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Erstes bis Fünftes Bändchen
XII
Der Fürst Obinsky
ОглавлениеMarat schloß, wie Danton, einen Moment die Augen, als ob er in sich selbst schaute und seine eigene Stimme hörte, die ihm sachte die Erinnerungen seiner Jugend erzählte.
Dann erhob er plötzlich das Haupt und sprach:
»Ich bin von Neuchatel, Sie wissen das ohne Zweifel; ich bin geboren 1744. Ich zählte zehn Jahre in dem Augenblicke, wo mein ruhmwürdiger Landsmann in die literarische oder vielmehr in die politische Welt die Rede über die Ungleichheit schleuderte; ich war zwanzig Jahre alt, als Rousseau verbannt, um ein Asyl zu suchen, in seine Heimath zurückkehrte. Empfindsam, glühend, leidenschaftlich für den Philosophen begeistert, hatte mich meine Mutter in der ausschließlichen Bewunderung des Meisters erzogen und ihren ganzen Eifer darauf verwendet, aus mir einen großen Mann in der Art des Verfassers vom Contrat social zu machen; sie war hierbei vortrefflich unterstützt worden von meinem Vater, einem würdigen Geistlichen, einem gelehrten und thätigen Manne, der frühzeitig in meinem Kopfe Alles das, was er an Wissen besaß, anhäufte; mit fünf Jahren wollte ich auch Schulmeister werden; mit fünfzehn Jahren Professor; mit achtzehn Schriftsteller, mit zwanzig schaffendes Genie!
»Wie Rousseau, wie meine meisten Landsleute, verließ ich jung meine Heimath, in meinem Kopfe ein ziemlich beträchtliches, aber schlecht geordnetes Magazin von verschiedenen Kenntnissen, eine große Kunde der Kräuter, die ich mir in unseren Gebirgen erworben, mitnehmend, dabei Mäßigkeit, Uneigennützigkeit, viel Eifer und eine Arbeitsmächtigkeit, die ich vor mir bei keinem Menschen gekannt habe.
»Ich fing mit Deutschland und mit Polen an.«
»Und warum gingen Sie nach Deutschland?«
»Ei! wie jeder Abenteuersucher, um zu leben.«
»Und Sie lebten?«
»Sehr schlecht, ich muß es gestehen.«
»Ja, nicht wahr, die Literatur nährte wenig?«
»Hätte ich mich nur an die Literatur gewendet, so würde sie mich gar nicht genährt haben; doch außer der Literatur hatte ich in meinem Dienste das Französische und das Englische, was ich wie meine Muttersprache spreche.«
»Ja, ich erinnere mich, Sie sagten mir in der That, Sie haben Sprachunterricht den Schotten gegeben und in Edinburgh die Ketten der Sklaverei veröffentlicht, ohne Zweifel selbst ein Sklave von denjenigen, welche Sie zum Lehrer17 genommen hatten.«
Marat schaute Danton mit einer Art von Erstaunen an, das diesen fast erröthen machte. Nichts ist betrüblicher für den, welcher es preisgegeben hat, als ein Wortspiel, das schlecht begriffen wird.«
»Wahrhaftig,« sagte Marat mit barschem Tone, »mir scheint, ich höre Herr von Florian oder Herrn Berlin sprechen; es ist Madrigal, was Sie da machen, mein Lieber, und Madrigal, das muß ich Ihnen bemerken, das Madrigal steht Herrn Danton schlecht an.«
»Dann will ich schweigen und mich darauf beschränken, daß ich Sie anhöre, da ich mit meinen Unterbrechungen so wenig Glück habe.«
»Ja, um so mehr als, wenn ich Romane mache, die Geschichten, die ich erzähle, nicht madrigalisch sind. Das werden Sie sogleich sehen.
»Ich komme also auf meine Lectionen zurück, die mich wenig nährten, und auf ein anderes hungriges Geschäft, das mich noch weniger nährte, ich meine die Medicin.
»Ich beschloß, Deutschland zu verlassen und mich nach Polen zu begeben. Das war 1770: ich zählte sechsundzwanzig Jahre, hatte ein paar Thaler im Grunde meiner Börse, viel Hoffnungen im Grunde meines Herzens, und vortreffliche Empfehlungsbriefe obendrein. Der König Stanislaus regierte damals, – Stanislaus August, wohl verstanden, – das war ein Gelehrter, ein unterrichteter Mann, er ist dies Alles, müßte ich sagen, denn er lebt immer noch, der würdige Fürst, und die Philosophie, die Wissenschaft und die Musen helfen ihm ohne Zweifel die Demüthigungen ertragen, welche Rußland, Preußen und Oesterreich in diesem Augenblicke über ihn verhängen.«
»Ich glaube,« sagte Danton, »wenn Sie mir eine philosophisch-politische Unterbrechung erlauben wollen, nachdem Sie mir die madrigalischen Unterbrechungen verboten haben, – ich glaube, daß der ehrliche Monarch wohl daran thut, wenn er die tröstenden Göttinnen zu cultiviren fortfährt; denn es scheint mir nicht sicher, daß er auf dem Throne stirbt, den ihm Katharina, seine strenge Gebieterin, ganz gegeben hat und ihm Stück für Stück wieder nimmt.«
»Diesmal sehen Sie richtig; ich werde auch der Unterbrechung Beifall spenden, statt sie zu tadeln, , und ich bezweifle nicht, König Stanislaus wird glücklich sein, eines Tages, gleichviel wo, die Nelken wiederzufinden, welche der große Condé cultivirte. Doch in der Zeit, um die es sich handelt, regierte, obgleich dumpf bedroht mit der Theilung seines Reiches, dieser Fürst im Frieden. Er liebte, wie gesagt, die Wissenschaften, die Künste, die Literatur, und machte einen edlen Aufwand. Ich, ein dunkler Mensch, – Schweizer durch meinen Landsmann Rousseau, Gelehrter durch meinen Collegen d'Alembert, Philosoph durch die Holbachianer, eine fatale Race, die sich über die ganze Erde verbreitete, – ich wanderte gegen Norden, ganz stolz auf meine siebenundzwanzig Jahre, auf mein wissenschaftliches Gepäck, auf meine schönen, frischen Backen und auf meine kräftige Gesundheit. . . Sie schauen mich an, Danton, und Sie suchen, was aus Allem dem geworden sei . . . Seien Sie unbesorgt, Sie werden erfahren, wie und wo mich dies verlassen hat: das ist meine Geschichte. In meinem jugendlichen Vertrauen sagte ich mir, da Stanislaus Poniatowski einen Thron durch sein gutes Aussehen bei der Großfürstin, nachmaligen Kaiserin, gewonnen habe, so könnte ich wohl mit allen meinen körperlichen und moralischen Vorzügen zwölftausend Livres Einkommen oder Pension bei Stanislaus verdienen. Das war mein Ziel, mein Ehrgeiz. Besitzer dieses Vermögens, würde ich allen Coterien, allen schlimmen Chancen Trotz bieten, ich würde nach Frankreich zurückkehren, um Staatswissenschaft zu studieren, ich würde sie inne haben in dem Alter, wo der Ehrgeiz im Herzen her Menschen treibt; ich könnte ein großer Arzt werden, sollten die Routine und das Vorurtheil fortbestehen; ich könnte ein großer Administrator werden, gelänge es der Philosophie, die Menschheit zu emanzipieren.«
»Das war gut geurtheilt,« sprach Danton mit kaltem Tone; »doch jedes Ding braucht nothwendig seinen Anfang; Alles hängt von diesem Anfange ab; zeigen Sie mir den Ihrigen, und zeigen Sie mir ihn so, wie er war, wenn das möglich ist.«
»Oh! seien Sie unbesorgt, ich werde mich nicht schminken, die Einbildungskraft ist nicht meine Sache; überdies wird hoffentlich die Wirklichkeit genügen, um Sie zu interessieren.«
»Es ist seltsam, daß Sie so die Einbildungskraft verleugnen, Sie, der Sie einen langen Kopf und breite Schläfe haben!«
»Ich verleugne die Einbildungskraft nicht,« erwiederte Marat, »doch ich glaube nur in der Politik Einbildungskraft zu haben: für alles Uebrige gleiche ich ein wenig der Katze in der Fabel, die nur einen Kunstgriff in ihrem Sacke hatte und genöthigt war, ihre Inferiorität gegen den Fuchs, das Thier mit den hundert Mitteln, anzuerkennen. Das Resultat hiervon ist, daß ich, wenn ich Hunger hatte, – was mir zuweilen begegnete, – Lectionen gab und weder viel, noch wenig aß.«
»Und was für Lectionen gaben Sie?«
»Lectionen in Allem, bei meiner Treue! ich bin ungefähr universell, so wie Sie mich sehen: heute, zum Beispiel, verfaßte, schrieb und druckte ich zwanzig Bände physische Entdeckungen, und ich glaube alle Combinationen des menschlichen Geistes über die Moral, die Philosophie und die Politik erschöpft zu haben.«
»Teufel!« rief Danton.
»So ist es!« sprach Marat mit einem Tone, der keine Widerrede zuließ. »Ich gab also Lectionen in Allem, im Lateinischen, im Französischen, im Englischen, in der Chemie, der Physik, der Medicin, der Botanik, ohne Alles das zu rechnen, was an unbekannten Fähigkeiten der Appetit, diese große Anspornung zur allgemeinen Industrie, eingibt.«
»Gut! Sie sind nun also, um Lectionen zu geben, nach Polen abgereist,« sagte Danton, der die Weitschweifigkeit von Marat abzukürzen suchte.
»Ich bin nun nach Polen abgereist. Die Sprache beunruhigte mich nicht: in Polen spricht Jedermann Lateinisch, und ich konnte Lateinisch wie Cicero.«
»Fanden Sie wenigstens Schüler im kriegerischen Lande der Jagellonen?«
»Ich war empfohlen an Würdenträger von Stanislaus. Einer derselben, ein Gebieter von sechs Dörfern, ein Starost Namens Obinsky, an den ich einen sehr dringenden Brief hatte, befand sich zufällig in Warschau, als ich ankam; ich beeilte mich, demselben das Schreiben zu übergeben, das mich ihm empfahl! Die Polen sind umgänglich und gastfreundlich; ihr Nationalstolz läßt sie die Franzosen als Brüder betrachten. Der Fürst las den Brief, heftete aufmerksam die Augen auf mich, als wollte er mich nach meinem physischen Werthe schätzen; dann, nach einem Momente der Prüfung und des Stillschweigens, nickte er leicht mit dem Kopfe. Dieses Nicken schien mir wohlwollend.
»Es war ein Mann von hoher Statur, grau von Haaren, weiß von Gesichte, mit durchdringenden Augen, mit schallender Stimme; er kam dem Wuchse nach einem Riesen gleich; ich, ich maß fünf Fuß, – denn ich bin auf einen Zoll kaum je größer gewesen , als ich jetzt bin; – er imponirte mir von Anfang an.
»Ich war, wie ich Ihnen gesagt habe, naiv, Freund der Großen, geneigt, contemplativ durch die Bewunderung oder thätig durch die Dankbarkeit zu werden; kurz, ein streckbarer Teig den Geschmack erwartend, den die erste Beleidigung oder die erste Wohlthat, edelmüthig oder bitter, in die Seele legen würde, welche diese Materie belebte.
»Der Fürst trat endlich aus seiner Träumerei hervor und sagte:
»»Wir haben viele Franzosen hier, doch Alle sind Militäre, und der König, sobald sie ankommen, beeilt sich, sie entweder zu seiner Freundin Ihrer Majestät der Kaiserin, oder zu seinen Feinden den Opponenten zu schicken, welche auf Bürgerkriege in Podolien sinnen . . . Kennen Sie die Geschichte dieser Spaltungen?««
»»Bei meiner Treue, nein! und ich gestehe offenherzig meine Unwissenheit,«« antwortete ich ein wenig gedemüthigt.
»Der Fürst schien sehr entzückt, einen Gelehrten zu finden, der offenherzig gestand, er wisse etwas nicht.
»»Also,«« sagte er mit einer sichtbaren Befriedigung, »»Sie gestehen also, daß Sie die Schismen von Soltyk, Massalsky und den anderen wüthenden Katholiken nicht kennen?««
»»Mein Gott, nein, Fürst!«« antwortete ich.
»»Nun wohl! desto besser. Sie werden einen vortrefflichen Hofmeister geben, und besonders einen um so vollkommeneren Moralisten, als Sie keinen politischen oder religiösen Sauerteig in Ihre Lotionen mischen werden. Ich habe Ihnen einen Zögling anzuvertrauen.««
17
Das Wortspiel mit maitre, Lehrer oder Herr, läßt sich nicht übersetzen.