er war daher sehr erstaunt, als ihn der Unterpräfect eines Morgens im Vertrauen über die wirkliche Lage der Dinge aufklärte und ihm sagte, einige Unhöflichkeiten die er in seiner Arglosigkeit wahrscheinlich nicht bemerkt, hätten Gerüchte hervorgerufen, die seinen Muth in Zweifel stellten; er verlange daher im Namen der ihm befreundeten Familie Fontanieu, selbst im Namen der von ihm vertretenen Regierung, daß der neue Secretär Alles aufbiete, um diesem Zerwürfniß mit den Gegnern der Regierung in einer für ihn ehrenvollen Weise ein Ende zu machen.

Ein Blitzstrahl, der zu den Füßen Fontanieu‘s eingeschlagen hätte, würde seine Nerven nicht heftiger erschüttert haben. Ohne den Unterpräfekten weiter anzuhören, ohne seinen Vetter Mauroy zu Rath zu ziehen, eilte er in den Clubb mit dem festen Entschlusse, die erste Person, die er dort finden würde zu fordern.

Es war ein Uhr Nachmittags und die Säle des Clubbs waren fast leer. Der Marquis von Escoman und zwei Tagediebe von seiner Bekanntschaft waren indeß schon da.

Georg von Guiscard, der eine dieser beiden Genossen des Marquis, war ein frivoler junger Mensch von zwanzig Jahren, der andere, der Chevalier von Montglas, ein sechzigjähriger Bruder Liederlich. Alle Drei lehnten sich auf das Geländer des Balcons und erwarteten ihre Pferde zum Spazierritt.

Die beiden Ersten rauchten ihre Cigarren; der Dritte, in dessen Jugendzeit die Cigarren noch nicht erfunden waren, hatte diesem modernen Genuß keinen Geschmack abgewinnen können.

Als Fontanieu vor oder vielmehr unter diesen drei Herren vorüberging, glaubte er ein spöttisches Gelächter zu hören, und dieses Gelächter verdoppelte den Zorn, den er im Herzen hatte.

Er eilte ins Haus und die Treppe hinan. Er war einige Tage vorher im Clubb vorgestellt worden; sein Name stand auf einem angehefteten Zettel, der bis zum Ballotiren so bleiben sollte.

Fontanieu riß den Zettel von der Wand und trat ihn mit Füßen.

Der Marquis von Escoman beschrieb eben seinem Freunde Guiscard die Schönheit einer unlängst gekauften Stute, die sein Groom am Zügel hielt. Die Beiden hatten Fontanieu nicht kommen sehen und wußten gar nicht, daß er da war. Nur der Chevalier von Montglas sah sich um.

Der Chevalier war der einzige alte Garcon in Châteaudun, den der Marquis dem altmodischen Reversi und der Politik abtrünnig gemacht hatte. Der sechzigjährige Lebemann bezahlte freilich für alle Andern und bezahlte so gut, daß er der beste Helfershelfer des Marquis in dessen philanthropischen Bestrebungen geworden war. Er war klein, aber noch kräftig und gewandt; unter der Kupferfarbe seines Gesichts errieth man noch immer den hübschen unternehmenden Pagen, der einst mancher Marquise und Herzogin den Kopf verdreht hatte.

Er war in seiner Jugend ein ausgezeichneter Tänzer gewesen, und noch auf der Kehrseite seines Lebens machte er von diesem Talent noch gerne Gebrauch, obgleich dasselbe bei der Kleinheit unserer modernen Salons lächerlich geworden war. Er hatte nie begreifen können, daß zwei Paare von Personen von verschiedenem Geschlechte sich einander gegenüber stellten, um steif und langsam vor und zurückzuschreiten, rechts und links hinüber und wieder auf ihren Platz mit derselben Anmuth und Lebhaftigkeit zu gehen, als s ob sie einem Leichenwagen folgten. Als Zögling des großen Vestris, den er noch immer als »Dieu da la Danse« verehrte, machte der Chevalier seine halben Schritte und Pas de Zephir und Entrechats. Ein Ball war für ihn eine hochwichtige Angelegenheit, die ihn acht Tage im voraus beschäftigte, ein choreographisches Kunststück, das er in seinem Zimmer vor dem Spiegel einstudirte. Man sagte sogar, der Chevalier sei mehr als einmal, wenn er auf das Land zu einem Ball gefahren, aus dem Wagen und hinten aufgestiegen, um auf dem Platze des abwesenden Bedienten die gewagtesten Sprünge zu machen.

Ungeachtet seiner höchst stürmischen Jugend schienen seine sechzig Jahre weder seine Leidenschaften noch seine Körperkraft vermindert zu haben. Sollte eine Hirschjagd gehalten werden, so war der Chevalier von Montglas der Erste, der auf dem Sammelplatz erschien, und keiner der jungen Männer, die an der Jagd theilnahmen, konnte so gut wie er über eine Hecke oder einen Schlagbaum setzen. Eine zehnstündige Jagd war für ihn ein Spiel und hinderte ihn keineswegs, die folgende Nacht tüchtig zu zechen. Bei Tische zumal leistete der alte Kämpe Ausgezeichnetes. Niemand erinnerte sich den mindesten Rausch an ihm bemerkt zu haben, obgleich der Chevalier Jedermann Bescheid that; eben so wenig hatte sein frohes Gesicht jemals die mindeste Spur von Gram und Sorge gezeigt.

Endlich sprach man von einigen Abenteuern, die der Chevalier, trotz feiner grauen Haare, mit Ehren bestanden hatte, gleichviel ob er mit einer schönen Dame oder mit einem Gegner zu thun hatte.

Vollkommene Helden im guten wie im bösen Sinne findet man übrigens nur in Romanen, und da wir eine wahre Geschichte erzählen, müssen wir gestehen, daß der Chevalier von Montglas auch seine Mängel hatte.

Zuvörderst machte er sich dadurch lächerlich, daß er zu viel an die Vergangenheit dachte. Die Vergangenheit schien ihm um so schöner, da ihm das Leben und Treiben der vermeintlichen Nachfolger großer Roués kleinlich und erbärmlich vorkam. Natürlich sprach er auch zu viel von der glänzenden Rolle, die er in jener heroischen und nun fast schon dem Sagenkreise angehörenden Zeit gespielt habe. Niemand mochte die wahren oder erdichteten Duellgeschichten mehr hören, die immer mit den Worten endeten: »Das Gefäß meines Degens diente ihm als Pflaster.« Daher pflegte man ihn, wenn er nicht da war, den »Pflaster-Chevaliers« zu nennen.

Der Chevalier von Montglas war arm, und das Bedürfniß eines geräuschvollen, ruhelosen Lebens, zumal die Leidenschaft des Spiels hatte ihn viel zu weit fortgerissen, seitdem der Marquis von Escoman den Ton angab.

Die Armuth, die einen alten ehrenhaften Edelmann wahrhaft ehrwürdig macht, war dem lasterhaften Chevalier – denn anders kamt matt ihn nicht nennen – in hohem Grade lästig geworden und hatte ihn nach und nach zur Verleugnung alles Schicklichkeitsgefühls geführt. Er borgte hier und da einige Louisd'or, die er aber eben so wenig bezahlte wie seine Spielschulden, und so war er im Verkehr mit den jungen Leuten, die ihm doch weit nachstanden, in eine gewisse untergeordnete Stellung gekommen. Seine wahren Freunde bedauerten dies; aber es lag in seinem Wesen so viel Einnehmendes, daß matt über seine Thorheiten oft, lachte, aber nie unwillig wurde.

Der Chevalier von Montglas war also der Einzige, der sah was Fontanieu that. An der Blässe und Aufregung des Secretärs errieth er leicht was in ihm vorging.

Seit einiger Zeit waren die Zuhörer des Chevalier minder nachsichtig geworden; er hatte auf manchen Lippen ein spöttisches Lächeln bemerkt, wenn er feine Jugendstreiche erzählte. Das ärgerte ihn, und er meinte, ein Duell sei das beste Mittel, den Spöttern den Mund zu stopfen und sich ein aufmerksames Gehör zu verschaffen. Es schien ihm überdies pikant, sich in seinem Alter zu schlagen. Er verließ den Balcon und trat auf den jungen Mann zu.

»In der That,« sagte er mit der kecken Miene, die den Edelleuten aus dem vorigen Jahrhundert eigen war, »ich bedaure, daß wir so eben die Lakeien fortgeschickt haben.«

Fontanieu fühlte den Stachel dieser Worte.

»Warum das?« fragte er trotzig.

»Weil die Lakeien nöthig gewesen wären, um einen Tollkopf zu ersuchen seinen Zorn zu Hause oder in der Unterpräfectur auszulassen.«

»Sie haben Unrecht es zu bedauern,« erwiederte Fontanieu, der in seinem Zorn alle Anstandsrücksichten verläugnete; »denn Sie ersehen die Lakeien sehr gut.«

»Oho!« fuhr der Chevalier auf, als ob er eine Ohrfeige bekommen hätte, »wissen Sie wohl, mein Herr, daß Sie mir eine grobe Beleidigung gesagt haben?«

»Nehmen Sie die Sache wie sie ist, ich sehe, daß Sie ein sehr richtiges Urtheil haben.«

»Wenn das ist,« sagte der Chevalier, der ungeachtet der ernsten Wendung, welche das Gespräch genommen, in seinen Lieblingsfehler verfiel, »so muß ich Ihnen erzählen, daß mir einst ein Engländer, der Capitän Jarvis, viel weniger sagte als Sie mir so eben sagen, und daß ich gleichwohl in dem Duell, das ich mit ihm hatte, seinen ersten Stoß parirte, dann eine Finte machte und ihm meine Klinge bis an das Gefäß in den Leib stieß —«

»Eitles Geschwätz!« fiel ihm der Secretär ins Wort. »Lächerliche Prahlerei!«

Dieser neue Beweis einer offenbar epidemischen Zweifelsucht versetzte den Chevalier aus einem erkünstelten in einen wirklichen Zorn.

»Und ich hoffe,« setzte er hinzu, »daß Sie mir Rede stehen werden.«

»Ich bin bereit, mein Herr,« zuvor aber wünsche ich Genugthuung von den unverschämten Leuten, die ihre arglistigen Absichten hinter der Maske der Freundlichkeit versteckt und mich verlästert haben.«

Der Marquis von Escoman war während des Wortwechsels näher getreten.

»Darf ich fragen, worüber Sie sich beklagen,« sagte er kalt.

Fontanieu wandte sich zu ihm.

»Ich beklage mich,« erwiederte er, »über einige Personen, welche behauptet haben, man müsse mich aus den Salons weisen, in denen mir mein Name und meine Familienverhältnisse einen der ersten Plätze anweisen. Ich erkläre Jeden für einen erbärmlichen Wicht, der mich hinter meinem Rücken verleumdet und nicht den Muth hat mich offen anzugreifen.«

»Niemand bestreitet das Alter Ihres Hauses,« sagte der Marquis mit spöttischem Lächeln, »Jedermann weiß, daß der Name Fontanieu bis auf Sie zu den geachtesten der Normandie gehörter aber Ihre Geburt gibt Ihnen nicht das Recht, sich in die Häuser Derer einzudrängen, welche die Treue als den ersten Adelstitel betrachten.«

Louis von Fontanieu sah trotz seiner Unerfahrenheit und Aufregung wohl ein, daß eine Erörterung über die Legitimität seines Verhaltens ihn in ein lächerliches Licht stellen würde; er wußte, daß die Geldfrage, wenn schon die Existenz seiner Familie davon abhing, eine traurige Figur spielen müsse, wenn der Marquis von Escoman so chevalereske Gesinnungen zur Schau trug. Aber der Zorn des jungen Secretärs war so groß, daß er an eine andere Klippe stieß, während er die eine zu vermeiden suchte.

»Wenn ich nur, wüßte,« antwortete er, »wer die schändlichen Reden geführt hat, so würde ich beweisen, daß der von dem Blute der Feinde des Königs noch geröthete Degen meines Vaters auch von mir mit Ehren geführt wird.«

»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte der Marquis mit höhnischem Tone. »Wenn es Ihre Vorgesetzten hörten, so würden Sie durch die Bezeichnung: Feinde des Königs, gewiß nicht sehr erbaut werden. Doch das kümmert mich nicht – Sie wünschen also die Personen zu kennen, die der Meinung sind, daß der Secretär des Herrn Unterpräfecten nicht in unsere Salons gehöre?«

»Nennen Sie sie,« erwiederte Fontanieu, der die kalte, gleichgültige Haltung des Marquis falsch deutete; »und Sie werden sich Ansprüche auf meinen Dank und meine Freundschaft erwerben.«

»Beide sind mir so schätzenswerth, daß ich nicht umhin kann Ihre Bitte zu gewähren.«

Fontanieu wartete in angstvoller Spannung.

»Ich habe es gesagt,« setzte der Marquis von Escoman hinzu und sah den Secretär mit einem festen, ja herausfordernden Blicke an.

Fontanieu gab sein Erstaunen in so naiver Weise zu erkennen, daß Guiscard und Montglas in ein lautes Gelächter ausbrachen.

Dieses einstimmige Zeugniß der Ungeschicktheit, mit der er sein Anliegen vorgebracht, führte ihn einigermaßen zur Besinnung

»Belieben Sie die Waffen zu wählen, Zeit und Ort zu bestimmen,« sagte er ernst zu dem Marquis von Escoman.

»Nur nicht so voreilig, mein Herr!« höhnte der Marquis, »man sieht, daß Sie in solchen Dingen nicht bewandert sind. Unsere Zeugen werden das Nöthige verabreden. Hier sind die meinigen,« setzte er hinzu, indem er einen Schritt zurücktrat und auf Guiscard und den Chevalier zeigte.

Guiscard verneigte sich, aber der Chevalier von Montglas trat vor und entgegnete:

»Entschuldigen Sie, lieber Marquis. Ich habe mit diesem Herrn eine Sache auszugleichen, für die ich die Priorität beanspruche.«

»Genug, Montglas,« unterbrach der Marquis; »ich habe mit Herrn von Fontanieu eine Ehrensache, und Ihre Späße sind jetzt nicht am rechten Orte. Begnügen Sie sich daher bis auf Weiteres, die Leute mit Worten zu bombardiren.«

Dieser neue Zweifel an der Wahrheit seiner Aussagen brachte den Chevalier vollends in Harnisch.

»Sacrebleu!« erwiederte er; »ich will Ihnen beweisen, Marquis, daß mein Degen nicht stumpf geworden ist, und behaupte mein Recht.«

»Ich meine,« sagte Guiscard zu dem Marquis, »Du solltest ihm vorschlagen, seine angebliche Priorität gegen fünfundzwanzig Louisd’or einzusetzen; seine Hartnäckigkeit wird dann wie Wachs schmelzen. Wir kennen den Chevalier.«

Die Mühe werde ich mir nicht nehmen; ich werde dem Chevalier nur zu bedenken geben, daß er mir schon sowohl an Darlehen, als an Spielschulden Geld genug schuldet, für welches er nur seine Person verpfändet hat; es wäre seht unzart von ihm, mein Pfand aufs Spiel zu setzen.«

Wie sehr sich die Beiden auch bestrebten, dem Gespräch seine scherzhafte Wendung zu geben, so war der Inhalt doch sehr beleidigend für den Chevalier von Montglas.

Louis von Fontanieu gewahrte mit Freude die schwache Seite, welche ihm seine Gegner darboten, und er fühlte mit Stolz, daß er unfähig war, einem Feinde zu sagen, was der Marquis und Guiscard einem Freunde gesagt hatten.

»Mein Herr,« sagte er, auf den Chevalier zutretend, »wenn das Anerbieten einer leider ziemlich schlaffen Börse Ihnen für einige Tage angenehm ist, so erlauben Sie mir die meinige zu Ihrer Verfügung zu stellen.

Der Chevalier nahm hastig die Brieftasche, die ihm der junge Mann reichte, dankte ihm mit einem flüchtigen Blick – der alte Roué fand die Sache ganz natürlich – und begann sogleich den Inhalt zu untersuchen.

Die Brieftasche enthielt eine Banknote zu tausend und eine zu fünfhundert Franken nebst einigen Goldstücken.

Er nahm eine Banknote und vier Louisd’or heraus, übergab sie Guiscard und steckte die Brieftasche ein.

»Wir Beide wollen zuerst mit einander abrechnen,« sagte er.

»Mit dem größten Vergnügen, Chevalier, und ich verhehle Ihnen nicht, daß Sie nur gewinnen, wenn Sie in Zukunft so glücklich sind wie heute.«

»Ich war Ihnen eintausendundachtzig Francs schuldig, Sie haben diese Summe erhalten, nicht wahr?«

»Allerdings,« antwortete Guiscard.

»Ich schulde Ihnen also nur noch einen Degenstoß, und den sollen Sie morgen haben.«

»Glauben Sie?«

»Sie können sich darauf verlassen; ich werde mich künftig durch meine kaufmännische Pünktlichkeit auszeichnen.«

»Ich nehme die tausendundachtzig Franken an, Chevalier; aber den Degenstoß werde ich Ihnen hoffentlich geben.«

Der Marquis von Escoman und Guiscard entfernten sich.

Der Chevalier von Montglas trat nun auf Fontanieu zu und reichte ihm die Hand.

»Wir sind jetzt allein,« sagte er; »bitten Sie um Verzeihung.«

»Um Verzeihung!« erwiederte der junge Mann entrüstet; »ich soll Sie um Verzeihung bitten? Nein, nein!«

»Armer Teufel!« sagte der Chevalier von Montglas, den Kopf schüttelnd; »es gibt wirklich keinen rechten Mann mehr. Sie haben sich als echter französischer Cavalier benommen, Sie haben sich zu der Ritterlichkeit Ihrer Ahnen erhoben, und nun verhunzen Sie Ihre schöne That dadurch, daß Sie einen armen Teufel, der Ihr Geld angenommen hat und den Degen nicht gegen Sie ziehen kann, zwingen wollen, sich zu entschuldigen und Ihnen Worte zu sagen, die in Ihrem Munde sehr passend, in dem meinigen aber lächerlich sein würden. Pfui! die Revolution hat auch ihn verdorben!«

»Sie haben mich nicht verstanden, Herr Chevalier,« sagte Fontanieu; »ich bin Ihr Gläubiger geworden, aber es war keineswegs meine Absicht, die erbärmliche Summe Geldes als ein Hindernis zum Ausfechten unserer Ehrensache zu betrachten.«

»Ich habe das Geld angenommen,« entgegnete der Chevalier, »weil ich Sie nicht mehr als Gegner betrachten wollte. Vormals hätten wir, ungeachtet dieses mir erwiesenen Dienstes, unsere gegenseitige Stellung bewahren können, aber die Zeiten haben sich geändert; jetzt würde man sagen, ich hätte Ihnen nach dem Leben getrachtet, um unsere Rechnung auszugleichen. Fallen Sie daher nicht aus Ihrer Rolle, junger Mann. Es ist ja keine Schande, sich vor einem grauen Haupte zu beugen. Und ich habe graue Haare, ich muß es mir zuweilen selbst gestehen.«

Bis dahin war Louis von Fontanieu unschlüssig geblieben, da er nicht wußte, was er von dem Chevalier denken sollte. In der eleganten Welt erfährt man die Lächerlichkeiten und schwachen Seiten derer, die ihr angehören, zugleich mit ihren Namen. Der Chevalier von Montglas war bisher für den Neuangekommenen nur ein alter Wüstling gewesen, der wegen seiner Prahlereien verhöhnt, wegen seiner Laster fast verachtet wurde. Fontanieu hatte Mitleid mit der traurigen Lage des armen Teufels und zürnte denen, die über seine Noth und seine Leidenschaften spotteten. Seine offene, entschlossene Sprache, sein ehrliches Gesicht verwandelte dieses Mitleid in Theilnahme. Fontanieu ergriff die Hand, die ihm der Chevalier darbot, und drückte ihm sein Bedauern aus, daß er nicht so achtungsvoll gesprochen, wie es das Alter des Mannes erforderte.

»Gut, gut,« erwiederte der Chevalier; »ich habe nicht das Recht, es allzu genau zu nehmen. Morgen wird‘s besser sein, und in einigen Tagen sind wir vielleicht Freunde. Inzwischen verfügen Sie über mich, junger Mann; reden Sie, wenn ich Ihnen in etwas dienen kann. Ich kann nicht vergessen, daß ich zu unserm Wortwechsel Anlaß gab, ich möchte daher gern mein Unrecht wieder gut machen.«

»Ich danke Ihnen tausendmal, Herr Chevalier, und um Ihnen zu beweisen, wie hoch ich Ihr Wohlwollen schätze, ersuche ich Sie mir zu erklären, warum der Marquis von Escoman so erbittert gegen mich ist. Diese Feindseligkeit scheint mir durch politische Gründe nicht gerechtfertigt.«

Der Chevalier lächelte.

»Kennen Sie seine Maitresse?« fragte er.

»Nein, meines Wissens wenigstens nicht.«

»Margarethe Gelis?«

»Nicht einmal dem Namen nach.«

»Das ist fatal.«

»Warum denn?«

»Es ist gut die Maitresse eines Freundes zu kennen, um so wichtiger ist es, die eines Gegners zu kennen.«

»Wozu könnte mir das in dem vorliegenden Falle nützen?«

»Warten Sie nur. Der Marquis von Escoman möchte Ihnen gern seinen Degen durch die Brust stoßen, weil Sie, ohne es zu wollen, seine Eigenliebe verletzt haben, weil die schöne Margarethe Gelis seit acht Tagen nicht müde geworden ist, Ihre Haltung zu loben; kurz, sie scheint ein Auge auf Sie zu haben.«

Louis von Fontanieu war ganz bestürzt über diese Erklärung, die ihm die Vorgänge in einem ganz andern Lichte zeigte.

»Erweisen Sie mir noch eine Gefälligkeit, Herr Chevalier,« sagte er nach kurzem Besinnen.

»Ist diese Margarethe Gelis wirklich schön?«

»Schön?« erwiederte Montglas. »Das kommt auf den Geschmack an. Es ist im Grunde gleichgültig; aber ich versichere, daß ich an Ihrer Stelle und in Ihrem Alter nicht mehr als vierundzwanzig Stunden gebraucht haben würde, um dem Marquis von Escoman einen ganz andern Aerger zu machen, als über die Einbildungen einer Närrin. Doch da erwacht der alte Adam wieder in mir, setzte er, wie mit sich selbst redend, hinzu; »ich hatte mir doch so eben fest vorgenommen, mit dem Satan nichts mehr zu thun zu haben.«

Der Chevalier drehte sich mit einer aus dem achtzehnten Jahrhundert herübergebrachten Grazie auf dem Absatz und tänzelte, ein Schnippchen schlagend, zum Saale hinaus.

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