Читать книгу Die Taube - Александр Дюма - Страница 11

Die Taube
Elfter Brief

Оглавление

15. Mai.

Ich weiß nicht, ob ich, seitdem ich Ihnen schreibe, mehr Ruhe empfinde, aber zuverlässig empfinde ich mehr Erleichterung.

Das kommt daher, weil mein Leben eine mächtige Zerstreuung erhalten hat; ich war ohne Familie, allein in der moralischen und in der materiellen Welt, bald auf den Knieen, bald auf einem Grabe liegend, bald weinend, immer verzweifelnd, und jetzt finde ich plötzlich einen Bruder wieder.

Denn es scheint mir, daß Sie für mich ein Bruder sind. Es scheint mir, daß dieser Bruder, den ich nicht kannte, Frankreich verlassen hat, bevor ich geboren wurde. Es scheint mir, daß ich ihn erwartet, ihn ohne Unterlaß gesucht habe. Jetzt ist er zurückgekehrt. Jetzt, ohne sich durch die Gegenwart zu offenbaren, offenbart er sich durch die Stimme. Ich sehe ihn nicht, aber ich höre ihn. Ich berühre ihn nicht, aber ich verstehe ihn.

Sie haben keinen Begriff, wie sehr diese so glänzend von ihrer Feder ausgemalte Landschaft meine Gedanken beschäftigt hat. Man leugne mir nicht die Wunder des doppelten Gesichts: das doppelte Gesicht besteht. Durch die beharrliche Kraft meines Willens ist diese Landschaft mir gegenwärtig, in meinem Geiste wie in einen Spiegel zurückgegeben. Ich sehe Alles, von dem rosenfarbigen Dunste des Morgens, der sich hinter dem Hügel erhebt, bis zu dem Hereinbrechen der grauen Schatten des Abends, ich höre Alles, von dem Geräusche der Blume an, die ihren Kelch dem Morgenthaue öffnet, bis zu dem Gesange der Nachtigall, der sich in der Einsamkeit und in dem Schweigen der Nacht verlängert.

Und ich sehe Alles das auf eine solche Weise, daß wenn ich mich jemals in dem Kreise befände, den Ihre Blicke übersehen, ich sagen würde: Da sind die entflammten Hügel, hier sind die Schneegebirge, hier sind die Silberbäche, hier sind die Flüsse, hier sind die Olivenbäume, hier sind die Granatbäume, hier sind die Oleander, hier sind die Myrthen, hier ist es, hier ist es!

Dann sehe ich noch Ihre Einsiedelei, wie sie sich über die Mauern des Gartens mit ihrem mit Jasmin und Reben verschleierten Fenster erhebt; dann sehe ich Sie selbst in Ihrer weißen Zelle, zu den Füßen Ihres schönen Christus knieend, indem Sie für sich und besonders für mich beten.

Sagen Sie mir, wer dieser König ist, dessen Porträt sich in Ihrer Zelle befindet, dieser König, für den Sie eins besondere Verehrung haben, damit auch ich ein Porträt dieses Königs habe, damit ich eine Verehrung mehr habe, welche Ihre Verehrung ist.

Dann möchte ich auch Sie sehen. . . o! nur durch den Gedanken; beruhigen Sie sich. Sie haben mir gesagt, daß die Vergangenheit für Sie nicht mehr Bestände, und daß ich Sie nur über die Gegenwart und über die Zukunft befragen sollte. Lassen wir die Vergangenheit in dem Nichts und sagen Sie mir, wie alt Sie sind, unter welchen Zügen ich mir ein dem Ihrigen ähnliches Bild entwerfen muß, sagen Sie mir, seit welcher Zeit Sie in diese Einsiedelei eingezogen sind, sagen Sie mir, wann Sie gänzlich von der Welt Abschied zu nehmen gedenken.

Ich möchte auch wissen, in welcher Entfernung wir von einander. sind. Ist es möglich, das zu berechnen?

Sie scheinen mir so gut, daß ich nicht fürchte, Sie zu ermüden. Sie scheinen mir so gelehrt, daß ich nicht fürchte, Sie um das Unmögliche zu fragen.

Ich will an das denken, was Ihre Antwort enthalten kann, und wenn ich sie erhalten Habe, werde ich an das denken, was sie enthalten wird.

Geh, geliebte Taube, geh und kehre schnell zurück.

Die Taube

Подняться наверх