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Erstes bis Fünftes Bändchen
VI
Der Socialclubb

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In der That, eine Stunde, nachdem diese Uebereinkunft geschlossen worden, – David war nach Hause gegangen; Camille Desmoulins hatte sich, um seinen Hof zu machen, zu einem jungen Mädchen begeben, welches er liebte, von dem er geliebt wurde, und das er zwei Jahre später Heirathen sollte; Talma und Chénier waren in die Comedie-Francaise gegangen, um dort ein wenig von dem erwähnten Karl IX. zu reden, von dem ihnen beim Mahle so wenig zu reden erlaubt gewesen; Grimod de la Reyniére war 'nach seiner Gewohnheit, um zu verdauen, in die Oper gegangen; Guillotin hatte eine Zusammenkunft mit den Herren Wählern, – eine Stunde nachher, sagen wir, verließen Danton und Marat ebenfalls die Rue du Paon und schlugen, um sich nach dem Palais-Royal zu begeben, den Weg ein, den sie schon am Morgen, um in das Haus von Danton zu kommen, gemacht hatten.

Doch so belebt das Palais-Royal bei Tage war, das Palais-Royal bei Lichte war noch etwas ganz Anderes: alle Bijouterie-, Silberzeug-, Kristallwaarenhändler, alle Putzmacherinnen, alle Schneider, alle Friseurs, mit dem Degen an der Seite, hatten sich dieser neuen Läden bemächtigt, für welche der scandalöse Proceß ihres Eigenthümers als Prospect gedient. In einer seiner Ecken rauschte das Theater der Varietes, wo der Schauspieler Bordier ganz Paris zu seinen Arlequinaden anlockte; in einer andern toste das 113, das entsetzliche Spielhaus, auf das Herr Andrieux kurz zuvor den philosophischen Viervers gemacht hatte:

Il est trois partes à, cel antre:

L'espoir, l'infamie et la mort;

C'est par la premiere qu'on entre,

C'est par les deux autres qu'on sort!14


113 gegenüber war das Cafe Foy, der gewöhnliche Zusammenkunftsort aller Motionäre; im Mittelpunkte dieses Dreiecks endlich erhob sich der Circus, von dem wir schon gesprochen, der Circus, der das Lesecabinet von Herrn Girardin, das Theater Gaukler und den Socialclubb enthielt, welcher für diesen Abend in den Americanischen Clubb verwandelt worden war.

Schon bei ihrem Ausgange aus der Rue du Paon, – einer zu jener Zeit wie heute ziemlich abgelegenen Straße, – gewahrten Danton und Marat Merkmale der Aufregung, welche das Herannahen einer Krise verkündigten. Das Gerücht von der Entlassung von Herrn von Brienne und der Zurückberufung von Herrn Necker fing in der That an sich zu verbreiten, und die Bevölkerung kam allmälig ganz bewegt aus den Häusern heraus, um Gruppen in den Straßen, auf den Plätzen und auf den Kreuzwegen zu bilden; überall hörte man die Namen der zwei Antagonisten aussprechen: den von Brienne mit der Befriedigung des triumphirenden Hasses, den von Necker mit dem Ausdrucke der Dankbarkeit und der Freude. Mitten unter Allem dem wurden dem König große Lobeserhebungen gespendet; denn im Jahre 1783 war mit der Feder in der Hand oder mit dem Worte im Munde noch Jedermann Monarchist.

Marat und Danton durchschritten diese Gruppen, ohne sich darunter zu mischen; auf dem Pont-Neuf waren sie so zahlreich, daß die Wagen im Schritte fahren mußten; was übrigens allen diesen Gruppen einen fast bedrohlichen Charakter gab, war der Umstand, daß die Nachricht, die sich am Tage verbreitet, noch zweifelhaft schien, und daß die Hoffnung, die man einen Augenblick gefaßt hatte, wenn man sich getäuscht, eine Flamme wurde, welche, wenn auch ephemer, doch lange genug gedauert hatte, um die Leidenschaften kochen zu machen.

Näherte man sich dem Palais-Royal, so war es noch schlimmer; man glaubte sich einem Bienenstocke zu nähern. Vor Allem waren die Gemächer des Herzogs von Orleans glänzend erleuchtet, und die vielen Schatten, die man durch die Gazevorhänge im Rahmen der Fenster sich bewegen sah, deuteten an, daß an diesem Abend großer Empfang bei Seiner Hoheit stattfand; überdies stationierte das Volk auf dem Platze wie in den andern Straßen, und das ewige Hin- und Hergehen der Schaaren, die in das Palais-Royal vordrangen und aus diesem Palaste herauskamen, gab der Menge jene Bewegung von Ebbe und Fluth, welche die Wellen am Gestade des Meeres haben.

Marat und Danton waren zwei kräftige Schwimmer in diesem Ocean; sie hatten sich auch bald durch die Cour des Fontaines gearbeitet und das Palais-Royal auf der Seite der entgegengesetzt erreicht, welche ihnen am Morgen Durchgang gewährt.

Als sie am Ende der doppelten Gallerie angelangt waren, die man damals, wie gesagt, das Lager der Tartaren nannte, blieb Danton, trotz des sichtbaren Widerwillens seines Gefährten, einen Augenblick stehen. Sie boten in der That ein seltsames Schauspiel, von dem wir Männer aus dem Anfange dieses Jahrhunderts das Ende gesehen haben, diese angemalten Frauen mit Juwelen und Federn beladen, bis an den Gürtel entblößt, bis an die Kniee aufgeschürzt, Jeden, der vorüberging, durch eine lascive Geberde rufend, oder ihn mit spöttischen Scherzen verfolgend, Einige neben einander gehend, Freundinnen ähnlich, Andere sich begegnend und, wie der Funke, der aus dem Zusammenstoße des Kieselsteins hervorspringt, eine Schmähung in der Weise der Hallen wechselnd, welche immer die Zuschauer beben machte, da sie sich nicht daran gewöhnen konnten, eine solche Sündfluth von obscönen Worten aus dem Munde dieser schönen Geschöpfe kommen zu hören, die sich in der Tournure und im Anzuge durch Nichts von den vornehmen Damen jener Zeit unterschieden, als daß sie falsche Juwelen trugen und nicht für sich das Sprichwort: »Stiehlt wie eine Herzogin,« annehmen wollten.

Danton schaute also. Dieser Mann mit der mächtigen Organisation war, wo er auch sein mochte und in welcher Lage er sich befand, immer entweder zum Vergnügen oder zu dem Metalle, welches dasselbe gibt, hingezogen: bei der Thüre eines Wechslers blieb er vor dem Goldschüsselchen stehen, wie er beim Eingange des Palais-Royal vor den Freudenmädchen stehen blieb.

Marat zog ihn zu sich, und er folgte Marat, jedoch unwillkürlich den Kopf nach dem unreinen Winkel umdrehend.

Kaum aber befanden sie sich unter der steinernen Gallerie, da war es etwas Anderes: auf die physische Versuchung folgte die moralische. Die obscönen Bücher waren damals äußerst beliebt. Menschen, die man an ihren Mänteln erkannte, – denn diese Menschen trugen Mäntel, obgleich man mitten im August war, – boten solche Bücher den Vorübergehenden an. Sie zogen um die Wette Marat und Danton am Rockflügel: »Mein Herr, wollen Sie den Libertin de qualité vom Herrn Grafen von Mirabeau? Ein reizender Roman!« »Mein Herr, wollen Sie Félicia ou Mes fredaines, von Herrn von Nerciat, mit Kupferstichen?« »Mein Herr, wollen Sie den Compére Mathieu vom Abbé Dulaurens?« Das nannte man zu jener Zeit Bücher unter dem Mantel verkaufen.

Um sich von diesen Infamiemäklern zu befreien, – gegen welche, wir müssen es gestehen, Danton nicht denselben Widerwillen hegte, wie Marat, ein strenger Bewunderer von Jean Jacques, – eilten Beide in den Garten, wo sich die Duenen kreuzten, deren Geschäft es war, für das Domicil zu rekrutiren; doch an diesem Abend waren die ehrwürdigen Matronen ein wenig verscheucht durch den Lärmen, der im Garten herrschte, wo sich vielleicht über zweitausend Neuigkeiten suchende Personen zusammengeschaart fanden, mit denen sich nichts machen ließ, da die Neugierde alle andere Gefühle erstickt hatte.

Nicht ohne Mühe kamen Marat und Danton zu dem Abhange, auf welchem man zum Circus hinabstieg; hier angelangt brauchte man sich nur noch gehen zu lassen, und war man Besitzer einer Karte, so hinderte nichts, daß man zur Zahl der Auserwählten zugelassen wurde.

Danton hatte zwei Karten; es wurde also bei der Thüre keine Schwierigkeit gemacht; Danton und Marat wurden im Gegentheile von den Commissären, Leuten von Lebensart, auf das Freundlichste begrüßt, und Beide traten in den Saal ein.

Der Anblick war in der That blendend. Wohl zweitausend Kerzen beleuchteten die aristokratische Versammlung. Die Fahnen von America, verschlungen mit denen von Frankreich, beschatteten mit ihren Falten Kartuschen, worauf die von beiden Heeren errungenen Siege geschrieben standen; drei mit Lorbeeren bekränzte Büsten zogen die Augen nach der Tiefe des Saales; diese Büsten waren in den beiden Ecken die von Lafayette und von Franklin, in der Mitte die von Washington.

Theodor Lameth, der Aeltere von den zwei Brüdern dieses Namens, hatte den Präsidentenstuhl inne; Laclos, der Verfasser der Liaisons dangereuses, versah den Dienst des Schriftführers.

Die Gallerien und die Tribunen waren voll von Frauen, Gönnerinnen der americanischen Unabhängigkeit. Man bemerkte darunter Frau von Genlis, bekleidet mit einer Polonaise von gestreiftem Tastet und frisirt à l'insurgente; die Marquise von Villette, die schöne und gute Protegee von Voltaire in einer Circassicnne mit Blonden und einem getigerten Bande garnirt, und eine mit einer Barriére verzierte Haube auf dem Kopfe; Theresa Cabarrus, welche später Madame Tallien wurde und damals nur die Marquise von Fontenay war: immer schön, doch an diesem Tage noch schöner unter einer Therese in schwarzem Gazeschleier, durch welche, wie zwei Sterne in der Nacht, ihre spanischen Augen funkelten; die Marquise von Beauharnais, Josephine Tascher de la Pagerie, eine anbetungswürdige Creolin, voll Indolenz, belebt in diesem Augenblicke durch eine Prophezeiung von Mademoiselle Lenormand, der Zauberin des Faubourg Saint-Germain, die ihr verkündigt hatte, sie werde eines Tags Königin oder Kaiserin von Frankreich werden: welche von Beiden? die Zauberin wußte es nicht; doch nach dem Orakel der Karten mußte sie unfehlbar die Eine oder die Andere werden; – die bekannte Olympia von Gouges, geboren in Montpellier von einer Mutter, welche Putztrödlerin war, aber von einem Vater, dessen Haupt, wie Leonard Bourdon sagt, eine königliche Binde umschloß, wie Olympia von Gouges sagt, ein einfacher Lorbeerzweig bekränzte: eine seltsame Schriftstellerin mit einem Vermögen, das ihr zweimal hunderttausend Livres Einkünfte gab, eine Frau, welche weder lesen, noch schreiben konnte und ihren Secretärcn Romane und Stücke dictirte, die sie nicht wiederzulesen vermochte. Ihr Eintritt, der mit dem von Marat und Danton zusammentraf, war mit einer dreifachen Salve von Beifallklatschen begrüßt worden; sie hatte gerade im Théatre-Francais, nach fünf Jahren der Erwartung, der Bemühungen und der Geschenke, ihr Stück: die Sklaverei der Schwarzen, aufführen lassen, das fast durchgefallen war; doch daß das Stück durchgefallen, verhinderte nicht, daß die Verfasserin beklatscht wurde, wenn nicht wegen des Talentes, doch wenigstens wegen der Absicht.

Man müßte Alles anführen, was sich in Paris an schönen Frauen, an reichen Frauen oder an berühmten Frauen fand, wollte man die Tribunen und die Gallerien des Socialclubbs, der, wie gesagt, für diesen Abend in den Americanischen Clubb verwandelt worden war, die Revue passiren lassen.

Mitten unter ihnen, angezogen von der Einen, zurückgerissen von der Andern, angefleht von einer Dritten, welche von fern ihre hübsche Hand gegen ihn ausstreckte, flatterte der Held des Tages, der Marquis von Lafayette. Das war damals ein schöner und eleganter junger Mann von einunddreißig Jahren. Edelmann von Geburt, Besitzer eines ungeheuren Vermögens, durch seine Frau, – die Tochter des Herzogs d'Ayen, die er schon vor fünfzehn Jahren geheirathet hatte, – mit den größten Häusern Frankreichs verwandt; mit zwanzig Jahren aus Frankreich getrieben durch jenen Freiheitshauch, der über die Welt hinging, ohne noch zu wissen, wo er sich festsetzen sollte, hatte er insgeheim zwei Schiffe ausgerüstet, sie mit Waffen und Munition beladen, und war in Boston angekommen, wie fünfzig Jahre später Byron in Missolunghi ankommen sollte; aber, glücklicher als der große Dichter, sollte er die Befreiung des Volkes sehen, dem er zu Hilfe geeilt, und wenn Washington sich den Titel Vater der americanischen Freiheit vorbehalten hatte, so hatte er wenigstens erlaubt, daß Lafayette den seines Pathen annahm. Die Begeisterung, welche Lafayette nach Frankreich zurückgekehrt eingeflößt hatte, war vielleicht größer, als die, welche er in America zurückgelassen; die Mode hatte ihn adoptirt, die Königin hatte ihm zugelächelt, Franklin hatte ihn zum Bürger gemacht, Ludwig XVI. machte ihn zum General.

Diese Popularität war süß, und die Generalsuniform stand einem einunddreißigjährigen jungen Manne sehr gut; seine Eitelkeit hatte es ihm gesagt, und annehmend, die Eitelkeit, welche einmal gesprochen, könne schweigen, wiederholten es ihm die Frauen so oft, daß er genöthigt war, sich dessen zu erinnern.

Derjenige, welcher mit Lafayette die Ehrenbezeigungen des Abends theilte, war der Graf d'Estaing. Besiegt in Indien, wo er zweimal zum Gefangenen gemacht worden war, hatte er seine Genugthuung in America genommen; hier, nachdem er Howe eine unentschiedene Schlacht geliefert, nachdem er bei einem Angriffe auf St. Lucie gescheitert war, hatte er den Commodore Byron völlig geschlagen. Ganz das Gegentheil von Lafayette, war der Graf Hector d'Estaing ein Greis; der Enthusiasmus theilte sich auch zwischen ihm und seinem jungen Rivalen, und wie die Frauen einstimmig Lafayette in Anspruch genommen hatten, so hatten die Männer d'Estaing empfangen.

Die anderen Anwesenden sollten, zu dieser Zeit vielleicht weniger bekannt, doch Jeder einen gewissen Grad von Berühmtheit erlangen. Es waren: der Abbé Gregoire, der damals die Philosophie lehrend reiste; er hatte noch nichts über die Sklaverei geschrieben, aber er beschäftigte sich schon mit dieser Frage, die ihn übrigens sein ganzes Leben hindurch beschäftigte; – der Abbé Raynal, der aus der Verbannung kam, wohin ihn seine Philosophische Geschichte der beiden Indien geschickt hatte; – Condorcet, der ein neues Leben anzufangen im Begriffe war, das dritte! der, nachdem er Mathematiker mit d'Alembert, Kritiker mit Voltaire gewesen, Politiker mit Vergniaud und Barbarour werden sollte. Condorcet, der ewige Denker, im Cabinet wie im Salon, in der Einsamkeit wie unter der Menge, specieller in allen Dingen, als die speciellsten Menschen, unzugänglich für die Zerstreuung, wo er sich auch befinden mochte; wenig sprechend, Alles hörend, Alles benützend, ohne je etwas von dem, was er gelernt oder gehört, zu vergessen! – Brissot, der von America ankam, ein Fanatiker für die Freiheit, ein Enthusiast für Lafayette; Brissot, der zukünftige Verfasser der Adresse an die fremden Mächte; Brissot, dessen die unselige Ehre, seinen Namen einer Partei zu geben, harrte; – Roucher, der sein Gedicht: Die Monate, veröffentlicht hatte und mit der Übersetzung des Werkes: Die Reichthümer der Nation, von Smith, beschäftigt war; Malouet endlich, der seine bekannte Denkschrift über die Sklaverei der Neger herausgegeben hatte; er bestieg im Augenblicke des Eintritts von Marat und Danton die Tribune und wartete, um seine Rede zu beginnen, bis sich die durch die Ankunft von Olympia von Gouges hervorgebrachte Wirkung besänftigt hatte.

Er folgte auf Clavieres, der über die Sklaverei, jedoch die Frage generalisirend, gesprochen und von der Tribune herabsteigend angekündigt hatte, sein Freund Malouet werde auch sprechen, aber, besser als er über diese Materie unterrichtet, Thatsachen anführen, welche die ganze Versammlung werden schauern machen.

Die Versammlung fühlte dieses Bedürfniß der Gemüthsbewegungen, das sich bei den Völkern in gewissen Epochen ihrer Existenz verbreitet, und verlangte folglich nichts Anderes, als zu schauern.

Ueberdies waren, wie gesagt, viele hübsche Frauen im Saale, und die Frauen machen eine so reizende Bewegung mit den Schultern, wenn sie schauern, daß es sehr ungeschickt von einer hübschen Frau wäre, wenn sie nicht schauern würde, so oft sich eine Gelegenheit dazu findet.

Die Stille stellte sich also rascher wieder her, als man hätte hoffen dürfen; allmälig wandten sich die Blicke von Olympia von Gouges ab, und nachdem sie noch einen Moment, die der Männer von Frau von Beauharnais zu Therese Cabarrus, die der Frauen von Brissot zu Lafayette, hin und hergeschwebt hatten, hefteten sie sich auf die Tribune, wo der Redner, die Hand zur Geberde bereit, den Mund zum Worte gerüstet, wartete.

Als sodann tiefe Stille herrschte und die Aufmerksamkeit vollkommen war, sprach Malouet:

»Meine Herren, ich unternehme eine schwierige Aufgabe: die, Ihnen die Mißgeschicke einer Race zu schildern, welche verflucht scheint, während sie doch nichts gethan hat, um diesen Fluch zu verdienen. Zum Glücke ist die Sache, die ich zu Gunsten der Menschheit vertheidige, die der fühlenden Seelen, und die Sympathie wird mir zu Hilfe kommen, wo mir das Talent mangelt.

»Ist es Ihnen je begegnet, meine Herren, wenn Sie am Ende eines köstlichen Mahles, als völlig unerläßlich bei diesem Mahle, die zwei Substanzen, die sich gegenseitig ergänzen: den Zucker und den Kaffee, mit einander verbanden, wenn Sie lange, ehe sie den Kaffee tranken, wollüstig in Fauteuils mit weichen Polstern ausgestreckt sein köstliches Aroma einathmeten, wenn Sie ihn langsam schlürften und Ihre Lippen, so zu sagen, Tropfen um Tropfen von dem belebenden Tranke einsogen, ist es Ihnen je begegnet, daß Sie daran dachten, dieser Zucker und dieser Kaffee, woraus Sie Ihre Wonne gemacht, habe mehreren Millionen von Menschen das Leben gekostet?

»Sie errathen, wen ich meine, nicht wahr? Ich meine die unglücklichen Kinder Africas, die wanden wollüstigen Launen der Europäer zu opfern übereingekommen ist, die man behandelt wie Lastthiere, und die doch unsere Brüder vor der Natur und vor Gott sind.«

Ein Gemurmel der Billigung ermuthigte den Redner. Alle diese eleganten, gepuderten, bisamduftenden Männer, alle diese reizenden mit Spitzen, Federn und Diamanten bedeckten Frauen stimmten durch eine anmuthige Kopfbewegung der Ansicht des Redners bei und anerkannten, sie seien die Brüder und die Schwestern der Neger des Congo und der Negerinnen vom Senegal.

»Und nun, mitleidige Herzen,« fuhr Malouet mit jener sentimentalen, der damaligen Zeit eigenthümlichen Phraseologie fort, welche hauptsächlich durch die Anrufung zu Werke ging, »erinnern Sie sich wohl, daß das, was ich Ihnen sagen werde, kein Roman ist, entworfen in der Hoffnung, Sie in Ihrer Muße zu unterhalten; es ist eine wahre Geschichte der Behandlung, durch welche seit Jahrhunderten Ihres Gleichen zu Boden gedrückt werden; es ist der Schrei der seufzenden und verfolgten Menschheit, die es wagt, sich bis zu Ihnen zu erheben und allen Nationen der Welt die Grausamkeit zu denunzieren, deren Opfer diese Unglücklichen sind; es sind endlich die Neger von Africa und America, welche den Beistand ihrer Vertheidiger anrufen, damit diese Vertheidiger für sie an das Urtheil der Fürsten Europas appellieren und Gerechtigkeit für die grausamen Leiden, mit denen man sie in ihrem Namen erdrückt, verlangen mögen. Werden Sie taub für ihre Bitte sein? Nein! die Stimme der Männer wird sich stark und streng erheben, die Stimme der Frauen wird sanft und flehend hörbar werden, und die Könige, welche Gott zu seinen Stellvertretern auf Erden gemacht hat, werden erkennen, es heiße Gott selbst beleidigen so der niederträchtigsten Behandlung Geschöpfe geschaffen wie wir nach seinem Bilde preisgeben.«

Hier machte das Gemurmel der Billigung dem lauten Beifalle Platz. Nichtsdestoweniger war es augenscheinlich, daß man den Eingang genügend fand, und daß eine allgemeine, obgleich noch stumme Aspiration den Redner zu seinem Gegenstande hinzog,

Malouet fühlte das Bedürfniß, in die Materie einzugehen, und fing an:

»Ohne Zweifel wissen Sie, was der Negerhandel ist; wissen Sie aber auch, wie der Negerhandel getrieben wird? Nein, Sie wissen es nicht, oder Sie haben wenigstens nur einen oberflächlichen Blick auf diese seltsame Operation geworfen, bei der eine Race mit der andern gehandelt hat, wo die Menschen sich zu Verkäufern von Menschen gemacht haben.

»Will der Kapitän eines Negerschiffes Sklaven kaufen, so nähert er sich den Gestaden Africas und läßt einen der kleinen Fürsten, deren Gebiet an der Küste liegt, benachrichten, er sei da, er bringe Waaren aus Europa, und er möchte gern diese Waaren gegen eine Ladung von zwei bis dreihundert Negern vertauschen; dann schickt er ein Muster von seinen Waaren dem Fürsten, mit dem er handeln will, läßt seine Muster von einem Geschenke mit Branntwein begleiten und wartet.

»Branntwein, Feuerwasser, wie die unglücklichen Neger sagen; unselige Entdeckung, die uns von den Arabern zugekommen ist, – mit jener Kunst des Destillirens, die wir von ihnen erhalten haben, und die sie erfunden hatten, um den Wohlgeruch der Blumen und besonders der, in den Schriften ihrer Dichter so sehr gefeierten, Rose auszuziehen! – warum bist du eine so furchtbare Waffe in den Händen von grausamen Menschen geworden, daß man dich verfluchen muß, dich, die du mehr Nationen gebändigt und besonders vernichtet hast, als die Feuergewehre, welche den Menschen der neuen Welt unbekannt waren, und die sie für einen Donner in den Händen von neuen Göttern hielten?«

Malouet hatte sich, wie man sieht, in den höchsten Lyrismus geworfen: er wurde für seine Kühnheit durch eine Salve von Beifallklatschen belohnt.

»Wir sagen,« fuhr er fort, »der Kapitän des Negerschiffes warte. Ach! er wartet nicht lange; ist die Dunkelheit eingetreten, so kann er den Brand von Dorf zu Dorf laufen sehen; in der nächtlichen Stille kann er die Klagen der Mütter hören, denen man ihre Söhne raubt, der Kinder, denen man ihren Vater entreißt, und mitten unter Allem dem das Todesgeschrei von denjenigen, welche lieber sogleich sterben wollen, als ein Leben des Verschmachtens fern vom Dache der Familie, fern vom Himmel der Heimath hinschleppen.

»Am andern Tage erzählt man an Bord, der Negerkönig sei zurückgeschlagen worden; die Unglücklichen, die man habe wegführen wollen, haben mit der Heftigkeit der Verzweiflung gekämpft; ein neuer Angriff sei für die nächste Nacht organisiert, und die Auslieferung der Waaren könne erst am kommenden Tage stattfinden. Sobald es Nacht geworden, fangen der Kampf, der Brand, die Klagen wieder an. Das Blutbad dauert die ganze Nacht fort, und am Morgen erfährt man, man müsse wieder bis zum andern Tage warten, wenn man die verlangte Ladung haben wolle.

»Doch in dieser Nacht wird man sie sicherlich bekommen, denn der zurückgeschlagene König hat seinen Soldaten befohlen, die Sklaven in seinen eigenen Staaten zu nehmen; er wird einige von seinen Dörfern umzingeln lassen, und, getreu dem gegebenen Worte, seine Unterthanen ausliefern, da er seine Feinde nicht ausliefern kann.

»Endlich, am dritten Tage sieht man vierhundert gefesselte Neger ankommen, gefolgt von Müttern, Frauen, Töchtern und Schwestern, – wenn man nur Männer nöthig hat, denn hat man Weiber nöthig, so werden die Frauen, die Töchter, die Schwestern mit den Brüdern, den Vätern und Gatten gefesselt.

»Da erkundigt man sich und erfährt, es seien in diesen zwei Nächten viertausend Menschen umgekommen, damit der König-Speculant vierhundert habe liefern können.

»Und glauben Sie nicht, ich übertreibe: ich erzähle; ich erzähle, was geschehen ist: der Kapitän des Schiffes ist der Kapitän des New-York, der König, der seine eigenen Unterthanen verkauft hat, ist der König von Barsilly.

»O Männer der Regierung! o Fürsten Europas! Ihr schlaft ruhig in Euren Palästen, während man Eures Gleichen erwürgt; nicht wahr, Ihr wißt nichts von allen diesen Gräueln? Sie werden doch in Eurem Namen begangen. Nun wohl! das Geschrei dieser Unglücklichen mag über die Meere ziehen und Euch aufwecken!

»Werfen wir nun,« fuhr der Redner fort, »werfen wir die Augen auf diese dürre, unfruchtbare Küste, welche gleichwohl die des Vaterlandes ist; sehen wir diese unglücklichen Neger auf dem Boden liegend und nackt den Blicken und der Untersuchung der europäischen Rheder ausgesetzt.

»Haben die Wundärzte diejenigen von den Negern, welche sie für gesund, behende, kräftig und gut constituirt halten, aufmerksam geprüft, so sprechen sie ihre Billigung für sie aus und nehmen sie im Namen des Kapitäns in Empfang, wie Pferde und Ochsen, und lassen sie, auch wie Pferde und Ochsen, mit einem glühenden Eisen an der Schulter zeichnen: dieses Zeichen sind die Anfangsbuchstaben vom Namen des Schiffes und des Commandanten, der sie gekauft hat.

»Alsdann, so wie man sie zeichnet, fesselt man sie zu zwei und zwei an einander, und man führt sie in den Fond des Schiffes, der ihnen für zwei Monate als Gefängniß und häufig als Grab dienen soll.

»Oft, während einer Ueberfahrt, – so gewaltig ist ihr Grauen vor der Sklaverei! – kommen zwei, vier, sechs von diesen Unglücklichen überein, sich ins Meer zu stürzen, führen ihr Vorhaben aus und finden, da sie gefesselt sind, den Tod in den Tiefen des Oceans.

»Bei dem letzten Ankaufe, den der Kapitän Philips in Guinea, beim König von Juida gemacht hat, hat er so zwölf Neger verloren, die sich freiwillig ertränkten.

»Da man sie indessen sehr scharf bewacht, so gelangen gewöhnlich die allermeisten Sklaven ins Schiff. Sogleich bringt man sie in den Raum; hier bleiben dann fünf bis sechshundert Unglückliche unter einander in einer nach der Länge ihres Leibes abgemessenen Reiche aufgehäuft, das Licht nur durch die Oeffnung der Luken erschauend, bei Tag und Nacht nur eine Luft einathmend, welche ungesund und verpestet wird durch den beständigen Aufenthalt der menschlichen Ausdünstungen und der Excremente, welche nicht entfernt werden; dann entspringt aus dem Gemische aller dieser faulen Ausdünstungen eine schmerzliche Infection, welche das Blut verdirbt und eine Menge von Entzündungskrankheiten erzeugt, die dem Viertel und manchmal dem Drittel von allen diesen Sklaven in der kurzen Zeit von zwei bis drittehalb Monaten, welche gewöhnlich die Ueberfahrt dauert, den Tod bringen.

»O Ihr, an die ich mich wende,« rief der Redner, indem er die Hand ausstreckte, als wollte er das ganze Weltall beschwören, »Engländer, Franzosen, Russen, Deutsche, Americaner, Spanier! mag Euch das Schicksal eine Krone auf das Haupt gesetzt oder einen Spaten in die Hand gegeben haben, werft einen Blick auf die Lage, in welche Euch die europäischen Rheder seit so langer Zeit versenken; bedenkt, daß in dem Momente, wo ich spreche, die Kapitäne der Negerschiffe alle die von mir geschilderten Gräuel üben, und daß im Namen Europas und unter dem Regime seiner Gesetze solche Verbuchen ohne Gewissensbisse begangen werden.

»Erleuchtete Europäer, glaubet auch nicht an die Fabeln, welche diese entarteten Menschen Euch kalt in Europa vorschwatzen, um ihre Missethaten zu verbergen; hütet Euch, ihren Verleumdungen Glauben zu schenken, wenn sie behaupten, die unglücklichen Neger seien des Gefühls und der Vernunft beraubte Thiere; erfahret im Gegentheil: es ist nicht Einer unter denjenigen, welche Ihr ihrer Heimath entreißt, der nicht eine zarte Neigung seines Innersten, die Ihr gebrochen, beklagt, – nicht ein Kind, das nicht schmerzlich den Verlust seiner Eltern oder seines Vaters fühlt, – nicht eine Frau, die nicht um einen Gatten, um eine Mutter, um eine Schwester, um eine Freundin weint, – nicht ein Mann, den nicht in der Tiefe seines geschworenen Herzens die Verzweiflung über die zarten Bande verzehrt, die Ihr durch eine gewaltthätige, grausame Trennung vernichtet habt. Ja, ich sage es Euch freimüthig, es ist nicht Einer von Euren Sklaven, der Euch nicht in der Wahrheit seines Herzens als die mörderischen Henker betrachtet, welche die süßesten Gefühle der Natur mit Füßen treten, erwürgen.

»Grausame, unversöhnliche Menschen! wüßtet Ihr im Grunde der Herzen zu lesen, würden ihre gerechten Klagen nicht auf das Strengste zum Stillschweigen gebracht oder mit den entsetzlichsten Strafen geahndet, so könntet Ihr hier einen verscheidenden Vater zu Euch sagen hören: »»Du hast mich von einer Schaar Kinder getrennt, welche meine Arbeit ernährte, und die nun vor Hunger und Elend sterben!«« Dort müßtet Ihr eine Mutter in der Verzweiflung finden, die Ihr aus den Armen eines Gatten oder einer geliebten Tochter gerissen, welche dem Augenblicke ihrer Verheirathung ganz nahe war; anderswo ihren Familien geraubte junge Kinder, welche weinend und schluchzend ausrufen: Pau, pau, bulla! (Vater, Vater, die Hand!) – neben ihnen ein bestürztes Mädchen, das um die Zärtlichkeit einer Mutter oder eines jungen Mannes weint, von dem es aufrichtig geliebt wurde; überall Geschöpfe, welche im tiefsten Jammer darüber, daß sie nicht den traurigen Trost gehabt, ihre Thränen mit denen ihres Vaters oder ihrer Verwandten, dieselben auf immer verlassend, zu vermischen; in allen Herzen würdet Ihr endlich die Schaam und die Entrüstung concentrirt finden, und darum diese Menschen auch fähig zu den Extremitäten, zu denen die Verzweiflung führen kann.«

Das Mitleid der Versammlung zu Gunsten der unglücklichen Neger hatte den höchsten Grad erreicht; nachdem sie den Redner durch ihr Beifallklatschen unterbrochen, brauchte sie auch eine Zeitlang, um sich wieder zu fassen: der Redner benützte diesen Waffenstillstand, um sich die Stirne mit einem Batistsacktuche abzuwischen und ein Glas Zuckerwasser zu trinken.

Während dieses ganzen Plaidoyer, dem wir geflissentlich die oratorische Form der Zeit gelassen haben, betrachtete Danton aufmerksam Marat, dessen Gesicht allmälig den Ausdruck einer mächtigen Ironie annahm.

Malouet fuhr fort:

»Sie haben gebebt, Sie haben geweint. Hören Sie, was mir noch zu sagen bleibt, empfindsame Herzen, liebende Seelen. Als der Kapitän Philips, dessen Namen ich schon ausgesprochen, seine Ladung beendigt hatte, da geschah es, abgesehen von den zwölf Negern, die sich ins Meer gestürzt, daß Viele sich weigerten, zu essen, in der Hoffnung, durch einen rascheren Tod ihren Qualen zu entgehen; nun machten einige Officiere des Schiffes den Vorschlag, den Halsstarrigsten die Füße und die Arme abzuschneiden, um die Andern zu erschrecken; doch menschlicher, als man hoffen durfte, weigerte sich der Commandant und sagte: »»Sie sind schon unglücklich genug, ohne daß man sie noch so grausame Strafen braucht erdulden zu lassen!«« Mit Freuden, meine Herren, lasse ich diesem Manne seinen Edelmuth veröffentlichend Gerechtigkeit widerfahren; doch gegen Einen, welcher so handelt, wie Viele verhalten sich anders! wie Viele brechen auf diese Weigerung, zu essen, mit eisernen Stangen, und zwar an mehreren Stellen, die Arme und die Beine der unglücklichen Widerspänstigen, die durch das entsetzliche Geschrei, das sie ausstoßen, den Schrecken unter ihren Gefährten verbreiten und sie nöthigen, aus Furcht vor derselben Behandlung zu thun, was sie mit eben so viel Stärke als Vernunft zu thun sich weigerten!

»Diese Strafe, meine Herren, kommt dem Rade in Europa gleich, nur mit dem Unterschiede, daß diejenigen, welche man in Europa rädert, Verbrecher sind, während diejenigen, welche man auf den Negerschiffen rädert, Unschuldige sind.

»Warten Sie noch, ich bin nicht zu Ende: ich habe hier einen geschriebenen, veröffentlichten, gedruckten Bericht von John Atkins, Wundarzt an Bord des Admiralschiffes der Ogles-Squadron, mit Negern von Guinea befrachtet; hören Sie, was er Ihnen sagt . . . John Harding, der dieses Schiff befehligte, bemerkte, daß mehrere Sklaven sich ins Ohr sprachen, daß mehrere Weiber das Ansehen hatten, als verbreiteten sie ein Geheimniß; er bildete sich ein, es conspiriren einige Schwarze, um ihre Freiheit wiederzuerlangen; wissen Sie, was sodann, ohne sich zu versichern, ob der Verdacht gegründet war, der Kapitän Harding that? Er verurtheilte auf der Stelle zwei von diesen Unglücklichen, einen Mann und eine Frau, zum Tode, und sprach dieses Urtheil, indem er die Hand gegen den Mann ausstreckte, der zuerst sterben solle: sogleich wurde der Unglückliche vor allen seinen Brüdern umgebracht, dann riß man ihm das Herz, die Leber und die Eingeweide aus, und streute Alles dies auf dem Boden umher, und da dreihundert Sklaven auf dem Schiffe waren, so schnitt man das Herz, die Leber und die Eingeweide in dreihundert Stücke und zwang die Gefährten des Todten, sie roh und blutig zu essen, wobei der Kapitän mit derselben Strafe Jeden bedrohte, der diese gräuliche Nahrung zu verzehren sich weigern würde!«

Ein Gemurmel des Entsetzens durchlief die Versammlung.

Doch die Stimme des Redners beherrschte dieses Gemurmel; er begriff, daß er, nach den Formen der Redekunst, einen zweiten Schlag nach dem ersten thun mußte.

»Hören Sie, hören Sie!« rief er. »Nicht befriedigt durch diese Execution, bezeichnete der grausame Kapitän seinen Henkern auch noch die Frau; die Befehle, wie man bei ihr zu Werke gehen sollte, waren zum Voraus gegeben worden. Die Arme wurde mit Stricken an beiden Daumen gebunden und an einem Maste aufgehängt, bis ihre Füße die Erde verloren hatten. Man zog ihr die Lumpen aus, die sie bedeckten, und peitschte sie zuerst, bis das Blut an ihrem ganzen Leibe herabrieselte; dann löste man ihr mit Rasirmessern die Haut ab, und man schnitt ihr, um auch von den Sklaven gegessen zu werden, dreihundert Stücke Fleisch vom Leibe, so daß alle ihre Knochen bloß gelegt waren, und sie unter den grausamsten Qualen verschied!«

Schreie der Entrüstung wurden hörbar; der Redner wischte sich aufs Neue die Stirne ab und trank vollends sein Glas Zuckerwasser.

»Das haben die unglücklichen Neger auf der Ueberfahrt zu erdulden,« fuhr Malouet fort; »sagen wir nun, was sie leiden müssen, wenn sie angekommen sind.

»Ein Drittel ungefähr ist auf der Ueberfahrt gestorben, wir haben es gesagt; beschränken wir uns aus das Viertel und Sie sollen sehen, wohin uns die Todtenrechnung führen wird.

»Der Scorbut, die Schwindsucht, die Faulfieber, und ein anderes acutes Fieber, das keinen wissenschaftlichen Namen hat, und das man das Fieber der Neger nennt, brechen auf sie ein in dem Augenblicke, wo ihre Füße die Erde berühren, und raffen abermals ein Viertel weg; das ist ein Tribut, den das Klima denjenigen auflegt, welche von Africa auf die americanischen Inseln übergehen. England führt aber allein hunderttausend Schwarze aus und Frankreich die Hälfte; hundert und fünfzigtausend Beide; es sind also fünfundsiebzig tausend Neger, welche zwei an der Spitze der Civilisation stehende Nationen alle Jahre sterben lassen, um fünfundsiebzig tausend andere den Colonien zu geben. Berechnen Sie, Sie, die Sie mich hören, berechnen Sie, welche ungeheure Anzahl von Opfern, ohne einen Nutzen daraus zu ziehen, diese zwei Nationen seit zweihundert Jahren, daß dieser Sklavenhandel dauert, haben sterben lassen; fünfundsiebzig tausend Neger jährlich, zweihundert Jahre hindurch, geben eine Zahl von fünfzehn Millionen von uns vernichteter Menschen; und fügen Sie dieser schmerzlichen Rechnung eine gleiche Zahl für alle Sklaven bei, deren Tod die anderen Königreiche Europas verursacht haben, so werden Sie dreißig Millionen Geschöpfe der Oberfläche der Erde durch die unersättliche Habgier der Weißen entrissen finden!«

Die Anwesenden schauten sich an. Es schien ihnen unmöglich, daß sie, und wäre es auch nur aus Gleichgültigkeit, ihren Theil an einer solchen Schlächterei genommen haben sollten.

Der Redner bedeutete durch einen Wink, er wolle fortfahren; die Stille trat wieder ein, und er sprach in folgenden Worten weiter:

»Wenn, nachdem das Meer seinen Zehenten genommen, wenn, nachdem das Fieber seinen Tribut genommen, einige Hoffnung auf Glück wenigstens den Ueberlebenden bliebe, wenn der Aufenthalt in der Verbannung leidlich wäre, wenn sie nur Herren fänden, die sie behandeln würden, wie man Thiere behandelt, so ließe sich das noch ertragen. Sind sie aber einmal angekommen, sind sie verkauft, so übersteigt die Arbeit, die man von ihnen fordert, die menschlichen Kräfte. Bei Tagesanbruch werden sie zu den Arbeiten gerufen, und bis zum Mittag müssen sie dieselben ohne Unterbrechung fortsetzen; um Mittag ist es ihnen endlich erlaubt, zu essen; doch um zwei Uhr müssen sie wieder unter der glühenden Sonne des Aequators zu ihrer Aufgabe schreiten, und sie haben diese bis zum Ende des Tages zu verfolgen; diese ganze Zeit werden sie auf das Strengste überwacht und bestraft von den Aufsehern, die mit mächtigen Peitschenhieben diejenigen schlagen, welche mit einiger Nachläßigkeit arbeiten. Ehe man sie in ihre traurigen Hütten zurückkehren läßt, nöthigt man sie noch die Geschäfte des Hauses zu verrichten, das heißt, Futter für das Vieh zu sammeln, Holz für die Herrschaft, Kohlen für die Küche, Hafer für die Pferde zu führen; so daß es oft Mitternacht oder ein Uhr ist, ehe sie in ihre Hütten kommen. Dann bleibt ihnen kaum Zeit, ein wenig Mais für ihre Nahrung zu zerstoßen und kochen zu lassen; während nun dieser Mais kocht, legen sie sich auf eine Matte nieder, wo sie sehr oft, gelähmt vor Müdigkeit, einschlafen, und wo sie die Arbeit des nächsten Tages wieder holt, ehe sie Zeit gehabt haben, den Hunger zu stillen, der sie verzehrt, oder den Schlaf zu befriedigen, der sie verfolgt.

»Und dennoch hat ein Schriftsteller unserer Tage, bekannt durch eine große Anzahl von Werken, welche vom Umfange und den Kenntnissen seines Geistes zeugen, behaupten wollen, die Sklaverei der Neger biete eine Existenz, welche viel glücklicher, als das Loos, dessen der Mehrzahl nach unsere Bauern und Tagelöhner in Europa theilhaftig seien.,

»In der That, beim ersten Anblicke scheint sein System verführerisch. »»Ein Arbeiter verdient in Frankreich,«« sagt er, »»zwanzig bis fünfundzwanzig Sous täglich. Wie kann man mit diesem mäßigen Lohne sich nähren, sein Weib und fünf bis sechs Kinder nähren und unterhalten, seine Hausmiethe bezahlen, Holz kaufen und alle Kosten für eine ganze Familie bestreiten? Sie leben dann in der Dürftigkeit, und es fehlt ihnen immer am Nothwendigen. Ein Leibeigener dagegen oder ein Sklave ist wie das Pferd seines Herrn: sein Herr ist dabei interessiert, daß er ihn gut nährt, gut unterhält, um seine Gesundheit zu bewahren und nützliche, anhaltende Dienste aus ihm zu ziehen; da er also Alles hat, was er nothwendig braucht, so ist er glücklicher, als die freien Tagelöhner, welche manchmal kein Brod haben!««

»Ach! die Vergleichung ist nicht richtig, und ich liefere den Beweis; er ist mir vor nicht langer Zeit auf folgende Art gegeben worden. Vor acht Tagen trat ich in ein Kaffeehaus ein; drei oder vier Americaner saßen um einen Tisch: der Eine von ihnen las die öffentlichen Blätter, die Andern sprachen vom Negerhandel; die Neugierde beweg mich in ihre Nähe zu sitzen, und ich horchte. Vernehmen Sie Wort für Wort die Berechnung, die ich Einen von ihnen machen hörte:

»»Meine Neger,«« sagte er, »»kommen mich Einer in den Andern gerechnet auf vierzig Guineen. Jeder von ihnen trägt mir ungefähr, nach Abzug aller Kosten, sieben Guineen Nutzen, wenn ich sie nähre, wie das sein soll; breche ich aber von ihrer Nahrung nur den Werth von zwei Pence täglich ab, so gibt mir diese Erparniß an jedem Neger drei Pfund Sterling Profit, also neunhundert Pfund Sterling an meinen dreihundert Negern, außer den sieben Pfund Sterling, die mir schon Jeder trug. Durch dieses Mittel gelingt es mir, jährlich auf Jedem von meinen Sklaven zehn Guineen Nutzen zu machen; was den Reinertrag meines Gutes auf dreitausend Pfund Sterling erhöht. Es ist wahr,«« fügte er bei, »»befolge ich den Plan dieser ökonomischen Verwaltung, so dauern meine Neger höchstens acht bis neun Jahre, doch was liegt daran, da am Ende von vier Jahren jeder Neger mir wiedergegeben hat, was er mich gekostet? Sollte er also nur noch vier bis fünf Jahre leben, so ist das seine Sache, da der Ueberschuß der vier Jahre ein reiner Nutzen ist. Der Mann stirbt, glückliche Reise! mit dem Profit allein, den ich in sieben bis acht Jahren an seiner Nahrung gemacht habe, besitze ich Mittel, um einen andern jungen, kräftigen Neger zu kaufen, statt eines erschöpften Menschen, der zu nichts mehr taugt, und Sie begreifen, bei dreihundert Sklaven ist die Ersparniß ungeheuer!««

»Das ist es, was dieser Mensch oder vielmehr dieser Tiger mit einem menschlichen Gesichte sagte! das ist es, was ich gehört habe, und ich schämte mich, daß derjenige, welcher dies sagte, ein Weißer war wie ich!

»O Europäer!« rief der Redner, indem er mit dem Willen, ihn zu unterbrechen, den Schauer unterbrach, den seine letzten Worte in der Versammlung erregt hatten, »werdet Ihr immer grausame Tyrannen sein, während Ihr wohlthätige Beschützer sein könnt? Die Wesen, die Ihr verfolgt, sind doch empfangen und geboren, wie Ihr, im Leibe einer Frau; sie hat sie neun Monate in ihrem Schooße getragen, wie Eure Mütter Euch getragen haben; sie hat sie zur Welt gebracht mit denselben Schmerzen und denselben Gefahren, mit denen Eure Frauen ihre Kinder zur Welt bringen! Sind sie nicht mit Milch gesäugt worden wie Ihr? mit derselben Zärtlichkeit wie Ihr aufgezogen worden? sind sie nicht Menschen wie Ihr? ist es nicht derselbe Schöpfer, der sie gebildet hat? ist es nicht dieselbe Erde, die uns getragen hat, und die uns nährt? ist es nicht dieselbe Sonne, die uns leuchtet? ist es nicht derselbe Vater des Weltalls, den wir Alle anbeten? haben sie nicht ein Herz, eine Seele, dieselben Neigungen der Zärtlichkeit und der Menschenliebe? Weil die Farbe ihrer Haut nicht der unsern gleicht, ist das ein gesetzlicher Titel, um sie umzubringen, um ihre Frauen zu entführen, ihre Kinder zu stehlen, ihre Väter in Fesseln zu schlagen, um sie auf dem Lande und auf dem Meere die abscheulichsten Grausamkeiten erdulden zu lassen?

»Leset die Geschichte aller Völker und aller Nationen der Erde, in keinem Reiche, in keinem Jahrhundert, selbst in den barbarischsten, werdet Ihr das Beispiel von einer so überlegten und so beharrlichen Grausamkeit finden. Warum müßt Ihr in einer Zeit, wo die gesunde Philosophie und die umfassendsten Kenntnisse Europa durch die erhabensten Entdeckungen erleuchten, noch der Schrecken der Africaner, der Abscheu von Eures Gleichen, die Verfolger des Menschengeschlechts sein? Laßt, es ist noch Zeit hierzu, so viele Grausamkeiten dadurch vergessen, daß Ihr der ganzen Erde das Beispiel der Humanität und der Wohlthätigkeit gebt: macht die Neger frei, zerbrecht ihre Ketten, schafft ihnen eine erträgliche Lage, und seid sicher, daß Ihr besser bedient werdet durch Freigelassene, welche Euch wie ihre Väter lieben werden, als durch Sklaven, die Euch hassen wie Henker!«

Dieser in einer Antithese endigende Redeschluß riß das Auditorium fort: Beifallklatschen, Bravos, stürmische Rufe erschollen von allen Seiten; die Männer stürzten nach der Tribune; die Frauen schwenkten ihre Taschentücher, und der Redner stieg unter dem enthusiastischen Geschrei: »Freiheit! Freiheit!« herab.

Danton wandte sich gegen Marat um; zwei- oder dreimal war er auf dem Punkte gewesen, sich der allgemeinen Hinreißung zu überlassen; doch er fühlte in seiner Nähe, in seinem Gefährten, etwas wie einen schlecht verhaltenen Spott, etwas wie eine Verachtung, welche loszubrechen im Begriffe, und das drängte ihn wieder zurück.

Als indessen der Redner geendigt hatte, wandte sich Danton, wie gesagt, gegen Marat um.

»Nun,« fragte er ihn, »was denken Sie hiervon?«

»Ich denke,« erwiederte Marat, »man müßte viele Sitzungen wie diese und viele Redner wie diesen brauchen, um zu machen, daß die Menschheit einen Schritt thun würde.«

»Die Sache, die er vertheidigt, ist jedoch schön!« versetzte Danton, der, an diese philosophische Phraseologie gewöhnt, wenigstens kämpfen wollte, ehe er sich ergab.

»Allerdings, aber es gibt eine Sache, deren Vertheidigung noch dringlicher ist, als die der Sklaven

Americas.«

»Welche?«

»Die der Leibeigenen Frankreichs.«

»Ich verstehe.«

»Sie haben versprochen, mir zu folgen?«

»Ja.«

»Kommen Sie.«

»Wohin gehen wir?«

»Nicht wahr, Sie haben mich unter die Aristokraten geführt, welche die Befreiung der Schwarzen verhandeln?«

»Allerdings.«

»Nun wohl, ich werde Sie unter die Demokraten führen, die sich mit der Befreiung der Weißen beschäftigen.«

Nach diesen Worten gingen Marat und Danton weg, ohne daß es Jemand bemerkte, – so merkwürdig sie waren, – dergestalt hatte sich die allgemeine Aufmerksamkeit beim Redner concentrirt, welcher unter den Glückwünschen der Versammlung von der Tribune herabstieg.

14

Es sind drei Thüren an dieser Höhle:

die Hoffnung, die Schande, der Tod;

durch die erste tritt man ein,

durch die zwei andern geht man hinaus.

Ingénue

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